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Paris | Grand Palais: Paul Signac Apostel des Neoimpressionismus | 2001

Paul Signac, Croix-de-Vie, 1929, Aquarell, 20,3 x 28,6 cm (Privatsammlung)

Paul Signac, Croix-de-Vie, 1929, Aquarell, 20,3 x 28,6 cm (Privatsammlung) © photo Maurice Aeschimann

Paul Signac (1863–1935), der „Heilige Paul des Neo-Impressionismus“ (Thadée Natanson), war Maler und wichtigster Apologet der neoimpressionistischen Malerei. Van Gogh sprach vom feurigen Temperament, während Henri-Edmond Cross ihn als „kalten und methodischen Denker und Träumer“1 charakterisierte. Mit Georges Seurat und Camille Pissarro war er einer der ersten, der die Technik des divisionistischen Farbauftrags im Winter 1885/86 einsetzte (→ Seurat, Signac, Van Gogh – Wege des Pointillismus). Alle drei Maler – Pissarro, Seurat und Signac – nahmen im April 1886 an der achten und letzten Ausstellung der Impressionisten teil, wo ihre Werke im letzten Saal gemeinsam präsentiert wurden und den Impressionismus als Avantgarde ablösten. Die neue Schule wurde anfangs als „wissenschaftlicher Impressionismus“ beschrieben, als Opposition zur vorangegangenen Generation rund um Claude Monet.

Paul Signac, der Impressionist

„Was mich dazu gebracht hat, mich mit Malerei zu beschäftigen? – Das ist Monet oder besser die Betrachtung von einigen Reproduktionen seiner Gemälde in „La Vie moderne“. Das, was mich bei diesem Künstler anzieht, ist der revolutionäre Aspekt seines Werks. Es ist wahr, dass mir die Malerei von Detaille zu perfekt und zu schwierig erschien, um sie nachzuahmen! Während jene von Monet schien mir einfacher. In dieser Zeit habe ich mir keine Rechenschaft – da… Ich war allenfalls 18 Jahre alt.“ (Paul Signac)

Während des Besuchs der ersten Einzelausstellung von Claude Monet im Juni 1880 in den Räumen der Lieratur- und Kunstzeitschrift „La Vie moderne“ entschied sich der 16-jährige Paul Signac, Maler zu werden. Dem Tod des Vaters noch im gleichen Jahr folgte ein Umzug der Familie nach Asnières, einem neuen Vorort von Paris. Obwohl Paul Signac ein guter Schüler war, verließ er die Schule und mietete sich ein Zimmer in Montmartre. Asnierès inspirierte den angehenden Maler zu ersten Ölgemälden, Zeichnungen und Aquarellen. Auf Anhieb entschloss sich Signac, seine Aufmerksamkeit ganz auf die Wiedergabe von Wasser und seinen Reflexionen zu legen. Impressionismus war für Signac gleichbedeutend mit Freiluft-Malerei, Neuerung und Unabhängigkeit. Er widmete sich dem autodidaktischen Studium von Werken der Avatgarde, von Manet, Monet, Degas und Caillebotte. Mit Gustave Caillebotte verband Signac auch die Leidenschaft fürs Segeln.

 

 

Paul Sgnacs erste Landschaftsgemälde zeigen vertraute Gegenden: die Seine, Montmartre, Clichy und Asnières. Im Jahr 1882 reiste er erstmals nach Port-en-Bessin und fand sich – wie viele seiner Vorgänger und Zeitgenossen – im Fach der Marinemalerei. Signacs erste Werke sind den Küstenlandschaften Claude Monets verwandt, dessen Ausstellung im März 1883 tiefen Eindruck bei Signac hinterlassen hatte. Signacs Landschaften unterscheiden sich allerdings durch die Wahl der intensiven Farben und der frontalen Ansichten. In seinem Werk – von den ersten Seestücken mit impressionistischem Duktus bis zu Architekturansichten der Zwischenkriegszeit – beschäftigte sich Paul Signac mit der Wiedergabe von Wasser und Himmel. Die Blautöne eröffneten dem Maler unzählige Möglichkeiten zu Farbexperimenten. Als Verteidiger der reinen Farbe belegen seine Gemälde die Kenntnis der Farbtheorie von Chevreul. Demzufolge besteht die Reflexion des Lichts auf der Wasseroberfläche aus einer Vielzahl von farbigen Strichen besteht.

