David Hockney, der sich selbst als „Advokat der Zeichnung“ bezeichnet, hat ein neues Lieblingsmedium entdeckt: das Zeichnen auf iPhone und iPad. Seit Winter 2008 nutzt er das einfache App „Brushes“, zeichnete anfangs als Rechtshänder mit dem Daumen seiner linken Hand und hat sich im Laufe der letzten zweieinhalb Jahre eine beachtenswert variantenreiche Strichführung angeeignet - vor allem seitdem er nicht mehr auf dem kleinen iPhone sondern dem größeren iPad und mit einem Zeichenstift arbeitet.
Dänemark | Louisiana
8.4. – 28.8.2011
Zeichnen ist für Hockney gleichbedeutend mit Sehen. Vielleicht ist er deshalb auch vom neuen Medium so fasziniert: Es ist wie früher sein Skizzenblock immer an seiner Seite, alles kann sofort festgehalten werden, die Ergebnisse lassen sich ruckzuck in die ganze Welt verschicken. Diese so viel einfachere und schnellere Distribution seiner Zeichnungen unter Freunden und eine übersichtliche Handhabung – auch im Bett – zählen dem Künstler zufolge zu den Vorteilen des Tools. Hockney selbst erzählt, dass seine neue Leidenschaft mit einem Sonnenaufgang begann, den er von seinem Schlafzimmer in Bridlington aus beobachtete, wo der Künstler derzeit lebt. Das Farbspektakel zeichnete er auf sein neues iPhone und mailte die Datei nur eine Stunde später an seine Freunde in den USA. Dann fuhr er mit Blumenstillleben fort, weil sein Freund John Fitzherbert alle paar Tage ein frisches Blumenbouquet im Schlafzimmer aufstellt, und mit Selbstbildnissen, weil der Monitor sein Konterfei spiegelte. Die Leuchtkraft des Bildschirms hatte ihn dazu angeregt, die überwältigende Farbigkeit des Tagesanbruchs und der Blüten einzufangen und, man möchte ergänzen, genauso die Sauberkeit des Materials. Seither hält David Hockney alles aus seinem Leben mit diesem Tool fest, was er sonst wohl in seinen Skizzenblock aufgenommen hätte: Fensterausblicke mit der auf- oder untergehenden Sonne, Rosen, Tulpen, Lilien, Sonnenblumen in bunten Krügen, jüngst auch seine Veranda, Kaffeebecher und Obstschalen.
Diese Direktheit des Mediums trifft sich auf geradliniger Weise mit dem Image der Zeichnung als authentischer Ausdruck eines Künstlers: einerseits als ein omnipräsentes Werkzeug für die schnelle Notation mehr als geeignet, und andererseits eine auffallende Künstlichkeit in der Farbgebung. Letzteres entspricht frappant den jüngsten Werken Hockneys, die seit 2006 in gigantischen Formaten Landschaften wie den Grand Canyon oder die Wälder der britischen Küstenstadt Bridlington zeigen. Hockneys iPad-Bilder fügen sich allerdings nicht den Anforderungen des Kunstmarktes, denn jede gemailte „Kopie“ ist eigentlich ein Original, auch wenn auf einzelnen Geräten vielleicht unterschiedlich intensive Farberlebnisse möglich sind. So verweigert sich der britische Altmeister der Druck-, Kopier-, Fax- und Computerkunst – Hockney experimentierte bereits in den 90er Jahren mit den jeweils neuesten Technologien – der monetären Verwertung seiner Arbeiten. Einmal an seine Freunde verschickt, gehen sie gratis um die Welt und werden, davon ist Hockney überzeugt, eines Tages im WorldWideWeb auftauchen. Folgerichtig wurde bislang auch kein Katalog produziert, ist der Künstler doch der Ansicht, dass im Druck die Leuchtkraft der Bilder verloren gehen würde.
Für die Ausstellung im dänischen Museum Louisiana entwickelte Hockney ein Display, das die Ähnlichkeit der iPhone- und iPad-Bilder mit Glasfenstern herausstellt. In einer triptychonartigen Projektion sowie auf 20 iTouches und 20 iPads erstrahlen die Bilder in einem nahezu völlig abgedunkelten Raum. Auch wenn das Medium eigentlich Direktheit verspricht, und Hockney mailt immer wieder neue Bilder an das Louisiana, im Museum wird daraus erneut das unantastbare Kunstwerk, dem die Besucher ehrfurchtsvoll gegenüberstehen, denn die Monitore dürfen nicht berührt werden. Bemerkenswert ist, welche zusätzlichen Nuancen der Maler dem iPad-App entlocken kann. Einzig die Möglichkeit über einen Knopfdruck die Entstehung einer Zeichnung vorgeführt zu bekommen, unterscheidet das Medium in dieser Ausstellung von traditionellen Arbeiten auf Papier. Das Ergebnis ist quasi eine Zeichen-Performance, ein Zerlegen des künstlerischen Aktes in seine Einzelschritte zur Freude seines Schöpfers. Und so zeichnet der renommierte Engländer täglich neue, lichterfüllte Werke, schickt sie an seine Freunde und ist der festen Überzeugung, dass Pablo Picasso und Vincent van Gogh das Medium ebenso begeistert aufgenommen hätten wie er.