Jean-Bloé Niestlé
Wer war Jean-Bloé Niestlé?
Jean-Bloé Niestlé (Neuchâtel 16.8.1884–2.2.1942 Antony bei Paris) war ein Schweizer Tiermaler des Expressionismus und ein Mitglied der Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“. Seine Motive waren Darstellungen der heimischen Flora und Fauna in realistischer Manier.
Ausbildung
Im Jahr 1903 begann Niestlé ein Studium der Malerei in Nürnberg, das er im folgenden Jahr in München in die Privatakademie Moritz Heymann fortsetzte. Gleichzeitig besuchte er die Kunstschule für Architektur und dekorative Kunst des Schweizers Hans-Eduard von Berlepsch in Planegg.
Werke
In den Münchner Jahren festigte sich sein Wunsch, Tiermaler zu werden, nicht zuletzt durch die Anerkennung des Neuenburger Malers Leo-Paul Robert, der seines Verehrung der Natur als Schöpfung Gottes in beseelten Vogeldarstellungen zum Ausdruck brachte.
Im Jahr 1905 lernte Jean-Bloé Niestlé Franz Marc kennen. Ihr Kontakt intensivierte sich ab1906, ohne dass es zunächst zu einer stilistischen Beeinflussung kam. Zu einer eigenen Ausdrucksweise fand der Schweizer vielmehr über den schwedischen Tiermaler Bruno Liljefors, der mit seinen Bildern über den Natureindruck hinaus immer auch den dadurch ausgelösten Stimmungsgehalt zu transportieren suchte. Im Jahr 1906 stellte Niestlé in der Münchner Secession aus und zog nach Planegg bei München.
1908 gelangte er mit seinen großformatigen Vogelbildern zu einem ersten Höhepunkt seiner künstlerischen Entwicklung, die durch intensive Naturstudien mit Hilfe der Fotografie entstanden. Niestlé war mit der Natur vertraut, versenkte sich in sie, und auf diese Weise gelangen ihm Porträtstudien von Tieren in ihrer vom Menschen unberührten, ursprünglichen Umgebung. 1908/09 übersiedelte Niestlé nach Gauting.
Niestlés Gemälde „Gartenrotschwänze im Weißdorn“ von 1909 vermittelt die Heiterkeit eines lichten Frühlingstages. Die Bildflache ist durch das Astgeflecht eines Weißdorns vernetzt, dessen Blüten und Blattwerk die Komposition als weiße und grüne Farbtupfer verlebendigen. In der unteren linken Bildecke. befinden sich zwei Gartenrotschwänze – einer sitzend, der andere auffliegend –, die farblich mit dem Rot-Braun des Untergrundes korrespondieren. Obwohl sie in leichter Aufsicht gegeben sind und dadurch Räumlichkeit andeuten, wird das Bild insgesamt von einem flächigen Charakter bestimmt. In ihrer Ausschnitthaftigkeit und Nachsichtigkeit sowie mit dem dezentralisierten Hauptmotiv der Vögel und der nuancierten Farbgebung erinnert die Komposition an japanische Farbholzschnitte, die Niestle seit 1905 intensiv gesammelt hatte.
Um 1910 regte Niestlé Franz Marc dazu an, die Vorliebe für Tiere nicht als zoologische Darstellungen umzusetzen. Stattdessen solle der Künstler sich in das Tier hineinversetzen und sein Wesen in der Malerei einfangen.
Jean-Bloé Niestlé nahm 1911 an der „Ersten Ausstellung der Redaktionsgemeinschaft Der Blaue Reiter“ in München teil, der sich nach künstlerischen Differenzen von der „Neuen Künstlervereinigung München“ (N.K.V.M.) abgespalten hatte. Er stand dem Kunstwerken von „Der Blaue Reiter“ jedoch distanziert gegenüber, da er sich nicht mit den avantgardistischen Tendenzen der Gruppe identifizieren konnte und zog kurz nach der Eröffnung sein kleines, naturalistisches Bild „Fitislaubensänger“ zurück. Er begründete seinen Schritt gegenüber Franz Marc:
„Ich hatte mir die Ausstellung ganz anders vorgestellt. |...] abgesehen von das [sic] kleine Rousseau'sche Bild war nichts da, was irgend etwas an meine Kunst hätte erinnern können, und ich empfand eine solche Traurigkeit beim Anblick des Bildchens, das so verloren dahing, dass ich ganz im Taumel und tief deprimiert die Ausstellung verlassen mußte.“
Marc zeigte sich von Niestlés Entscheidung verletzt, gerade weil er und Wassily Kandinsky echt empfundene Kunst und nicht eine bestimmte Art von Malerei ausstellen wollten. Trotz dieser Entscheidung blieb er dem jungen Schweizer freundschaftlich verbunden.
Die Kunst seines Freundes Marc blieb ihm lange fremd. Noch 1911, als ihn Marc ihm auf seine Klage, es sei unmöglich, die mystische Natur wirklich wiederzugeben, Anmaßung vorwarf und zur „Synthese“ riet, entgegnete Niestlé:
„Nein, Lieber, diesen Schrei der Natur, den auch ich so gerne wiedergeben möchte, je wunderbaren Empfindungen, die den Zartfühlenden vor der Natur erschauern oder jauchzen lassen - sind nicht - um sie auszudrücken – an bestimmte Techniken gebunden. [...] Ich will nicht ein ungefähres Tier wiedergeben; nein, das Tier, und nicht nur die Gattung, sondern das Individuum als Porträt.“
Seine erste Einzelausstellung hatte 1913 bei der Galerie Gurlitt, Berlin; im selben Jahr nahm er am „Ersten Deutschen Herbstsalon“ in Berlin teil. Ab 1914 lebte Jean-Bloé Niestlé in Seeshaupt in einem Haus des Kunstsammlers Bernhard Koehler und in der Nähe von Franz Marc. Bereits Ende 1913 erlitt er eine Schaffenskrise, die durch den Verlust der Freunde August Macke und Marc, die im Ersten Weltkrieg fielen, verstärkt wurde, und die bis zum Jahr 1916 andauerte. Erst nach Marcs Tod öffnete Niestlé sich dessen kjünstlerischen Ansätzen und trat – auch beeinflusst durch das Werk Heinrich Campendonks – in eine zweite expressionistische Phase ein. Diese musste er nach 1919 wegen schwerer Lähmungserscheinungen fast vollkommen einstellen.
Im November 1937 verließ er mit seiner Familie Seeshaupt und übersiedelte nach Paris und schließlich in Folge der Kriegseinwirkung nach Antony-sur-Seine.
Tod
Jean-Bloé Niestlé starb am 2. Februar 1942 in Antony bei Paris.