 

Bekanntschaft mit Seurat und Entwicklung des Pointillismus

Im Mai 1884 traf Signac den Maler Georges Seurat (→  Georges Seurat. Erfinder des Pointillismus) auf der ersten Ausstellung der Gruppe der Artistes Indépendants. Seurat hatte seine akademische Ausbildung bereits abgebrochen, als der um vier Jahre jüngere Signac sich entschloss, Künstler zu werden. Im Führjahr 1884 trat Seurat mit den „Badenden bei Asniéres“ (The National Gallery, London), das zurvor noch von der Jury des Salons abgewiesen worden war, an die Öffentlichkeit. Auch weitere zukünftige Mitstreiter des Postimpressionismus – Charles Angrand, Henri Edmond Cross und Albert Dubois-Pillet – sammelten sich um Signac. Obwohl die beiden jungen Maler Signac und Seurat so unterschiedliche Charaktere hatten, feundeten sich an. Impressionisten wie Armand Guillaumin und Camille Pissarro (ab 1885) halfen Paul Signac mit Rat und Tat weiter.

Die Impressionisten und insbesondere Claude Monet waren Paul Signac bei seinen Arbeiten die wichtigsten Vorbilder. Als Georges Seurat sein berühmtes Gemälde „Un dimanche après-midi à l’île de la Grande Jatte (Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grand Jatte)“ (1884–1886, The Art Institute of Chicago) im Lauf des Winters 1885/86 wiederaufnahm, hatte er die pointillistische Technik noch nicht entwickelt. Gemeinsam mit Signac studierte er die Werke von Eugène Delacroix, las Charles Blancs „Grammaire des arts et du dessin“ und Texte über Optik von David Sutter und Odgen Rood und besuchte Chevreul. Außerdem hielten sie sich in der Gobelin-Manufaktur auf, um Erfahrungen in der Anwendung der Theorien von Eugène Chevreul zu sammeln. Erst die Lektüre von Charles Henrys im August 1885 veröffentlichter Schrift „Introduction à une esthétique scientifique“ änderte Seurats Konzept und Malweise. Auf Anraten von Signac verwendete er keine Erdtöne mehr, sondern wandte sich den (impressionistischen) Spektralfarben zu. Zwischen Oktober und November 1885 trug Seurat erstmals die Spektralfarben in kleinen Punkten auf das Gemälde „Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grade Jatte“ auf. Die Technik der „optischen Mischung“ war geboren.

 

 

Paul Signac war zwar der wichtigste Gesprächspartner von Georges Seurat in dieser Phase, hat aber selbst zeitlebens nie Anspruch auf die Co-Autorschaft des Pointillismus erhoben. Im Dezember 1885 malte er sein erstes großes Interieur „Apprêteuse et garnisseuse. Modes (rue du Caire)“ (Winterthur), oder einfacher „Die Hutmacherinnen“. Signac und Seurat hatten gemeinsam die Retrospektive von Eugène Delacroix in der Ecole des Beaux-Arts besucht. Das schlug sich in der gleichen Farbharmonie von „Die Hutmacherinnen“ und Delacroix‘ „Frauen von Algier“ nieder, wie Antoine de La Rochefoucauld bemerkte. Der Romantiker hatte sich mit der weiblichen Welt des Harems beschäftigt, was der später geborene Pointillist auf die Welt der Hutmacherinnen übertug. Im flachen Raum und den extrem vereinfachten Figuren sehen Kritiker Mängel einer fehlenden akademischen Ausbildung Signacs. Erst in einer Phase der Überarbeitung im Fabruar 1886 trandformierte Signac das impressionistische Gepräge des Werks (durchaus in der Nachfolge von Degas) mit Hilfe einer pointillistischen Oberfläche.2

Anstelle die Farben auf der Palette zu mischen, setzte Georges Seurat Punkte reiner Farbe nebeneinader. Signac adaptierte diese Technik, der er sein ganzes Leben lang treu bleiben wird. Der divisionistische Farbauftrag verursacht auf den Leinwänden der Pointillisten und Neo-Impressionisten einen Effekt des leichten Vibrierens, der sich auch gut für die Analyse des Lichtes eignet. Mit Hilfe von Camille Pissarro, der sich ebenfalls mit der Theorie der Farbdivision beschäftigte, konnten Signac und Seurat an der letzten Ausstellung der Impresionisten teilnehmen.

