Erika Giovanna Klien
Wer war Erika Giovanna Klien?
Erika Giovanna Klien (Borgo Valsugana 12.4.1900–19.7.1957 New York) war eine österreichisch-US-amerikanische Künstlerin des Kinetismus und der Moderne der 1920er Jahre. Als Schülerin von Franz Čižek an der Wiener Kunstgewerbeschule gehört Erika Giovanna Klien zu den wichtigsten jungen Positionen neben jenen von Elisabeth Karlinsky und My Ullmann.
Kindheit
Erika Giovanna Klien wurde am 12. April 1900 in Borgo Valsugana, Trentino, im Kaiserreich Österreich-Ungarn (heute Südtirol, Italien) geboren. Sie war die Tochter des k.u.k. Eisenbahnbeamten Franz Klien und der ehemalige Kindergärtnerin, die ihrer Tochter bei Zeichen- und Malversuchen ermutigt und geleitet haben dürfte.1 Nicht ganz so begeistert über die künstlerischen Avancen seiner Tochter Erika, vor allem auf Grund ihrer schlechten Schulnoten.
Ausbildung
Nach der Versetzung des Vaters von Salzburg nach Wien inskribierte die verhinderte Schauspielerin an der Kunstgewerbeschule – wohl das äußerste Zugeständnis des Vaters an die Neigungen der Tochter.
Erika Giovanna Klien studierte von 1919 bis 1925 Kunst an der Wiener Kunstgewerbeschule (heute: Universität für angewandte Kunst Wien).2 Zu ihren Lehrern gehörten Victor Schufinsky, Frank Čižek, Rudolf Larisch und Reinhold Klaus.
Ihr wichtigster Lehrer war Franz Čižek, bei dem sie im Fach Jugendstil als studentische Hilfskraft arbeitete. In seinen Kursen zur Ornamentalen Formenlehre (bis 1924/25) und seiner Kinderkunstklasse wurde sie in den neuen Kunststil Kinetismus eingeführt. Dieser Stil hebt Bewegung und moderne Vitalität hervor. Er ist an den französischen Kubismus, den italienischen Futurismus und den russischen Konstruktivismus angelehnt. Im Lauf ihres Lebens entwickelte Erika Giovanna Klien die Theorie und Technik des Kinetismus weiter und wurde zur bedeutendsten Vertreterin dieser Kunstrichtung. Elisabeth Karlinsky und My Ullmann zählten zu Kliens Studienkolleginnen und prägten mit ihr gemeinsam die Ausformung des Kinetismus.
Die 21-jährige Klien hatte Anfang der 1920er Jahre bereits eine Sonderstellung bei Čižek und begann als Klassenstar künstlerisch eigene Wege zu gehen.3 Zugleich war ihr die zyklische Wiederkehr bestimmter Übungsinhalte für jüngere Semester förderlich im Denken und Tun quasi ein Rückkopplungs- als Verstärkungseffekt. Erika Giovanna Klien veranschaulicht mit ihren Arbeiten der frühen 1920er Jahre Čižeks dialektische Methode am besten: Analytischem Strukturieren von Seheindrücken folgt – bei aller Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit – die konstruktive Synthese. Von allen in der Klasse scheint sich Klien am stärksten dem Einfluss des Konstruktivismus geöffnet zu haben, der vor allem durch die ungarischen Künstler des MA-Kreises im Wiener Exil vermittelt wurde: Die Ausstellung von Bela Uitz (1887–1972), die 1923 im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute: MAK), regte sie ebenso an wie die aktivistische Ideologie des Dadaisten Lajos Kassák (1887–1967).
