Helene Schjerfbeck: finnische Malerin der Moderne | ARTinWORDS

Helene Schjerfbeck

Wer war Helene Schjerfbeck?

Helene Schjerfbeck (Helsinki 10.7.1862–23.1.1946 Saltsjöbaden) war eine finnlandschwedische Malerin des Naturalismus und der Klassischen Moderne (→ Naturalismus 1875-1918 | Klassische Moderne). Schjerfbecks Anfänge liegen in der akademischen Ausbildung in der Historienmalerei und dem Realismus. Über die Entwicklung eines persönlichen Konzepts von Licht und Farbe führte sie ihr künstlerischer Weg bis hin zur Reduktion und Verselbständigung der bildnerischen Mittel.

Schjerfbeck schuf knapp 1.000 Gemälde. Darunter sind vor allem die Selbstporträts der Künstlerin und ihre Stillleben bekannt.

„Die Seele des Modells – was könnte ich darüber sagen. Sie sitzen da, manche von ihnen geben etwas, was um sie ist, strahlen etwas von dem aus, was alles weich macht und das man gerne malen möchte.“1

Kindheit

Helena Sofia Schjerfbeck wurde am 10. Juli 1862 in Helsinki, Großfürstentum Finnland, als Tochter des Eisenbahnangestellten Svante Schjerfbeck (1833–1876) und dessen Ehefrau Olga Johanna (geb. Printz, 1839–1932) geboren. Die Familie stammte aus Smaland, ihre Muttersprache war Schwedisch. Der Großvater war mit einem schwedischen Regiment nach Finnland gekommen; der Vater verlor durch Konkurs seinen Besitz und arbeitete als Bürovorsteher bei der Eisenbahn. Helena hatte eine ältere Schwester namens Olga Sofia (1858–1861), die allerdings vor ihrer Geburt bereits verstorben ist. Der ebenfalls ältere Bruder trug den Namen Magnus (1860–1933).

Als Vierjährige brach sich Scherfebck 1866 die Hüfte, was dazu führte, dass sie die Schule nicht besuchen konnte und zeit ihres Lebens hinkte. Auch musste sie deshalb in späteren Jahren eine Lehrtätigkeit aufgeben, weil ihr der Aufstieg zu den Unterrichtsräumen zu beschwerlich war. Helene Schjerfbeck wurde deshalb zuhause in einer kleinen Gruppe von Kindern unterrichtet. Schjerfbeck war schon als Kind eine begabte Malerin und Zeichnerin; die Lehrerin entdeckte das Talent der Zehnjährigen.

Ausbildung

Adolf von Becker (1831–1909), Vorstandmitglied der „Finnischen Kunstgesellschaft“, ermöglichte der elfjährigen Helene Schjerfbeck ab 1873 den Besuch der Zeichenschule. Zeitgleich studierte dort auch Helena Westermarck (1854–1939). Die beiden jungen Künstlerinnen freundeten sich an und blieben zeitlebens verbunden. Schjerfbecks erster Lehrer war Arvid Liljelund.

Bereits im folgenden Jahr erhielt Helene Schjerfbeck eine Auszeichnung (1874), gefolgt in den Jahren 1875, 1876 /gewann „italienische Kunstschätze“, ein illustriertes Buch, und ein Stipendium über 50 finnische Mark). Sie besuchte die Antikenklasse. Als ihr Vater 1876 an Tuberkulose verstarb, verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie. Im Jahr 1877 beendete Helene Schjerfbeck ihre Ausbildung an der Zeichenschule mit ausgezeichneten Noten. Nun erhielt sie ein Stipendium über 100 finnische Mark. Bereits während der 1870er Jahre – und weiter in die 1880er – schuf Helene Schjerfbeck eine erstaunliche Anzahl von Studien, in denen sich bereits das Talent und die technische Experimentierfreude, aber auch die Vereinfachung der Motive ankündigen.

Zwischen 1877 und 1879 besuchte Helene Schjerfbeck die Privatakademie Beckers in Helsinki. Dort traf sie Elin Danielson (1861–1919). In dieser Zeit begann die Malerin eine dauerhafte Zusammenarbeit mit den Kommilitoninnen Helena Westermack, Ada Thilén (1852–1933) und Maria Wiik (1853–1928). Das Studium der französischen Ölmalerei bildet die Grundlage ihrer Maltechnik.