„Der Chromo-Luminarist kann das Höchstmaß an Farbigkeit, Leuchtkraft und Harmonie erreichen: 1. Durch die optische Mischung ausnahmsweise reiner Farben (aller Farben des Spektrums und aller Zwischentöne); 2. Durch die Trennung der verschiedenen Elemente (Lokalfarbe, Farbe des Lichts und ihre Reaktionen); 3. Durch Abstimmung dieser Elemente und ihres Verhältnisses zueinander (nach den Gesetzen von Kontrast, Abstufung und Strahlung); 4. Durch die Wahl der Pinselführung, die dem Format des Bildes entspricht.“3

 

Die achte Impressionisten-Ausstellung 1886

Die Achte Impressionisten-Ausstellung 1886 fand vom 15. Mai bis 15. Juni in Räumlichkeiten an der Ecke Rue Laffitte/Boulevard des Italiens statt und zeigte die Krise des Impressionismus deutlich auf. Organisiert von Berthe Morisot und ihrem Ehemann Manet, nahmen nur noch eine Handvoll Künstlerinnen und Künstler der vergagenen Ausstellungen daran teil: Mary Cassatt, Paul Gauguin, Armand Guillaumin und Berthe Morisot stellten aus. Claude Monet, Pierre-Auguste RenoirAlfred Sisley und Gustave Caillebotte boykottierten die Schau. Zum einen war der Kunsthandel (Paul Durand-Ruel, Georges Petit) dazu übergegangen, die Impressionisten in Einzelpräsentationen vorzustellen, und zum anderen brachen Konflikte wie der zwischen Monet und Degas in aller Öffentlichkeit auf. Dieses Auseinaderbrechen der Avantgarde der 1870er Jahre führte knapp zwölf Jahre nach ihrem ersten öffentlichen Auftreten zur Geburtsstunde des Pointillismus (→ Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus oder Neo-Impressionismus).

Im Dezember 1885 waren die jungen Maler, und allen voran Georges Seurat, in aller Munde. Die Impressionisten sorgten sich um die „Verwisseschaftlichung“ ihrer Malweise, die einen Bruch mit ihren Überzeugungen darstellte. Camille Pissarro erhoffte sich von den Recherchen Seurats und Signacs über die Harmonie der Linien und der Rezeption von Farben einen neuen Impuls für den Impressionismus. Rund um George Seurats „Un dimanche après-midi à l’île de la Grande Jatte (Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grand Jatte)“ (1884–1886) gruppierten sich Werke von Camille und Lucien Pissarro, Paul Signac. Signac war mit 18 Werken in der Schau vertreten, darunter seinen ersten poitillistischen Gemälden „Die Hutmacherinnen“ (1885/86), „Schnee, Boulevard de Clichy, Paris“ (1886, Minneapolis), „Der Eisenbahnknoten von Bois-Colombes, Opus 130“ (1886, Leeds), „Die Gasometer von Clichy“ (1886, Melbourne)! Mit den „Hutmacherinnen“ und ihrem naturalistischen, „pariserischen“ Thema konnte Signac den größten Kritikererfolg der Ausstellung feiern.

Pointillismus und Divisionismus erfreuten sich zwar nicht uneingeschränkter Untertützung durch die Öffentlichkeit, doch im Herst zeigten bereits Dubois-Pillet und Angrand erste Gemälde in diesem neuen Stil auf dem Herbstsalon der Société des Artistes Indépendants. Gemeinsam mit Dubois-Pillet übertrug Paul Signac die pointillistische Technik auf ihre Zeichnungen. Auch der frisch in Paris angekommene Holländer Vincent van Gogh nahm Anregungen zu Farbauftrag und Farbtheorie (v.a. Komplementärkontrast) in seiner Malerei auf und malte gelegentlich Seite an Seite mit Paul Signac. Der Begriff Neo-Impressionismus tauchte erstmals am 19. September 1886 aus der Feder des Kritikers Félix Fénéon auf, um diese neue Schule zu beschreiben.

