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Der Erste Weltkrieg Ausstellung "Jubel und Elend. Leben mit dem großen Krieg"

Jubel und Elend. Leben mit dem großen Krieg, Plakat, Ausstellung in der Schallaburg 2014.

Die große Sommerausstellung in der Schallaburg widmet sich der sozialgeschichtlichen Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs. Dabei beschränken sich die Kuratoren nicht nur auf die k. k. Monarchie, sondern präsentieren auch Schicksale und autobiografische Notizen von Nicht-Österreicher_innen. „Menschen von 1914“, wie diese Protagonisten genannt werden, geben dem Krieg ein Gesicht und vertreten die unterschiedlichsten Ansichten.

Es geht in der Schallaburg weniger um historische Abläufe oder militärische Erfolge und Niederlagen als um die Lebensumstände der Bevölkerung, die sich zwischen 1914 und 1918 auf einen flächendeckenden Krieg umstellen musste. Da bei dieser militärischen Auseinandersetzung nicht mehr zwischen Front und Heimat unterschieden werden kann, werden die Auswirkungen für alle Seiten in 24 Kapiteln höchst materialreich (!) beleuchtet. Von der Militarisierung der Gesellschaft über die Kriegseuphorie reichen die Themen zu Waffengattungen und Sanitätswesen, Propaganda und die Alltäglichkeit des Kriegs. Die Rollen von Künstlern, Frauen und Kindern im Krieg wird genauso unter die Lupe genommen wie der Krieg in den Alpen und in der Luft, Kriegsgefangenschaft und Flucht, bis zu den Friedensverhandlungen und der umkämpften Erinnerung.

Die Avantgarden der Klassischen Moderne eröffnen interessanterweise die Ausstellung über den Ersten Weltkrieg auf der Schallaburg. Nur wenige Intellektuelle waren der Ansicht, dass die Nationen in ökonomischen, wissenschaftlichen und familiären Belangen derart miteinander verstrickt wären, dass Krieg so gut wie undenkbar erschien. Kriegseuphorie machte sich auch unter ihnen breit, viele meldeten sich freiwillig. Die sich seit den 1890er Jahren aufbauenden, schweren Spannungen zwischen den europäischen Großmächten hatten mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gattin Sophie am 28. Juni in Sarajevo einen Höhepunkt und führten in die Julikrise 1914. Die darauf einsetzenden Kriegserklärungen zwischen den Mittelmächten (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Türkei, Bulgarien 1915) und der Entente (England, Frankreich, Russland, Japan, Italien Sommer 1915, USA April 1917) wird eindrucksvoll mit einem Blätterrauschen der Gazetten inszeniert. Durch den Einstieg Japans 14 Tage nach Kriegsausbruch weitete sich der „Große Krieg“ bereits früh zum Weltkrieg aus. Die kolonialen Interessen der Kriegsparteien exportierten den europäischen Konflikt auf alle Kontinente. Erst 1917 traten die USA und weitere nord- und südamerikanische Staaten in den Krieg ein. Nach anfänglichen Erfolgen für die Mittelmächte 1914 kam der Vorstoß jedoch bald zum Erliegen und aus dem Bewegungskrieg wurde ein materialintensiver Stellungs- und Abnützungskrieg. Den daraus entstehenden Lebensbedingungen an Kriegs- wie Heimatfront ist die Ausstellung gewidmet. Aus Jubel wurde Elend!

Das zähe und blutige Ringen der Soldaten in ihren Schützengräben stellte bald die Normalität im Kriegsalltag an der Front dar. Die moderne Waffentechnik – v.a. das Repetier- und Maschinengewehr, die neuartigen Panzerwägen, die Flugzeuge, die Bomben und Granaten und schlussendlich auch die Giftgasattaken – ließen das Bild des heldenhaft kämpfenden Soldaten bald in Blut, im Dreck des Schützengrabens und im „Wahnsinn“ der Kriegszitterer untergehen. Der Ausstellungsrundgang schließt an dieser Stelle Uniformen, Ausrüstungen und Waffenlager ein, die gefährlich auf die Besucher_innen gerichtete Gewehre, Bajonette und Messer beinhalten. Die gleich im Anschluss präsentierten Schädelknochen, Moulagen – das sind Wachsmodelle von Verwundeten – und Fotografien belegen die Zerstörungskraft von Granatsplittern im Kopfbereich, die durch zerberstendes Knochenmaterial noch gesteigert wurde. Dass im Feld aber auch Sexualität, respektive Prostitution eine Rolle spielte, und die Soldaten in Bezug auf Geschlechtskrankheiten aufgeklärt wurden, mag im direkten Vergleich zu den schweren Verwundungen skurril anmuten. Die Kuratoren vermitteln jedoch glaubhaft, dass es sich hierbei um ein echtes Problem der Truppenführung handelte.

