Die Ausstellung „Picasso 1939–1945“ im K20 erzählt mit Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen und Zeitdokumenten aus den Jahren 1939 bis 1945 von dem Menschen Pablo Picasso während des Zweiten Weltkriegs und den Widersprüchen des Alltags in diesen Zeiten. Die Picasso-Ausstellung in Düsseldorf setzt mit der französischen und britischen Kriegserklärung am 3. September 1939 an und endet mit dem Sieg der Alliierten am 8. Mai 1945. In dieser Zeit lebte Picasso in Paris in der Rue des Grands-Augustins, wo er 1937 Guernica gemalt hatte. Michel Leiris erkannte bereits klar, dass Picasso sich einer unmittelbaren, spontanen und figurativen Malerei verschrieb, die ohne Intellektualismus auskommt und in der Kunst und Leben unentwirrbar miteinander verwoben sind. In den schwarzen Jahren schuf er eine zerrissene Malerei für eine zerrissenen Epoche.
Deutschland | Düsseldorf: K20
15.2. – 14.6.2020
verlängert bis 26.7.2020
Obschon während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Paris Picassos Werke als „entartet“ diffamiert wurden und nicht ausgestellt werden durften, arbeitete der Maler wie besessen an Ölgemälden und Plastiken weiter. Unmittelbar vor Kriegsbeginn am 3. September 1939 war Picasso von Paris aus nach Südwestfrankreich geflohen, kehrte aber im August 1940 in die von den Deutschen besetzte Hauptstadt zurück. Bis zur Befreiung von Paris im August 1944 lebte er dort zurückgezogen in seinem Atelier.
„Ich habe nicht den Krieg gemalt, weil ich nicht zu der Sorte von Malern gehöre, die wie ein Fotograf etwas darzustellen suchen. Aber ich bin sicher, dass der Krieg Eingang genommen hat in die Bilder, die ich geschaffen habe.“1 (Pablo Picasso in einem Interview mit Peter Whitney, August 1944)
Die Phase 1939 bis 1945 im Werk von Picasso ist weniger bekannt und populär als andere Phasen in dessen Karriere. Auffallend an den in der ersten Hälfte der 1940er Jahren entstandenen Gemälden und Plastiken ist, dass sie keine Opfer, Waffen oder Kämpfe zeigen. Stattdessen beschäftigte sich der Künstler tagtäglich mit Stillleben, Porträts, Landschaftsbildern und Akten. Die dunklen Vanitas-Motive der Stillleben erzählen auf ihre Weise von Tod und Tragödien. Das lässt an eine Beobachtung von Christian Zervos denken. Picassos Biograf stich die „beispiellose Fähigkeit, sich für die Dinge in seiner Umgebung zu begeistern“ hervor. Er zählte zwischen 1937 und 1945 über 2.200 Gemälde, was die energiegeladene Produktivität des Spaniers eindrucksvoll unter Beweis stellt. Und dennoch: Schlichtheit und Banalität der gewählten Themen prallt auf eine formale Gewalt und Zerstörung der Integrität so mancher Form.
Das K20 in Düsseldorf widmet sich den Kriegsjahren Picassos, um einen Wendepunkt im Werk des Malers vorzustellen. Picasso hatte sich – im Unterschied zu vielen anderen Künstlern – bewusst entschieden, in Paris zu bleiben. Die Allgegenwart von Tod, Leiden und Angst sublimierte der Maler in einem rauen, schonungslosen und bisweilen wenig gefälligen Stil. Auffallend sind die ungestümen Verzerrungen, die Picasso den Bildgegenständen und Menschen in seinen Bildern auferlegte. Zum Symbol der Hoffnung wird für ihn der „Mann mit Schaf“, eine antiheroische Figur als Beschützer der Schwachen und damit ein Gegenbild zu Brekers Skulpturen, die Picasso im Juli 1942 in der Orangerie des Tuileriengartens gesehen hatte. Als Reaktion darauf schuf er „Mann mit Schaf“, und stellte sich damit in Nachfolge von Auguste Rodins „Johannes der Täufer“.
In der jüngeren Forschung wurden drei Werke benannt, die explizit und unmittelbar den Krieg thematisieren: das Theaterstück „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“ (1941), die Skulptur „Mann mit Schaf“ (1943) und das Gemälde „Das Leichenhaus“ (1945).
Eine Ausstellung des Musée de Grenoble in Kooperation mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.