 

Vom Pointillismus zum Neo-Impressionismus (1886–1891)

Mitte der 1880er Jahre wandte sich Paul Signac neuen Themen zu. Hatten zuvor noch Landschaften aus der Umgebung von Paris, den Vorstädten Asnières und Clichy swowie Flussufern vorgeherrscht, wurde nun Sport, Freizeit und moderne Genrebilder seine bevorzugten Sujets. Er entdeckte die Küste Südfrankreichs (Collioure und Cassis), die er in mehr lichterfüllten als farbigen Gemälden einfing. Ihre Blässe erstaunte das zeitgenössische Publikum. Der Künstler verteidigte sich mit der Bobachtung, dass am Meer das Licht überall so stark reflektiert würde, dass all die Lokalfarben verschlunkt und die Schatten grau erscheinen würden. Erste Ergebnisse in diese Richtung, nämlich Stilisierung und Absraktion wie auch eine deutliche Hinwendung zu dekorativen Flächenmustern sind bereits in den Landschaften Signacs aus dem märchenhafte Tal von Comblat-le-Château in der Auvergne (Sommer 1887), aus Collioure (August bis Oktober 1887) oder aus Portrieux im Norden der Bretagne, wie „Leuchtturm in Portrieux, Opus 183“ (1888, Kröller-Müller Museum, Otterlo), zu bemerken. Um die abstrakten Qualitäten seiner (hauptsächlich) Landschaften zu steigern, begann Signac 1887, seine Werke mit Opus-Nummern zu versehen.

 

„Das Esszimmer, Opus 152“ (1886/87, Kröller-Müller Museum, Otterlo) und „Sonntag“ (1888–1890, Privatsammlung) nehmen beide das Thema eines gutbürgerlichen Interieurs auf. Für das Esszimmer wählte Signac sein eigenes Heim, seinen Großvater (den Rentier) und seine Mutter als Modelle. Der Bildaufbau von „Das Esszimmer“ zeigt, mit wieviel Geduld ein pointillistisches Gemälde gearbeitet wurde: Die Leinwand bereitete Paul Signac mit transparenten Lagen in hellen Farben, die er mit breitem Pinsel aufstrich, vor. Dann legte er an bestimmten Stellen größere Farbf lächen darüber, um den Lokalton der beabsichtigten Motive anklingen zu lassen. Erst dann setzte Signac mit spitzem Pinsel die „vibrierenden“ größeren und kleineren Punkte dicht neben- und übereinander. Der Lichteinfall bestimmte den Gesamtton des Gemäldes. Die pointillistische Zeichnung aus dem Metropolitan Museum of Art in New York wiederholt die Komposition für eine Reproduktion in „La Vie moderne“.

Die Sprachlosigkeit und Beziehungslosigkeit der Familienmitglieder in „Sonntag“ (1888–1890, Privatsammlung) erinnert an Edouard Manets „Frühstück im Atelier“ ( → Edouard Manet, der Salon und der doppelte Blick), Claude Monets „Mittagstisch“ (→ Monet und die Geburt des Impressionismus), Gustave Caillebottes „Mittagessen“ (1876) sowie „Interior: Frau am Fenster“ (1880, Privatsammlung) und Félix Vallottons schwarz-weiße Holzschnitt-Serien (→ Villa Flora. Postimpressionismus). Vor allem Caillebottes Vorbildwirkung muss bedacht werden, hatte der wohlhabende Maler doch auch eine Sammlung impressionistischer Malerei angelegt und auch Signac durch einen Ankauf finanziell unterstützt. Die beiden Künstler verband aber nicht nur die Leidenschaft für die moderne Malerei, sonder auch die für Boote. Doch zurück zu den Interieurs: Die Eheleute haben sich längst entfremdet, das tägliche Ritual wird gepflegt. Vielleicht war es die anarchistische Überzeugung Signacs, seine Ablehnung der traditionellen Ehe, die ihn dieses Sujet für „Sonntag“ hat wählen und so umsetzen lassen. Das Interieur gilt als das letzte Werk, in dem sich Signac mit einem naturalistischen Thema auseinandersetzte. Nur wenig später kehrte er der Genremalerei den Rücken. Die Farblithografie „Anwendung von Charles Henry’s Farbenkreis“ (1888) und das Porträt von Félix Fénéon (1890/91, MoMA, New York), das Signac vor dekorativ-abstraktem, japanisch inspiriertem Hintergrund positionierte, in dem er geschickt Japonismus, Farbbrillanz und Charles Henrys Theorien miteinander zu einem gemalten Manifest verband, führt in das neoimpressionistische Werk.

