Lawren S. Harris
Wer war Lawren S. Harris?
Lawren Stewart Harris (Brantford 23.10.1885–29.1.1970 Vancouver) war ein kanadischer Maler der Moderne (→ Klassische Moderne). Er wandte sich der Landschaftsmalerei zu und wurde bekannt für seine stilisierten und abstrahierten Darstellungen kanadischer Landschaften, insbesondere der Arktis und der Rocky Mountains. Lawren Harris war Katalysator und führende Persönlichkeit bei der Gründung der „Group of Seven“ (1919/20–1931), Gründungsmitglied und erster Präsident der Canadian Group of Painters und der Maler, der Jock Macdonald zur abstrakten Malerei inspirierte. Harris hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf drei Generationen kanadischer Künstler:innen.
Kindheit
Lawren Stewart Harris wurde am 23. Oktober 1885 in Brantford, Ontario, Kanada, geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie. Sein Erbe ermöglichte ihm eine von finanziellen Sorgen freie Künstlerkarriere und die Förderung der kanadischen Kunstszene.
Ausbildung in Berlin und Reise durch Europa
Nach dem Besuch des St. Andrew’s College in Toronto studierte Lawren S. Harris an der University of Toronto, wo ihn sein Mathematikprofessor zu einem Kunststudium in Berlin ermutigte. So ging Lawren S. Harris zwischen 1904 und 1908 nach Berlin, um bei dem Genremaler und Porträtisten Adolf Schlabitz und bei dem vom französischen Naturalismus und Impressionismus beeinflussten Franz Skarbina zu studieren. Lawren S. Harris erhielt eine akademische Ausbildung, die der an den Pariser Akademien ähnelte.
Lawren S. Harris blieb drei Jahre in Berlin, wo er den Impressionismus kennenlernte und Ausstellungen moderner deutscher und europäischer Kunst besuchte. 1908 bereiste Lawren S. Harris Österreich, Italien, Frankreich und England, bevor er nach Toronto zurückkehrte. Er brachte nicht nur den Einfluss seiner Lehrer mit, sondern auch den der Sezessionsbewegung, der er in der Berliner Secession begegnet war.
Harris lernte den Mystizismus während seines Studiums in Berlin kennen, insbesondere nach seiner Begegnung mit dem deutschen Maler Paul Thiem, der für seine Darstellungen eines „stillen deutschen ‚Heimatgefühls‘ bekannt ist“.1
Werke
1908 kehrte Lawren S. Harris nach Kanada zurück und verbrachte die Sommer damit, das riesige Land auf der Suche nach neuen Motiven zu bereisen. Lawren Harris unternahm eine Studienreise in die Laurentides, 1909 zeichnete er mit J. W. Beatty in Haliburton. Im Herbst reist er nach Lac-Memphrémagog in Québec. Gleichzeitig zeichnete und malte er Häuser in der Innenstadt von Toronto. Auf diese Weise erkundete Harris Westkanada und zog in den 1920er Jahren weiter in die Gegend um den Lake Superior und Algoma sowie in die kanadischen Rocky Mountains, bevor er später einige Zeit in der Arktis verbrachte.
Harris lernte im Jahr 1911 die Maler J.E.H. MacDonald und Tom Thomson kennen, mit denen ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Im Winter 1911/12 zeichnete er gemeinsam mit J.E.H. MacDonald. Gemeinsam besuchten die beiden Künstler 1913 die Ausstellung „Contemporary Scandinavian Art [Zeitgenössische skandinavische Kunst statt]“ in der Albright Art Gallery in Buffalo (heute: Buffalo AKG Art Museum), die Harris’ Herangehensweise an die Malerei veränderte. Die Ausstellung zeigte 165 Werke von 44 Künstlern, darunter sechs bedeutende Gemälde von Edvard Munch. Es war das erste Mal, dass Werke zeitgenössischer skandinavischer Künstler in einer großen Gruppenausstellung in Nordamerika gezeigt wurden.2 Ihre Auseinandersetzung mit der skandinavischen Malerei, vor allem die Bilder der schwedischen Künstler:innen Gustaf Fjæstad und Anna Boberg sowie des Norwegers Harald Sohlberg, in Buffalo 1913 hatte großen Einfluss auf die spätere „Group of Seven“ und die Entwicklung der modernen kanadischen Kunst.3 Einer der Gründer der Gruppe, A.Y. Jackson, gab später zu:
„All dies [das Interesse an kanadischen Themen] wurde ausgelöst, als MacDonald und Harris von einer Ausstellung skandinavischer Malerei, die sie gesehen hatten, begeistert waren.“
Von nun an versuchte sich Lawren S. Harris von den europäischen Traditionen zu lösen und suchte in der Weite der kanadischen Landschaft nach Inspiration für eine Kunst, die als authentisch kanadisch gelten sollte.
