Im Zentrum der Ausstellung „Duett mit Künstler_in“ im 21er Haus steht das Publikum und seine Rolle beim Entstehen eines Kunstwerks. Historische und aktuelle Positionen zeigen, wie Künstlerinnen und Künstler Menschen aktivieren und zur Handlung auffordern. Kunst als wesentlichen Teil des Lebens zu denken, an dem „alle“ teilhaben können. Partizipation ist nicht nur grundlegend für das Kunstverständnis des 20. und 21. Jahrhunderts, sondern gehört zu den fundamental demokratischen Werten unserer Gesellschaft. „Duett mit Künstler_in“ etabliert das Museum als zentralen Ort der Teilhabe und zeigt über 20 internationale künstlerische Positionen, die Interaktion, Kooperation und bisweilen auch Kollaboration einfordern.
Österreich | Wien: 21er Haus
27.9.2017 - 4.2.2018
Deutschland | Leverkusen: Museum Morsbroich
21.5.2017 - 3.9.2017
Historische Werke von Yves Klein, Vito Acconci, Joseph Beuys und Wolf Vostell leiten in die Ausstellung ein. Zuvor wird man bereits vom „Role Announcer“ (2016) Pierre Huyges (* 1962) abgefangen und nach Vor- und Nachnamen gefragt. Was auch immer der Gast darauf antwortet, wird lautstark in den Ausstellungsraum gerufen. Dem barocken Zeremoniell entlehnt, stellt diese Performance nicht nur das Publikum und seine Präsenz ins Zentrum, sondern stellt die Anwesenden einander vor. Ein im gängigen, anonymen Museumsbesuch gänzlich unvorstellbarer Akt, der aus dem halböffentlichen Raum eines Ausstellungshauses einen durch Protokolle bestimmen, aber auch sozialen Raum werden lässt.
Dahinter lädt Claus Föttinger (* 1960) in eine „soziale Skulptur“, das „Luhmann-Eck“ (2004), eine Bar-Installation mit einer Menge von Spiegeln, einem wirklich bestückten Café-Automaten. Der titelgebende Niklas Luhmann (1927–1998) ziert den Getränkeautomaten, während der Bargespräche spiegelt man sich im Gegenüber und das eigene Bild in den Spiegeln. Den Transfer von Leverkusen, Schloss und Museum Morsbroich, für das die Ausstellung konzipiert worden ist und wo sie in erster Station zu sehen war, ins 21er Haus, Wien besorgt in der Schau Mischa Kuball (* 1959). Sein „leverkusen_transfer“ und „vienna_transfer“ (beide 2017) verlegten den Grundriss eines Raumes von Schloss Morsbroich vor das Leverkusener Rathaus. Die für Wien adaptierte Variante hätte den Grundriss des 21er Hauses am Stephansplatz vorgesehen, war aber aufgrund der neuen Pflasterung bei der Stadtverwaltung nicht durchsetzbar. Im Ausstellungsraum verweist die Plane aus Leverkusen auf das vergangene Projekt und Renderings an der Wand auf eine mögliche Wiener Variante.
Bevor die Besucherinnen und Besucher in den lichtdurchfluteten Glaskubus eintreten, erinnern einige historische Positionen an die Bedeutung der Partizipation in der Kunst der 50er, 60er und 70er Jahre: Joseph Beuys (1921–1986) postulierte um 1977 „Wer nicht denken will fliegt raus“, Dieter Meier versprach 1971 während einer Ausstellungseröffnung „This Man Will Not Shoot“ und Vito Acconci verfolgte Menschen im Öffentlichen Raum („Following Piece“, 1969). Yves Klein verkaufte „Immaterialität“ am Seine-Ufer („Zones de sensibilit´s picturiale immaterielle“, 1959–1962), Yoko Ono ließ in „Mend Pieces“ (1966/2017) zerbrochene Tassen zusammenkleben und die reparierten Stücke auf Regalen präsentieren. Stanley Brouwn stempelte Wegzeichnungen von Passantinnen und Passanten, so kennzeichnete er sein Konzept.
Mit Ausnahme von Yoko Onos „Mend Pieces“ laden die Arbeiten in diesem Bereich zum gedanklichen Austausch (oder zum Reenaktment) ein. Die Aktionen und Perfomances sind als Relikte, Handlungsanweisungen, Beschreibungen bzw. Fotodokumentationen erhalten. Wirklich aktiv wird es im weiteren Verlauf der Schau.
