Pyke Koch
Wer war Pyke Koch?
Pyke Koch (Beek 15.7.1901–27.10.1991 Wassenaar) war ein niederländischer Maler der Neue Sachlichkeit (niederländisch Nieuwe Zakelijkheid) bzw. des Magischen Realismus. Da Koch sehr lange an einem Gemälde arbeitete und auch viele von ihnen vernichtete, hinterließ er nur knapp 100 Gemälde. Die Themen seiner von starkem Farbkontrast geprägten Gemälde und Zeichnungen sind sehr heterogen. Pyke Koch erarbeitete erotische Frauenporträts aber auch ein Porträt des in Auschwitz ermordeten Geistlichen Titus Brandsma (1960), Szenen von Prostituierten und deren Wohnvierteln, Ereignisbilder von Kirmesartisten, Stillleben aber auch Landschaften. Weiters entwarf er Bühnenbilder und Briefmarken. Seit seinem Tod finden Kochs hyperrealistische Bilder immer mehr auch internationale Anerkennung.
Kindheit
Pyke Koch wurde als Pieter Frans Christiaan Koch am 15. Juli 1901 in Beek, in der niederländischen Provinz Gelderland, geboren. Er war ein Sohn des Allgemeinmediziners Pieter Frans Christiaan Koch( Petrus Franciscus Christiaan Koch; 1861–1937) und dessen Frau Wilhelmina Petronella (geborene van Leeuwen Boomkamp; 1866–3. Juli 1922).
Koch wuchs mit drei älteren Schwestern – Hermina Carolina Koch (*1888), Johanna Maria Margaretha Koch (* um 1892) und Catharina Constance Koch (* um 1895) – in einer alten Villa in Beek auf. Die Familie hatte ein breites kulturelles Interesse, insbesondere an der Musik. Mütterlicherseits gehörten mehrere Geistliche und Musiker zur Familie. Kochs Jugend war eher vom 19. als vom 20. Jahrhundert geprägt.1 Mit dem Malen begann er, indem er impressionistische Arbeiten eines Familienfreundes kopierte.2 Schon als Jugendlicher wusste er, dass er Maler werden wollte.3
Ausbildung
Pieter Frans Christiaan Koch besuchte das Gymnasium im nahegelegenen Nijmegen, wo er von seinen Mitschülern den Spitznamen „Pyke“ erhielt, den er später auch als Vornamen nutzte. Er kam schon nach wenigen Jahren auf ein Jungeninternat nach Zetten und später nach Zeist. 1920 schrieb er sich als Jurastudent an der Universität Utrecht ein und wurde Mitglied des Utrechter Studentenkorps. Er trat als Geiger im studentischen Orchester „Zigane [Zigeuner]“ auf. An der Universität freundete er sich mit dem Kunsthistoriker und Musiker Hans Philips, dem späteren Schriftsteller Cola Debrot4 (1902–1981) und mit dem Zahnarzt Taecke Botke an, der später ein Sammler von Kochs Werken wurde. 1927 brach Koch das Studium kurz vor der Abschlussprüfung ab, da er sich entschlossen hatte, Maler zu werden.
Werke
Pyke Koch war Autodidakt, las Bücher, hörte Vorlesungen über die Technik der Malerei und ließ sich für seine Studien von Erich Wichmann beraten. Koch war zugleich Atheist, Freigeist und bisexuell. „Nationalistisch geprägte ästhetische Vorstellungen, die als patriotische Religion eher die Kunst als Gott förderten, zogen Koch in seinen Studienjahren an und verliehen seinem späteren Schaffen noch größere expressive Bedeutung“, so die Einschätzung von Susana Dolores Puente Matos.5
Als Feinmaler schuf er realistische Bilder mit einem glatten Pinselstrich Vorstellungen. Er schätzte auch das Werk des Carel Willink und sah sich, genauso wie dieser, als Vertreter des Magischen Realismus. Noch stärker wurde Koch von den Malern der italienischen Renaissance inspiriert, namentlich Andrea Mantegna und Piero della Francesca. Surrealistische, entfremdende Züge, wie bei Willink, weisen Kochs Werke eher selten auf.
In seinem Frühwerk zeigt sich der Einfluss der Neuen Sachlichkeit und des Surrealismus, was die Kunstkritik bereits früh erkannte.6 Darüber hinaus nahm er auch Anregungen aus Filmen auf, denn seit seiner Jugend war Pyke Koch ein Anhänger des deutschen Films des Expressionismus. Pyke Koch verwendete aber auch Maltechniken und Motive der frühen italienischen Renaissance und flämischer Maler des 15. Jahrhunderts.7 In den Jahren 1928 und 1930 besuchte Pyke Koch deshalb mehrfach Italien.
