Fahrelnissa Zeid
Wer war Fahrelnissa Zeid?
Fahrelnissa Zeid (arabisch: الأميرة فخر النساء زيد, Fakhr un-nisa oder Fahr-El-Nissa; 7.1.1901–5.9.1991) war eine türkische Malerin der Moderne, die für großformatige abstrakte Gemälde mit kaleidoskopartigen Mustern bekannt ist. Die Künstlerin arbeitete auch in den Medien Zeichnung, Lithografie und Skulptur. Fahrelnissa Zeid lebte in verschiedenen Städten und wurde Teil der Avantgarde-Szenen in Istanbul, Berlin vor dem Krieg und Paris nach dem Krieg. Am bekanntesten sind ihre abstrakten Bilder, doch sie malte auch Porträts und Alltagsszenen. Indem Fahrelnissa Zeid Elemente der islamischen und byzantinischen Kunst mit Abstraktion und anderen Einflüssen aus dem Westen miteinander in Beziehung setzte, schuf sie eine Kunst, die beide Traditionen in Balance brachte.
„Künstler:innen sind weder einem Land noch einer Religion zugehörig. Ich wurde auf dieser Erde geboren. Ich bin aus ihr gemacht und an allem interessiert, was mit ihr zusammenhängt.“1 (Fahrelnissa Zeid)
Kindheit und Ausbildung
Fahrelnissa Zeid wurde am 7. Januar 1901 in Istanbul in eine wohlhabende ottomanische Familie geboren. Zeid begann schon in jungen Jahren zu zeichnen und zu malen, dazu angeregt von ihrer Mutter und ihrem älteren Bruder. Beide hatten ihre Studien an der Universität Oxford abgebrochen, um in Rom Kunst zu studieren. Zu den frühesten Werken der türkischen Künstlerin gehören zarte Porträts, die sie im Alter von 14 Jahren malte (1915).
Zeid war eine der ersten Frauen, die 1920 die Schule der schönen Künste in Istanbul besuchten durfte. 1928 zog sie nach Paris, wo sie die Académie Ranson besuchte. Zusammen mit ihrem ersten Mann, dem Romancier İzzet Melih Devrim, reiste sie quer durch Europa und lernte die Kunstströmungen der Moderne kennen. Ihr zweiter Mann, der irakische Botschafter Prinz Zeid bin Hussein, den sie 19342 heiratete, ermöglichte ein sorgenfreies, aber von Repräsentationspflichten geprägtes Leben. Fahrelnissa Zeid lebte in Berlin und Bagdad. Gemeinsam unternahmen sie ausgedehnte Reisen durch Europa, in den Nahen Osten und in die Vereinigten Staaten.
Rückkehr nach Istanbul: Durchbruch als Künstlerin
Auch wenn Skizzenbücher die Entwicklung ihres Stils nachvollziehbar machen, so hat sich doch wenig von Fahrelnissa Zeids frühen Werken erhalten. Erst nach ihrer Rückkehr in die Türkei in den frühen 1940er Jahren konnte sie sich ernsthaft als Künstlerin betätigen und begann auch in den 1940er Jahren auszustellen.
1942 schloss sie sich der D-Gruppe an, mit der sie in Istanbul ausstellte. Die D-Gruppe setzte sich die Popularisierung von Kunst zum Ziel genauso wie neue Zugänge zur Malerei zu entwickeln. Drei Jahre später organisierte Fahrelnissa Zeid ihre erste Einzelausstellung in ihrer Wohnung im Maçka-Viertel von Istanbul (1945); anschließend zeigte sie ihre Arbeiten in London und Paris.
Fahrelnissa Zeid malte Mitte der 1940er Interieurs und Stillleben, Akte, Porträts und Landschaften. Lebendige Farben und schwarze Linien – die zu charakteristischen Aspekten ihres späteren Stils werden würden – sind in den meisten ihrer Arbeiten aus dieser Zeit zu sehen.