Während ihrer Zeit in Buffalo verschlangen Harris und MacDonald beispielsweise die Schriften von Ralph Waldo Emerson, Walt Whitman und Henry David Thoreau und fühlten sich von der Philosophie Helena Blavatskys und der transzendentalistischen Bewegung angezogen.4 In einem Kreis von Schriftstellern und Dichtern besuchten die beiden Kanadier häufig den neu gegründeten Arts & Letters Club in Toronto und diskutierten die aufkeimenden Ideen einer nationalen Kunst, in der die Natur gegenüber der materiellen Welt im Vordergrund stand. Als Anhänger der Theosophie sah Lawren S. Harris in der Kunst vor allem eine Quelle der Spiritualität und Transzendenz.
Die beiden Kanadier ließen ihre frühen urbanen Szenen in Toronto hinter sich und wandten sich einer Kunst zu, die sich auf die mystischen und symbolistischen Qualitäten der umgebenden Landschaft konzentrierte. Harris und MacDonald reagierten auf den Ruf nach einem neuen Ansatz, indem sie sich unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Buffalo dem Thema der Landschaftsmalerei zuwandten. Der Grund für ihre neue Strategie war das Bedürfnis nach direktem Kontakt mit der Natur, d.h. das Malen im Freien und nicht im Atelier. Diese neue Suche führte zu den Winterbildern, die in Muskoka und im Algonquin Park in Ontario entstanden und eine Hommage an die Gemälde und Wandteppiche von Gustaf Fjæstad waren, die sie in der Buffalo-Ausstellung gesehen hatten.
Zusammen mit James MacCallum, einem wichtigen Förderer Tom Thomsons, und mehreren Künstlern der späteren „Group of Seven“, gründete Harris 1914 das Studio Building in Toronto, um seinen Künstlerkollegen erschwingliche Arbeitsräume zur Verfügung zu stellen. Mit der Gründung der „Group of Seven“ im Jahr 1920 wurde Harris nicht nur zum Spiritus Rector der Gruppe, sondern etablierte sich auch als einer der führenden Künstler Kanadas. Die Gruppe konzentrierte sich auf die Darstellung der nordischen Wildnis als Ausdruck nationaler Identität. Neben seiner Arbeit als Maler war er auch als Mäzen, Kritiker und Lehrer tätig und förderte viele kanadische Künstler, darunter Emily Carr, mit der er eng befreundet war.
Wie Harald Sohlberg distanzierte sich Harris zunehmend von der physischen Realität der Landschaft und ersetzte seine früheren Nahaufnahmen in Algoma durch kühlere, distanziertere und intellektuellere Darstellungen, die von seinen Erfahrungen an der Nordküste des Lake Superior inspiriert waren. Harris bewegte sich allmählich vom Visuellen zum Sensationellen und entfernte die Oberfläche des strukturierten Impasto, den er in seinen Algoma-Gemälden aufgetragen hatte, um den glatten Glanz monochromer Blau-, Gelb- und Weißtöne in seinen Lake Superior-Darstellungen zu erreichen. Dabei blieb er der mystischen Lehre der Theosophie treu.5 Die Summe seiner sich entwickelnden Suche kommt am besten in seinem Gemälde North Shore, Lake Superior von 1926 zum Ausdruck. Hier wählte er Farben, die die kosmische Wahrheit enthüllten, die er als „die Quelle eines Stroms wohltätiger, aufklärender kosmischer Kräfte hinter der Trostlosigkeit, Unfruchtbarkeit und Kargheit großer Teile des Landes“ definierte.6
Nach 1930 entwickelte er in seinen Darstellungen von Bergen und Seen eine immer abstraktere und kargere Formensprache, die sich in den 1940er Jahren zu einer radikalen Abstraktion weiterentwickelte. Bereits 1930 führte Harris’ ultimativer Drang, das Visuelle auf das Spirituelle zu reduzieren, den Maler auf eine Reise noch weiter in den Norden, in die kanadische Arktis, zusammen mit einem anderen Gründungsmitglied der Group of Seven, A.Y. Jackson.7 Trotz seiner ruhigen Melancholie trug das arktische Meer das Echo einer beängstigenden Leere in sich, die Harris in seinen Gemälden mit einer gedämpften, fast monochromen Palette verstärkte.
Nachdem Harris diesen reduzierten Malstil erreicht hatte, wandte er sich den kanadischen Rocky Mountains zu, um die zugrunde liegende Symbolik der Berge zu erforschen. Die Rocky Mountains stellten eine neue Herausforderung im Prozess der Formvereinfachung dar und führten Harris dazu, die strengen Gipfel und massiven Volumina in kantige Formen abgeflachter Dreiecke zu verwandeln und sie von der Komplexität von Masse, Kraft und Spannung zu befreien. Nach der Auflösung der „Group of Seven“ schloss sich Lawren Harris 1933 der Canadian Group of Painters an.