„Salzburg, 10 September 1923 – Lieber Herr Rochowanski – Vor zwei Jahren habe ich Salzburg kubistisch -dann kinetisch studiert – jetzt kommt der Construktivismus dazu und ich muß mir die ganze Stadt neu erkämpfen jedes Haus – jede Kirche – die ich liebe – das Meer von Rauchfängen in der alten Stadt - so habe ich schon viele Stadien durchgemacht u. viele Arten des Aufbaus der Dinge kennengelernt und mein Reichtum wird immer unendlicher u. meine Liebe tiefer - ich grüße Sie herzlichst Erika Giovanna Klien.“4 (Karte von Erika Giovanna Klien an Leopold Wolfgang Rochowanski, Privatsammlung, Wien)
Ihren Hang zum Exzentrischen lebte Erika Giovanna Klien einerseits mit amourösen Eskapaden aus, andererseits stilisierte sie sich ihren Studienkolleg:innen gegenüber, darunter Elisabeth Karlinsky und My Ullmann (→ Wien | MAK: My Ullmann), als närrisch exaltiertes, aufregend gekleidetes wie rätselhaftes Wesen.5
1924 gewann Erika Giovanna Klien den New-York-Preis. Sie war nun so bekannt, dass Künstler:innen wie Broncia Koller-Pinell sich mit ihrer Kunst zu beschäftigen begannen. Gleichzeitig entwickelte Klien ein besonderes Interesse für Schauspiel und Marionettentheater. Der und Polyartist L. W. Rochowanski (1888–1961) und seine Frau Friederike Hochstim, die als Duo Boris und Katja Kandinsky auftraten, führten Klien in die aktivistische Szene Wiens ein. Rochowanski ermutigte sie zudem zum Besuch der Schauspielschule, was Klien 1922/23 auch tat. Aus ihrem Faible für darstellende Kunst entwickelt sie ihr Projekt eines kinetischen Marionettentheaters, für das sie ein Bühnenstück mit gesellschaftspolitisch-kämpferischer Handlung verfasst.
Mitte der 20er Jahre arbeitete Klien auch an Buchstabenbildern. Inmitten dieser konstruktivistischen Phase entdeckte die junge Künstlerin plötzlich das Primitive der Kinderkunst (1924/25) und schwenkte zu einer Art infantilem Stil, jedoch bei raffinierten Bildfindungen. Dies markierte auch das Ende der Entwicklung des Wiener Kinetismus, da die Formenlehre-Klasse in ein „Durchhaus“ für Anfänger:innen umgewidmet wurde.
„Die Klien hat Kristalle gezeichnet und hat die Flächen verlängert gehabt ... ich hab es die Kubische Existenz der Dinge genannt, ... wie so ein Ding eingebettet ist in die Kubischen Exforationen [Exformationen?], Ausströmungen ... Ausschleuderungen ... da hat die Klien auch den Stephansdom gemalt ... wie diese Fialen und Krabben so ausstrahlen, der ganze Turm eingebettet.“6 (Leopold Wolfgang Rochowanski, Notizbuch 1 Meine Gespräche mit Čižek, Gespräch 21. 12.1944, Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Handschriftensammlung, Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski)
Werke
1925 schloss Erika Giovanna Klien ihre Ausbildung zur Kunstpädagogin bei Franz Čižek ab und bezog ein Atelier in Purkersdorf. Sie arbeitete als Gebrauchsgrafikerin und verdiente ihren Lebensunterhalt mit der Gestaltung von Spielzeug.
Franz Čižek lud Klien zu verschiedenen internationalen Kunstausstellungen ein, u. a. zur Pariser Kunstausstellung 1925, der sogenannten „Art Deco“-Ausstellung, und der New Yorker „International Exhibition of of Modern Art“ im Jahr 1926/27 im New Yorker Brooklyn Museum. Klien war dort die einzige Vertreterin der österreichischen Moderne, eine der wenigen beteiligten Frauen und prominent zuoberst im Katalog angeführt (unter Austriae); doch als einzige nicht als Künstlerin per se, sondern unter dem Label „Čižek Methode“.7 Kliens Nahverhältnis zum angeschwärmten Lehrer prägte weit über die Zeit an der Kunstgewerbeschule hinaus ihre eigene künstlerische Entwicklung. Die damit verbundene Bereitschaft oder Notwendigkeit, das eigene künstlerische Wollen hintanzustellen, waren ihrer Anerkennung als frei schaffende Künstlerin nicht gerade förderlich.8
Zudem ist Klien die einzige seiner Schüler:innen, die in völliger Identifikation mit Čižeks Pädagogik diese weiterentwickelt hat. Ihr Lehrer betrachtete seine pädagogische Tätigkeit als schöpferisches Künstlertum, was sich entscheidend auf Kliens Selbstverständnis auswirkte. Zwischen 1926 und 1928 unterrichtete Erika Giovanna Klien an der Elizabeth Duncan School in Klessheim. Werke von Klien wurden 1928 auf dem „4. Internationalen Kongress für bildende Kunst“ in Prag ausgestellt.