„Und als ich anfing, in Öl zu malen! Es gibt einen Greisenkopf, den ich mit Bitumfarben gemalt habe, die irgendwer vergessen hatte oder verschenkt in der Kindheit (und den Farbenkasten meines Vaters), vielleicht mit 13 oder 12 – aber mit 16hat Becker, der Professor, mir gezeigt, wie man Palette und Pinsel benutzt, und er hat mir die erste Technik gezeigt.“ (Helene Schjerfbeck in einem Brief an Einar Reuter, 25.9.1926)

Im Jahr 1879 nahm Helene Schjerfbeck erstmals an der Jahresausstellung der „Finnischen Kunstgesellschaft“; von da an beteiligte sie sich bis 1896 nahezu jährlich daran (außer 1887, 1889, 1895). Den Sommer 1880 hielt sich Schjerfbeck bei Verwandten auf dem Sjundby-Gutshof auf. Mit einem Reisestipendium über 1.500 finnische Mark reiste die junge Malerin im Herbst 1880 über Lübeck nach Paris. Dort malte sie „Der verwundete Soldat im Schnee“, das von einem Gedichtzyklus von Johan Ludvig Runeberg (1804–1877) war – aus dem auch die finnischen Nationalhymne hervorging. Gemeinsam mit Westermarck begann Schjerfbeck ein Studium im Malatelier für Damen bei Madame Trélat de Vigny. Zu den – seltenen – Lehrern zählten Léon Bonnat (1833–1920), Jean-Léon Gérôme (1824–1904) und Jules Bastien-Lepage (1848–1884). Bis 1890 folgten noch weitere Aufenthalte in Paris. Zu den von Schjerfbeck besonders bewunderten Malern gehörten Ernest Meissonier (1815–1874), Edgar Degas und Paul Cézanne (1839–1906).

„Degas ist manchmal sehr schön, manchmal ein wenig trocken. Und Cézanne hilft durch seine Technik, wenn er überhaupt holft. […] Ich habe lange gebraucht, um ihn  zu finden. Aber ich suche eben in der Technik Hilfe! Nicht im Inhalt.“2

Im Jahr 1881 wechselte Helene Schjerfbeck an die Académie Colarossi – gemeinsam mit Westermack, Thilén, Alma Engblom (1856–1926), Ellen Favorin (1853–1919), Sigrid af Forselles (1860–1935) sowie die Österreicherin Marianne Preindelsberger, verheiratete Marianne Stokes (1855–1927), und die Norwegerin Anette Anker (1851–1885). Zudem nahm Schjerfbeck regelmäßigen Unterricht bei Gustave Courtois (1852–1924), einem Freund des bekannten finnischen Malers Albert Edelfelt (1854–1905). Zu ihren weiteren Lehrern gehörten Raphael Collin (1850–1916) und Jean-Charles Cazin (1841–1901). Helene Schjerfbeck erhielt ein weiteres Stipendium über 2.000 Mark vom Senat. Sie hielt sich in Meudon nahe Paris auf und reiste mit Preindelsberger in die Bretagne, nach Concarneau.

Frühe Werke

Im Sommer 1882 hielt sich Helene Schjerfbeck auf dem Gutshof Sjundby auf, im Herbst in Wiiks Atelier in Helsinki Porträts. Der Staatspreis für Genremalerei brachte Schjerfbeck 800 finnische Mark ein. Ihre Illustrationen zu Hertzbergs „Sammlung finnischer Volkssagen“ wurden in Moskau ausgestellt.

Gemeinsam mit Wiik reiste Schjerfbeck 1883 erneut nach Paris (über St. Petersburg), wo sie ein gemeinsames Atelier bezogen. Schjerfbeck zeigten dem bewunderten Bastien-Lepage einige ihrer Werke und stellte erstmals im Pariser Salon aus. Herbst und Winter verbrachte die Malerin gemeinsam mit Preindelsberger und Wiik in Pont-Aven. Dort entstandene Gemälde, „Schatten auf der Wand (Bretonische Landschaft)“, „Die Tür (Alte Klosterhalle)“ und „Trocknende Kleider“, gelten als frühe Hauptwerke Schjerfbecks. In diesen Werken wird bereits erkennbar, wie sehr die Künstlerin zwischen detailgetreuem Realismus und französischem Naturalismus einen eigenständigen Weg fand, der sie fast schon an die Grenzen der Abstraktion brachte. Die Finnin war auf der Suche nach dem Wesentlichen, was durch Vereinfachung oder Auslöschung von Bildelementen zu erreichen war. Diese Haltung führte zu bewusst einfachen Bildlösungen, in denen die Andeutung und die Leere neue Bedeutung erhalten. Dies führte zunehmend zu atmosphärischen Stimmungsbildern fernab einer Realitätsbeschreibung.

