Tina Modotti
Wer war Tina Modotti?
Tina Modotti (Udine 16.8.1896–5.1.1942 Mexiko-Stadt) war Schauspielerin, Fotografin und Revolutionärin der Moderne.
Kindheit
Tina Modotti wurde als Assunta Adelaide Luigia Modotti Mondini am 16. August 1896 in Udine (Österreich-Ungarn, heute: Italien) geboren.
Modotti war das zweite von sechs Kindern von dem Mechaniker und Zimmermann Giuseppe Modotti und der Näherin Assunta Mondini. Als sie zwei Jahre war, zog die in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie auf der Suche nach Arbeit nach Klagenfurt. Ob Tina Modotti bereits in Kärnten, in Ferlach, die Schule besuchte oder erst nach ihrer Rückkehr nach Udine 1905, ist umstritten. Ihr gebräuchlicher Rufname Tina ist eine Verkürzung der Koseform Assuntina ihres ersten Vornamens.
Kurz nachdem die Familie nach Udine zurückgekehrt war, brach ihr Vater, der sich in der Arbeiterbewegung engagierte, zu seinem nach Pennsylvania in die USA ausgewanderten Bruder auf. Obwohl Tina Modotti eine gute Schülerin war, musste sie im Alter von zwölf Jahren auf den Besuch einer höheren Schule verzichten und als Näherin arbeiten gehen, um mit zum Unterhalt der Familie beizutragen. Zugleich half sie ihrem Onkel Pietro Modotti in seinem Fotostudio, der ihr die Grundlagen der Fotografie beibrachte. 1911 reiste ihre ältere Schwester Mercedes zu ihrem Vater, der sich mittlerweile in San Francisco aufhielt. Zwei Jahre danach brach auch Tina Modotti auf und schiffte sich – noch keine 17 Jahre alt – im Juni 1913 in Genua in Richtung USA ein.
San Francisco – Los Angeles
Nachdem Tina Modotti 1913 ihrem Vater und ihrer älteren Schwester in die USA nachgereist war, die inzwischen in San Francisco lebten, arbeitete sie dort zunächst als Näherin, fertigte Batiken an und hatte kleine Auftritte auf Bühnen in San Franciscos „Little Italy“.
Im Jahr 1915 lernte Tina Modotti den kanadischen Maler und Dichter Roubaix del' Abrie Richey (Robo) kennen, den sie 1917 heiratete. Ab 1918 lebte das Paar in Los Angeles, wo Modotti ab 1920 in drei Filmen spielte. Seit etwa 1921 war sie das Lieblingsmodell des renommierten Fotografen Edward Weston und wurde im Oktober 1921 zu seiner Geliebten. Roubaix del' Abrie ging 1921 nach Mexiko. Tina reiste ihm nach, da er ihr ein Land von magischer Schönheit beschrieb. Er starb jedoch zwei Tage vor ihrer Ankunft, am 9. Februar 1922, an den Pocken.
Während ihres Aufenthalts in Mexiko ließ sich Tina vom „lichterfüllten“ Land, seinen Künstlern und der allgemeinen Aufbruchstimmung faszinieren. Als kurze Zeit später in San Francisco ihr Vater starb, kehrte sie für kurze Zeit dorthin zurück und publizierte 1923 Texte und Gedichte ihres Mannes in „The Book of Robo“.
Mexiko-Stadt
Ende Juli 1923 zogen Tina Modotti, Edward Weston und sein ältester Sohn Chandler nach Mexiko. Vereinbart war, dass Modotti sich um Westons Studio und Haushalt kümmern und im Gegenzug das Fotohandwerk erlernen würde. Westons Frau und seine drei übrigen Kinder blieben in den USA.
Zwei Monate nach ihrem Eintreffen in Mexiko ließ sich das Paar in Mexiko-Stadt nieder, wo sich die beiden in der postrevolutionären Bohème bewegten, unter Künstlern wie den Muralisten David Alfaro Siqueiros, Diego Rivera und José Clemente Orozco und den Fotografen Manuel und Lola Álvarez Bravo. Die „drei Großen“ Maler gründeten 1924 die revolutionäre Zeitschrift „El Machete“, die 1928 Organ der Partido Comunista Mexicano (PCM) wurde.