Moderne Waffentechnik stand einer (noch) traditionell geschulten Armeeführung gegenüber. Eindrucksvoll zeigt ein abgeschnittener und mit dunkler Farbe übermalter Säbel, dass dieser als Statussymbol zwar nicht abgelegt werden konnte aber seine glänzende Metalloberfläche zur Tarnung mit Camouflage übermalt werden musste. Die obersten Feldherren wurden in den Kriegsjahren zu Stars stilisiert, um die Heimatfront – ein neuer Begriff – mittels Propaganda kriegstreu zu erhalten. Wer hätte gedacht, dass ihrer Porträts auf Christbaumschmuck aus Thüringen zu finden sind?

Um die Unterstützung für den Krieg möglichst hoch zu halten, wurden unterschiedlichste Strategien angewandt: Karitative Vereine sammelten beispielsweise Geld zur Unterstützung der Kriegswitwen und –waisen. In Wien ist diese Aktion in Form des Wehrmanns im Eisen im öffentlichen Raum noch erhalten. Als ein Teil des Kriegspressequartiers (KPQ) wurde zudem eine Abteilung Kriegsmaler ins Leben gerufen, die dokumentarische und patriotische Werke von der Front liefern sollten. Bald war man sich bewusst, dass der Krieg nicht nur mit der Waffe in der Hand, sondern auch mit der Feder und dem Pinsel zu Hause und im Ausland gewonnen werden musste. Dass 1917 gerade Thomas Woodrow Wilson mit seinem 14-Punkte-Plan und dem Autonomieversprechen an die Völker der Donaumonarchie diese Propaganda-Schlacht für die Entente gewinnen konnte, ist längst in die Geschichtsbücher eingegangen.

Für Österreich-Ungarn und Italien sind die verlustreichen Schlachten am Isonzo bis heute Identifikationsmomente des nationalen Geschichtsbewusstseins. In elf Schlachten fielen mehr als 1,2 Millionen Soldaten zwischen 1915 und 1917, ohne einen entscheidenden Geländegewinn zu erzielen. Erst mit der zwölften Schlacht gelang den Truppen der Mittelmächte der Durchbruch. Einen Einblick in das entbehrungsreiche Leben der Alpinsoldaten zeichnete Oskar Kokoschka, der sich nach einer lebensgefährlichen Verletzung als Kriegsmaler erneut an die Front versetzen ließ. Die hungernden Soldaten mit ihren eingefallenen Wangen stehen eigenartig starr in selbst gebauten Verschlägen. Die Landschaft wirkt fast idyllisch, wäre sie nicht mit dem Vermerk „Isonzo, 1916“ deutlich ausgewiesen. Kokoschka erlitt selbst in den folgenden Monaten einen Shell-Schock, der seinen Körper grundlos zittern ließ. Der Künstler verbrachte Jahre in deutschen Sanatorien, um sich von dieser neuartigen, vom Dauerbeschuss durch Granaten hervorgerufenen, psychischen Erkrankung zu erholen.

Im Vergleich zu Kokoschkas Schilderung von der Front wirkt Egon Schieles Darstellung einer „Zerfallenden Mühle“ aus dem gleichen Jahr wie eine Flucht in eine heile Welt. Während Kokoschka sich als Einjährig Freiwilliger zu den Dragonern gemeldet hatte, war Schiele zum Grundwehrdienst nach Prag eingezogen worden. Der jüngere Künstler musste nie Dienst an der Front tun, sondern konnte die Kriegsjahre in Wien und Umgebung zubringen, wo er künstlerisch tätig sein konnte, sich an Ausstellungsorganisationen beteiligte und schlussendlich Arbeit im Heeresmuseum fand. Der Fokus der Ausstellung liegt jedoch nicht auf den künstlerischen Leistungen, wenn auch viele Gemälde und Druckgrafiken ausgestellt werden, sondern im dokumentarischen Wert der Abbildungen.

Zu den technologischen Neuerungen des Ersten Weltkriegs zählen die Luftstreitkräfte, wobei die österreichisch-ungarische Armee wie in vielen Waffengattungen hinter den Leistungen des Deutschen Reiches zurückblieb. In diesen Jahren wurde jedoch der Mythos des unerschrockenen Piloten geboren, der über den Wolken im einsamen Zweikampf Maschine gegen Maschine einen Sieg einholen konnte.