„Das Letzte fehlt immer an einem Kunstwerk, das Vollendete ist tot.“3

„das Gemälde […] ein Gemälde sein sollte und nicht nur Atmosphäre oder Natur. […] Ich bin glücklich, wenn ich darum kämpfe, einen Ton von ‚Reinen Farben‘ ausgehen zu lassen, aber das ist falsch – nirgendwo in der Natur ist eine Farbe rein […] Wir haben eine gemeinsame Atmosphäre. Der düstere Herbst ist eine starke Gemeinsamkeit.“4

Im Folgejahr hatte Schjerfbeck ein eigenes Atelier in Paris und besuchte die Académie Colarossi, an der zu dieser Zeit Edelfelt lehrte. Mit dem „Leichenzug in Pont-Aven“ nahm sie zum zweiten Mal am Pariser Salon teil. Im Sommer kehrte die junge Malerin nach Finnland zurück.

Im Jahr 1885 lebte Helene Schjerfbeck vorrangig in Helsinki; den Sommer verbrachte sie mit Wiik in Löyttymäki, Janakkala. Sie nahm an einem großen offiziellen Salon zeitgenössischer Kunst in Helsinki teil: Der neue Realismus ihrer Werke, darunter „Ein Junge füttert seine kleine Schwester“, erntete negative Kritik. Ein 35-jähriger englischer Künstler, den sie in der Bretagne getroffen hatte, löste die Verlobung mit ihr. Sie vernichtete daraufhin ihre Korrespondenz.

Den Herbst 1886 verbrachte Helene Schjerfbeck bei dem finnischen Bildhauer Walter Runeberg (1838–1920). Die Malerin kopierte im Louvre Hans Holbeins „Porträt von Sir Richard Southwell“; sie half Edelfelt, eine Replik seines Porträts von Louis Pasteur anzufertigen. In dieser Zeit schuf Schjerfbeck ihr letztes Historiengemälde, der „Tod Wilhelms von Schwerin“, für das ihr ein Staatspreis von 800 finnischen Mark zugesprochen wurde. Auch im Frühjahr 1887 hielt sich Schjerfbeck noch in Paris auf. Das 1.500 Mark-Reisestipendium von der „Finnischen Kunstgesellschaft“, gestiftet von Runeberg, ermöglichte der Künstlerin nach St. Ives in Cornwall zu gehen. Schjerfbeck hielt sich dort auf Einladung von Preindelsberger-Stokes auf. Gleichzeitig hielten sich auf der deutsche Künstler Berntz Grönvold (1859–1923) und der Schwede Anders Zorn (1860–1920) dort auf. Die Künstlerin signierte nun einige Werke mit „Scherfbeck“ und nannte sich von nun an Helene.

Im Frühling 1888 war Helene Schjerfbeck wieder in Paris, wo sie Sandro Botticellis (1445–1510) Fresken aus der Villa Tornabuoni im Louvre kopierte. Sie nahm zum dritten Mal am Pariser Salon teil und beschickte ihn mit „Die Genesende“, das für 800 finnische Mark für die Sammlung der Kunstgesellschaft erworben wurde. Das Bild zeigt ein entrückt lächelndes kleines Mädchen in einem Korbstuhl, das mit glasigen Augen eine zarte Blume in der Vase mit den Händen umschließt. Einige Forscher halten das Bild für ein symbolisches Selbstporträt, in dem Schjerfbeck ihre eigene Situation als verletzte aber genesende Person reflektiert, während andere es in erster Linie für einen typischen Ausdruck zeitgenössischer Sujets halten. Im folgenden Jahre brachte dieses Werk der Künstlerin eine Bronzemedaille auf der Pariser Weltausstellung ein (1889). Der englische Schriftsteller Walter Shaw Sparrow bildete 1905 das Gemälde in seinem Buch „Women Painters of the World“ ab (gemeinsam mit „Zuhause“).