London
Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Prinz Zeid Al-Hussein zum Botschafter des Königreichs Irak im Vereinigten Königreich ernannt, und das Ehepaar zog nach London. Dort unterzog Fahrelnissa Zeid ihre Arbeit einem radikalen Wandel. Trotz vieler diplomatischer und sozialer Verpflichtungen malte Zeid weiter und verwandelte das Zimmer eines Zimmermädchens in der Botschaft in ihr Atelier. Obwohl sie in London lebte, mietete sie auch ein Atelier in Paris und teilte ihre Zeit zwischen den beiden Städten auf. Zeid erzählte, wie sie sich in diesem Moment als Malerin wohlfühlte:
„Solange ich in der Türkei gelebt und gearbeitet hatte, schien ich meinen eigenen künstlerischen Initiativen zu misstrauen. Ich war zu isoliert, zu unsicher. Jetzt fühle ich mich zumindest als Künstlerin und nicht als eine Art Freak verstanden und akzeptiert, ob in London oder in Paris.“
Im Paris der Nachkriegszeit setzte sich die Abstraktion als „Weltsprache der Kunst“ durch. Das Gemälde „Kampf gegen die Abstraktion“ (1947) zeigt Zeids inneren Kampf zwischen Repräsentation und Abstraktion (→ Abstrakte Kunst). Sie entwickelte ihre charakteristische kaleidoskopische Bildsprache und stützte sich dabei sowohl auf die Besonderheiten ihres kulturellen Hintergrunds als auch auf ihre Auseinandersetzung mit europäischer Kunstgeschichte und zeitgenössischer Kunst. Zeids Werke sind von byzantinischer Ikonografie und Sufismus ebenso beeinflusst wie sich ihre malerischen Qualitäten, kühne Farbgebung und gebrochene geometrische Formen auf Fauvismus und Kubismus zurückführen lassen.
„Ich hatte nicht vor, eine abstrakte Malerin zu werden. Ich war eine Person, die sehr konventionell mit Formen und Werten arbeitete. Aber das Fliegen mit dem Flugzeug hat mich verwandelt [...] Die Welt steht auf dem Kopf. Eine ganze Stadt könnte in der Hand gehalten werden: die Welt von oben gesehen.“ (Fahrelnissa Zeid)
Meisterin der Abstraktion
Bis 1948 hatte Fahrelnissa Zeid ihren eigenen abstrakten Stil gefunden. In den folgenden fünfzehn Jahren, die sie zwischen London und Paris pendelte, schuf sie monumentale abstrakte Gemälde. Darin entwickelte sie eine Synthese aus einer Vielzahl von Einflüssen: von Natur und islamischer Architektur bis zu byzantinischen Mosaiken und Buntglasfenstern. Ihre Entschlossenheit und Energie zeigen sich in diesen übervollen Kompositionen, welche die Malerin mit schnellen Pinselstrichen realisierte.
Fotos ihrer Ateliers zeigen ungespannte Leinwände, die die Wände vom Boden bis zur Decke füllen und manchmal um die Ecken des Ateliers gewickelt sind. Fahrelnissa Zeid nagelte andere Gemälde direkt an die Decke und arrangierte bemalte Steine auf jeder verfügbaren Oberfläche. Ihren Durchbruch hatte sie 1950 mit ihrer ersten Werkschau in der New Yorker Hugo Gallery, wo sie eine Reihe großer abstrakter Gemälde präsentierte.
Fahrelnissa Zeid schuf 1951 nach einer Krankheit die große Leinwand „My Hell“. In Paris stellte sie zusammen mit Künstlern aus, die mit der Nouvelle École de Paris in Verbindung standen und die eng mit dem einflussreichen Kurator Charles Estienne verbunden waren. In London hielt sie Salons in der Botschaft ab und versammelte sich um ihre Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und Kuratoren. Ihre Einzelausstellung in der Galerie Dina Vierny in Paris im Jahr 1953, die 1954 auch am Londoner Institut for Contemporary Art gezeigt wurde, sicherte ihren Platz in den Kunstszenen beider Städte.
Natur im Bild
In den 1950ern kaufte Fahrelnissa Zeid eine Ferienvilla auf der italienischen Insel Ischia. Dort entfernte sie sich von den dominanten schwarzen Linien, die ihre abstrakten Gemälde untermauert hatten, experimentierte mit einem lockeren und lyrischeren Stil und schuf weiterhin eine große Anzahl von Zeichnungen und Drucken an.
