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Marcel Odenbach. Beweis zu nichts Ausstellung des deutschen Medienkünstlers in der Kunsthalle Wien

Installationsansicht: Marcel Odenbach. Beweis zu nichts, Kunsthalle Wien 2017, Foto: Stephan Wyckoff: Beweis zu nichts, 2016, © Marcel Odenbach & BILDRECHT GmbH, 2017, Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln und Anton Kern Gallery, New York

Installationsansicht: Marcel Odenbach. Beweis zu nichts, Kunsthalle Wien 2017, Foto: Stephan Wyckoff: Beweis zu nichts, 2016, © Marcel Odenbach & BILDRECHT GmbH, 2017, Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln und Anton Kern Gallery, New York

Marcel Odenbach (* 1953) ist bekannt für Videoarbeiten und komplexe Bild-Collagen, in denen er die deutsche Geschichte, Kolonialismus und das Medium Film reflektiert. Für die Kunsthalle Wien realisierte er „Beweis zu nichts“ über das Mahnmal im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald.

Mit dem literarisch klingenden Titel „Beweis zu nichts“ baut Marcel Odenbach eine Verbindung zu Bertold Brecht und Ingeborg Bachmann auf. Die erste Arbeit in der Ausstellung zeigt eine vergrößerte Buchseite, „kurz und bündig“, eine Collage auf dem Jahr 2016. Titel der Ausstellung verweist auf Ingeborg Bachmanns gleichnamiges Gedicht. Die in die Ausstellung transferierte Buchseite zeigt den Text der Autorin mit Unterstreichungen und Veränderungen. Bertold Brecht besaß eine Ausgabe des Gedichtbandes „Die gestundete Zeit“ (1953) und, obwohl er die junge Kollegin schätzte, veränderte er auf kannibalistische Weise ihre Werke und machte sie so zu seinen eigenen. Odenbach zeigt Brechts Umgang mit dem Vers „Holz und Späne“. Erst beim Nähertreten fällt die der Textseite hinterlegte Bildstruktur aus Bäumen auf. Zwischen der Text-Bild-Arbeit und der Videoarbeit „Beweis zu nichts“ (2016) entfaltet sich Marcel Odenbachs Universum, geprägt von Kolonialgeschichte, deutschen NS-Verbrechen, Mahn- und Denkmälern, Migrationsgeschichte(n). Immer wieder geht es dem Künstler um ein Hinterfragen von Aktualität, von der Macht der Bilder, von Erzählungen. Durch die Ausstellung ziehen sich Themen wie rote Fäden: Literatur, Kunst und Politik, Afrika, Großwildjagd, Kolonialismus, Rassismus, deutsche Geschichte.

Überblendete Rückblenden

„Deutschstunde“ (2006), „Im Kreise drehen“ (2009) und die zentrale Videoarbeit „Beweis zu nichts“ (2016) bilden einen spannenden Bogen zur deutschen NS-Vergangenheit. Das Verbindende ist die Frage nach der Erinnerung, die immer wieder aktiviert werden muss, um Teil eines gesellschaftlichen und persönlichen Diskurses zu werden. Teil dieser Vermittlungsarbeit sind autobiografische Texte von jüdischen Zeitzeugen sowie Mahnmale. Sie umkreisen auf verschiedene Arten und unterschiedlichen Methoden das gleiche Thema. Marcel Odenbach nutzt für seine Filme die Kreisbewegung der Kamera, mit der er Denkmäler abtastet.

„Beweis zu nichts“ (2016)

Ein gelber Flugdrache führt in die Arbeit ein, ein blauer Ball rollt eine Treppe herunter, eine rote Cola-Dose vervollständigt die Trias der Primärfarben. Doch geht es dem Künstler nicht (nur) um die Farben, die er effektvoll setzt, sondern er verbindet (mehr oder weniger offensichtlich) mit jedem der Gegenstände eine größere Idee. Drache und Ball stehen für spielende Menschen und wie die Cola Dose wohl für die Frage nach dem Korrekten Benehmen an einem so geschichtsträchtigen Ort wie dem ehemaligen KZ Buchenwald, wo die Bilder aufgenommen wurden. Marcel Odenbach zeigt keine Menschen, filmt niemanden bei dessen persönlicher Auseinandersetzung mit der Mahn- und Gedenkstätte, sondern schickt Stellvertreter auf den Ettersberg bei Weimar. Was ist dieser Ort, wenn niemand (mehr) da ist, der seine Geschichte kennt, könnte man fragen.