Eine sechswöchige Reise nach Italien führte Schjerfbeck gemeinsam mit ihrem Bruder Magnus nach Genua, Florenz, Rom, Mailand und Turin. Schjerfbeck teilte sich in Paris ein Atelier mit Wiik und Thilén. Im Atelier von Henri Bouvet (1859–1945) traf sie Pierre Puvis de Chavannes. Sie reiste noch 1889 mit Wiik nach St. Ives und nahm an einer Ausstellung des Instituts für Ölmalerei am Londoner Piccadilly teil.

Im Jahr 1890 experimentierte Helene Schjerfbeck mit Kratztechniken. Sie reiste über St. Ives und Paris nach Finnland, wo sie in Sjundby, Snappertuna und im vorrangig von schwedischsprachiger Bevölkerung bewohnten Ekenäs (Tammisaari) arbeitete. In Helsinki teilte sich Schjerfbeck ein Atelier mit Wiik. Die Malerin wurde zur Teilnahme an Ausstellungen in London und Truri eingeladen. Der Erfolg Schjerfbecks zeigt sich in drei Ausstellungen 1891: Sie zeigte ihre Werke in der Herbstausstellung der „Finnischen Kunstgesellschaft“ im Ateneum, Helsinki, der ersten Ausstellung der „Kunstgesellschaft Turku“ in der Stadthalle und der ersten Herbstausstellung der „Finnischen Künstlervereinigung“ im Ateneum.

Im Sommer 1893 malte Schjerfbeck mit Wiik und Thilén in Kangasala. Die Künstlerin stellte in der Kunstgesellschaft in Helsinki und Turku sowie in der Herbstausstellung der Künstlervereinigung im Ateneum vertreten.

Kopien nach Alten Meistern

Die „Finnische Kunstgesellschaft“ beauftragte Schjerfbeck mit der Anfertigung von Kopien dreier Werke in der Eremitage in St. Petersburg: Frans Hals „Mann mit Schlapphut“, Diego Velázquez „Papst Innozenz X.“ und Gerard ter Borch „Interieur“. Hals, so meinte die Künstlerin, hätte ihr die Verwendung des fließenden Schwarz gelehrt.5 Die 1892 ausgeführten Werke waren für die Staatliche Kopiensammlung bestimmt. Schjerfbeck lebte in Helsinki und unterrichtete als Vertretung in der Zeichenschule der Kunstgesellschaft in Helsinki.

Im Jahr 1894 kopierte Schjerfebeck Holbeins Porträt von John Chambers sowie das Porträt der Infantin Maria Teresia von Velázquez im Kunsthistorischen Museum Wien. In Florenz kopierte sie Giorgione, Fra Filippo Lippi sowie Fra Angelico. Auch wenn diese Kopistentätigkeit auf den ersten Blick eine rezipierende ist, so lernte Helen Schjerfbeck doch von den bewunderten Vorbildern, wie sie Ausdruck in die Ganzheit eines Werks überführen konnte. Die Künstlerin verglich ihre eigenen Werke mit den Gemälden ihrer Vorgänger und nutzte diese als Qualitätsmaßstab für ihr eigenes Arbeiten. Dabei bezog sich die Malerin zum einen auf etablierte Posen und zum anderen auf die Atmosphäre und Stimmungswerte.

Lehre

In Finnland übernahm 1894 Helene Schjerfbeck einen Fünfjahresvertrag als Zeichenlehrerin in der Zeichenschule der Kunstgesellschaft an. Im folgenden Jahr vertrat sie Danielson und unterrichtete zusätzlich Malerei. Da die Künstlerin mehrfach für längere Zeit erkrankte, konnte sie zunächst keine Lehrtätigkeit ausüben. Deshalb verbrachte Schjerfbeck die Sommer 1897, 1898 und 1899 mit ihrer Mutter im Gebirgssanatorium Gausdal, Norwegen. Ab Herbst 1897 unterrichtete Schjerfbeck wieder an der Zeichenschule. Im Frühjahr 1898 lehrte Schjerfbeck wieder Malerei und im Herbst Zeichnen. Ihr Erfolg als Lehrerin zeigt sich in der Verlängerung ihres Vertrags um weitere fünf Jahre (1899).

