Gustav Klimt, Fakultätsbild „Die Jurisprudenz“, Detail, 1900-1907, Rekolorisierung nach historischer Aufnahme (2021) (Österreichische Galerie Belvedere, Wien / Image by Google)
Gustav Klimt ist der bekannteste Künstler Österreichs, seine Werke begeistern weltweit Millionen von Menschen. Dennoch verbergen sich hinter seinen berühmten Bildweiten immer noch zahlreiche Geheimnisse: Wie hat Klimt gearbeitet? Welche Materialien hat er verwendet? Wie hat er einzelne Bilder konzipiert? Die Ausstellung in der Orangerie des Belvedere ermöglicht einen Blick unter die Oberfläche von Klimts Farbenwelt. Dank modernster Bildtechnologien wie lnfrarotreflektografie, Röntgenaufnahmen und Künstliche Intelligenz (KI) gelingt es, neue Erkenntnisse über Klimts Arbeitsmethode zu gewinnen. Gelegentlich werden auch überraschende Abweichungen zwischen Vorzeichnung und finaler Ausführung sichtbar.
Österreich | Wien: Unteres Belvedere
21.2. – 7.9.2025
Klimts verlorene Fakultätsbilder gehören zu den bedeutensten und gleichzeitig unbekanntesten Schöpfungen des Jugendstil-Malers. Dies könnte sich nun ändern. Das Belvedere zeigt eine hypothetische Rekonstruktion der Farbigkeit, das Ergebnis seiner mehrjährigen Kooperation mit Google Arts & Culture.
Bevor man allerdings mit der Farbrekonstruktion und der Hängung der Bilder im Großen Festsaal der Universität Wien konfrontiert wird, zeigt Kurator Franz Smola insgesamt acht Originale Klimts. Wenn auch „Der Kuss“ weiterhin im Oberen Belvedere bleiben muss, so präsentiert die Schau mit „Judith I“ und „Sonnenblume“ zwei der Hauptwerke Klimts aus der Sammlung bis zum Herbst 2025 in der Orangerie. Ergänzt wird die Auswahl um „Frauenbildnis“ (um 1893/94), „Nach dem Regen“ (1898), „Freundinnen (Wasserschlangen I)“ (1904), „Forsthaus in Weißenbach I (Landhaus am Attersee)“ (1914), „Amalie Zuckerkandl“ (1917/18, möglicherweise bereits 1913/14) und „Dame in Weiß“ (1917/18).
Wenn die Fakultätsbilder zu den unbekanntesten Werken des Malers gehören, so ist sein Gemälde „Der Kuss“ (1908/09, Belvedere) eines der berühmtesten Bilder der Welt. Es ist End- und Höhepunkt der sog. „Goldenen Periode“, die etwa zwischen 1901 und 1909 anzusetzen ist. Auf welche Weise hat er das Gold auf die Leinwand aufgetragen? Mithilfe neuester technologischer Untersuchungsmöglichkeiten ist es der Belvedere-Restaurierung gelungen, umfassendere und genauere Antworten auf diese Fragen zu erhalten. Dass Klimt mit einer Ölvergoldung1 arbeitete, gehört zum gesicherten Wissen. Neu ist etwa die Erkenntnis, dass Klimt in manchen Bildern neben Gold auch Platin, rein oder silberhaltig, verwendete, was in der damaligen Zeit durchaus ungewöhnlich war.2
Doch nicht nur das: Für das freie Auge kaum sichtbar ist die subtile Vergoldungstechnik des Künstlers im Hintergrund des Liebespaares. gleich mehrere Schichten von Metallen
übereinandergelegt. Klimt trug zunächst dünn geschlagene Messingblättchen (sog. Schlagmetall) auf die gesamte Fläche auf. Im nächsten Schritt überzog er diese ebenfalls vollflächig mit einer dunkelbraunen Lasur oder Patina, bevor er dort unzählige kleine Gold- und Platinpartikel verteilte. Die spontane Verteilung, die an Sprühnebel oder japanische Lackmöbel (Goldlack) erinnert, nennt Stefanie Jahn treffend „Goldflocken“.3
Gustav Klimts dürfte aufgrund dieser aufwändigen Technik bereits seit 1907 an „Der Kuss“ zu arbeiten begonnen haben. Allerdings war das Bild erst im Juni 1909 vollendet. Dazwischen präsentierte der Künstler das Werk auf der „Kunstschau“ (Juni bis November 1908). Das k. u. k. Unterrichtsministerium kaufte das Gemälde für die Moderne Galerie um die damals außerordentlich hohe Summe von 25.000 Kronen an – laut Historischem Währungsumrechner der Österreichischen Nationalbank entspricht das etwa € 188.000.-. Im folgenden halben Jahr veränderte Klimt noch einige Elemente der Komposition wie den linken Teil der Blumenwiese, er verlängerte die Unterschenkel der knienden Frau und bedeckte ihre Beine mit wesentlich mehr Schlingpflanzen. Außerdem nahm er zahlreiche Änderungen an den Ornamenten auf den Gewändern vor. Die Restaurierung konnte nachweisen, dass der Protagonist ursprünglich einen Vollbart trug, der heute nicht mehr zu sehen ist.