„Als die Deutschen in Frankreich ankamen, war ich in Royan, und eines Tages habe ich ein Frauenporträt gemalt – es war Dora Maar –, und als die Deutschen ein paar Tage später Royan erreichten, habe ich bemerkt, dass der Kopf einem deutschen Helm ähnelt.“2 (Picasso an Daniel-Henry Kahnweiler)
Dora Maar war die Muse und das Lieblingsmodell Picassos während der Kriegsjahre. Ihre komplexe Beziehung lässt den Maler als fordernden und sein Gegenüber gleichsam verzehrenden Mann erscheinen. Ihr Konterfei ging als „weinende Frau“ in die Kunstgeschichte ein. Dora Maar erscheint als Zerrissene, Entstellte, Schreiende, um Angst, Trauer und Wut Picassos ein Gesicht zu geben. Dora Maar trauerte 1937 über Guernica und in der Folge ganz Spanien. Nach der Besatzung von Paris durch die deutsche Armee ließ Picasso sie wie einen Kommentar zur aktuellen Situation Toben. Ohne sich mit dem Geschehen auf den Straßen illustrativ auseinanderzusetzen, wählte Pablo Picasso die Malerei als Waffe gegen die NS-Politik:
„Für mich ist sie die weinende Frau. Vor Jahren habe ich sie in verzerrten Formen gemalt, nicht aus Sadismus und auch nicht mit Vergnügen, sondern nur einer Vision folgend, die sich mir aufzwang. Es war eine tief verwurzelte Realität.“3 (Pablo Picasso, in: Françoise Gilot, Carlton Lake, Leben mit Picasso, 1965)
Picasso lebte während des „Sitzkriegs“ ein Jahr lang in Royan, danach arbeitete er in seinem riesigen Pariser Atelier in der Rue des Grands-Augustins und traf Freunde im Restaurant Le Catalan. Dort entstanden vornehmlich Frauenporträts und Akte aber auch Stillleben. Picasso beteiligte sich in den Kriegsjahren nie aktiv in der Résistance und setzte – mit Ausnahme von „Guernica“ von 1937 – dem Krieg nicht direkt in seinen Werken um. Dennoch arbeitete er unbeirrbar und kompromisslos in der inneren Emigration weiter an seinem Werk. Die Skizzenbücher der Jahre 1939 bis 1944 sind voll mit Notizen zu verzerrten Akten und Gesichtern, bar jeglichen Hinweises auf die Schönheit seines Modells. In den ersten Monaten des Jahres 1940 wechseln einander harmonische und verzweifelte Figuren ab – in den folgenden Jahren setzten sich die weinenden und schreienden Frauen durch.
Neben den Frauen-Bildern Picassos sind aus den Jahren 1939 bis 1944/45 vor allem Stillleben bekannt. In ihnen reflektierte der Maler die grassierende Nahrungsmittelknappheit und die Rationierung. Die allgegenwärtige Entbehrung verkörperte er mittels Tierschädel und Totenköpfen. Obwohl er seine Bilder weder ausstellen noch verkaufen durfte, arbeitete Picasso wie besessen weiter, umgeben von seinen Freunden. Von den deutschen Machthabern beobachtet und immer wieder von der Gestapo bedroht, überlebte Picasso, da ihm der Verwalter seines Sommerhauses in Boisgeloup, der Gärtner Alfred Réty, Essen nach Paris schickten. Picasso lotet vor allem die niedersten Sphären der Existenz aus, indem er die gewöhnlichsten, einfachsten Lebensmittel zeigt. Für Brigitte Leal stellen diese Stillleben „eine Art volkstümliche Dramaturgie [dar}, die fest mit der zermürbenden Alltagswirklichkeit der Lebensmittelrationierung verwachsen ist“.4 Im Gegensatz dazu stellte Georges Braque beispielsweise Brote und Fische, Schädel und Kruzifixe dar, mit denen er um die christlichen Motive des Fastens und der Erlösung kreiste.
Die Suche nach Lebensmitteln führte dazu, dass Jaime Sabartés über Picassos-Stillleben sogar urteilte, der Spanier hätte sich den Werken eines Vaters angenähert:
„[Picasso] malte Bilder für Esszimmer; Rebhühner und Tauben, Hasen und Kaninchen: Fell und Federn waren darauf zu sehen.“5
Susanne Gaensheimer, Kathrin Beßen (Hg.)
mit Beiträgen von Susanne Gaensheimer, Sophie Bernard, Stéphane Guégan, Brigitte Léal, Laurence Madeline, Guitemie Maldonado, Martin Schieder, Guy Tosatto
331 Seiten, 288 farbige und 52 s/w Abb.
28,0 x 22,0 cm, Hardcover
ISBN 978-3-86832-562-1
Wienand Verlag