Im Jahr 1924 stellte Modotti ihre Arbeiten in einer Ausstellung zusammen mit Weston erstmals aus. Deren Eröffnung fand in Anwesenheit des Staatspräsidenten statt. Ihre Fotografien aus dieser Zeit sind von Weston beeinflusst. Bei kurzen Aufenthalten in San Francisco, 1925 und 1926, besuchte sie ihre inzwischen erkrankte Mutter, lernte die Fotografin Dorothea Lange kennen und erwarb eine Graflex, die zu dieser Zeit bei Amerikas Pressefotografen beliebteste Kamera, die weitaus handlicher war als Westons Apparate. Zurück in Mexiko, bereiste sie drei Monate lang das zentrale Hochland, um zusammen mit Weston das Bildmaterial für Anita Brenners Buch über die Wurzeln zeitgenössischer mexikanischer Kunst, „Idols Behind Altars“, zu erstellen.
1926 trennte sich das Paar, und Weston ging zurück in die USA. Modotti hatte eine Beziehung mit dem kommunistischen Maler Xavier Guerrero, der wenig später an die Moskauer Lenin-Schule ging. Sie trat 1927 der PCM bei, arbeitete für die Sandinistenbewegung Manos fuera de Nicaragua und nahm an Demonstrationen für Sacco und Vanzetti teil, wobei sie den italienischen Revolutionär und Agenten der Komintern Vittorio Vidali kennenlernte.
Tina Modotti lebte weiterhin von Porträtfotografie, arbeitete aber auch für die Magazine „Forma“, die radikale „New Masses“ in den USA, die auch einen von ihr übersetzten Artikel Guerreros über revolutionäre Kunst abdruckte, und für „Horizonte“. Zu ihrem Bekanntenkreis gehörten jetzt auch der Fotograf Manuel Álvarez Bravo, der Schriftsteller John Dos Passos, die Schauspielerin Dolores Del Rio und die junge Frida Kahlo.1
Ab September 1928 hatte Tina Modotti eine intensive Liebesbeziehung zum emigrierten kubanischen Revolutionär Julio Antonio Mella. Zu dieser Zeit fand ihr politisches Engagement bereits deutlichen Ausdruck in ihren Fotos. Als Mella am 10. Januar 1929 auf offener Straße vor ihren Augen erschossen wurde, brachten Mutmaßungen in Zeitungen sie mit dem Mord in Zusammenhang. Ob sie eine Anstellung als Fotografin des Museo Nacional, die ihr wenig später angeboten wurde, aus Protest gegen den Rufmord oder aus anderen Gründen ablehnte, ist unklar. Jedenfalls ging sie für einige Monate nach Tehuantepec und dokumentierte dort das Leben einfacher Leute.
Im Juni wurde in Mexiko die kommunistische Partei verboten. Die Eröffnung der Modotti-Ausstellung in der Autonomen Universität von Mexiko-Stadt am 3. Dezember 1929 geriet zur politischen Demonstration, sowohl wegen der politischen Brisanz der Bilder (viele davon aus Tehuantepec) als auch wegen der provokanten Präsentation durch den Maler David Alfaro Siqueiros. Das Magazin „Mexican Folkways“ publizierte Ende 1929 Modottis Manifest „Sobre la fotografia [Über die Fotografie]“.
Werke
Als junges Mädchen betrieb ihr Onkel Pietro Modotti in Italien ein Fotostudio. Später in den USA betrieb ihr Vater kurzzeitig ein ähnliches Studio in San Francisco. Während ihres Aufenthalts in Los Angeles lernte sie den Fotografen Edward Weston und seine kreative Partnerin Margrethe Mather kennen. Durch ihre Beziehung zu Weston entwickelte sich Modotti zu einer wichtigen Kunstfotografin und Dokumentarfilmerin. Im Jahr 1921 war Modotti Westons Geliebte. Ricardo Gómez Robelo wurde Leiter der Abteilung für Bildende Künste im mexikanischen Bildungsministerium und überredete Robo, mit dem Versprechen eines Jobs und eines Ateliers nach Mexiko zu kommen.
