Die in Wien lebende Künstlerin Dorit Margreiter zeigt eine umfassende Retrospektive ihres Werks im mumok. Margreiters Interesse gilt den Verbindungen von visuellen Systemen und räumlichen Strukturen, dem Verhältnis von Gegenwart und Geschichte, sowie jenem von Realität, Repräsentation und Fiktion. Die Künstlerin arbeitet unter besonderer Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Rollenverhältnisse, und sie tut dies im Hinblick auf populäre und künstlerische Displayformate. Dem Medium Film kommt dabei besondere Bedeutung zu.
Österreich / Wien: mumok
25.5. – 6.10.2019
Als zentrales Element der Installation im mumok fungiert die filmische Arbeit „Mirror Maze“ (2019), die Margreiter im Spiegelkabinett „Calypso“ im Wiener Prater drehte und als Doppelprojektion gezeigt wird. Was in „Mirror Maze“, englisch für „Spiegellabyrinth“, zu sehen ist, ist allerdings nicht ganz leicht nachvollziehbar. Unscharfe Bilder treffen auf überscharfe Nahaufnahmen, verschwommene Lichtstreifen auf eigentümlich verzerrte Abbilder von Raumelementen. In der labyrinthischen Architektur eines Spiegelkabinetts wird der Blick gezielt in die Irre geführt. Handelt es sich um Lichteffekte oder um gebaute Architektur? Plötzlich tauchen zwei Frauen in den Bildern auf, die sich allerdings nicht bewegen. Ihr statisches Existieren lässt sie wie Puppen wirken. Aus all diesen Elementen entsteht eine rätselhafte Spannung zwischen Abstraktion und Architektur aus Glas, reflektierenden aber auch intensiv farbigen Oberflächen. Wenn das Gesehene sich nicht mit den räumlichen Gegebenheiten in Deckung bringen lässt, geht die Orientierung verloren. Dieses Spiel mit der Wahrnehmung verunsichert nicht nur das betrachtende Subjekt, sondern lässt sich auch als Prozess des In-Unordnung-Bringens, des Destabilisierens interpretieren. Gleichzeitig reflektiert Dorit Margreiter in ihrem Film auch die Voraussetzungen für filmisches Dokumentieren und Repräsentieren, von Projektion und Illusion (Special-effects). Sie erzählt von der Übereinkunft der Betrachtenden mit dem Filmemacher – für eine kurze Zeit – alles Gezeigte zu glauben. Dieses Vertrauen führt allerdings zu einer Steigerung der Verwirrung, lässt Dorit Margreiter doch die Kamera nie feste Bilder produzieren. Der Schwindel, der sich einstellt, verbindet die filmische Arbeit „Mirror Maze“ mit der aktuell laufenden Ausstellung „Vertigo. Op Art“.
Für ihre Personale im mumok verwandelt Dorit Margreiter den kompletten Ausstellungsraum in eine künstlerische Installation, die Display- und Architekturkomponenten, Filme und Mobiles sowie Fotografien einbezieht. Ausgangspunkt für diese Gesamtinstallation ist Margreiters aktuelle Auseinandersetzung mit Spiegelkabinetten und mit dem Essayband „Labyrinths“ des argentinischen Autors Jorge Luis Borges1, eine Publikation, die bezeichnenderweise die Land-Art-Künstlerpaar Nancy Holt und Robert Smithson ihrem Kollegen Ad Reinhard in den 1960er Jahren schenkten.
Sowohl die neue Filminstallation selbst, als auch weitere fotografische und skulpturale Werke der Künstlerin beziehen sich in der einen oder anderen Form auf den realen Ausstellungsraum. So stellt beispielsweise ein aus Spiegelelementen gebildetes Mobile das Verhältnis von Visualität und Materialität ebenso zur Diskussion, wie eine Sammlung fotografischer Tableaus, die Abbildungen des Materials Glas zeigen. Auch weitere in der labyrinthischen Ausstellungsarchitektur präsentierte Arbeiten widmen sich dem spezifischen Schauplatz Museum und dessen Repräsentationsformen. Sie thematisieren die Geschichte und Lesbarkeit von architektonischen Fragmenten oder beleuchten Mechanismen des Sammelns.
Ergänzend zu ihrer Auseinandersetzung mit Labyrinthen und Spiegelkabinetten entwickelte Dorit Margreiter eine zweite filmische Installation, die im mumok zusammen mit einer Auswahl weiterer, bereits bestehender Werke zu sehen sein wird: Die filmische Arbeit „Boulevard“ bezieht sich auf das Neon-Museum in Las Vegas, eine Art Friedhof ausrangierter Leuchtschriften. „Boulevard“ ist eine Korrelation mit Margreiters langjähriger Untersuchung räumlicher Strukturen, die maßgeblich von Robert Venturis und Denise Scott Browns Klassiker der Architekturtheorie „Learning from Las Vegas“ beeinflusst wurde.
Das Neon-Museum hat vielfältige Bezüge zu bereits zuvor angesprochenen Themen und zu Margreiters früheren Werken. So korrespondieren beispielsweise dort ausrangierte Leuchtschriften mit einer bereits bestehenden Filminstallation, die sich ebenfalls mit Neonbeschriftungen beschäftigt sowie mit aus abstrahierten Buchstaben gebildeten Mobiles. Dorit Margreiter schlägt einen Bogen von Las Vegas, einem Ort, an dem sich Architektur und Illusion, Visualität und Materialität paradigmatisch verschränken, ins mumok.
Begleitet wird die Präsentation von einer umfassenden Publikation, die aus mehreren Einzelbroschüren mit Texten und Dokumentationsmaterialien zu Margreiters zentralen filmischen Werkblöcken besteht.
Kuratiert von Matthias Michalka
Dorit Margreiter (* 1967) lebt in Wien.
Ausstellungen (Auswahl): Foto Kinetik, Museum der Moderne Salzburg (2017); Titos Bunker, Kunstverein Baden-Württemberg (2017); Neue Räume, Charim Wien, (2016); Broken Sequence, Stampa, Basel (2015); Selftimer Stories, ACF, New York (2014); Performing Histories, Museum of Modern Art New York (2013); Tomorrow was already here, Museo Tamayo, Mexico City (2012); Description, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía Madrid (2011); Modernologies, Museum Moderner Kunst, Warschau (2010) und MACBA Barcelona (2009); 53rd International Art Exhibition/La Biennale di Venezia, Österreichischer Pavillon, Venedig (2009); Locus Remix: Dorit Margreiter, MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles (2009); Poverty Housing. Americus, Georgia, MAK Wien mit Rebecca Baron (2008); analog, Galerie für zeitgenössische Kunst, Leipzig (2006); 10104 Angelo View Drive, mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (2004).
Preise und Stipendien (Auswahl): Österreichischer Kunstpreis für Video und Medienkunst (2016), Blinky-Palermo-Stipendium (2004), Preis der Stadt Wien für bildende Kunst (2003), Msgr. Otto Mauer-Preis (2002).