 

 

Im Jahr 1888 stellte Paul Signac seine in Comblat-le-Château und Collioure entstandenen Bilder im Salon des Indépendants und erstmals am Salon der Les XX in Brüssel aus und wurde damit international wahrgenommen. Er traf den belgischen Maler Théo van Rysselberghe (1862–1926) vor Georges Seurats Gemälde „Un dimanche après-midi à l'île de la Grande Jatte“ (1884–1886, Chicago) und konnte ihn von der neuen Technik rasch überzeugen. Rysselberghe und Signac organisierten Ausstellungen in Belgien, wodurch der Pointilismus und Neo-Impressionismus viele Anhänger bis Holland fand. Unter den „bekehrten“ befanden sich Henry van de Velde, Alfred William Finch, Georges Lemmen und Georges Morren aus Belgien, aber auch Jean Toroop und schlussendlich Piet Mondrian aus Holland. Als die Gesellschaft der XX in Brüssel, wo der Pointillismus in seinen Anfängen gefeiert worden war, 1894 sich unter dem neuen Namen Société de la Libre Esthétique reorganisierte, war Signac dabei. Darüber hinaus stellte Signac regelmäßig auf der Association pour l’Art in Antwerpen aus.

 

 

Für Paul Signac bedeutete die pointillistische Malerei zweifellos eine Abkehr vom Impressionismus und eine Öffnung der Kunst zur Wissenschaft. Während Georges Seurat einzig den punktartigen Farbauftrag und ausgewogen ruhige Kompositionen gelten ließ, interessierte sich Paul Signac zunehmend für den Ausdruck von Linien nach Humbert de Superville und Charles Blanc: Hemmende oder traurige Linien führen nach unten und nach links. Glückliche oder „dynamogene“ Linien führen nach oben und nach rechts. Obwohl im Pointillismus keine Linien mehr die Figuren und Formen definieren, stand hinter dieser expressiven Qualität der Linie, der Liebe zur Natur und Vergötterung der Schönheit bzw. Harmonie die Bewunderung des japanischen Farbholzschitts ukiyo-e. Zumindest bis 1895 schwamm auch Paul Signac auf der Welle des Japonismus.

 

 

Da Seurat äußerst zurückgezogen lebte, war es Paul Signac, der die Technik des divisionistischen Farbauftrags an zahlreiche Maler weitergab. Darunter befand sich beispielsweise Maximilien Luce, den Signac anlässliche des Salons des Artistes Indépendants im Jahr 1887 kennenlernte. Zweifellos präsentierte Henri-Edmond Cross seine ersten Gemälde im neoimpressionistischen Stil bereits 1891 und sollte in den folgenden Jahren einer der wichtigsten Fürsprecher der Malweise werden. Im gleichen Jahr verstarb Seurat plözlich nach der Eröffnung des Salons.

„Gestern war ich bei Seurats Beerdigung. Signac war auch da; er ist zutiefst eerschüttert über dieses große Unglück. Du hast wohl recht: der Pointillismus ist am Ende; aber ich denke, es werden sich andere Folgen abzeichnen, die später höchst bedeutungsvoll sein werden. Seurat hat ganz offenkundig etwas Neues gebracht.“4 (Camille Pissarro in einem Brief an Lucien Pissarro, 1. April 1891)

Als Georges Seurat 1891 plötzlich verstarb, schien das Schicksal des Neoimpressionismus besiegelt. Camille Pissarro lehnte die neue Technik ab und kehrte zu einem orthodoxeren Impressionismus zurück. Signac setzte aber damit fort, die Theorie der Farbdivision zu verteidigen und so den Neoimpressionismus zu entwickeln. In diesem Jahr der Wende malte Paul Signac Landschaften in Concarneau und „Frau richtet ihr Haar“ (1892, Privatsammlung). Im folgenden Jahr ehrte er den jung verstorbenen Freund mit ersten Überblicksausstellungen bei Les XX in Brüssel (Februar 1892), im Salon des Artistes Indépendants (März 1892) und organisierte auch die erste Gruppenschau der Neo-Impressionisten im Hôtel Brébant (1892). Ausstellungen in Siegrfried Bings Galerie „L’Art Nouveau“ (1895) folgten.

