Die Moderne Galerie des Saarlandmuseums zeigt im Winter 2021/22 das Werk von Lovis Corinth (1858–1925) in einer umfassenden Ausstellung. Unter dem Titel „Das Leben – ein Fest“ wird die Schau unter anderem die Familienbilder des Impressionisten beleuchten, in denen Charlotte Berend-Corinth (1880–1967) als Ehefrau, Mutter und Modell eine tragende Rolle zukommt, beispielsweise in dem Gemälde „Matinee“ (1905) des Saarlandmuseums.
Deutschland | Saarbrücken: Saarlandmuseum
6.11.2021 – 20.2.2022
Dabei stellte Corinth seine Frau bewusst in eine Reihe mit Peter Paul Rubens‘ oder Rembrandt van Rijns aber auch Pierre-Auguste Renoirs Lebensgefährtinnen. Charlotte Berend-Corinth brillierte nach ihrer Heirat selbst als Malerin und wurde neben Käthe Kollwitz als eine der wenigen Künstlerinnen in die Berliner Sezession aufgenommen. Das Saarlandmuseum freut sich, in der parallelen Ausstellung „Charlotte Berend-Corinth – eine Wiederentdeckung“ auch ihr Werk umfänglich zu präsentieren und damit einer Künstlerin die Ehre zu erweisen, die allzu lange von der Kunstgeschichte ausgeblendet wurde (→ Saarbrücken | Saarlandmuseum: Charlotte Berend-Corinth).
Corinth im Saarlandmuseum betont den kompromisslos modernen und anti-akademischen, mythologische Themen neu denkenden Maler, den einfühlsamen Porträtisten von Mensch und Natur. Wenig erinnert angesichts der Gemälde Corinths an seine Studienjahre in Königsberg und an der Münchner Akademie, an seine Lehrzeit in Antwerpen und Paris. Der „Sprung in die Moderne“ gelang dem Maler scheinbar mühelos und – zur Überraschung des heutigen Publikums – mit einer Rückbesinnung auf die Werke von Tizian, Peter Paul Rubens, Frans Hals und Rembrandt van Rijn, aber mit Bezügen auf die Münchner Alla-prima-Malerei, vor allem auf Wilhelm Trübner.
Auch wenn die Corinth-Ausstellung in Saarbrücken einen Schwerpunkt auf Familienporträts legt, so führt das Kapitel Stillleben – zwischen abundanten Blumensträußen und herrlich düsteren Schlachthausszenen – jene taktilen und sinnlichen Qualitäten Corinth’scher Kompositionen vor, welche im Zentrum des vorgestellten Corinth-Konzepts stehen. Dass der Künstler, der zeitlebens an Depression litt und sich rauschenden Festen und dem Alkohol gleichermaßen verschrieb, eine sinnliche Malerei anstrebte, ist nahezu in jedem Bild offenkundig: Seine Welt ist eine diesseitige mit festlicher Atmosphäre, die er mit einer Sinne betörenden Farbigkeit und offenem Pinselstrich realisiert. Der zeitgenössische Diskurs über das „Malerische“, losgetreten von Wilhelm Leibl, traf in Corinth auf einen ausgesprochen kühnen Maler mit Ehrgeiz und Kraft. Sein offener Strich zeigt sich in allen Motiven, egal ob er damit einen sich windenden Frauenakt oder einen erlegten Hasen wiedergibt. Gleichzeitig verschloss Corinth nie seine Augen vor dem Tod, was ihn vor allem in den mythologischen und religiösen Sujets zu einem Hauptvertreter der Décadence macht. In „Totenkopf mit Eichenlaub“ von 1921 verbinden sich kongenial Natur und Tod, eine „natura morta“ eben (italienisch „tote Natur“ für Stillleben). Ja, Provokation liegt in der Luft, wenn Lovis Corinth sich dem Blumenschmuck eines Banketts oder seiner geliebten Königsberger Marzipantorte malerisch zuwandte. Man mag angesichts dieser Köstlichkeiten ein Setting aus Thomas Manns Jahrhundertroman „Die Buddenbrooks“ von 1901 heraufbeschwören:
„Ein kolossaler, ziegelroter, panierter Schinken […] geräuchert, gekocht nebst brauner, säuerlicher Schalottensauce und solchen Mengen von Gemüsen, dass alle aus einer einzigen Schüssel sich hätten sättigen können. [… dazu noch] konservierte Früchte, Pleddenpudding, Plumpudding, Makronen, Biskuits, Himbeeren, Eiercreme, Bordeaux, Dessertwein und Lebenswasser.“1
Aus der Sammlung des Belvedere, Wien, entleiht das Saarlandmuseum den „Liegenden, weiblichen Akt“ (1907). Was der Titel unterschlägt, ist die Bewegung des sich auf einem weißen Leintuch und vor einer weißen Wand windenden Modells und die Konzentration des Malers darauf. Die Taille befindet sich etwa in der Bildmitte, ihr linkes Bein ragt nach vor, den Betrachtenden entgegen, die Arme nehmen die Bewegung auf, was die Haltung instabil erscheinen lässt. Körperlichkeit spielt im Werk von Lovis Corinth eine herausragende Rolle. Der Maler sah dieses Werk als Paradebeispiel für die Darstellung von Verkürzungen an und nutzte es als Illustration in seinem Buch „Das Erlernen der Malerei“. Einzig der Körper schafft den Raum, wodurch die komplexe Haltung erklärt ist.2 Die junge Frau scheint wie in einer Momentaufnahme festgehalten zu sein. Ihr Blick antwortet ruhig, ihr Körper zeigt sich wie auf einem Präsentierteller. Haut und Präsenz, so scheint es, sind die Hauptthemen des Bildes. Die Suche nach Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit steckt in jedem Farbfleck, mit dem Corinth Hautton beschreibt.
