Vivan Sundaram

Wer war Vivan Sundaram?

Vivan Sundaram (Shimla 28.5.1943–29.3.2023 New Delhi) war ein indischer Künstler der Moderne (→ Zeitgenössische Kunst). Sundaram arbeitete in vielen verschiedenen Medien, darunter Malerei, Bildhauerei, Druckgrafik, Fotografie, Installation und Videokunst. Sein Werk war politisch bewusst und stark intertextuell geprägt; es bezieht sich stets auf soziale Probleme, Populärkultur, Probleme der Wahrnehmung, Erinnerung, Identifikation und Geschichte.

Kindheit

Vivan Sundaram wurde am 28. Mai 1943 in Simla, Simla Hill States, British Raj, geboren. Seine Eltern waren Kalyan Sundaram, Vorsitzender der Law Commission of India von 1968 bis 1971, und Indira Sher-Gil, die Schwester der bekannten ungarisch-jüdischen indischen Künstlerin der Moderne Amrita Sher-Gil (1913–1941).

Vivan Sundarams Schwester Navina Sundaram (1945–2022) war eine indisch-deutsche Fernsehjournalistin, Redakteurin und Filmemacherin. Die familiäre Umgebung der Geschwister war bildungsbürgerlich-kosmopolitisch, ihre Erziehung geprägt vom Geist der jungen indischen Republik unter Ministerpräsident Jawaharlal Nehru (1889–1964), ein säkularer, parlamentarischer Staat, der u. a. in der Allianz der Blockfreien Länder wichtige Impulse setzte.

Ausbildung

Sundaram besuchte die Doon School, wo er kurzzeitig von Sudhir Khastgir, dem ersten Kunstlehrer der Doon School und Maler der Bengal School of Art, unterrichtet wurde. Anschließend studierte er Malerei an der Faculty of Fine Arts der Maharaja Sayajirao University of Baroda in Vadodara und besuchte ein Aufbaustudium bei R. B. Kitaj an der Slade School in London (1966–1968), wo er auch Filmgeschichte studierte. Sundaram war in der Studentenbewegung vom Mai 1968 aktiv. Er half beim Aufbau einer Kommune in London, wo er bis 1970 lebte.

Nach seiner Rückkehr nach Indien im Jahr 1971 arbeitete Vivan Sundaram mit Künstler- und Studentengruppen zusammen, um Veranstaltungen und Proteste zu organisieren, insbesondere während der Jahre des Ausnahmezustands. Er gehörte 1989 zu den Mitbegründern der Organisation SAHMAT (Safdar Hashmi Memorial Trust), einem kulturell-politischen Forum von Künstlern und Intellektuellen gegen rechte Ideologien.

Werke

Zu Beginn schuf Sundaram figurative Gemälde. So entstand 1968 einigen Malereien, darunter „South Africa“ und „From Persian Miniatures to Stan Brakhage“, die seinen politischen Scharfsinn und seine experimentelle Tiefe offenlegen. In ihnen verarbeitete der indische Künstler die Ästhetik der Pop Art, die surrealistische Grammatik (→ Surrealismus) und die narrative Figuration – eingebettet in die aufgeladene Atmosphäre der Studentenproteste, der Anti-Apartheid-Bewegung in Großbritannien, der Opposition gegen den Vietnamkrieg und des marxistischen Denkens.

Sundarams Werke der 1980er Jahre zeigten eine Tendenz zu figurativen Darstellungen und beschäftigten sich mit Identitätsproblemen. Seine Werke nehmen immer wieder Bezug auf soziale Probleme, Populärkultur, Probleme der Wahrnehmung, Erinnerung und Geschichte. Er gehörte zu den ersten indischen Künstlern, die mit Installationen arbeiteten. Seine späteren Installationen und Videos verweisen oft auf seine künstlerischen Einflüsse, darunter Dadaismus, Surrealismus sowie in jüngerer Zeit Fluxus und das Werk von Joseph Beuys.

Ab Mitte der 1980er Jahre wandte er sich immer stärker den Kunstgattungen Mixed Media und Installation zu, weil er die Beschränkungen überwinden wollte, die ein gerahmtes, zweidimensionales Kunstwerk dem Künstler auferlegen. Er war einer der ersten indischen Künstler, die Installationen schufen. Etwa 1990 gab er die Malerei ganz auf und widmete sich den künstlerischen Ausdrucksformen Installation, Fotografie einschließlich Fotomontage und Videokunst. Sein Werk ist politisch engagiert und in hohem Maße intertextuell.

Das Ölgemälde „The Sher-Gil Family“ (1983/84) war eines jener Werke, mit denen sich Vivan Sundaram von der Malerei verabschiedete. Auf dem Bild sind seine Tante Amrita Sher-Gil, seine Mutter Indira, seine Großmutter Marie Antoinette und im Hintergrund sein Großvater Umrao Singh „als Collage von Fragmenten versammelt“. „Re-take of ‚Amrita‘“ ist eine Serie von digitalen Schwarz-Weiß-Fotomontagen, die auf Archivfotos der Familie Sher-Gil basieren. Der ursprüngliche Fotograf war Sundarams Großvater Umrao Singh (1870–1954), ein Philosoph, Künstler und Fotograf aus dem Punjab. Sundaram hat die Fotografien neu konfiguriert und die Familie in neuen Rollen dargestellt, um die Familiengeschichte neu zu erzählen.