 

Signac in Saint-Tropez (1892–1900)

„Ich bin seit gestern hier und überglücklich. Fünf Minuten vor der Stadt, in der Mitte von Pinienbäumen und Rosen, entdeckte ich ein hübsches kleines Häuschen. Küche, Speisezimmer, zwei Bettzimmer, Toilette, Veranda, ein Brunnen und ein hervorragender Garten. Alles für 55 Francs im Monat – sauber und sehr komfortabel. Davor die goldene Küste des Golfs, das blaue Meer bricht sich am schmalen Strand, mein Strand […] und ein guter Ankerplattz für die Olympia. Im Hintergrund die blauen Silhouetten der Mauren und des Esterel-Gebirges- da gibt es genug Material, um daran für den Rest meines Lebens zu arbeiten. Ein Glücksgefühl – das ist es, was mir hier begegnet ist.“5

Um den Pariser Intrigen zu entgehen und sich ein „würdevolles und einfaches“ Refugium zu schaffen, folgte Paul Signac dem Rat seines Freundes Henri-Edmond Cross und ließ sich in Lavandou nieder. Von hier aus entdeckte er mit seinem Segelschiff Olympia den kleinen Hafen von Saint-Tropez und schrieb die oben zitierten, glücklichen Zeilen an seine Mutter. An der Küste konnte er seine beiden Leidenschaften – Segeln und Malen – bestmöglich miteinander vereinen. Zuerst mietete und dann kaufte er einen Landsitz, den er La Hune taufte. Dort verbrachte Signac die Sommermonate und kehrte nur für den Salon des Artistes Indépendants nach Paris zurück.

 

 

In Saint-Tropez malte er vor den Motiven auch Aquarelle, die er zu großer Meisterschaft und Farbbrillanz brachte. Signac aquarellierte, weil eine Lieferung von Leinwand, Ölfarben und Malutensilien aus Paris, die er nach seiner Ankunft in Saint-Tropez erwartete, noch nicht eingetroffen war. In den ersten drei Jahren bis 1896 widmete sich Signac ausschließlich der Landschaft und den Fischerbooten rund um den kleinen Hafen im Departemet Var, die er mit zunehmender Freiheit in der Farbgebung zu Papier oder auf die Leinwand brachte. „Segelboote im Hafen von Saint-Tropez“ (1893) lässt die Lebensfreude des Mittelmeerhafes anhand der intensiven Auseinandersetzung mit Licht und Farben spüren. Die Flecken vergrößerten sich, und die Farben wurden immer intensiver, vielleicht stand hinter dieser Veränderung auch die Auseinandersetzung des Malers mit der Aquarelltechnik. Signac nutzte Kontraste, um die Farben zu noch mehr Wirkung zu bringen. Anstelle eines analytischen Zugangs wählte er nun einen zunehmend intuitiven und subjektiven. Der dekorative Charakter der Gemälde tritt deutlich in den Vordergrund. Er hörte ab diesem Zeitpunkt auch auf, die Titel seiner Gemälde mit Opus-Nummern zu ergänzen.

 

 

Paul Signac, Zeitalter der Harmonie (1893–1895)

„Wir treten nun aus der Phase der schwierigen und notwendigen Analyse, in der alle Studien einander ähnelten, heraus und in jene der persönlichen, vielgestaltigen Schöpfung ein.“ (Paul Signac, 1895)

