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Bregenz | Kunsthaus Bregenz: Ai Weiwei. Art /Architecture Architekturprojekte und Inhaftierung | 2011

Herzog & de Meuron in Zusammenarbeit mit Ai Weiwei, Nationalstadion (Das Vogelnest), Hauptstadion für die Olympischen Spiele 2008. Ausstellungsansicht 1. OG, Kunsthaus Bregenz; Foto: Markus Tretter. © Kunsthaus Bregenz

Herzog & de Meuron in Zusammenarbeit mit Ai Weiwei, Nationalstadion (Das Vogelnest), Hauptstadion für die Olympischen Spiele 2008. Ausstellungsansicht 1. OG, Kunsthaus Bregenz; Foto: Markus Tretter. © Kunsthaus Bregenz

Als Ai Weiwei vor eineinhalb Jahren zu einer großen Einzelausstellung im Kunsthaus Bregenz eingeladen wurde, ahnte noch niemand die Situation voraus, in der wir uns heute befinden. Anfang April 2011 wurde Ai Weiwei am Flughafen von Peking festgenommen und bis zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes im Mai 2011 fehlt von ihm jede Spur. Weder seine Familie noch sein Team wissen, wo genau er sich befindet und wie es um ihn steht.

Bis dato gibt es keine konkrete Anklage von offizieller Seite. Den regierungsnahen chinesischen Zeitungen ist lediglich zu entnehmen, dass man ihm Wirtschaftsdelikte und Bigamie vorwirft – so wurde es auch in anderen Fällen praktiziert, um missliebige, kritische Kulturschaffende zu diskreditieren und schließlich zu langen Haftstrafen verurteilen zu können. Als Reaktion auf das Verschwinden von Ai Weiwei hat es viele Proteste von einflussreichen Politikern wie dem amerikanischen Präsidenten oder den Außenministern von Österreich und Deutschland gegeben, und führende Intellektuelle, Nobelpreisträger und sehr viele Kulturschaffende haben sich für den Künstler stark gemacht. Hinzu kamen Aktionen und Unterschriftenaufrufe einer Vielzahl von Kunstinstitutionen, an denen sich auch das Kunsthaus Bregenz beteiligte.

Die Verantwortlichen des KUB sind in den letzten Wochen des Öfteren gefragt worden, ob sie auch unter den gegebenen Umständen die Ausstellung realisieren werden - Ihnen erscheint die Präsentation des Werks von Ai Weiwei heute nötiger denn je. Nicht nur weil die Schau im Kunsthaus Bregenz mit ihrer Konzentration auf seine Architekturprojekte einen bisher eher unterrepräsentierten Aspekt der breit gefächerten Arbeiten beleuchtet, sondern vor allem weil die Überzeugung vorherrscht, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar ist, das Interesse und die Diskussion um das Schaffen dieses bedeutenden Künstlers und seine Unrechtbehandlung durch den chinesischen Staat im Blick der Öffentlichkeit zu halten. Wenngleich Ai Weiwei mit Ausstellungen auf der ganzen Welt in den letzten Jahren für Furore gesorgt hat, auf der „documenta 12“ (2007) zu den am meisten beachteten Teilnehmern zählte und vor nicht allzu langer Zeit mit großen Einzelausstellungen und Projekten im Haus der Kunst in München (2009/10) sowie in der Turbinenhalle der Tate Modern in London (2010/11) überzeugte, verhindert sein aktueller Freiheitsentzug jede öffentliche Stellungnahme von seiner Seite.

 

Ai Weiwei und die Architektur

Ungeachtet der Tatsache, dass die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz nicht als Reaktion auf die aktuellen Ereignisse geplant war, kommt ihr eine besondere Bedeutung zu, weil die Auswahl der Werke und ihre räumliche Abfolge von Ai Weiwei selbst in enger Zusammenarbeit bis ins Detail konzipiert wurde. Dabei waren der Künstler und Verantwortlichen des KUB sich gleich zu Beginn einig, dass nicht nur die formalen Kriterien und die kulturelle Verortung seiner Architektur thematisiert werden, sondern auch auf deren soziale und politische Bedeutung eingegangen werden muss. Ai Weiweis Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation in China, den strukturellen und urbanistischen Problemen der Gesellschaft dort, hat immer wieder dazu geführt, dass er von der chinesischen Regierung mit Repressionen belegt wurde. Vor zwei Jahren wurde dem Künstler beispielsweise von der Polizei eine schwere Kopfverletzung zugefügt, als er sich für die Aufklärung der Einstürze von Schulgebäuden während des Erdbebens in Sichuan einsetzte, durch die Kinder ums Leben gekommen waren. Die Baumängel, die das Unglück verursacht hatten, waren auf Korruption zurückzuführen.