Aufgrund einer schweren Influenza-Erkrankung 1900/01 musste sich Schjerfbeck von Wiik und Järnefelt (1901) in der Zeichenschule vertreten lassen. Aufgrund ihrer schwachen Gesundheit musste Helene Schjerfbeck offiziell ihre Lehrtätigkeit für die Kunstgesellschaft beenden (1902). Zu ihren Schülern zählten: Verner Thomé, Juho Rissanen, Per-Ake Laurén, Einar Ilmoni und Sigrid Schauman.

Reife Werke: vom Naturalismus zur Moderne

Da ihr Bruder Magnus, der inzwischen Architekt geworden war, 1897 heiratete und auszog, überließ er die gemeinsame Mutter in der Obhut von Helene. 1898 malte Helene Schjerfbeck das Altarbild „Auferstehung Christi“, in dem Wiik den Hintergrund ausführte. Ihr 1895 begonnenes, letztes naturalistisches Werk stellte die Malerin 1900 fertig: „Die Kirchgänger (Ostermorgen)“. Ab 1900 arbeitete Helene Schjerfbeck u.a. an Werkserien zu lesenden Frauen, in diesen Gemälden zeigt sich die Tendenz zur Vereinfachung und Verdichtung der Formensprache, weiters eine Betonung der Flächigkeit und Intensivierung der Atmosphäre. Die Malerin selbst versuchte einer Freundin ihr Konzept von Kunst so zu vermitteln:

„Ist Dir noch nie aufgefallen, wie unangenehm es ist, einen Raum zu betreten, wo wirkliche Menschen an den Wänden hängen? […] Ich versuche, eine scharfe Grenze um die Kunst zu ziehen, sie nicht in die Wirklichkeit übergehen zu lassen, wie in einem alten Panorama.“6

Die Sommer verbrachte Helene Schjerfbeck außerhalb von Helsinki:

  • 1899: Hyvinkää, ein Industrieort etwa 50 km nördlich von Helsinki
  • 1900: Åre-Sanatorium, Schweden.
  • 1901: Hyvinkää und Gut Sjundby. Dort entstand das Ölgemälde „Sjundby Gutshof“.

Pionierin der Moderne

Aus gesundheitlichen Gründen zog Helene Schjerfbeck mit ihrer Mutter 1902 nach Hyvinkää, 50 Kilometer nördlich von Helsinki, das für seine trockene Luft bekannt war. Dadurch isolierte sie sich von Helsinkis Kunstszene. Die Malerin und ihre Mutter lebten gemeinsam in einem gemieteten Zimmer mit Küche nahe der Eisenbahnstation. Gelegentlich half eine Hausangestellte. Ab Juli 1902 versuchte Schjerfbeck, eine Stunde pro Tag zu malen. Regelmäßige Kontakte hielt sie zu Westermack, Wiik und Thilén sowie zu ihrer Familie. Das Lesen bildete ab 1903 – anstelle von Reisen – eine wichtige Inspirationsquelle für die Malerin. Für 15 Jahre unternahm sie keine Reisen mehr.

Zu den ab 1900 besonders intensiv erforschten Themen gehört die Welt der Frauen: Porträts ihrer lesenden oder stickenden Mutter, Bilder von lesenden Schulmädchen, Fabriksarbeiterinnen des Ortes, aber auch ihres Dienstmädchens. Meist sind die Dargestellten still und ernsthaft in ihre Tätigkeit vertieft, haben gesenkte Augen und/oder sind im strengen Profil gezeigt. Darüber hinaus arbeitete Schjerfbeck mit einem entleerten, diffus angedeuteten Hintergrund. Das Kolorit der Bilder ist tonal, womit sie Geistiges ausdrücken will, wobei die Schattenzonen zunehmend eigenständige Form und Farbe annehmen können. Mit leichtem, weichem Strich – in Aquarell oder duftiger Ölmalerei – verband sie vereinfachte, stilisiert wirkende Formen zu verdichteten Kompositionen. Markante Konturlinien halten die Figuren zusammen (vgl. Honoré Daumier). Diese Kunstauffassung nutzte die Künstlerin zunehmend auch für Entwürfe in der angewandten Kunst.

Helene Schjerfbeck studierte 1908 die Technik japanischer Holzschnitte und entwarf unter dem Einfluss des Art nouveau stilisierte Formen für Wandteppiche und Kissen. Bis 1912 war die Künstlerin damit jährlich auf den Ausstellungen der „Freundes des Kunsthandwerks“ vertreten. In diesem Jahr (1912) erwarb der Kunsthändler und schwedische Journalist Göste Stenman (1888–1947) für 200 finnische Mark das „Lesende Mädchen“ für die Sammlung der Kunstgesellschaft. Er begann, ihre Werke systematisch zu sammeln.