Die Idyllen und Utopien einer von Technik und Wissenschaft unbeeinf lussten Lebenshaltung und Natur kulminieren im über 3 mal 4 Metergroßen Gemälde „Zeitalter der Harmonie“ (1893–1895, Mairie de Montreuil, Paris). Signac drückte damit seine Überzeugung aus, dass „das Goldene Zeitalter nicht in der Vergangenheit [liege], es liegt in der Zukunft“. Die Menschheit lebt an einer von gelbem Sommerlicht durchflossenen Landschaft. Die Menschen pflücken Obst, lesen in Büchern, spielen Pétanque, erziehen Kinder, malen (im Mittelgrund), tanzen paarweise über Wege, segeln in friedvoller Gemeinschaft. Das Gemälde, und das erstaunte viele Kritiker auf seinen ersten Präentationen 1895 im Salon des Indépendants und im Salon de la Libre Esthétique, besteht nicht mehr nur aus Farbtupfen, sondern erstmals auch wieder aus Linien! Signac wollte das Monumentalgemälde für das 1899 von der beglischen Arbeiterpartei beauftragte Maison du Peuple in Brüssel stiften. Doch dessen Architekt Victor Horta reagierte verhalten darauf und verzögerte die Annahme des Bildes so lange, bis Signac sein Angebot zurückzog. Nur wenige Jahre später wurde es von jungen Malern wie Henri Matisse („Luxe, calme et volupté“ und „Le Bonheur de vivre“) und André Derain („Das Goldene Zeitalter“) als Vorbild ihrer Paradiesesvisionen genutzt.

 

 

„Von Eugène Delacroix bis zum Neo-Impressionismus“ und seine Wirkung

Neben seiner Tätigkeit als Maler verfasste Signac ab 1896 das Buch „D'Eugène Delacroix au néo-impressionnisme“ (1899, dt. Von Eugène Delacroix bis zum Neo-Impressionismus), in dem er die Theorie des divisionistischen Farbauftrags in eine historische Perspektive rückte: Delacroix wurde schon von den Impressionistinnen und Impressionisten aufgrund seiner Überlegungen zur Farbtheorie und seiner romantischen Malweise verehrt (→ Delacroix und die Malerei der Moderne). Auch die Neoimpressionisten schulten sich an seinen Gemälden (Simultankontrast) und den Aufzeichnungen in seinem Tagebuch. Das Manifest des Neoimpressionismus erschien anfans in mehreren Teilen in der Zeitschrift „La Revue blanche“ und 1899 in Buchform. Mit der Publikation „D’Eugène Delacroix au néo-impressionnisme“ (1899) schuf Signac eine Theorie und eine Perspektive des Neoimpressionismus, die ihn zum Lehrer werden ließen. Anstelle von Punkten schrieb der ehemalige Pointillist von Strichen, die nebeneinandergesetzt werden. Der Satz – „Der Neoimpressionist pointilliert nicht, er zerlegt“ – rückte er endgültig von der ehemaligen Doktrin Georges Seurats ab. Dafür verwarf er auch den Begriff des Pointillismus und ersetzte ihn durch Divisionismus bzw. Neoimpressionismus. Den Text von Signac las eine ganze Generation von jungen Künstlern, die sich mit der Frage der Farbe beschäftigten, darunter Jean Metzinger und Robert Delaunay bis zu den deutschen Malern der Brücke.

 

 

Anfang des 20. Jahrhunderts besuchten immer mehr Maler Saint-Tropez: Henri Matisse (1904), Henri Manguin, Charles Camoin und Albert Marquet und Van Rysselberghe (1905). Als die Maler der jüngeren Generation ihre leuchtenden Leinwände 1905 im Salon d'automne präsentierten, löste das einen wahren Schock und Kunstskandal aus: Der Fauvmismus war geboren! Wenn sich diese jungen Maler auch erstmals am Pointillismus / Neoimpressionismus schulten, so ließen sie diese Richtung jedoch bald hinter sich. Henri Matisse beispielsweise mochte das Vibrieren der Punktmanier nicht und wechselte zu farbintensiv ausgemalten Flächen. Signac war über den Richtungswechsel seines Zöglings empört.

 

Jahre der Reisen (1900–1935)