Das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald war eines der größten Konzentratsionslager auf deutschem Boden und wurde zwischen Juli 1937 und April 1945 auf dem Ettersberg bei Weimar als Arbeitslager geführt. Die Leitung hatten kommunistische Lagerinsassen, die am 11. April 1945 gegen ihre Bewacher erfolgreich revoltierten. Marcel Odenbach denkt in der Videoarbeit über das politische Denken in der DDR nach. Zum einen betonte die Führung den heroischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, zum anderen definierte sie Ost-Deutschland als Arbeiterstaat und die sowjetische Besatzungsmacht nutzte es als Speziallager Nr. 2. Dieser Aufstand innerhalb des Lagers wurde von der Staatsspitze überhöht und als Symbol für den allgemeinen Kampf gegen Nationalsozialismus und Faschismus umgedeutet. Im Jahr 1952 gewannen Bertold Brecht und Fritz Cremer (1906–1993) den Wettbewerb für ein Denkmal. „Durch Sterben und Kämpfen zum Sieg“ (1957/58) wurde der pathetische Titel des Werks zu Ehren des Widerstandskampfes im Lager. Das gesamte Mahnmal wurde zwischen 1954 und 1958 errichtet.

Fritz Cremer gehörte seit 1929 der KPD an (1946 Beitritt zur SED) und war von 1946 bis 1950 Professor für Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Mit Wilhelm Schütte und Margarethe Schütte-Lihotzky fertigte Cremer das „Mahnmal für die Opfer des Faschismus 1934–1945“ am Zentralfriedhof, das am 11. November 1948 von Theodor Körner der Öffentlichkeit übergeben wurde.1 Der „Denkmal-Spezialist“ Cremer arbeitete eine ganze Reihe von Denkmälern aus: für das KZ Ebensee (1949), Knittelfeld (1950–1953), Buchenwald (1952–1958), Ravensbrück (1958–1965), Mauthausen (1960–1967).

Marcel Odenbach zeigt das Setting, die Gesamtanlage des Denkmals, die Treppe, den Glockenturm „Turm der Freiheit“, die Straße der Nationen, die Ringgräber. Dann in Nahsicht, kreisend um die Figurengruppe, Schärfe und Unschärfe nutzend, Details der Konzeption von Fritz Cremer. Ohne einen Überblick zu gewähren, dazwischen lakonische, weil kurze Angaben zu den technischen Daten der Objekte (vgl. Bildunterschriften). Ursprünglich orientierte sich Cremer an Rodins „Bürger von Calais“ (→ Auguste Rodin). Seine ursprünglichen Entwürfe waren weniger martialisch als die ausgeführte Version, denn die Aufständischen hatten keine Gewehre. Das Sich-im-Kreise-Drehen taucht in vielen Arbeiten Marcel Odenbachs auf: als Kreisel in der „Deutschstunde“, als Kamerafahrt in „Im Kreise drehen“ (2009). Bereits in Odenbachs Filmarbeit über das KZ Majdanek (im heutigen Polen) umkreiste er die abstrakte Skulptur. Die Bilder zeigen weniger das Objekt selbst, sondern eine Annäherung, ein in Bilder verwandeltes Nachdenken, eine visuelle Annäherung an ein Denkmal, die eine Metapher für die Unbegreifbarkeit des technisierten Mordens während der NS-Zeit.