Erster Weltkrieg

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Helene Schjerfbeck als einzige finnische Künstlerin eingeladen, an der Baltischen Ausstellung in Malmö, Schweden, teilzunehmen. Stenman konnte durch den Wertverlust der finnischen Während expandieren. Er machte Schjerfbeck mit der Pariser Avantgarde bekannt: Juan Gris‘ „Kubistische Komposition“, Zeichnungen von Marie Laurencin (1885–1956) sowie Arbeiten von Tyko Sallinen (1879–1955). Die Kunstgesellschaft beauftragte die Malerin mit einem Selbstbildnis. Mit einer repräsentativen Gruppe von Gemälden gelang Helene Schjerfbeck in der „Zweiten Ausstellung“ der finnischen Künstlervereinigung im Ateneum erneut ein Durchbruch. Einar Reuter erwarb „Der Brennholzjunge I“; die beiden lernten einander 1915 kennen und begründeten eine lebenslange Freundschaft.

„Und eine Woche habe ich Juan Gris betrachtet, eine Schöpfung eines spanischen Kubisten, ein Stillleben in Blau, Violett und Rosa, und ich habe ein wenig angefangen zu verstehen, ihre Art und Weise, die Sache zu nehmen. Sie legen den eigenen Eindruck auf den anderen, dieser war das Motiv, obgleich in Kuben gemacht.“ (Helene Schjerfbeck in einem Brief an Maria Wiik, 25.7.1914)

Die einzige große Ausstellung zur finnischen – und internationalen Kunst7 – in Skandinavien während des Ersten Weltkriegs fand Anfang 1917 in der Liljevalchs Konsthall, Stockholm, statt (Januar–Februar 1917). Schjerfbeck war ebenfalls vertreten. Am 22. Februar 1917 schrieb die Künstlerin an Einar Reuter:

„Wenn man nun diese Lust zu malen hat – warum wird sie einem duirch ständige Krankheiten genommen! In 50 Jahren keinen gesunden Tag. Man ist so müde vom Kampf – möchte sich setzen und nur ein kleines müdes, Strümpfe strickendes Wesen sein. Aber dann lockt die Kunst wieder – und dich ist es eine Frechheit, meine Arbeit Kunst zu nennen.“

Im selben Jahr organisierten Magnus Schjerfbeck und Einar Reuter die erste Einzelausstellung Helene Schjerfbecks: Die Stenman-Galerie in Helsinki stellte 159 Werke aus, woraufhin sich Schjerfbeck und Stenman sich in der finnischen Kunstszene endgültig etablierten. Während der Ausstellungsvorbereitung reiste die Malerin erstmals seit 15 Jahren wieder nach Helsinki. Beim Besuch des Anteneums beeindruckten sie im Sommer vor allem die Gemälde von Paul Cézanne, Vincent van Gogh und Paul Gauguin. Reuter veröffentlichte unter dem Pseudeonym H. Athela seine erste, selbst finanzierte Monografie über Schjerfbeck.

Den Sommer 1918 verbrachte Helene Schjerfbeck in Ekenäs [Tammisaari], wo sie eine Woche gemeinsam mit Reuter malt. Sie stellt ihn in dem Gemälde „Der Segler (Einar Reuter)“ dar, das von Stenman erworben wird. Auf der Jahresausstellung der Kunstgesellschaft in Turku und anschließend in Vasaa präsentierte sie 25 Werke. Für ihre künstlerische Entwicklung sollte sich ein Besuch einer Ausstellung junger französischer Maler in der Stenman-Galerie in Helsinki als wichtig erweisen: Schjerfbeck sah dort im März 1918 Gemälde von Othon Friesz (1879–1949), Henri Matisse (1869–1954) und Paul Signac (1863–1935).