Krüger & Pardeller (*1974/1962) stellen mit „Rising Shift“ (2007) ein Sitzmöbel eine benutzbare Skulptur zur Verfügung. Von hier aus kann man die Besucherinnen und Besucher beim Zeichnen und Malen in David Shrigle’s (* 1968) „Life Model II“ (2016) und Angela Bulloch’s „Constructostrato Drawing Machine“ (2011) bei der Arbeit beobachten, oder wie es Handlungsanweisungen von Erwin Wurm (* 1954) befolgt und so sich in eine Wurm-Skulptur verwandelt. Wünsche können an Yoko Ono’s „Wish Trees“ (1996/2017) hinterlassen werden.
Aus fünfzehn Worten lässt sich doch ein Gedicht basteln, so David Horvitz (* 1981). Um den Film von Rodney Graham (* 1949) sehen zu können, muss das Publikum den Schallplattenspieler anwerfen („Phonokinetoscope“, 2001). Auf sich selbst zurückgeworfene Menschen produziert die partizipative Skulptur „Psyche“ (1987) von Franz West (1947–2012). Etwas weiter führt Hans Haacke (* 1936) eine „Besucherbefragung 21er Haus (Wien)“ (2017) zur politischen Meinungsbildung in Österreich resp. Wien durch und zeichnet so ein soziologisches Porträt des Publikums in Echtzeit. Juergen Staack (* 1978) porträtiert ephemer mit Hilfe von Licht und Schatten. Wem allerdings das Schattenspiel zu leise ist, kann mit Kochutensilien und dem Instrument von OPAVIVARÁ! (gegr. 2005) einen Höllenlärm machen. Zum Dialog zwischen den Besucherinnen und Besuchern lädt auch Christine Hill mit „The Small Business Model“ (2011) ein, für das sie einen Kaufmannsladen nachbaute und zum Rollenspiel freigibt. Gleiches ist auch das Ziel von Rirkrit Tiravanija (* 1961) in „Ohne Titel. MORGEN IST DIE FRAGE“ (2015). Nicht nur der kunsthistorische Verweis auf Július Kollers „J.K. Ping-Pong Club“ aus dem Jahr 1970 ist intendiert, sondern auch kommunikatives Pin-Pong-Spiel der Besucherinnen und Besucher. Wem das alles zu viel ist, kann dann noch John Cage’s (1912–1992) „4‘33‘‘“ zur Aufführung bringen oder Gabriel Sierras Einladung zum Powernapping annehmen: 15 Minuten auf einem Heuhaufen wie im 15. Jahrhundert – oder 20 Minuten auf Zeitungspapier wie im 20. Jahrhundert.
Die Ausstellung thematisiert und fordert die aktive Mitarbeit der Besucherinnen und Besucher und regt zu einer kritischen und schöpferischen Haltung an. In manchen Situationen löst das Publikum eine künstlerische Handlung aus oder wird durch eine Aktion, ein Produkt selbst zum Teil des Kunstwerks. Die Ausstellungssituation öffnet die Institution Museum, indem sie soziales Handeln einfordert und Raum für Begegnungen schafft. Oder wie es Kurator Axel Köhne formulierte: „Die Ausstellung wird laut werden!“
Kuratiert von Axel Köhne.
Vito Acconci, Davide Balula, Robert Barry, Joseph Beuys, Angela Bulloch, John Cage, Christian Falsnaes, Claus Föttinger, //////////fur//// art entertainment interfaces, Florian Graf, Rodney Graham, Hans Haacke, Jeppe Hein, Christine Hill, David Horvitz, Pierre Huyghe, Christian Jankowski, Yves Klein, Tomas Kleiner, Mischa Kuball, Dieter Meier, Bruce Nauman, Yoko Ono, OPAVIVARÁ!, Marjetica Potrč und Wapke Feenstra, Antje Schiffers - Myvillages, Tino Sehgal, Gabriel Sierra, David Shrigley, Juergen Staack, Rirkrit Tiravanija, Mary Vieira, Wolf Vostell, Franz Erhard Walther, Gillian Wearing, Franz West, Erwin Wurm, Haegue Yang (→ Haegue Yang im Museum Ludwig, Köln: Wolfgang-Hahn-Preis 2018), Zentrum für Politische Schönheit