Im Jahr 1928 stellte Pyke Koch erstmals bei „De Onafhankelijken [Die Unabhängigen]“ im Stedelijk Museum in Amsterdam zwei Bilder aus: „Dolores’ ontbijt“ und „Vrouw met grammofoon [Frau mit Grammophon]“8; im Mai 1929 zeigte er dort „Achterbuurtrhapsodie [Slum-Rhapsodie]“ sowie das „Portret Asta Nielsen [Porträt Asta Nielsen]“ mit grüner Haut. Koch stellte die berühmte dänische Filmschauspielerin in einer Mischung aus ihrer Rolle als Prostituierte Auguste im Film „Dirnentragödie“ (1927), den Koch in Paris sah, und der Rolle als Marie in G. W. Pabsts „Die freudlose Gasse“ (1925) dar.9
In „Achterbuurtrhapsodie“ hält Pyke Koch eine Eröffnungsszene aus dem Film „Dirnentragödie“ fest, ursprünglich hatte er das Bild auch so betitelt.10 Es ist ein Mann zu sehen, der einen Wagen vermutlich durch Utrecht schiebt. Zudem fügte er Schaufensterpuppen hinzu – möglicherweise inspiriert von den Arbeiten Eugène Atgets.11 Die Zahl „48“ auf dem Wagen steht für Asta Nielsens Alter im Jahr 1929, während „28“ auf dem mittleren Gebäude jenes des Malers anzeigt.12 Die Schaufensterpuppen könnten sowohl auf Kochs Verlobte verweisen, die er Jahre zuvor für seine Kunst verlassen hatte, als auch auf die junge Prostituierte Clarissa, welche Auguste in Dirnentragödie aus Eifersucht ermorden lässt.13
In dieser Zeit malte Koch vorzugsweise Szenen aus den Randgebieten der Gesellschaft. Straßenszenen in Slums, ein Urinal, den Jahrmarkt und Prostituierte. Zu Pyke Kochs bekanntesten Bildern gehört „Bertha von Antwerpen“ und „Die Schießbude“ (1931). Bereits 1931 kaufte eine angesehene Person aus Rotterdam sein Bild „Die Schießbude“ (1931) und schenkte es dem Museum Boijmans Van Beuningen.14
Koch arbeitete zwischen 1929 und 1931 an einer Serie von Asta Nielsen inspirierte ironische Porträts von Prostituierten und arbeitenden Frauen. Der Maler selbst fragte einen Freund:
„Hat diese Frau in der Schießbude nicht so etwas wie ein Idol? Ein Idol oder doch eher eine Göttin? – lässt es sich eigentlich am besten mit dem Wort liturgisch ausdrücken.“15
Bei Kochs „Bertha von Antwerpen“ handelt es sich um ein persönliches Gemälde, ähnelt die Protagonistin doch seiner ältesten Schwester Minie, mit der er in besonderer Zuneigung verbunden war.16 Die Fensterläden gleichen denen seines Elternhauses.17 Koch hat hier einen würdevollen Geist – teils Leinwandgöttin, teils Schwester – im Körper einer alternden, an Syphilis leidenden Frau dargestellt.18 Er zollt der Figur der alternden Prostituierten Respekt, da sie von einer ungebremsten Leidenschaft getrieben wird: In „Dirnentragödie“ lässt sie die jüngere Konkurrentin ermorden, dann tötet sie sich selbst, und in „Die freudlose Gasse“ bringt sie die Frau um, die ihr den Liebhaber ausspannt. In beiden Filmen stehen Nielsens Charaktere jüngeren Frauen gegenüber, aber Pyke Koch identifizierte sich mit der Außenseiterin.
Pyke Koch heiratete am 7. Mai 1934 Jonkvrouw Hedwig Maria de Geer, genannt „Heddy“ (1905–1988), eine Tochter ehemaligen Ministerpräsidenten Dirk Jan de Geer (1870–1960) und Maria Voorhoeve (1883–1955), mit der er zwei Söhne hatte: Peter (Piet) Koch und Floris Koch. In diesem Jahr lebte er in Den Haag. Durch Ernst Voorhoeve, den Onkel seiner Frau, geriet der Künstler in den Kreis des ursprünglich flämischen, faschistischen Vereins Verdinaso, der er ein Monat nach seiner Eheschließung beitrat. Für die Zeitschriften von Verdinaso schuf er einige Artikel schrieb und Zeichnungen. Die Ehe verlief aufgrund der Bisexualität des Malers schwierig. Obwohl Heddy ihm ergeben war, lebte das Paar zumeist getrennt, und Koch wohnte weiterhin mit seinem homosexuellen Freund und Mitbewohner Hans Philips zusammen.19 Immer wieder hielt er sich aufgrund psychosomatischer Symptome, deren Ursprünge er auf das Jahr seiner Heirat zurückführte, in Kliniken auf.20
Während des Zweiten Weltkriegs schloss sich Pyke Koch der von der deutschen Besetzung ins Leben gerufenen Kulturkammer an, was ihm den Vorwurf der Kollaboration einbrachte. Ein Kindheitsfreund Kochs schrieb dazu in seinen Memoiren:
„Die Kriegsjahre in den neutralen Niederlanden waren – so paradox es klingt – romantische Jahre […] unser Geist war schändlich unbeeinflusst von dem entsetzlichen Gemetzel der Jahre 1914–18 […].“21
Deshalb geriet Pyke Koch in Verruf und wurde so gut wie vergessen. Sein letztes Werk, das dritte der Serie „De koorddanser [Der Seiltänzer]“, schuf er 1980, als er bereits ein ziemlich zurückgezogenes Leben in Utrecht führte.22
Tod
Pyke Koch starb am 27. Oktober 1991 in Wassenaar.