Dem „enfant terrible“, dem „Oberwildling“ der Wiener Kunstszene kurz nach 1900, Oskar Kokoschka, widmet die Albertina eine umfassende Schau, die nicht die epochalen Neuerungen am Beginn seiner Karriere in den Mittelpunkt stellt, sondern das Werk seiner zweiten Lebenshälfte thematisiert (zur Biografie). Unter dem Titel „Exil und neue Heimat“ wurden 167 Arbeiten, davon 90 Grafiken aus dem Bestand der Albertina, zusammengetragen, um die künstlerische Position eines der ganz Großen der europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts neu zu bewerten. Fernab der zeitgleichen Auseinandersetzung der internationalen Nachkriegsavantgarde mit den Möglichkeiten der Abstraktion, widmete sich Kokoschka Zeit seines Lebens der figurativen Malerei, dem Malen und Komponieren mit und von Licht per se.
Österreich | Wien: Albertina
11.4. – 13.7.2008
Die Ausstellung führt in das späte Schaffen Kokoschkas mit einigen wunderbaren Landschaftsbildern wie „Prag, Karlsbrücke“ (1934) und späten Allegorien. Die Hauptstadt der Tschechoslowakei war ihm ab 1934 Exil und neue Heimat zugleich. Staatspräsident Thomás Garrigue Masaryk, den Kokoschka portraitiert hatte, verschaffte ihm zuerst die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und 1938 ein Flugticket nach London. Die Prager Zeit muss für den knapp fünfzigjährigen Maler eine glückliche gewesen sein: Hier lernte er seine spätere Frau Oldiska Aloisie Palkovská kennen und malte Bilder der Stadt. Kein anderer Aufenthaltsort Kokoschkas wurde davor so oft ins Bild gesetzt wie Prag. Gleichzeitig begann er politische Kunst in Form von lithographierten Plakaten zu machen, auf denen er etwa 1937 zur Unterstützung baskischer Kinder aufrief.
Nahezu mittellos kam das Paar in England an, und Oskar Kokoschka stürzte in eine tiefe Schaffenskrise. Erst ein kurzer Aufenthalt im südwestenglischen Fischerdorf Polperro inspirierte ihn zu neuen Arbeiten. Erstmals bediente er sich dabei wieder der Aquarelltechnik. Diese zwang Kokoschka zum schnellen Arbeiten und erlaubte keine Korrekturen, weshalb er knapp 14 Jahre später seine Studenten der „Schule des Sehens“, eine von ihm ins Leben gerufene Sommerakademie in Salzburg, anhalten wird, sich mit diesem Material zu schulen. Er selbst widmete sich ebenfalls höchst unspektakulärer Motive wie Stillleben und Landschaften. Im Wirrwarr der Zeit bilden diese Aquarelle einen Ruhepol. In den Landschaftsbildern – in Öl und Wasserfarbe – beginnen Licht und Farbe einander zu durchdringen. Das genaue Studium von Bildausschnitten zeigt immer wieder wie lasierende Partien und pastoses Material nebeneinander auf der Leinwand aufgetragen werden.
Doch der politische Mensch Kokoschka konnte nicht stillschweigend die folgenden Ereignisse hinnehmen. Vor allem die englische Appeasementpolitik, welche eine Beschwichtigungsstrategie gegenüber Hitler anstrebte, ließ Kokoschka Stellung beziehen: in geheimnisvollen Bildern wie dem „Roten Ei“ (1940/41) hält er mit seiner Meinung über die „Opferung“ der Tschechoslowakei an Hitler-Deutschland nicht hinter dem Berg. Das gemeinsame Essen der Achsenmächte Deutschland-Italien und Frankreich-England muss ausfallen, das rote Ei bleibt als ungelöstes Problem zurück und erinnert wohl nicht von ungefähr an eine Bombe.
Nach dem Ende des Weltkrieges ließ sich Oskar Kokoschka nicht mehr in Österreich nieder. Es entstanden einige Bilder als Aufträge der öffentlichen Hand, wie eine Ansicht von Salzburg oder von der Neueröffnung der Wiener Staatsoper. In Villeneuve am schweizerischen Ufer des Genfer Sees bezogen Kokoschka und seine Frau 1953 ein Haus mit Seeblick. Der Garten wurde ihm zum Motiv, denn er fing die vergängliche Blütenpracht in leuchtenden Aquarellen ein. Bis ins Jahr 1970 reiste er auch viel und malte kontinuierlich Städtebilder. Auffallend ist an seinen spätesten Arbeiten, dass die Farbe immer transparenter und fleckiger aufgetragen wird. Das Pulsierende des städtischen Lebens aber auch die Un(be)greifbarkeit eines menschlichen Antlitzes finden darin glaubhafte Umsetzung in Malerei.
Schnell mit Farbstiften hingeworfene Skizzen für Theaterprojekte aber auch Studienblätter von Musikern und kunsthistorisch bedeutenden Werken (wie der „Erwachende Sklave“ von Michelangelo Buonarroti, 1954) geben beredt Ausdruck von der handwerklichen Perfektion, dem nicht mehr Nachdenken müssen, und vermitteln das Potenzial seines Einfühlungsvermögens. Nicht umsonst hatte sich Kokoschka in seiner Frühzeit als „Seelenaufschlitzer“ einen Namen als Portraitist gemacht.
Um 1970 entstanden die letzten großformatigen Ölgemälde. „Time, Gentlemen please“ (1970), die Aufforderung englischer Pub-Besitzer, das Lokal zu verlassen, liest sich wie ein Vermächtnis des Künstlers: ein sicherer, lockerer Strich, sich auflösende Formen und das Selbstbildnis in der Tür. Für ihn schien es nun Zeit, ins Dunkle zu gehen.