1952 in der Galerie Commeter, Hamburg: Der persönliche Kontakt mit Emil Nolde bedeutete für den damals 32-jährigen Herbert Beck (1920–2010) eine Offenbarung. Der Farbenmagier des Expressionismus erzielte in der Aquarelltechnik erstaunliche, aber immer fein nuancierte Ausdrucksmöglichkeiten, die er dem Leipziger im Gespräch näherbrachte. Der geborene Leipziger, der 1948 aus der DDR floh, hatte sich in Tegernsee niedergelassen und bis zu diesem Erlebnis hauptsächlich der Ölmalerei gewidmet. Nolde öffnete Beck die Augen für die Qualitäten der Aquarellmalerei: die Leuchtkraft der Farben, die schnelle, spontane Ausführung, das Fließenlassen des Malmittels.
Österreich | Wien: Beck & Eggeling International Fine Art
29.11.2018 – 2.3.2019
Deutschland | Tegernsee: Olaf Gulbransson-Museum
24.6. – 30.9.2018
Herbert Beck hatte 1952 bereits seine zweite Einzelausstellung in der Galerie Commeter, die auch Emil Nolde vertrat. „Eines Tages“, erzählt Michael Beck aus dem Leben seines damals 32-jährigen Vaters, „kam ein älterer Herr mit einer Mappe unter dem Arm in die Galerie. Mein Vater erkannte Emil Nolde, und der Geschäftsführer stellte die beiden einander vor. In der folgenden Stunde sahen sie die ungerahmten Blätter Noldes in der Mappe durch. Danach hat mein Vater monatelang experimentiert, wie Nolde diese Aquarelle gemacht hat.“ Herbert Becks Ölgemälde waren bis zu diesem Zeitpunkt sehr viel dunkler als das, was wir hier sehen. Damit war die Begegnung eine Initialzündung. Die Bewunderung für die Aquarelle führte ihn soweit, dass er immer wieder einige erwarb. „In dieser Zeit war Emil Nolde auf dem Höhepunkt seines Ruhmes“, erklärt Christian Ring, Direktor der Nolde Stiftung Seebüll und Co-Kurator der Galerie-Ausstellung. „Er wurde auf wichtigen Ausstellungen präsentiert und mit vielen Ehrungen überhäuft. Mit Commeter war er seit 1910 eng verbunden, als die Hamburger Galerie die religiösen Bilder präsentierte und auch verkaufte.“
Das innere Licht, das Leuchten der Nolde-Aquarelle faszinierte – nicht nur – Herbert Beck, was der expressionistische Künstler auf dünnem Japanpapier in vielen Schichten zu evozieren vermochte. Die Geschichte vom schnell gestaltenden Nolde ist teils Mythos und teils Realität. Emil Nolde war ein akribischer Aquarellmaler, zeigt sich Christian Ring überzeugt. Der zurückgezogen lebende Maler hat sich bei der Ausführung viel Zeit gelassen, die Blätter immer wieder überarbeitet. Das saugfähige Japanpapier wurde so sehr mit Aquarellfarbe durchnässt, dass sogar die Rückseite Farbe trägt. Manchmal hat Nolde sogar an der Rückseite weitergemalt.
Im Gegensatz zu Nolde arbeitete Herbert Beck auf dickem Büttenpapier, das er mit einer sehr wässrigen hellen Grundierung einstrich. In diese schwimmende, nasse Farbe arbeitete Beck hinein und ließ Farbtöne schwimmen. Dabei ließ er die Komposition kontinuierlich zuwachsen. Kleinformatige Aquarelle entstanden aus Abstreifpapieren. In ihnen fand Herbert Beck bildwürdige Kompositionen, zwar unbewusst geschaffen aber dennoch überzeugend. Das Medium Aquarell bedeutete für Herbert Beck ein freieres Arbeiten. Diese Überzeugung ist auch für Emil Nolde kennzeichnend. Beide übertrugen Aquarelle auch in Ölmalerei, wobei die Spontaneität der ersten Idee erhalten blieben, zeigen sich Michael Beck und Christian Ring gleichermaßen überzeugt.
Die teils großformatigen Aquarelle Becks wirken bei näherer Betrachtung etwas kompakter und zeigen gänzlich andere Themenschwerpunkte. Bei aller Nachbarschaft zum Werk Emil Noldes vor allem in der Landschaft ist der Norddeutsche seiner Heimat eng verbunden und zeigt reetgedeckte Bauernhöfe, die manchmal vedutenhaft vor der Natur entstanden sind. Im Gegensatz dazu gibt es bei Beck keine topografischen Anhaltspunkte, die man zuordnen könnte. Die Seelenlandschaften Herbert Becks sind der Seelenlandschaft näher und daher bar eindeutig erkennbarer Sujets.
Die Grotesken Noldes, die das Wesen von Menschen aus Noldes Umgebung einfangen und Beziehungen überzeichnet auf den Punkt bringen, treffen auf Becks Köpfe. Als Masken zeigen sie die Persona, die öffentlich präsentierten Fassaden von Menschen im Allgemeinen. In Einzelbildern oder in einer Neuner-Serie in der Galerie gehängt, zeigen sie aber auch das Nachdenken des Künstlers über die Undurchdringbarkeit eines menschlichen Gesichts. Handelt es sich um Opfer oder gar um Täter? Die Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs haben Beck nie ganz verlassen. Nolde hingegen identifizierte sich mit einigen Vokabeln der NS-Ideologie, was 2019 im Hamburger Bahnhof, Berlin, in einem großen Ausstellungsprojekt vorgestellt werden wird (→ Emil Nolde im Nationalsozialismus). Während Nolde das Wesen der Menschen, Landschaften und Blumen erfassen wollte, zeigt sich Herbert Beck in dieser Frage skeptischer.
„Beck trifft Nolde“ präsentiert einen weltberühmten und einen in Wien erst zu entdeckenden Aquarellisten. Herbert Beck hält dem Vergleich stand und führt die atemberaubende Technik des deutschen Expressionisten, der kurz nach ihrem Zusammentreffen 1956 verstarb, in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weiter. Damit kann man Herbert Beck als Bindeglied zwischen dem deutschen Expressionismus und den Jungen Wilden der 1970er Jahre bezeichnen. Zwischen den beiden Generationen bediente er sich einer expressiven, figurativen Bildsprache, die in den letzten Jahren neben der vorherrschenden abstrakten-informellen Stilrichtung als wichtiger Beitrag der Kunst der Nachkriegszeit erkannt wird.
Ich danke Michael Beck und Christian Ring für das erhellende Gespräch über Herbert Beck und Emil Nolde, das diesen Beitrag erst möglich gemacht hat.