Ein weiteres Massenphänomen des Ersten Weltkriegs ist die Kriegsgefangenschaft, deren Ausmaß sämtliche beteiligte Nationen überforderte. Die Konsequenz war, dass keine ausreichende Versorgung - weder an Nahrungsmitteln noch an Hygiene - organisiert wurde, und die Gefangenen bewusst dem Hungertod und Krankheiten ausgesetzt wurden. Ähnlich erging es auch den Flüchtenden und Vertriebenen, die sich zu Millionen aufmachten, um ihre besetzten oder zerstörten Heimatländer zu verlassen.
Die Lage dieser unzähligen Menschen hing nicht nur mit dem stockenden Kriegsverlauf zusammen, sondern auch mit der fehlenden Vorbereitung des Kriegs durch die Mittelmächte. Während sich der Traum vom raschen Sieg noch im Herbst 1914 als Illusion entpuppte, gelang es erst gegen Jahreswechsel die Industrie von Friedens- auf Kriegsproduktion umzustellen. Unter dem langen Krieg litt vor allem die Nahrungsmittelproduktion, wodurch in den Städten bereits ab Frühjahr 1915 Brot rationiert wurde. Zucker, Milch und Fett folgten bald nach. Mit zunehmendem Hunger erlosch die Kriegseuphorie und machte einer Kriegsmüdigkeit Platz. Dennoch dauerte es bis 1918, den „Großen Krieg“ zu beenden. Die „Stimmungsberichte“ der Wiener Polizei etwa geben beredt Einblick in die Desillusion der Stadtbevölkerung, die sich immer lauter gegen den Krieg äußerte und zu Hungerdemonstrationen auf die Straßen ging.

Ein kompliziertes Kriegsende: Den Anfang vom Ende markierte der „uneingeschränkte U-Boot-Krieg“ durch das Deutsche Reich. Die USA traten als Folge 1917 in den Krieg ein. Im Herbst 1918 gelang der Entente, unterstützt durch amerikanische Truppeneinheiten, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Ab Ende September streckten die Länder der Mittelmächte die Waffen: Bulgarien im September folgten die Türkei, das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn am 4. Oktober. In Deutschland brachen Ende Oktober Revolutionen los, welche in der Zwischenkriegszeit zur „Dolchstoß“-Legende stilisiert wurden, d.h. die Heimat hätte einer siegreichen Front durch diese Revolutionen den Dolch in den Rücken gestoßen.
Der österreichische Staat befand sich hingegen bereits in völliger Auflösung, das Versprechen Kaiser Karls I., eine Föderation aufzubauen, verhallte ungehört: Am 20. Oktober löste sich nach einer Revolution in Wien die Donaumonarchie selbst auf. Am 28. Oktober proklamierte die Tschechoslowakei, am 29. Oktober die Jugoslawen und am 1. November die Ungarn ihre Selbständigkeit als neue Staaten. Zweit Tage später, am 3. November, wurde der Waffenstillstand unterzeichnet, und am 11. des Monats verzichtete Kaiser Karl I. auf jeden Anteil an einer Regierung.

Die Erinnerung zu erhalten und die Traumata aufzuarbeiten, blieb der Generation jedoch nicht erspart. Um ihre Taten zu rechtfertigen, wurden Ehrungen vorgenommen, Denkmäler aufgestellt, Kameradschafts- und Traditionsvereine gegründet, etc. Erstmals musste der Staat für die zahllosen Kriegsversehrten, Witwen und Waisen aufkommen. Das Andenken an die Verstorbenen war hochzuhalten, um ihren Verlust verkraften zu können.
In Literatur und Film beschäftigten sich Künstler mit dem Erlebten, als neuer Typus entstand der „Weltkriegsroman“ als scheinbares, weil in nüchterner Schrift verfasstes Dokument. Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ (1929) steht stellvertretend für die „verlorene Generation“ (Hemingway), jene jungen, kriegstraumatisierten Männer, die im zivilen Leben nur schwer oder überhaupt nicht mehr Fuß fassen konnten. Dem Anti-Kriegsroman Remarques wollte Louis Trenker mit dem Film „Berge in Flammen“, wie er meinte, mit der heldenhaften Stilisierung seines Protagonisten „etwas entgegenhalten“.
Zur Friedensbewegung und auch zur ersten Frauenbewegung, die beide um 1900 zu wichtigen Ergebnissen gekommen waren, wollten offenbar nur die wenigsten zurück: 1913 war in Wien der internationale Frauentag ausgerichtet worden, und bereits 1889 hatte die Wiener Aristokratin Bertha von Suttner ihren berühmtesten Roman „Die Waffen nieder!“ publiziert. Ironischerweise wurde gerade dieses Buch 1914, im Todesjahr seiner Autorin, verfilmt. Die ab August Krieg führenden Nationen verboten jedoch seine Aufführung!

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.