Krise und später Stil
Normalerweise kehrte Zeids Ehemann im Sommer nach Bagdad zurück, um seinen Neffen König Faisal II. von offiziellen Pflichten zu entbinden, aber 1958 überredete ihn Fahrelnissa Zeid, stattdessen mit ihr nach Ischia zu reisen. Im Irak führte ein Staatsstreich zur Ermordung der gesamten königlichen Familie. Das Paar hatte 24 Stunden Zeit, um die irakische Botschaft in London zu verlassen. Diese Wendung der Ereignisse beendete Zeids Karriere als Malerin und Gastgeberin in London abrupt. Sie kommentierte später:
„Es ist, als hätte ich plötzlich Angst vor Farben und vor dem Leben. Anstelle des brillanten Kaleidoskops, das mich einst zu umgeben schien, kann ich überall um mich herum nur ein gewundenes Labyrinth aus harten und schweren schwarzen Linien wahrnehmen […] Es ist, als wäre ich brutal zum Beginn meiner Karriere als Künstlerin zurückkatapultiert worden und wäre nun gezwungen, die Gültigkeit jedes Mittels, das ich jemals benutzt habe, erneut zu testen.“
Im Alter von 57 Jahren kochte Fahrelnissa Zeid zum ersten Mal. Die erzwungene Häuslichkeit, die sich aus dem plötzlichen Ende ihres Lebensstils als Botschafterin ergab, bot der Künstlerin eine unerwartete Inspirationsquelle. Sie begann auf Puten- und Hühnerknochen zu malen, wie sie es zuvor auf Steinen getan hatte, und hüllte die Knochen in Harz. Sie stellte diese Skulpturen auf motorisierten Drehtischen aus, damit sie von allen Seiten gesehen werden können, wobei die Beleuchtung die durchscheinende Qualität des Materials betont.
Befreit von diplomatischen Pflichten kehrte Zeid allmählich zur Malerei zurück und begann Mitte der 1960er Jahre, Porträts ihrer Vertrauten zu malen. 1969 verließen sie und ihr Mann London, um dauerhaft in Paris zu leben; ein Jahr später starb Prinz Zeid Al-Hussein.
Jordanien
Zeid zog 1975 nach Amman, um in der Nähe ihres Sohnes und seiner Familie zu sein. In Jordanien baute sie einen neuen sozialen und künstlerischen Kreis auf, unterrichtete an der königlichen Kunsthochschule und gründete das Fahrelnissa Zeid Institute of Fine Arts. Fahrelnissa Zeid brachte eine Gruppe jüngerer Frauen in Kontakt mit der Abstraktion und wandte sich selbst wieder der Porträtmalerei zu. Ihre Tochter beschrieb dies als die „kreativste, produktivste und lohnendste Zeit ihres Lebens“. Zeid malte bis weit in die 80er Jahre und starb am 5. September 1991 in Amman.
Nachruhm
Ihre Arbeiten wurden an verschiedenen Institutionen in Paris, New York und London ausgestellt, darunter 1954 am Institut für zeitgenössische Kunst. In den 1970er Jahren zog sie nach Amman, Jordanien, wo sie eine Kunstschule gründete.
2017 organisierte die Tate Modern in London eine große Retrospektive der Künstlerin und nannte sie „eine der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts“. Ihr größtes versteigertes Werk, „Towards a Sky“ (1953), wurde 2017 für knapp eine Million Pfund verkauft.
In den 1930er Jahren heiratete sie in die haschemitische Königsfamilie des Irak ein und war die Mutter von Prinz Ra'ad bin Zeid und die Großmutter von Prinz Zeid bin Ra'ad, Prinz Mired bin Ra'ad, Prinz Firas bin Ra'ad. Prinz Faisal bin Ra'ad und Prinzessin Nissa Raad (Prinzessin Fakhrelnissa bint Ra'ad).
- Zit. n. Radikal! Künstlerinnen*und Moderne 1910–1950, hg. v. Stella Rollig, Stephanie Auer, Andrea Jahn und Kathrin Elvers Švamberk (Ausst.-Kat. Museum Arnhem, 7.9.2024–5.1.2025; Saarlandmuseum – Moderne Galerie, Saarbrücken, 8.2.–18.5.2025; Belvedere, Wien, 17.6.–12.10.2025), S. 74.
- Die Tate Modern sprach von einer Hochzeit im Jahr 1935.