Peter Lindbergh (23.11.1944–3.9.2019) prägte die Modefotografie der 1990er und 2000er Jahre wie kaum ein anderer deutscher Fotograf. Mit seiner melancholischen Bildsprache in Schwarz-Weiß setzte er in internationalen Magazinen wie VOGUE, Harper’s Bazar und Vanity Fair Akzente, die ihn zu einem der einflussreichsten Modefotografen der Welt werden ließen.
Der am 23. November 1944 in Lissa geborene (heute: Polen) Fotograf hieß eigentlich Peter Brodbeck. Er wuchs in der Nähe von Duisburg auf dem Bauernhof eines Onkels auf und ließ sich zum Schaufensterdekorateur ausbilden. Darauf folgte der Besuch der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin, wo er den abendlichen Zeichenkurs frequentierte, und Gelegenheitsjobs. An der Werkkunstschule in Krefeld studierte der spätere Ausnahmefotograf Gebrauchsgraphik und Design. Jahrzehnte später noch erinnerte er sich an den „Schock“, den die amerikanische Konzeptkunst eines Joseph Kosuth, Lawrence Weiner und Douglas Huebler auf ihn ausübte. 1971 kaufte er sich seine erste Kamera und begann eine 2-jährige Lehrzeit in Düsseldorf bei Hans Lux. Den Berufseinstieg als Fotograf wagte Lindbergh erst mit 29 Jahren.
Zuerst als freier Werbefotograf tätig, gelang es Peter Lindbergh 1978 erste Modeveröffentlichung im Stern zu lancieren und nach Paris zu übersiedeln, wo ihm Anfang der 1980er Jahre der internationale Durchbruch gelang. Modefotografien von Lindbergh erschienen in den Magazinen VOGUE, Harper`s Bazar, Interview, Allure, Marie-Claire, Rolling Stone. Als er 1980 den Katalog für das Label Comme des Garçons der japanischen Designerin Rei Kawakubo schoss, hatte er bereits Carte blanche. Lindbergh setzte die japanisch-französische Mode in deutschen Industriehallen seiner Jugend um. Hiermit offenbarte der Fotograf seine Herkunft aus Duisburg – und erarbeitete sich den Eintritt in die museale Welt. Denn bereits 1986 waren diese Fotografien in einer Einzelausstellung im Centre Pompidou zu sehen.
War Lindberghs Stil anfangs grell dramatisch und mitreißend dynamisch, so wandelte er sich Ende der 1980er Jahre zu einem Meister der Melancholie. Zehn Jahre nach seinem Umzug nach Paris, im November 1988, fotografierte er das erste Cover für Vogue Amerika unter Anna Wintour, das seither als legendär gilt. Die Kombination von Haute Couture und Jeans stellte auf einem Cover der Vogue einen Bruch mit der Tradition des Blattes dar. Technisch arbeitete er mit grobkörnigen Aufnahmen in tief gesättigten Schwarz-Weiß-Tönen. Peter Lindbergh schuf mit dieser Fotografie ein Bild der selbstbewussten, natürlichen, starken Frau. Lindberghs Supermodels sollten keine Phantasiekonstrukte mehr sein, sondern einer neuen Weiblichkeit Platz geben. Dafür richten sie meist ihren Blick fest auf die Betrachter*innen und lächeln kaum. Dabei war dem Fotografen wichtig, dass der Blick nicht leicht zu deuten, ja rätselhaft bleibt.
Der Erfinder der „Supermodels“ (1990) arbeitete mit großen, schlanken, teils androgynen Frauen, häufig wiesen sie keine klassisch „hübschen“ Gesichter auf. Er zeigte urbane Frauen in nicht-urbanen Umgebungen. Ein romantisch-naturalistischer Unterton – wie sorgsam vom Wind zerzauste Haare in Dünen – oder Orte der spätkapitalistischen Gesellschaft – wie Industriekulisse oder Lagerhäuser – prägten die Settings der Modeaufnahmen. Dramatische Szenen inmitten der schweren Maschinerie von Industrieanlagen zeigen Modelle, wie sie in souveräner Gelassenheit diese bedienen (1984). Symbole von Komfort, Luxus oder gar Glamour scheinen ihn kaum interessiert zu haben, wodurch Peter Lindbergh einen spannenden Gegensatz zwischen luxuriöser Fashion und Umgebung erzeugte.
Zu Lindberghs Credo zählte, dass die besten Modefotos zuerst gute Aufnahmen von Menschen und dann erst der Mode wären. Mithilfe (künstlich erzeugter) Natürlichkeit prägte er einen Stil, welchen er der perfekt durchgestylten Modewelt scheinbar entgegenhielt. Seine Bilder gleichen mehr informellen oder informativen Porträts – trotz ihres offensichtlich kommerziellen Zwecks. Grundlage für diesen Effekt ist, dass Lindbergh keine herkömmliche Erzählung in seinen Bildern umsetzte. Die Models agierten vor seiner Linse frei. Der Fotograf übernahm die Rolle des Regisseurs, der die Improvisationen der Modelle lenkte.
In Modekampagnen für Comme des Garçons, Giorgio Armani, Isaac Mzrahi, Danna Karan, Jil Sander, Prada, Calvin Klein und viele mehr. Lindbergh realisierte den Pirelli-Kalender 1996 und war auch ein gefragter Regisseur von Werbespots und Dokumentationen. Zu seinen Inspirationsquellen zählte der Fotograf die Kultur der Weimarer Republik, die Kunst der Neuen Sachlichkeit (László Moholy-Nagy oder Albert Renger-Patzsch), expressionistischen Tanz mit gekrallten Händen und kantigen Gesten (Mary Wigman und Valeska Gert) und Kino allen voran Fritz Langs „Metropolis“ und Fellinis „8 ½“ (→ Neue Sachlichkeit).
Am 3. September 2019 ist Peter Lindbergh im Alter von 74 Jahren verstorben.