Die monumentalen Leinwandbilder mit den Allegorien der Philosophie, der Medizin und der Jurisprudenz waren ursprünglich für die Decke des Festsaals der Wiener Universität bestimmt, wohin sie jedoch aufgrund von massiver Kritik nie gelangten. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie in ein Kunstdepot auf Schloss Immendorf eingelagert, das in den letzten Kriegstagen jedoch in Brand gesetzt wurde, womit auch die Fakultätsbilder Gustav Klimts vernichtet wurden. Ihr Aussehen ist lediglich aufgrund von Schwarz-Weiß-Fotos bekannt. Mithilfe von KI ist es nun gelungen, ihnen eine Farbigkeit zu verleihen, die dem ursprünglichen Eindruck sehr nahekommen dürfte. Die Ausstellung liefert die Rekonstruktionen in den ursprünglichen Bildmaßen.
„Wenn in der Stimmung der ‚Philosophie‘ grüne u. blaue Töne eine kühlere Harmonie bildeten, so ist hier [‚Die Medizin‘] ergänzend ein wärmerer, von rosigen Tönen bis zu hell schmetterndem Purpur, angeschlagen.“4 (Ludwig Hevesi)
Beschreibungen wie diese vom Kunstkritiker Ludwig Hevesi haben schon immer die Phantasie von Forschenden entzündet, da die Fakultätsbilder im Mai 1945 verbrannt und nur durch Schwarz-Weiß-Fotografien bekannt sind. Ist es möglich, die Farbigkeit von Klimts Fakultätsgemälden zu rekonstruieren? Neueste Technologien können Hand in Hand mit Erkenntnissen aus der Restaurierung erhaltener Gemälde und Farbangaben in Textquellen eine Ahnung vom originalen Aussehen der Gemälde geben, zeigt sich Kurator Franz Smola überzeugt.
„Drei Rachegöttinnen von schauerlich schöner Bildung, mit goldenen Schlangen im Haar, umlagern ihn drohend. Schwarze Gewänder ziehen gleich unheimlichen Nebelschleiern ihre Arabesken um diese Gruppe. In der oberen, goldstrotzenden Sphäre erscheint die Gerechtigkeit mit ihrem Schwerte, zwischen dem Gesetz, auf deren Buch das Wort ‚Lex‘ steht, und der Wahrheit im goldgestickten Purpurmantel. Den Hintergrund bildet das Quaderwerk eines Justizpalastes.“5 (Ludwig Hevesi)
Mit Hilfe einer KI, die eine statistische Analyse von Klimts erhaltenen Gemälden erstellen und lernen kann6, ist es möglich, Klimts charakteristischen Farbeinsaz nachzuahmen. Der KI-Experte Emil Wallner bezog in dieses System aber auch menschliche Expertise mit ein; bisher existierende Kolorierungsalgorithmen haben keine brauchbaren Ergebnisse erzielt. Deshalb musste Wallner für die Rekolorierung der Fakultätsbilder ein neues Machine-Learning-Modell schreiben, das anhand von 91.749 digitalen Abbildungen von Kunstwerken lernte, wie in Kunstwerken etwa Objektgrenzen und Strukturen beschaffen sind und welche Kompositionen und Motive in Gemälden besonders häufig vorkommen.7 Werke Klimts lehrten dem Algorithmus das charakteristische Kolorit des Wiener Malers. Ergänzt um spzeifische Angaben aus erhaltenen Gemälden und Bildbeschreibungen, konnte in den Prozess der Rekolorierung unmittelbar eingegriffen und die Farbgebung wesentlich nach den Vorstellungen von externen Expert:innen gelenkt werden.8
Stella Rollig, Franz Smola (Hg.)
mit Beiträgen von Stefanie Jahn, Stella Rollig, Franz Smola, Barbara Steiner, Emil Wallner
176 Seiten, 31 x 24 cm
ISBN 978-3-7533-0808-1
Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König