Im Jahr 1896 reiste Signac nach Holland, um sich inspirieren zu lassen. Strände von Manche bis Mont-Saint-Michel und die Ufer der Seine bei Paris wurden neben Südfrankreich wichtige Inspirationsquellen. Als Präsident der Société des Artistes Indépendants entwickelte sich Signac ab 1908 zu einer wichtigen Persönlichkeit im künstlerischen Leben Europas. Er stellte in Brüssel bei Libre Esthétique, in Deutschland, wo sein Freund Henry van de Velde die Werke der neoimpressionnistischen Maler vertrieb, aus und war auch 1900 in der Wiener Secession vertreten. In dieser Phase besuchte Signac die großen Häfen von Europa: Marseille, Venedig (1904 und 1908), mit Théo van Rysselberghe Rotterdam (1906), Konstantinopel (heute: Istabul, 1907), London (1909) und La Rochelle. Er malte vor den Motiven in Aquarell und die Leinwände im Atelier. Ab 1900 interpretierte Paul Signac die Farben immer freier und entfernte sich deutlich von der beobachteten Farbstimmung. Zudem brachte er die Farbe in kurzen, regelmäßigen Strichen auf, wodurch viele seiner Gemälde aus diesen Jahren wie Mosaike wirken. Die späten Kompositionen haben eine Ausgewogenheit und einen arabeskenhaften Rhythmus, so dass Wasserlandschaften so nahezu abstrakte Qualitäten entwickeln können. Signac unterstrich diese Wirkung, indem er den Bildern Titel gab, die von der Musik inspiriert waren. Im Jahr 1907 nutzte er erstmals chinesische Tusche auf großen Bögen Karton. Nach 1910 überwiegt die Produktion von Aquarellen die der Gemälde.

 

 

Im Jahr 1913 verließ Signac Saint-Tropez und zog nach Antibes, wo er sich mit seiner neuen Lebensgefährtin, der Malerin Jeanne Selmersheim-Desgrange niederließ. Der Erste Weltkrieg hielt sie in Antibes fest, der Pazifist Signac malte wenig. Da er in Verdacht stand zu spionieren, weil er in den Häfen arbeitete, floh Paul Signac in das Studium des Werks von Stendhal.

 

Aquarellist und Nomade

Nach dem Krieg (1921) zog Paul Signac nach Saint-Paul-de-Vence. Auch in diesen Jahren noch stellte er am Salon des Artistes Indépendants neoimpressionistische Gemälde aus. Dennoch widmete er die meiste Zeit dem Aquarell, das er nunmehr seit 1892 ausübte und ihm erlaubte, in frischer Luft zu arbeiten. In einer Monografie aus dem Jahr 1927 erläuterte Signac seine Gedanken zum Aquarell. Mit Leidenschaft malte er jeden Tag die Ufer der Seine in Paris, das Tal der Rhone oder besuchte Orte aus Stendhals Texten wie „Mémoires d'un touriste“. Schon 1924 hatte er sich in Lézardrieux (Bretagne) an den Ufern der Trieux niedergelassen. Sein letztes Projekt war den Häfen von Frankreich gewidmet, die er in der Tradition der Marinemaler Joseph Vernet, Nicolas Marie Ozanne und Louis Garneray festhalten wollte. Dank der Finanzierung durch den Geschäftsmann Gaston Lévy bereiste der inzwischen sechzigjährige Signac Frankreich von Hafen zu Hafen. Seine Sicht der Städte hielt er in Aquarellen fest. Er beschrieb, wie groß seine Freude daran war, dass sich jeden Tag der Himmel, die Takelage und die Hafenarchitekturen erneuerten.

Die in der Eremitage ausgestellten 140 Werke stammen aus der größten Privatsammlung Signacs und geben einen guten Überblick über die Entwicklung des Künstlers von den ersten impressioistischen Gemälden bis zu den letzten Aquarellen.

 

Beiträge zu Paul Signac

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10. November 2022
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New York | Christie’s: Paul Allen-Auktion bricht Weltrekord Seurat, Cézanne, van Gogh, Klimt | 2022

18 Weltrekorde an einem Abend: Auktion der Paul G. Allen Collection brachte neue Höchstpreise u.a. für Seurat, Cézanne, Gauguin, Van Gogh, Klimt, Manet, Jasper Johns und Lucian Freud.
  1. Zitiert nach John Leighton, Out of Seurat’s Shadow: Signac, 1863–1935, An Introduction, in: Signac 1863–1935 (Ausst.-Kat. The Metropolitan Museum of Art, New York 2001) Yale 2001, S. 3.)
  2. Das Gemälde gilt aufgrund dieser Entstehung als besonders fragil und darf nicht reisen.
  3. Zitiert nach Pierre Courthion, Georges Seurat, Köln 1991, S. 39.
  4. Zitiert nach Pierre Courthion, Georges Seurat, Köln 1991, S. 44.
  5. Zitiert nach Ebenda, S. 172.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.