Von 1934 bis 1940 lebt Harris mit seiner zweiten Frau Bess in den USA, unter anderem in Santa Fe, New Mexico. Dort arbeitet er mit Emil Bisttram zusammen, dem Leiter der Transcendental Painting Group, die Lawren Harris 1939 mitbegründet.
Im Jahr 1940 kehrte Lawren S. Harris nach Kanada zurück und ließ sich mit seiner zweiten Frau in Vancouver nieder. In den folgenden dreißig Jahren setzte Lawren S. Harris seine Malerei fort, wobei er sich von geometrischen Abstraktionen über expressionistische Gemälde Mitte der 1950er Jahre bis hin zu den fröhlichen Werken seines Spätwerks entwickelte. In seinem Spätwerk setzte er seine Suche nach einer von den Rhythmen der Natur inspirierten Abstraktion fort. Lawren S. Harris’ Glaube an die Theosophie ist eng mit seiner Entwicklung zum gegenstandslosen Künstler verbunden. Mit abstrakten Gemälden wie „Abstract Painting No. 20“ (1942), von denen viele Formen aus der Landschaft verwenden, versuchte er, eine verbindliche und heilende Vorstellung des Universums darzustellen und das Erhabene sichtbar zu machen. Seine Bilder wurden als kalt kritisiert, aber in Wirklichkeit spiegeln sie die Tiefe seiner geistigen Auseinandersetzung wider. Seine Weltsicht machte ihn einzigartig unter den kanadischen Malern, auch wenn ihn seine Philosophie von der gestischen Abstraktion fernhielt. Dennoch gehören seine Landschaftsbilder wie „Lake and Mountains“ (1927/28) und einige seiner Abstraktionen zu den Ikonen der kanadischen Kunst.
Tod
Lawrence S. Harris starb am 29. Januar 1970 in Vancouver, British Columbia.
Literatur zu Lawrence S. Harris
- Nordlichter, hg. v. Ulf Küster für die Fondation Beyeler (Ausst.-Kat. Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 26.1.–25.5.2025; Buffalo AKG Art Museum, Buffalo, New York, 18.2025–12.1.2026), Berlin 2025.
- Katerina Atanassova, Seclusion or Inclusion: The Canadian Response to Scandinavian Symbolist Landscape Painting, S. 156–164.
- Peter Larisey, Light for a Cold Land: Lawren Harris’s Work and Life—An Interpretation, Toronto / Oxford 1993.
- Ann Davis, The Logic of Ecstasy: Canadian Mystical Painting, 1920–1940, Toronto 1992, S. 112–127.
- The Idea of North: The Paintings of Lawren Harris (Ausst.-Kat. Hammer Museum, Los Angeles; Museum of Fine Arts, Boston; Art Gallery of Ontario, Toronto), Toronto 2015.
- Bess Harris, R. G. P. Colgrove (Hg.), Lawren Harris, Toronto 1969.
- Peter Larisey, Light for a Cold Land: Lawren Harris’s Work and Life—An Interpretation, Toronto / Oxford 1993, S. 8–12, hier S. 10.
- J.E.H. MacDonald, Zit. nach: Charles C. Hill, The Group of Seven: Art for a Nation (Ausst.-Kat. National Gallery of Canada, Ottawa; Art Gallery of Ontario, Toronto; Vancouver Art Gallery; Montreal Museum of Fine Arts) Toronto 1995, S. 48.
- Katerina Atanassova, Seclusion or Inclusion: The Canadian Response to Scandinavian Symbolist Landscape Painting, in: Nordlichter, hg. v. Ulf Küster für die Fondation Beyeler (Ausst.-Kat. Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 26.1.–25.5.2025; Buffalo AKG Art Museum, Buffalo, New York, 18.2025–12.1.2026), Berlin 2025, S. 156–164, hier S. 157.
- Peter Larisey, Light for a Cold Land: Lawren Harris’s Work and Life—An Interpretation, Toronto / Oxford 1993, S. 8–12, hier S. 10.
- Ann Davis, The Logic of Ecstasy: Canadian Mystical Painting, 1920–1940, Toronto 1992, S. 112–127.
- Lawren S. Harris, Zit. nach: Lawren Harris, hg. v. Bess Harris und R. G. P. Colgrove, Toronto 1969, S. 11.
- A. Y. Jackson war das erste Mitglied der „Group of Seven“, das 1927 an Bord eines Schiffes der Royal Canadian Mounted Police (RCMP) in die hohe Arktis aufbrach. Diese erste Reise führte zu seiner Reise im Jahre 1930, bei der sich Harris anschloss.