„Doch, ich habe Matisse verstanden, und jetzt habe ich Signac richtig verstanden. Die Malerei, die ihren eigenen Weg geht, hat mir die Erkenntnis gebracht, dass ich es nicht über mich bringe, eine Fläche mit Farbe zu füllen, ich ziehe nur einen Farbstrich um die Konturen. Ganz bestimmt ist das Ermattung, Blasiertheit und führt zum Tod der Kunst, das haben Sie ja gesagt.“ (Schjerfbeck in einem Brief an Einar Reuter, 26.5.1918)

Einzelgängerin innerhalb der finnischen Kunstszene

„Wenn man nun in der Jugend zu einem Matisse gekommen wäre, wie sähe es dann heute aus? Jemand hätte einen vielleicht geprägt – und man hätte leichter zu einer modernen Technik gefunden. Das wäre einfacher gewesen – aber nicht besser – nein, es ist schon besser, allein zu sein.“8

In den Jahren 1919/20 setzte sich Helene Schjerfbeck mit jungen schwedischen Malern – u.a. Leander Engström (1886–1927), Einar Jolin (1890–1976) in der Strindberg-Galerie in Helsinki auseinander. Sie zog von Hybinkää nach Ekenäs (1919) und unterrichtete zwei Schülerinnen (1920). Ihr intellektueller Freund Einar Reuter verlobte sich 1919 und heiratete ein Jahr später. Scherfbeck wurde aufgrund von Herzbeschwerden ins Krankenhaus eingewiesen. 1920 erhielt sie jedoch den finnischen „Orden der Weißen Rose“. In der ersten Ausstellung der von Reuter zusammengeführten Künstlergruppe „Die Freien“ war Helene Schjerfbeck gemeinsam mit Bernhard Häkli (1890–1962), Ragnar Ungern (1885–1955) und Reuter (alias H. Ahtela) im Salon Strindberg Helsinki vertreten. Im folgenden Jahr erhielt Schjerfbeck eine Künstler:innen-Rente von 400 finnischen Mark und 3.000 Mark staatliche Unterstützung.

Nach dem Tod ihrer Mutter Olga 1923 verbrannte Helene Schjerfbeck die meisten Briefe, die sie ihr geschrieben hatte. Sie stellte ein Dienstmädchen ein und lebte weiterhin in Hyvinkää. Die französische Kunstzeitschrift „La Revue Moderne des Arts et de la Vie“ bat sie um die Zusendung einiger Abbildung ihrer Werke. Von 1925 bis 1939/40 lebte die Malerin erneut in Ekenäs [Tammisaari], allerdings sehnte sie sich nach Paris. Ab 1927 wiederholte sie ihre älteren, bekannten Werke, nachdem Stenman eine kleinere Version des Gemäldes „Die Näherin (Die Arbeiterin)“ in Auftrag gegeben hatte. Schjerfbeck griff die Idee – auch aus Mangel an Modellen – auf und malte die neue Version mithilfe einer kleinen Schwarz-Weiß-Abbildung. Aufgrund weiterer Aufträge folgten neue Versionen von u. a. „Die Genesende“, „Sjundby Gutshof“, „Schatten an der Wand II (Grüne Bank)“. Aus der Erinnerung schuf sie beispielsweise 1929 eine „Bretonische Landschaft“, wie sie es zwar geplant aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht umgesetzt hatte (Wiederholung 1933). Neue Impulse erhielt Schjerfbeck 1932 von Venny Soldan-Brofeldt (1863–1945) und Maggie Gripenberg, die im Sommer in Ekenäs (Nachbarschaft) malten. Helene Schjerfbeck malte in dieser Zeit viel.

Ausstellungserfolge in diesen Jahren waren ihre Teilnahmen an einer Schau von vier finnischen Künstler:innen und traditionellen finnischen Ryijy-Decken in der Liljevachs Konsthall in Stockholm (1934), in der „Ersten Nationalen Finnischen Kunstausstellung“ in Berlin, Düssdeldorf und Hamburg (1935), der „Finnischen Malerei bis 1900“ (1936), eine Einzelausstellung in der Stenman Galerie in Stockholm sowie der „Internationalen Ausstellung von Künstlerinnen“ in Paris, der „Mostra d’arte finlandese des XIX e des XX secolo“ in der Galleria Gian Ferrari in Mailand und der Galleria di Roma (1937). Helene Schjerfbeck unterzeichnete 1938 einen Vertrag mit Stenman, der ihr ein Monatsgehalt zahlt und alle künftigen Werke erhielt. Er organisierte eine Einzelausstellung Schjerfbecks für die Kunstmuseen Eskilstuna und Malmö; zudem gab er ihr Lithografien als Neuinterpretationen früherer Werke in Auftrag. Der Kriegsausbruch im Sommer 1939 verhindete eine von Stenman für Amerika vorgesehene Wanderausstellung mit 120 Werken. Stattdessen zeigte er die Retrospektive in seiner Galerie in Stockholm (eine weitere 1940). Der Galerist erwies sich als äußerst erfolgreich beim Organisieren von Einzelausstellungen Schjerfbecks für Museen: Kunstmuseum Göteborg (1939), Stadtmuseum Linköping (1940), Kunstgalerie in Göteborg (1941).

