Der österreichische Fotograf Manfred Willmann (* 1952) hält in seinen über mehrere Jahre hinweg aufgenommenen Serien alltägliche Szenen aus seinem unmittelbaren Lebensumfeld in Graz und der ländlichen Südoststeiermark fest. Revolutionär ist Willmann bei der Verwendung der Farbfotografie, die er als einer der ersten österreichischen Fotografen als künstlerisches Ausdrucksmittel einsetzt. Die Albertina widmet Manfred Willmann eine monografische Ausstellung, in der sechs Serien zu sehen sind, die zwischen 1979 und 2018 entstanden. Zu den Hauptwerken Willmanns zählen die einflussreichen Arbeiten „Schwarz und Gold“ und „Das Land“.
Österreich / Wien: Albertina
8.2. – 12.5.2019
Genau hinschauen
Manfred Willmanns Bilder zeigen sehr direkt und durchwegs subjektiv das Umfeld des Fotografen. Mit dem Künstlerbuch „Schwarz und Gold“ (1979–1981) analysierte er erstmals seine eigene Familie, das eigene Milieu. Die Ausstellung in der Albertina fächert das Buch in einigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf, wobei wichtig ist, dass sie in der Gesamtheit und nicht als Einzelbilder wirken. Das quadratische Format der Rolleiflex-Kamera bestimmte fortan die Bildproduktion Willmanns, mit der er sich dem Interieur und Stillleben genauso verschrieb wie der Darstellung der Menschen. Noch übersetzte er die von farbigen Mustern durchzogene Welt der späten 1970er Jahre in vereinheitlichendes Schwarz-Weiß. Häufig nutzte er eine steile Perspektive, die seinen Blickpunkt markiert. Vorhangmuster, Nippes, Geweihe und das TV-Gerät vermögen einen schnellen Einblick in die Lebenswelt von Willmanns Eltern zu geben und werfen die Frage auf: Kennt man so etwas (noch) aus der eigenen Erfahrung?
„Mein Thema ist der Mensch und sein Leben, die Natur. Manchmal arbeite ich an allem gleichzeitig, manchmal an einem Thema genauer: Der physischen Existenz besonders nahe kommen. Der Verweis auf die Natur kann nicht drastisch genug sein, um ihre Vergänglichkeit zu zeigen.“1 (Manfred Willmann, 1985)
Die Serie „Die Welt ist schön“ (1981–1983) vereint vermeintlich kitschige Blumensträuße mit Wiesenstücken, brutale Schlachthausszenen mit Porträts. Bei den mit schräger Draufsicht aufgenommenen Esstischstillleben fällt es schwer nicht an Daniel Spoerris „Fallenbilder [Tableaux piège]“ zu denken, für die der Schweizer Künstler die Überreste eines Tischgelages auf den Tischplatten fixierte. Im Carré nebeneinander an der Wand gehängt, laden sie zum Vergleich ein. Gleichzeitig arbeitete Manfred Willmann auch an einer thematisch verwandten, jedoch größeren Serie mit dem Titel „Das Land“ (1981–1993), in der der Fotograf 126 Aufnahmen aus der Umgebung seines Hauses in Pongratzen (Südweststeiermark) zusammenfasst.
„Die Welt ist schöner, als man es erträgt“, resümiert Direktor Schröder seinen Blick auf die Motive. Besonders auffallend dabei ist, dass der forschende, dokumentarische Blick des Grazer Fotografen so unvermittelt und unverfälscht in die ländliche Welt einführt. Das nahe Motiv, der Einsatz des Blitzlichts und das unbearbeitete Negativ – Willmann printet immer den gesamten Kader – ergänzen einander zu realistischen Schilderungen einer Welt an der Peripherie, die so schon nicht mehr existiert. Dabei verwahrt sich Willmann eines nostalgischen Blicks. Sein Leben in der Gemeinschaft und seine Beziehungen zu den abgelichteten Menschen verorten die Fotografien in einem System der Wertschätzung. Erwachsene, Kinder, Tiere und Pflanzen hält Manfred Willmann mit der gleichen Akribie fest.
Für Anna Hanreich, Kuratorin der Ausstellung, ist wichtig, dass sich Manfred Willmann bei seiner autobiografischen Introspektion oder der Analyse verschiedener sozialer Gruppen über einen längeren Zeitraum mit einem Thema auseinandersetzt. Formal nutzt er einen engen Bildausschnitt, setzt den Fokus auf Details. Der Einsatz des Blitzlichts hilft ihm konsequent mit einem Verfremdungseffekt zu arbeiten, der gleichzeitig die Innen- und Außenaufnahmen im gleichen Licht erscheinen lässt. Die Farbfotografien der frühen 1980er Jahre machen Manfred Willmann zu einem Pionier Österreichs, der sich an den internationalen Entwicklungen der Fotokunst intensiv beteiligte. „Manfred Willmanns Fotografien für „Das Land“ brechen mit Darstellungskonventionen des Ländlichen und Ruralen. Diese Darstellungen folgen weder der nationalistischen noch der Werbungsästhetik. Stattdessen entwickelte der Fotograf sein Bild vom Land konsequent aus der Innenperspektive“, streicht Anna Hanreich hervor.
In der Serie „Für Christine“ (1984–1988) zeigt Manfred Willmann, dass seinem Werk eine konzeptuelle Basis zugrunde liegt. Für den Fotografen setzt sich die Bedeutung dieser Serie aus der Verbindung von Konzeptueller Fotografie mit dem Aspekt des Sammelns von Bildern. Christine Frisinghelli, die Ehefrau von Manfred Willmann, ist selbst bedeutende Vorkämpferin für die Etablierung der Fotografie im Kunstkontext, Lehrende, Gründerin der Zeitschrift „Camera Austria International“ (1980) und Intendantin des Steirischen Herbstes (1996–1999). Ihrer Maxime folgend, dass Kunst und Leben miteinander verbunden sein müssen, ließ auch sie sich von Manfred Willmann fotografieren. Die berührenden Einblicke in das Sein der Herausgeberin fernab von repräsentativem Anspruch zeigen mit welcher Konsequenz, Willmann und sein Umfeld an der Idee arbeiteten, dass alles bildwürdig ist. „Für Christine“ besteht aus quer- oder hochformatigen Diptychen. Zwei direkt nacheinander belichtete Fotografien – die Negativnummern belegen das – ergeben gemeinsam ein deutungsoffenes Porträt.
Jüngere Arbeiten aus den Serien „Blitz & Enzianblau“ aber auch die aktuelle Werkgruppe „2018/2017“ zeigen ein gesteigertes Interesse des Fotografen am Close-up, am Detail. Blütenköpfe, Insekten, Essen begeistern Manfred Willmann durch ihre Haptik, ihre Farbigkeit, vermutlich auch aufgrund ihrer offenkundigen Vergänglichkeit und aktuellen Bedrohung durch Klimakrise und Pestizide. Jüngst wandte er sich der digitalen Fotografie zu, die eine noch spontanere Realisation der Bilder ermöglicht. Schnelles Fotografieren und enger Bildausschnitt verbindet der Fotograf in der Hängung mit einer rahmenlosen Präsentation, bei der Bilder wie in einem Film ineinander übergehen. Sehenswert!