Leicht wechselt der Maler von unschuldigen Akten zu Grenzüberschreitungen: Die Präsenz und Gewalt von Potiphars Weib in der Josephsszene aus dem Jahr 1914 hat etwas Überwältigendes aber auch Künstliches. Corinth spürt der Lust nach und übertreibt auf eine fast karikaturhafte Weise die Charaktere seiner Bilderzählungen. In einer Zeit, in der körperfeindliche Sittlichkeit und Moral hochgehalten wurden, feierte Lovis Corinth das Fleisch und die Instinkte. Oder mit Nietzsche argumentiert: „Moral verneint das Leben.“3
Im Juli 1918 verbrachten Lovis Corinth und seine Familie erstmals den Sommer am Walchensee in Bayern. Der Maler begeisterte sich so sehr für das Farbenspiel von See, Gebirgswelt (Wetterstein) und Himmel, dass seine Ehefrau Charlotte die Idee entwickelte, ein Haus zu bauen.
„Bald blitzt er wie ein Smaragd, bald wird er blau wie ein Saphir und dann glitzern Amethyste im Ring mit der gewaltigen Einfassung von alten schwarzen Tannen, die sich noch schwärzer in dem klaren Wasser spiegeln. […] Wunderschön ist der Walchensee, wenn der Himmel schön ist, aber unheimlich, wenn die Naturgewalten toben. Wenn die Steinlawinen von den Bergspitzen herunterrollen und die stärksten Bäume wie Streichhölzer knicken, kennzeichnen sie die Spur ihres Unheils in grauenvoller Verwüstung bis in den See hinein.“4 (Lovis Corinth, März 1921)
Bis zu seinem Tod im Jahr 1925 schuf Corinth etwa 60 Gemälde vom Walchensee, davon sind sechs im Belvedere zu sehen. Charlotte Berend-Corinth erinnerte sich, dass die begehrten Landschaften in nur 20 bis 30 Minuten entstanden sind. Der Berliner Maler ließ die wilde Malerei immer vor dem Motiv entstehen, worauf auch der Klapprahmen des Bildes „Der Walchensee mit Herzogstand im Schnee“ (1922) verweist. Corinth wählte für seine Interpretationen der Landschaft im Jahreszeitenwechsel einen erhöhten Standpunkt mit Fernblick. Der Walchensee stößt meist von links wie ein Keil in die Kompositionen, den Abschluss bildet das Massiv des Wettersteins im Hintergrund. Im Vordergrund belebt Vegetation den Ausblick, hochaufragende Bäume, zu Farbflecken zusammengefasste Blumenköpfe oder Wiesen. Lassen sich die Blüten im „Blühenden Bauerngarten“ von 1904 (Museum Wiesbaden) noch identifizieren, so verwandelt der alternde Maler das Gesehene in ein Mosaik tonal abgestimmter Farbtupfen.
Weder die Landschaften noch die Selbstporträts lassen vermuten, dass an düsteren Tagen den Maler massive Selbstzweifel plagten. Stattdessen zeigte er sich selbst hochaufgerichtet, mit massigem Körper und zunehmend forschem Blick. Die im Belvedere ausgestellten Porträts machen Staunen ob der malerischen Kühnheit, mit der Corinth ans Werk ging; konventionellere Auftragsporträts, die es von seiner Hand auch gibt, bilden hierzu eine interessanten Kontrast. Ein tanzender Derwisch könnte genauso ein Selbstporträt in Verkleidung sein wie der massige Bulle am rosa Seidenband in „Mädchen mit Stier“ (1902, Hamburger Kunsthalle). Der diagnostizierte „Sprung in die Moderne“ überzeugt wie auch der Untertitel der Schau, der die dionysischen Qualitäten von Corinths Kunst unterstreicht.
Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Museum Belvedere in Wien: → Wien | Belvedere: Lovis Corinth
Kuratiert von Kathrin Elvers-Švamberk.