„Memorial“ (1993, 2014), das als Reaktion auf die kommunale Gewalt in Bombay entstand; eine monumentale, ortsspezifische Installation im Victoria Memorial, Kalkutta, die auch als Buch „History Project“ (1998) veröffentlicht wurde; die Fortsetzung der Arbeit an seiner Familie, die die Installation „The Sher-Gil Archive“ (1995) und digitale Fotomontagen, „Re-take of ‚Amrita‘“ (2001–2006), die auf Fotografien von Umrao Singh Sher-Gil basieren, umfasst.

Zu einer Reihe von Ausstellungen mit gefundenen Objekten gehören „Trash“ (2008), eine installierte Stadtlandschaft aus Müll, digitale Fotomontagen und drei Videos: „Tracking“ (2003/04), „The Brief Ascent of Marian Hussain“ (2005) und „Turning“ (2008).

Aus Müll und gefundenen Materialien stellte der Kleidungsstücke her, die in „GAGAWAKA: Making Strange“ (2011) und „Postmortem“ (2013) in Mode und Performance übergingen. Im Jahr 2012 wurde „Black Gold“, eine Installation von Scherben aus der Ausgrabung von Pattanam/Muziris in Kerala, zu einem Drei-Kanal-Video verarbeitet.

2017 wurde ein öffentliches Kunstprojekt über den Aufstand der Königlichen Indischen Marine und der Arbeiterklasse in Bombay mit dem Titel „Meanings of Failed Action: Insurrection 1946“, das gemeinsam mit dem Kulturtheoretiker Ashish Rajadhyaksha und dem Klangkünstler David Chapman verfasst wurde.

„Ich wünsche mir sehnlichst eine Verbindung zu Ramkinkar, der mich zu radikalen Entscheidungen anspornt - so wie er es zu seiner Zeit getan hat, und so tapfer.“ (Sundaram)

In den letzten 20 Jahren seines Lebens beschäftigte sich Vivan Sundaram immer wieder mit Persönlichkeiten der indischen Moderne. Aus seiner Ablehnung der Gewalt, der Ausgrenzungspolitik und des verengten Geschichtsbildes der hindu-nationalistischen Bewegung rückte Sundaram progressive und kosmopolitische Künstler:innen aus der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Neben der Malerin Amrita Sher-Gil, der sich der Künstler in jahrelangen Recherchen, Publikationen und einer Serie digitaler Fotomontagen mit dem Titel „Re-take of Amrita“ (2001–2002) widmete, war der Bildhauer Ramkinkar Baij (1906–1980) ein wichtiger Bezugspunkt. In der Werkgruppe „409 Ramkinkars“ (2015) hat Sundaram mehrere Skulpturen des bengalischen Modernisten in eigenen Werken neu interpretiert (gemeinsam mit den Theaterregisseuren Anuradha Kapur und Santanu Bose).

Wie „Mill Re-Call“ ist „One and the Many“ (2015) Teil dieses Komplexes und besteht aus 220 Terrakottaskulpturen, die Sundaram in einem generationenüberspannenden Dialog mit einer Gruppe junger Künstler:innen ausführte. Sie beziehen sich auf die monumentalen Skulpturen „Santhal Family“ (1938) und „Mill Call“ (1956), mit denen der avantgardistische Künstler die politische Rolle der Subalternen in den indischen Befreiungskämpfen würdigte.

Im Jahr 2016 gründete Vivaran Sundaram zusammen mit seiner Schwester, der Filmemacherin und Fernsehjournalistin Navina Sundaram, die Sher-Gil Sundaram Arts Foundation (SSAF).

Ausstellungen

  • 2023: Vivan Sundaram war einer von 30 Künstlern, die speziell für die 30. Jubiläumsausgabe der Sharjah Biennale beauftragt wurden, neue Arbeiten zu schaffen. „Sharjah Biennale 15: Thinking Historically in the Present“ (Februar bis Juni 2023), die konzipiert von Okwui Enwezor und kuratiert von Hoor Al Qasimi. Sundaram zeigte sein fotobasiertes Projekt „Six Stations of a Life Pursued“ (2022).
  • 2018/19: „Vivan Sundaram. Disjunctures“, eingeladen von Okwui Enwezor und kuratiert von Deepak Anant, im Haus der Kunst in München (Juni 2018 – Januar 2019)
  • Februar – Juni 2018: Auf Einladung des Kiran Nadar Museum of Art in Neu-Delhi wurde von eine Retrospektive zum 50-jährigen Bestehen des Werks mit dem Titel „Step inside and you are no longer a stranger“ gezeigt.

Tod

Vivan Sundaram starb nach kurzer Krankheit am 29. März 2023 im Alter von 79 Jahren in New Delhi.

Vivan Sundaram war seit 1985 mit der Kunsthistorikerin und Kritikerin Geeta Kapur (*1943) verheiratet.