Robo reiste im Dezember 1921 nach Mexiko. Robo wusste vielleicht nichts von seiner Affäre mit Modotti und nahm Drucke von Weston mit, in der Hoffnung, eine Ausstellung seiner und Westons Arbeiten in Mexiko zu veranstalten. Während sie auf dem Weg zu Robo war, erhielt Modotti am 9. Februar 1922 die Nachricht, dass er an den Pocken gestorben sei. Am Boden zerstört traf sie zwei Tage nach seinem Tod ein. Im März 1922 veranstaltete sie, entschlossen, Robos Vision Wirklichkeit werden zu lassen, eine zweiwöchige Ausstellung mit Robos und Westons Werken in der Nationalen Akademie der Schönen Künste in Mexiko-Stadt. Mit dem Tod ihres Vaters erlitt sie einen zweiten Verlust, der sie später im März 1922 zwang, nach San Francisco zurückzukehren. 1923 kehrte Modotti mit Weston und seinem Sohn Chandler nach Mexiko-Stadt zurück und hinterließ Westons Frau Flora und ihre jüngsten drei Kinder. Sie erklärte sich bereit, Westons Studio unentgeltlich zu leiten, als Gegenleistung dafür, dass er sie in der Fotografie betreute.
Gemeinsam eröffneten sie ein Porträtstudio in Mexiko-Stadt. Modotti und Weston fühlten sich schnell von der Boheme-Szene der Hauptstadt angezogen und nutzten ihre Verbindungen, um ein expandierendes Porträtgeschäft aufzubauen. Gemeinsam gründeten sie eine Gemeinschaft kultureller und politischer „Avantgardisten“, zu der Frida Kahlo, Lupe Marín, Diego Rivera und Jean Charlot gehörten. Im Allgemeinen wurde Weston von der Landschaft und der Volkskunst Mexikos dazu bewegt, abstrakte Werke zu schaffen, während Modotti mehr von den Menschen Mexikos fasziniert war und dieses menschliche Interesse mit einer modernistischen Ästhetik verband, während er gleichzeitig den Begriff „Künstler“ mied und darauf beharrte sie wollte lediglich „gesellschaftliche Realitäten einfangen“. Modotti wurde auch zum Fotografen der Wahl für die blühende mexikanische Wandgemäldebewegung und dokumentierte die Werke von José Clemente Orozco und Diego Rivera. Zwischen 1924 und 1928 machte Modotti Hunderte von Fotos von Riveras Wandgemälden im Sekretariat für öffentliche Bildung in Mexiko-Stadt. Modottis visuelles Vokabular reifte in dieser Zeit weiter, beispielsweise in ihren formalen Experimenten mit architektonischen Innenräumen, blühenden Blumen, Stadtlandschaften und insbesondere in ihren vielen schönen Bildern von Bauern und Arbeitern während der Depression. Im Jahr 1926 wurden Modotti und Weston von Anita Brenner beauftragt, durch Mexiko zu reisen und Fotos für ihr einflussreiches Buch Idols Behind Altars zu machen. Die relativen Beiträge von Modotti und Weston zum Projekt wurden diskutiert. Westons Sohn Brett, der die beiden bei dem Projekt begleitete, gab an, dass die Fotos von Edward Weston aufgenommen wurden.
Ausweisung aus Mexiko und Aufenthalt in der Sowjetunion
Ein erfolgloser Mordanschlag auf den mexikanischen Präsidenten Pasqual Ortiz Rubio am 5. Februar 1930 wurde als Vorwand benutzt, die Fotografin zu verhaften. Ihr Schicksal war im Ausland zunächst nicht bekannt und sie galt noch Anfang März 1930 als vermisst. Zwar konnte ihr keinerlei Beteiligung nachgewiesen werden, sie wurde aber aus Mexiko ausgewiesen. Zusammen mit Vidali kam sie auf dem Dampfer „Edam“ in Rotterdam an, ging nach Berlin, wo sie Bohumír Šmeral, den ehemaligen ersten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und den Reporter Egon Erwin Kisch kennenlernte sowie die Fotografin Lotte Jacobi, in deren Studio sie ihre Bilder aus Mexiko ausstellen konnte. In Berlin arbeitete Tina Modotti wieder als Fotografin, die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“ veröffentlichte mehrfach ihre Bilder, darunter ein Titelbild mit Modottis Porträt von Mella.