1941 zog Helene Schjerfbeck in ein Altersheim in Loviisa und 1942 in das Luontola-Sanatorium in Nummela. Ihre Neuinterpretationen früherer eigener Arbeiten und von Werken anderer Künstler, darunter El Greco, erfreuten sich 1942 großer Beliebtheit. In diesem Jahr wurde Helene Schjerfbeck als ausländisches Mitglied in die Akademie der Künste in Stockholm berufen. Die Künstlerin hob 1943 ihre Vereinbarung mit Stenbam für ein Jahr auf, doch er bestand auf seinem Vorverkaufsrecht für jene Werke, die nicht als Auftragsarbeiten entstanden.

Am 22. Februar 1944 floh Helene Schjerfbeck aus Finnland in das Saltsjöbaden Spa Hotel in der Nähe von Stockholm. Die Familie Stenman besuchte sie dort jede Woche. Dort widmete sich die Malerin den späten Serien von Selbstporträts sowie Stillleben. 134 Werke vor allem aus der Spätphase zeigte die Stenman Galerie Stockholm schon 1944. Im Folgejahr produzierte sie noch eine Grafikmappe mit Reproduktionen nach ihren Werken.

Tod

Helene Schjerfbeck starb am 23. Januar 1946 im Saltsjöbaden Spa Hotel. Am 9. Februar wurde sie neben ihren Eltern auf dem Alten Hietaniemi Friedhof in Helsinki beerdigt.

Das Nationalmuseum Stockholm kaufte „Meine Mutter“ (1902) von Stenman für 9.500 Skr. Im Herbst organisierte die Stenman-Galerie eine Gedächtnisausstellung mit etwa 150 Werken. Eine weitere Wanderausstellung würdigte die finnische Malerin der Moderne in Finnland und Schweden.

Das Ateneum in Helsinki organisierte 1992/93 die erste Schau Schjerfbecks in Washington und New York, USA.

2007 widmete die Kunsthalle Hamburg der Malerin eine erste Retrospektive außerhalb von Skandinavien. Seiter wird Helene Schjerfbeck als wichtige Künstlerin der Moderne international ausgestellt, darunter 2020 in der Royal Academy in London.

Literatur zu Helene Schjerfbeck

  • Barbara Beuys, Helene Schjerfbeck. Die Malerin aus Finnland, Berlin 2016.
  • Marie Christine Jádi, Helene Schjerfbeck und Gwen John – Der Ausdruck von Emotionen in der Malerei der Moderne, Berlin 2016.
  • Leena Ahtola-Moorhouse (Hg.), Helene Schjerfbeck. 150 Years. Helsinki 2012. (Catalogue Raisonée)
  • Marie Christine Tams, „Dense Depths of the Soul“: A Phenomenological Approach to Emotion and Mood in the Work of Helene Schjerfbeck. in: Parrhesia. 13 (2011), S. 157–176.
  • Annabelle Görgen und Hubertus Gaßner, Helene Schjerfbeck: 1862–1946, München 2007.
  • Lea Bergström, Sue Cedercreutz-Suhonen, Helene Schjerfbeck. Malleja-Modeller-Models. WSOY, Helsinki 2003.
  • Michelle Facos, Helene Schjerfbeck’s Self-Portraits: Revelation and Dissimulation, in: Woman's Art Journal. Band 16, Nr. 1 (1995), S. 12–17.
  • Leena Ahtola-Moorhouse (Hg.), Helene Schjerfbeck. Finland’s modernist rediscovered. Helsinki/Washington 1992.

Beiträge zu Helene Schjerfbeck

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  7. Österreich-Ungarn beteiligte sich mit einer von Josef Hoffmann gestalteten Ausstellung, an der unter anderem Gustav Klimt, Helene Funke und die Wiener Werkstätte teilnahmen.
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