Kolonialismus und seine Folgen

In Videoarbeiten und Collagen – in der Ausstellung der Kunsthalle Wien in „In stillen Teichen lauern Krokodile“ (2002/2004) bzw. „Durchblicke“ (2007) und „Jeder Schuss ein Treffer“ (2009/2010) – beschäftigt sich Odenbach mit dem Kolonialismus und seinen Folgen. Die präzise gearbeiteten Collagen fungieren dabei wie in der Zeit geraffte Bildfolgen. Hinter dem Dekorativen der Gesamtkomposition (zumindest in „Durchblicke“) lauert das Grauen! Marcel Odenbach Fotosammlungen collagiert, färbt ein, schneidet das so verfremdete Material und klebt es erneut zu einer Stencil-Collage zusammen. Die in Odenbachs eingesetzte Methode der Überblendung lässt sich auch in diesen Fotomontagen aufzeigen: Das idyllische Motiv der Palmbäume wird durch Massen von Fotografien in verschiedenen Schichten gebildet, die dunkle Färbung verleiht der Collage, vielleicht im Film dem Ton vergleichbar, eine düstere Atmosphäre.

„In stillen Teichen lauern Krokodile“ behandelt den Genozid in Ruanda 1994, der etwa einer Million Menschen das Leben kostete. Die sieben Abschnitte der Videoarbeit sind eigens betitelt, in Akten unterteilt. Die Musik für den ersten Teil stammt u.a. aus Johann Sebastian Bachs „Matthäuspassion“. Die Passion, das Leid wird über die Tonspur spürbar, während die Kamera langsam über das hügelige Land schwenkt. Menschen bei der Arbeit am Feld, Hirten und ihre Tiere, schwitzende Kinder. Das Land wirkt fruchtbar, die Arbeit wird traditionell und ohne Hast erledigt (Kapitel 2: Ein Land, in dem Milch und Honig fließt). Wenig später überlagern Stimmen aus einem Propaganda-Radio die immer hektischeren Bilder. Sie rufen zum Mord und Kampf für das Vaterland auf (Kapitel 3: Ein Albtraum geht in Erfüllung). Die selbst gefilmten Szenen, überblendet Marcel Odenbach nach und nach mit Material aus dem Archiv der Uno zum Genozid in Ruanda (tote Menschen, blutrote Flüsse, Denkmäler und Massengräber). Der Völkermorde in Ruanda begannen am 6. April 1994 und dauerte bis Mitte Juli. Sie kosteten circa 800.000 bis 1.000.000 Menschen das Leben.

  • Kapitel 1: Wenn Gott sich schlafen legt, dann legt er seinen Kopf nach Rwanda
  • Kapitel 2: Ein Land, in dem Milch und Honig fließt
  • Kapitel 3: Ein Albtraum geht in Erfüllung
  • Kapitel 4: Die Trommel ist mächtiger als der Schrei
  • Kapitel 5: Die Bilder kann ich vergessen, den Gestank nie
  • Kapitel 6: Never again
  • Kapitel 7: Wann wird Gott sich wieder in Rwanda schlafen legen?

Familiengeschichte

Das Werk von Marcel Odenbach, das 1976 mit ersten Videoarbeiten einsetzte, fußt auf dessen komplexer Familiengeschichte. Mütterlicherseits stammt Odenbach aus einer angesehenen Kölner Künstler-Intellektuellen Familie mit Schwerpunkt Architektur.2 Seine Mutter war studierte Textildesignerin, sie hat ihren Beruf jedoch nie ausgeübt. Väterlicherseits stammt Odenbachs Familie aus Holland, Frankreich und Belgien (Belgisch Kongo). Ein Teil seiner Familie wurde vom NS-Regime umgebracht. Über die entfernten Verwandten in Afrika kam es, dass Marcel Odenbach als Kind Postkarten aus Belgisch-Kongo (ab 1960 Republik Kongo) erhielt, die seine Fantasie anregten und einen Hauch von Exotik in das Nachkriegsdeutschland wehten. Dass Odenbach als Kind Abenteurer werden wollte, ist keine Legende. Bis heute hat dieser Familienstrang im Afrika-Bezug des Künstlers eine „Nachfolge“. In Ghana besitzt Odenbach gemeinsam mit Carsten Höller ein Haus (Brutalismus).