Am 27. November 1928 brachte die unverheiratete Künstlerin in Graz ihren Sohn Walter Klien zur Welt, der bei steirischen Pflegeeltern aufwuchs und später ein bekannter Pianist wurde. sie Ihrer in der Zwischenzeit verwitweten Mutter verschwieg Klien das Kind zeitlebens (der Vater war ein verheirateter jüdischer Geschäftsmann). Ihr Bruder sah nach dem Sohn.
USA
Im Jahr 1929 wanderte Erika Giovanna Klien aus Karrieregründen in die USA aus. Gleichzeitig exportierte sie neue Theorien der Kunstbildung für Kinder aus Wien in die Vereinigten Staaten. Um für sich und ihren Sohn den Lebensunterhalt zu verdienen, unterrichtete sie in New York von 1930 bis 1940 gleichzeitig an der Stuyvesant High School, an der Spence School, an der Dalton School. Nach anfänglichem Überschwang erfuhr Klien bald Isolation und die Härten des Überlebenskampfes. Die Aussicht auf eine Rückkehr in die Heimat wurde nach Kriegsausbruch unwahrscheinlich. Über den Bedarf an CARE-Paketen in Österreich gelang ihr zumindest die Kontaktaufnahme mit ihrem mittlerweile 17-jährigen Sohn. Die Künstlerin nutzte dies als Möglichkeit der Kompensation ihrer verabsäumten Mutterrolle.
In Amerika machte Erika Giovanna Klien auch als Verfasserin theoretischer Schriften über Kunsterziehung, zum Unterricht und zum Architekturunterricht auf sich aufmerksam (1932, 1934/35, 1940). 1938 erhielt sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.
Ab 1944/45 versuchte Klien, als Gebrauchsgrafikerin Fuß zu fassen. Da dies nicht gelang, unterrichtete sie zwischen 1946 bis 19151 an der Walt Whitman School. Danach war sie als freischaffende Künstlerin tätig.
Vogelflug
Im Jahr 1934 unternahm Klien eine Reise nach New Mexiko, setzte sich mit der indianischen Kultur auseinander und begann an der abstrakten Vogelflugserie zu arbeiten. Sie bemühte sich mittels eines Lichtinstruments Animationen eines Vogelfluges für die Bühne zu erschaffen, um daraus anschließend Linolschnitte zu machen. Ihr künstlerisches Interesse galt der Bewegung der Menschen, Tiere und Pflanzen, technischen Geräten und Verkehrsmitteln wie U-Bahnen.
Tod
Am 19. Juli 1957 erlitt Erika Giovanna Klien einen Herzinfarkt, an dem sie verstarb.
Literatur zu Erika Giovanna Klien
- Ulrike Matzer, Die drei Stars der Klasse: Klien – Ullmann – Karlinsky, in: Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde, hg. von Monika Platzer und Ursula Storch (Ausst.-Kat. Wien Museum, 25.5.–1.10.2006), Ostfildern 2006, S. 60–68.
- Erika Giovanna Klien Wien 1900–1957 New York, hg. v. Bernhard Leitner (Ausst.-Kat.), Ostfildern-Ruit 2001.
- Erika Giovanna Klien. Wien 1900–1957 New York (Ausst.-Kat. Gemäldegalerie Michael Kovacek), Wien 2001.
- Marietta Mautner Markhof, Erika Ciovanna Klien - Leben und Werk.
- Erika Giovanna Klien 1900–1957, hg. v. Marietta Mautner-Markhof und Susanne Neuburger (Ausst.-Kat. Wien), Wien 1987.
- Künstlerinnen: Österreich 20. Jahrhundert, hg. v. Peter Baum (Ausst.-Kat. Neue Galerie Linz), Linz 1983.
- Michael Pabst, Erika Giovanna Klien 1900-1957, Wien 1975.