Auch der im letzten Jahr veranlasste Abriss seines kurz zuvor fertig gestellten Atelierkomplexes in Shanghai muss als ein weiteres Druckmittel gedeutet werden, mit dem der Staat Ai Weiwei einzuschüchtern versuchte. Der Künstler ließ sich jedoch nicht von seiner kritischen Haltung abbringen, filmte die Zerstörung seines Ateliers und schuf so eine Videoarbeit, die in der Bregenzer Ausstellung zu sehen sein wird. Außerdem werden seine bekannten Videos gezeigt, in denen er in statischen Aufnahmen die Ringautobahnen von Peking filmt und dadurch einen beredten Kommentar von der urbanen Situation der Stadt gibt. Insgesamt konzentriert sich die Ausstellung im KUB auf die exemplarischen Architekturprojekte Ai Weiweis, die entweder von ihm und seinem Studio oder aber in Zusammenarbeit mit anderen Architekturbüros entwickelt werden. Dramaturgisch ist die Präsentation so aufgebaut, dass sie mit Architekturmodellen, Plänen, Fotografien und Videodokumentationen zu konkreten Bauvorhaben im ersten Stock beginnt, in den folgenden zwei Stockwerken das Thema der Baukunst zunehmend abstrakter wird. Neben seinem Atelierkomplex in Shanghai werden im ersten Obergeschoss auch Bauten vorgestellt, die zusammen mit dem jungen Schweizer Büro HHF architekten geschaffen wurden.

Zu den Höhepunkten der Architekturkooperationen zählt sicher Ai Weiweis Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron, die er in der Planung des berühmten Nationalstadions in Peking (2008) beriet. Außerdem zeigt das KUB ebenfalls von dem Schweizer Duo in Gesprächen mit Ai Weiwei geplante Kooperationsprojekt Jindong New District, das zwar weniger bekannt, aber in seiner spezifischen Ausformulierung ebenso bemerkenswert ist. Den Auftrag für den neu entstehenden Stadtteil Jindong der Millionenstadt Jinhua in der südchinesischen Provinz Zhejiang erhielten Herzog & de Meuron durch die Vermittlung Ai Weiweis, der ursprünglich hier für engagiert war. Dieser zog aber eine Zusammenarbeit mit dem Schweizer Büro für Jinhua – den Geburtsort seines Vaters und in China sehr verehrten Dichters Ai Qing – vor.

 

 

ORDOS 100 und Moon Chest

Im zweiten Obergeschoss des Kunsthaus Bregenz wird eine neue, anlässlich der Ausstellung entstandene, spektakuläre Arbeit von Ai Weiwei zu sehen sein, welche die gesamte Fläche von 500 m2 des Stockwerks einnimmt und die allein aufgrund ihrer ästhetischen Sonderstellung zwischen Architekturmodell und freier künstlerischer Arbeit beeindruckt. Ausgangspunkt dieses Werks ist die Architekturkooperation ORDOS 100, für die der Künstler vor drei Jahren 100 junge Architekturbüros aus der ganzen Welt eingeladen hatte, entsprechend einem von ihm konzipierten Masterplan Einfamilienhäuser in der mongolischen Steppe zu entwerfen.

Im obersten Geschoss wird die Arbeit „Moon Chest“ (2008) in einer eigens hierfür entwickelten Anordnung ausgestellt. Hierbei handelt es sich um eine freie, nicht konkret auf eine bestimmte Architektur hin realisierte Arbeit. Auch wenn diese eine klassische autonome Skulptur in der Tradition der Minimal Art ist, erinnert sie gleichzeitig mit ihren spezifischen rechteckigen und lang gezogenen Formen an Hochhäuser. Sollte Ai Weiwei bis zur Eröffnung im Juli 2011 nicht frei sein, will das Kunsthaus Bregenz die große Popularität der Ausstellung nutzen, um sich für den Künstler einzusetzen. Hierzu sind mehrere Solidaritätsprojekte geplant.

Quelle: Kunsthaus Bregenz

 

Ai Weiwei Art /Architecture: Katalog

Yilmaz Dziewior (Hg.)
Mit Essays von Yilmaz Dziewior, Reto Geiser und Andres Lepik
Gestaltung: Dorén + Köster, Berlin
ca. 144 Seiten, 22 x 30 cm, Hardcover, Leinen mit Schutzumschlag
Deutsch / englisch

 

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.