„Da Video drei verschiedene Elemente in sich vereinigt, a) das Bild, b) Handlungsabläufe, c) den Ton, um die Macht der Technik und des Fortschritts in der Gesellschaft aufzuzeigen, da das Fernseh-Bild der heutigen Sehgewohnheit eher entspricht als das Tafelbild, da das Fernsehen als Zeitvertreib mit seinem hohen Unterhaltungscharakter gesellschaftliche, also politische Veränderungen »in großem Maße« ausgelöst hat, da die Medienanalyse und -kritik ein zentrales Thema unserer Gesellschaft geworden ist, da ich theoretisch einen größeren Rezipientenkreis als die Museumsbesucher ansprechen kann, da meine visuelle Darstellung nicht mehr als dekorativer und repräsentativer Wandschmuck verwertet werden kann, da die Kunst einen Teil ihres Charakters der Ware verliert, da ich umfassendere Alternativen setzen kann!“3 (Marcel Odenbach über seine Gründe mit Video zu arbeiten)

Kuratorin: Vanessa Joan Müller

Biografie von Marcel Odenbach (* 1953)

1953 in Köln geboren
1974–1979 Studium der Architektur, Kunstgeschichte und Semiotik an der Technischen Hochschule Aachen (Dipl.-Ing.).
1976 Marcel Odenbach begann mit Videoarbeiten, Installationen und Tapes. Während der 1970er Jahre bildete er gemeinsam mit Ulrike Rosenbach und Klaus vom Bruch die Produzentengruppe ATV.
1984 Teilnahme an der Gruppenausstellung „Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“.
1992 Berufung für die Professuren an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe, und der Kunsthochschule für Medien Köln
2010 Im Sommersemester Berufung als Ordentlicher Professor für Film und Video an der Kunstakademie Düsseldorf. Odenbach wurde in die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste gewählt.
Prorektor in Köln
Marcel Odenbach lebt und arbeitet in Köln und Berlin.

Marcel Odenbach. Beweis zu nichts: Werke

  • Marcel Odenbach, Beweis zu nichts, 2016, 2-Kanal-Videoinstallation, Farbe, Ton, ca. 15:00 Min.
  • Marcel Odenbach, Im Schiffbruch nicht schwimmen können, 2011, HD Video, Farbe, Ton, 8:15 Min.
  • Marcel Odenbach, Im Kreise drehen, 2009, Blu-Ray DVD, Farbe, Ton, 15:50 Min.
  • Marcel Odenbach, Deutschstunde, 2006, Video, Farbe, Ton, 7:00 Min.
  • Marcel Odenbach, In stillen Teichen lauern Krokodile, 2002/2004, 2-Kanal-Videoinstallation, Farbe, Ton, 31:30 Min. Link auf Vimdeo: https://vimeo.com/58789793 (letzter Aufruf 26.2.2017).
  • Marcel Odenbach, Meldung, 2016, Collage, Tinte auf Papier, ca. 150 x 190 cm (Galerie Crone, Berlin und Wien)
  • Marcel Odenbach, Heimat 3 (AdVB), 2016, Collage, Tinte auf Papier, 150 x 350 cm (Galerie Gisela Capitain, Köln)
  • Marcel Odenbach, kurz und bündig, 2016, Collage, Tinte auf Papier, 190 x 150 cm (Galerie Gisela Capitain, Köln)
  • Marcel Odenbach, Die gute Stube, 2011, Collage, Tinte auf Papier, 170 x 140 cm (Sammlung Philara, Düsseldorf)
  • Marcel Odenbach, Jeder Schuss ein Treffer, 2009/2010, Collage, Tinte auf Papier, 2-teilig, ja 150 x 195,3 cm (Galerie Gisela Capitain, Köln)
  • Marcel Odenbach, Durchblicke, 2007, Collage, Tinte auf Papier, 142,5 x 1463 cm (Privatbesitz)

Filmabend: Mittwoch, 5.4.2017, 19:00 im mumok kino

  • Marcel Odenbach / Lukas Marxt, Fishing is not done on Tuesdays, 2017, HD Video, 15:00 Min.
  • Marcel Odenbach, Ein Bild vom Bild machen, 2016, HD Video, 15:00 Min.
  1. Dank an Wolfgang Brunner.
  2. Eine Urgroßmutter war Klavierlehrerin des Thronfolgers Franz Ferdinand (Ernestine Klein?).
  3. Zitiert nach Medienkunstnetz (letzter Abruf 25.1.2017).
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.