Unter dem Titel „Fokus Denkmal. Die romanischen Portalreliefs aus dem Dom zu Gurk“ präsentiert das KHM in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt (BDA) die frisch restaurierten und erforschten Portalreliefs. Erst der Untertitel enthüllt, worauf der Fokus gelegt wird: Die Holzreliefs gehören zu den bedeutendsten Werken romanischer Kunst in Österreich, sind sie doch die einzigen erhalten, sakralen Türdekorationen im österreichischen Raum (→ Romanik). Es gibt kein anderes Beispiel für eine figurative Türgestaltung aus Holz, welches einen Einblick in die Glaubenswelt des Mittelalters erlaubt. Die in ihrer kunst- und kulturgeschichtlichen Bedeutung nicht zu überschätzenden, fragilen Schnitzarbeiten haben als Fragmente acht Jahrhunderte überdauert.
Österreich / Wien: KHM, Kunstkammer
30.9.2014 - 12.4.2015
Das BDA holte sie zu Forschungs- und Konservierungszwecken in die Bundeshauptstadt. Im vierten Band der Buchreihe „Fokus Denkmal“ und der gleichnamigen Ausstellung stellt es die Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vor. Für das KHM betreute Franz Kirchweger das Projekt, der sie mit Zimelien der Kunstkammer in Dialog setzte: Neben den romanischen Reliefs werden die Messgarnitur aus Wilten das Graduale aus dem Kloster Weingarten präsentiert.
Bernd Euler-Rolle, Fachdirektor des BDA, Leiter der Abteilung für Konservierung und Restaurierung, ist dankbar, im KHM das Projekt vorstellen zu dürfen. In guter österreichischer Tradition, von Alois Riegl herkommend, sieht er die Funktion des BDAs darin, das Werk in seinem überlieferten Zustand zu erhalten und nicht einem fiktiven „Original“ anzunähern. Im Gegensatz dazu wurde im 19. Jahrhundert der erhaltene Bestand an Reliefs so zusammengefügt, dass heute der Anschein von vier komplett erhaltenen Kompartimenten entsteht.1 Auf einer im Ausstellungsraum präsentierten Website sind sämtliche Ergebnisse der Natur- und Konservierungswissenschaften, von einer Computertomografie in der Veterinärmedizinischen Universität (siehe Film), Pigmentanalysen bis zum 3D Scan aufbereitet. Ziel des BDA ist, so Euler-Rolle, eine Wertschätzung dieses und anderer Denkmäler in der Öffentlichkeit zu generieren, um den eigenen denkmalpflegerischen Auftrag zu rechtfertigen. Der Maxime „Alter durch Authentizität“ zufolge wurde jedoch darauf verzichtet, eine entstehungszeitliche Fassung (Bemalung) „wiederherzustellen“, obwohl sich diese aus den Befunden ableiten lässt: Die Türflügel waren hinter den Reliefs einst mit Blattsilber belegt, wodurch sie ein höchst preziöses Erscheinungsbild hatten. Original waren die Ranken grün gefärbt, heute zeigen sie die rote Farbigkeit des 14. Jahrhunderts.
In den Restaurierwerkstätten des BDA im Arsenal wurden die Reliefs genau untersucht und fixiert. Mit Hilfe neuester Technologie konnte u. a. herausgefunden werden, wie viele Holzteile wie miteinander verbunden wurden. Zu den erstaunlichsten und für die kunstgeschichtliche Forschung bedeutendsten Ergebnissen zählt jedoch zweifelsohne die dendrochronologische Untersuchung der Türflügel. Mit Hilfe der Datierung der Jahresringe kann ein Fälldatum der Bäume auf knapp nach 1221 angenommen werden.2 Daraus ergibt sich ein Entstehungsdatum der Reliefs um 1230/40. Der jahrzehntedauernde Streit zwischen zwei Datierungsvorschlägen (um 1200 oder um 1250) konnte damit zugunsten der späteren Datierung entschieden werden.
Der Gurker Dom ist eine Schatzkammer für mittelalterliche Kunst. Die Reliefs befinden sich seit ihrer Montierung in einer Vorhalle auf den Portalflügeln. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist etwa ein Drittel des originalen Bestands der Portalreliefs erhalten. Die Präsentation der Reliefs im KHM stellt einen durchaus abstrakten Zustand dar, da nur die Reliefs und nicht die Türflügeln, auf denen sie eigentlich montiert sind, gezeigt werden. Das hohe Format der Portale wurde im Ausstellungsraum durch eine Stellwand angedeutet, die Reliefs in geringerer Höhe als in Gurk darauf montiert.
Franz Kirchweger stellt den Portalreliefs aus dem Dom zu Gurk den kleinen, aber, wie er betont, feinen Bestand Kärntner Kunst aus der Kunstkamme gegenüber. Wichtigstes Referenzobjekt ist die Wiltener Messkelchgarnitur, die in die Zeit um 1160/70 datiert wird. Beide Objekte werden schon seit 150 Jahren in der Literatur miteinander in Beziehung gebracht. Die Gurker Portalreliefs müssen in ihrem originalen Kontext mit dem Trichterportal und dessen architektonischer und skulpturaler Ausstattung gesehen werden, weshalb eine Fotografie davon die Präsentation einleitet. Auf der Rückseite der Stellwand, auf der die Reliefs montiert sind, findet sich eine weitere Abbildung der Portale in knapp unter Lebensgröße.
