Anhand einer konzentrierten Auswahl von 26 Werken zeichnet das Museum Barberini – parallel zur Ausstellung „Gerhard Richter. Abstraktion“ – den Weg vom Expressionismus zum Informel nach. Potsdam präsentiert dafür Gemälde von Willi Baumeister, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Ernst Wilhelm Nay, Emil Nolde, Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Winter. Dabei wird deutlich, dass eine Entwicklungslinie der deutschen Malerei des 20. Jahrhunderts von der subjektiv empfundenen Farbgestaltung der Expressionisten zum (scheinbar) intuitiven, ungegenständlichen Malen der Nachkriegsavantgarde führt (→ Abstrakte Kunst).
Deutschland | Potsdam: Museum Barberini
9.6.2018 – 10.2.2019
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten sich in der deutschen Kunst zahlreiche avantgardistische Strömungen. Die Maler der Brücke waren die Ersten, die auf die Kraft der Farbe setzten. Ohne auf theoretische Überlegungen der französischen Künstler aufzubauen, aber in direkter Auseinandersetzung mit Werken des Neo-Impressionismus, wollten Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein den Eigenwert der unvermischten Farbe nutzen.
Besonders deutlich wird die Auseinandersetzung mit der Buntfarbe in den Landschaften von Emil Nolde. Der Maler aus Norddeutschland kann nicht mehr als traditioneller Landschaftsmaler bezeichnet werden. Die sichtbare Natur bzw. der bildwürdige Ausschnitt aus einem Arrangement von Naturelementen können nicht mehr als darstellungswürdig empfunden werden. Stattdessen sucht Emil Nolde in den Landschaftsbildern Äquivalente für seine subjektiven Empfindungen. Er versenkt sich in die Natur und sah den schöpferischen Prozess als das Ergebnis seines intensiven Dialogs mit der ihn umgebenden Natur. Dabei beeinflusste diese auch sein Seelenleben unmittelbar. Damit prägte Emil Nolde den frühen deutschen Expressionismus, da die jungen Maler der Brücke sich – seiner Ansicht nach zu sehr – an ihn anschlossen. Sein von der Malweise Vincent van Gogh beeinflusster, postimpressionistischer Malduktus soll wie auch der Einsatz von unvermischten Farbtönen unmittelbarer und unverfälschter Ausdruck seines Erlebens und seiner Stimmungen sein. Dabei überwältige ihn die Kraft des Meeres und der Wogen, die Schönheit von überbordenden Blumengärten, die brennenden Qualitäten von Sonnenuntergängen. Farbe als sinnliches, emotionales Ausdruckselement vermag Gefühle oder sogar Gerüche zu vermitteln, zeigte sich der Maler überzeugt. Diese Auffassung von Malerei, in der das Unbewusste einen wichtigen Stellenwert einnimmt, nimmt die Gestaltungsweisen des Informel vorweg. Dafür inszenierte sich Nolde auch als instinktsicherer, unintellektueller, bodenständiger Künstler.
„Eines Nachmittags in brennendem Schaffenstrieb malte ich ein Bild, Wellen sich brechend gegen Felsen. Im gleichen Moment, als es fertig war, nahm ich das Palettenmesser und kratzte es ab. Wie verstört stand ich dann da und frug „Warum?“… Höchstleistung und Vernichtungsrausch“1 (Emil Nolde)
Dieser neuen Überzeugung folgten auch der Blaue Reiter in München ab 1910. Die Revolution in der deutschen Kunst des frühen 20. Jahrhunderts begann mit dieser Neubewertung und setzte sich mit der „Erfindung“ der abstrakten Malerei fort. Hier war es vor allem der Russe Wassily Kandinsky, der – inspiriert durch synästhetische Farb-Klang-Erlebnisse und in Auseinandersetzung mit der Theosophie von Rudolf Steiner – den Schritt in die Abstraktion wagte. Die Farben scheinen sich von den Gegenständen zu lösen, postulierte Steiner in seinen Schriften, scheinen frei im Raum zu schweben. Auf diese Ideen baute Kandinsky seinen entgrenzten Einsatz der Farbe ab 1911, das „Überfließen der Farbe über die Grenzen der Form“.2 Damit setzte sich von den Werken der anderen Mitglieder des Blauen Reiter ab: Seine Landschaften weisen eine flüssige Weichheit auf, die bereits den Schritt in die Abstraktion vorausahnen lassen. Als Bauhaus-Künstler nahm Kandinsky neben Paul Klee eine bedeutende Stellung in der Vermittlung der Abstraktion, nunmehr der ungegenständlichen, geometrischen Abstraktion, in Deutschland ein (→ Klee & Kandinsky).
Das Bauhaus arbeitete in den 1920ern und frühen 1930ern an einer Farbtheorie der Moderne, die schlussendlich nach dessen erzwungener Schließung im theoretischen und malerischen Werk von Josef Albers in den USA kulminierte. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden diese Künstler verfemt und viele bedeutende Maler in die Emigration gezwungen: Klee, Lyonel Feininger, Kandinsky. Ernst Ludwig Kirchner nahm sich 1938 das Leben. Emil Nolde stand zwar der nationalsozialistischen Ideologie nahe, wurde mit Ausstellungs- und Arbeitsverbot belegt.
Der junge Maler Ernst Wilhelm Nay wurde ebenfalls als „entartet“ gebrandmarkt und diente ab 1940 als Kartenzeichner in der deutschen Armee. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg galt die Farbe als Mittel des künstlerischen Selbstausdrucks und die Abstraktion als „Weltsprache“ – durchaus ideologiebefrachtet. Um die Stilfrage – Abstraktion oder Figuration – wurde heftig gestritten. Das Anschließen an die Errungenschaften des deutschen Expressionismus kann als Protestkunst gegen den Krieg und als Wiedergutmachung an den Verfemten gedeutet werden. Vor allem Willi Baumeister setzte sich intensiv für die Bedeutung der ungegenständlichen Kunst ein – ihm stand Karl Hofer diametral gegenüber.
Zwischen 1955 und 1966 entstanden Ernst Wilhelm Nays „Scheibenbilder“, in denen runde Farbflächen subtile Raum- und Farbmodulationen in der Bildfläche organisieren. Damit wandte er sich den Spannungen zwischen den Farbflecken zu, die er rhythmisch auf der weißen Fläche verteilte. Gleichzeitig stieg Ernst Wilhelm Nays Renommee national wie international. Er war auf den ersten drei documenta Ausstellungen in Kassel (1955,1959, 1964) prominent vertreten. Zudem vertrat der die Bundesrepublik Deutschland auf der Biennale von Venedig 1956.