Im Oktober entschloss sich Modotti jedoch, nach Moskau zu gehen, wo sie wieder mit Vidali zusammentraf. Sie bezeichnete ihn als „ihren Mann“, als sie 1932 einen Aufnahmeantrag an das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale stellte. Modotti gab bald darauf die Fotografie auf, angeblich warf sie ihre Kamera in die „Moskwa“, arbeitete bei der Internationalen Roten Hilfe als Übersetzerin ausländischer Presseberichte und verfasste auch selbst Artikel. Zumindest über Vidali war sie ab dieser Zeit mit dem Geheimdienst verflochten. Ihre Arbeit führte sie 1935 nach Wien, Warschau, Madrid und Paris.
Modotti im Spanischen Bürgerkrieg
Unter dem Namen Maria war sie ab dem Juli 1936 wieder in Madrid, zusammen mit Vidali, der Comandante Carlos J. Contreras des Fünften Regiments war. In den drei folgenden Jahren arbeitete sie im medizinischen Hilfsdienst, zeitweise unter Dr. Norman Bethune.
Im Jahr 1937 half Tina Modotti in Valencia bei der Vorbereitung des Internationalen Kongresses Intellektuelle gegen den Faschismus, und bereitete zusammen mit Carlos/Vittorio die Veröffentlichung von Miguel Hernández’ Gedichtband „Viento del Pueblo“ vor. Sie kam in Kontakt mit Robert Capa, Gerda Taro, Ernest Hemingway, Antonio Machado, Dolores Ibárruri, Rafael Alberti, André Malraux, die in den Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teilnahmen. Zur Vorbereitung des Congreso Nacional de la Solidaridad hielt sie sich 1938 in Madrid auf. Nachdem der Bürgerkrieg verloren war, traf sie zusammen mit Vidali in Paris ein. Ihrem Ansuchen an die Partei, in Italien im Untergrund arbeiten zu dürfen, wurde nicht stattgegeben.
Zurück in Mexiko
Mexikos neuer Staatspräsident Lázaro Cárdenas hob den Ausweisungsbefehl gegen Modotti auf, und zusammen mit Vidali kehrte sie nach Mexiko-Stadt zurück, nachdem die USA einen Asylantrag abgelehnt hatten. Sie lebte jetzt eher schlecht von Übersetzungen, arbeitete für die Alleanza Internazionale Giuseppe Garibaldi und nahm nur noch wenig am gesellschaftlichen Leben teil. Gelegentlich traf sie die emigrierten Schriftstellerinnen Anna Seghers und Constancia de la Mora.
Tod
In der Nacht vom 5. auf den 6. Januar 1942 erlag die 45-jährige Tina Modotti in einem Taxi einem Herzanfall. Sie kam von einem Abendessen bei Hannes Meyer. Eine Autopsie ergab, dass sie eines natürlichen Todes starb, nämlich Herzversagen. Tina Modotti wurde im Prominenten-Friedhof Panteón Civil de Dolores beigesetzt. Unter dem Flachrelief mit dem von Leopoldo Méndez geschaffenen Porträt sind die ersten Verse von Nerudas Gedicht in den Grabstein gemeißelt.
In der öffentlichen Meinung, geschürt von Rivera, wurde Vidali verdächtigt, seine ehemalige Mitstreiterin in Stalins Auftrag beseitigt zu haben, aber auch über Selbstmord wurde gemunkelt. Ein Gedicht Pablo Nerudas, als Nachruf in den Zeitungen publiziert, trug dazu bei, die Wogen zu glätten.