Die nun vorliegende fixe Datierung für die Portalreliefs wird die Forschung noch weiter beschäftigen, ist sich der Kunsthistoriker sicher. Da keine konkreten Quellen für den Bau des Doms erhalten sind, wurde bislang angenommen, dass das Bildprogramm des Klosterneuburger Altars des Nikolaus von Verdun als wichtigste Quelle für die Holzreliefs anzusehen ist. Unterstützt wurde diese These durch einige selten dargestellte Szenen aus dem Alten Testament (AT) wie das Pascha-Lamm. Der Probst von Stift Klosterneuburg, Wernher, wurde 1194 Bischof von Gurk. Er starb zwar bereits ein Jahr später, dürfte jedoch das „Projekt“ Portalflügel angeregt und den Import der Bildidee nach Kärnten befördert haben. Der daraus abgeleiteten Frühdatierung um 1200 wurde nicht einhellig akzeptiert. Dass das Ergebnis der naturwissenschaftlichen Untersuchung der Portalflügel die Entstehung auf 1230 bis 1240 festlegt, bringt unverhofft eine neue Grundlage für die Stildiskussion.
Was ist auf den beiden Türflügeln dargestellt? Die Organisation des rechten Türflügels mit Darstellungen aus dem Leben Jesu erfolgt in 12 Medaillons von unten nach oben. Seitlich dazu befinden sich im Rankensystem eingebundene Szenen aus dem AT. Die Portalreliefs aus dem Dom zu Gurk sind typologisch aufeinander bezogen. Das bedeutet, dass die Ereignisse des Neuen Testaments (NT) auf der Basis des AT interpretiert werden. Im Wirken Jesu findet das AT seine Erfüllung: So findet sich z. B. die Auferstehung Jesu und Jonas‘ Errettung aus dem Bauch des Wals im Zentrum des Fragments. In der Kreuzigung wächst das Kreuz als Ranke weiter und wird zum Baum des Lebens. Gemeinsam mit dem Abrahamsopfer (links) und Aufrichtung der Ehernen Schlange (rechts) verweisen diese fünf Darstellungen auf Erlösung nach dem Tod.
Auf dem linken Teil fällt das prägnante Motiv der fantasievoll geschwungenen Ranken besonders ins Auge. Im 13. Jahrhundert war sie in Grün bemalt und muss dadurch noch vegetabiler ausgesehen haben. Die Gliederung mit der inhaltlichen Komponente Wurzel Jesse (Buch Jesaias) zeigt in 16 Medaillons sitzende Propheten, Christus in der Mandorla, flankiert von den vier Evangelistensymbolen, Propheten mit Schriftrollen, darüber Engel und nimbierte Tauben als Symbole für die Sieben Gaben des hl. Geistes. Dadurch wird die Tür zum Tor, das sich zur Kirche öffnet und so das himmlische Jerusalem, das Paradies etc. darstellt. Werner Telesko hat sich in seinem Beitrag intensiv mit dem typologischen Programm der Reliefs beschäftigt und herausgefunden, dass die linke Seite mit Darstellungen von Maris, Salomon, David und Jesse zu ergänzen sei.3 Die Rekonstruktion für den rechten Türflügel stellt sich, Telesko folgend, als noch schwieriger dar, da das untere Kompartiment mit dem Einzug Christi in Jerusalem ursprünglich nicht an die mittleren sechs Medaillons angeschlossen war.4 Hier schlägt er eine Taufszene, das letzte Abendmahl und die Kreuztragung sowie die Kindheitsgeschichte von Verkündigung, Geburt, Beschneidung und Anbetung vor.5 Wichtiger als diese Hypothese scheint aber der Hinweis auf andere Portallösungen des Hochmittelalters und die daraus abzuleitende Erkenntnis zu sein, dass die Ikonografie der Gurker Portalreliefs kaum mit anderen Türflügeln, sondern mehr mit Buchmalerei und Glasfenstern verglichen werden kann. Telesko führt v. a. das Jesse-Fenster in St. Kunibert in Köln (um 1230–1235) an und kommt damit der neu errechneten Entstehungszeit der Reliefs deutlich nahe.6 Über den Begriff der „virga“, der symbolisch für Maria, Christus und das Kreuz steht, verbanden im frühen 13. Jahrhundert Theologen die Wurzel Jesse mit dem Kreuz.7
Die komplexen inhaltlichen Zusammenhänge der Portalreliefs wurden einst vielleicht noch durch Inschriften verdeutlicht, die jedoch nur als einzelne Buchstaben erhalten sind. Kirchweger stellt die Frage, ob die Verknüpfung zur Wiltener Kelchgarnitur mit seinen Inschriften vielleicht über die Texte gelingen könnte. Auf dem Messkelch steht in etwa geschrieben: Was immer du hier siehst, bezeichnet geistige Inhalte. Da am Gurker Domportal vermutlich kirchliche Spiele abgehalten wurden, in denen die Inhalte erklärt wurden, sie aber auch Ort der Gerichtsbarkeit waren, waren die hölzernen und bemalten Reliefs wohl immer als Symbole für das Geheimnis des Glaubens gedacht.
Bernd Euler-Rolle (Hg.)
Aus der Reihe: Fokus Denkmal, Bd. 4
mit Beiträgen von J. Amann / M. Mager, F. Dahm, W. Deuer, M. Grabner / S. Nemestothy, R. Kohn, R. Linke, W. Telesko
ISBN 978-3-85028-666-4
Verlag Berger