Erstmals in Österreich wird das Werk der deutschen Dadaistin, Malerin und Fotomontage-Künstlerin Hannah Höch (1889–1978) mit einer großen musealen Retrospektive gewürdigt. Höch war eine der zentralen Protagonist:innen der Kunst der 1920er Jahre und gilt als Miterfinderin der Collage und der Fotomontage (→ Hannah Höch: Biografie). Ausgestattet mit Leim und Schere setzte sie sich in ihrer Kunst auf ironische und scharfsichtige Art und Weise mit der Macht und der Wirkung von Bildern auseinander.
Österreich | Wien:
Unteres Belvedere
21.6. – 6.10.2024
Die Ausstellung legt den Schwerpunkt auf Collagen und Fotomontagen Hannah Höchs. Die Schau beginnt mit doppeltbelichteten Porträtfotografien der Künstlerin vom Architekt Richard Kauffmann. Hier zeigt sich eine Überzeugung von Höch und ihren Freunden, dass es „außer deiner und meiner Anschauung und Meinung noch Millionen und Abermillionen berechtigter Anschauungen gibt“1. Höch, aus gutem Haus stammend und ab 1912 an der Berliner Kunstgewerbeschule ausgebildet, wurde durch eine Beziehung zum bereits verheirateten Raoul Hausmann in den Dadaisten-Kreis aufgenommen.2 Auch wenn in allen Höch-Biografien ostentativ betont wird, dass das Werk der Künstlerin nicht auf diese wenigen Jahre reduziert werden solle, so setzt die Ausstellung genau bei den ab 1919 entstandenen Fotocollagen an.
Hannah Höch arbeitete von 1916 bis 1926 als Redaktionsmitarbeiterin im Ullstein Verlag, dem damals größten Zeitschriftenverlag Deutschlands. Daher hatte sie Zugang zu großen Mengen an Bildmaterial.3 Neben den im Alltag immer relevanteren Bilder der Massenmedien zeigten ihr die Zeitungsmacher:innen, wie sie mit dem Medium Fotografie umgingen (Retusche, Beschneiden). Fotografie und Film eroberten sich in den 1920er Jahren wichtige Stellungen in der neuen Medienlandschaft, so dass die Künstlerin Hannah Höch ihre Gesellschaftskritik vor allem auf diese Bilder aufbauen konnte.
Höchs Fotomontagen basieren auf Erinnerungsbildern für Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, wie die Schau nahelegt. Fotostudios hatten die Köpfe der Männer auf vorgefertigte Drucke aufgeklebt. Nach Ende des Weltkriegs sah sich die deutsche Gesellschaft den Kriegsfolgen, darunter Kriegsversehrte mit Masken und Prothesen. Hannah Höch und ihr Lebensgefährte Raoul Hausmann, die Beziehung dauerte von 1915 bis 1922, bildeten den Kern von Dada Berlin. Mit karikaturhaften Zugängen formulierte die Künstlerin ihre Gesellschafts- und Wirtschaftskritik. So verfolgte Hannah Höch dennoch keine politisch-aktivistischen Ziele, sondern nutzte montierte Körper für einen schockierenden Kommentar: „Kleinteilig und voller Ironie kombinierte sie Politisches und Alltägliches in verwirrender Gleichzeitigkeit“, so Martin Waldmeier in seinem Katalogbeitrag. Im Gegensatz dazu entwickelte John Heartfield die Fotomontage und Collage während der 1920er Jahre zu einem Mittel der Propaganda weiter. Er nutzte „Fotografie als Waffe“ gegen das Kapital und ihre Nutzung zum Zweck „des Kampfes, des Lernens und des Aufbaus“.4 Raoul Hausmann formulierte in „Synthetisches Cino der Malerei“ von 1918 das Ziel von Dada:
„Dada: das ist die vollendete gütige Bosheit, neben der exakten Fotografie die einzig berechtigte bildliche Mitteilungsform und Balance im gemeinsamen Erleben - jeder, der in sich seine eigenste Tendenz zur Erlösung bringt, ist Dadaist. In Dada werden Sie Ihren wirklichen Zustand erkennen: wunderbare Konstellationen in wirklichem Material, Draht, Glas, Pappe, Stoff, organisch entsprechend Ihrer eigenen geradezu vollendeten Brüchigkeit, Ausgebeultheit: Nur hier gibt es erstmals keinerlei Verdrängungen, Angstobstinationen, wir sind weit entfernt von der Symbolik, dem Totemismus; elektrisches Klavier, Gasangriffe, hergestellte Beziehungen, Brüllender in Lazaretten, denen wir erst durch unsere wunderbaren widerspruchsvollen Organismen zu irgendeiner Berechtigung, drehender Mittelachse, Grund zum Stehen oder Fallen verhelfen.“ (Raoul Hausmann, Synthetisches Cino der Malerei, 1918)
Bisher ist erst wenig bekannt, dass Höch die Fotomontage im „Grenzbereich des Films“ verortete, ihre Ansammlungen von Fotoschnipsel als statische Filme auf Papier empfand.5 Mithilfe von Schnitt und Komposition konnte die Künstlerin neue Blicke auf die Welt ermöglichen und wollte dadurch Kritik auslösen. Da Hannah Höch von 1916 bis 1926 als Redaktionsmitarbeiterin im Ullstein Verlag arbeitete, dem damals größten Zeitschriftenverlag Deutschlands, hatte sie Zugang zu großen Mengen an Bildmaterial.6 Darüber hinaus war Höch begeisterte Kinogängerin; als Mitglied der avantgardistischen Filmligen in Berlin und Den Haag konnte sie experimentelle Filme aus Europa und der Sowjetunion entdecken. Über die Novembergruppe und den Dada-Kreis war die Künstlerin mit Künstlern wie Kurt Schwitters und László Moholy-Nagy aber auch Filmemachern wie Hans Richter, László Moholy-Nagy oder Viking Eggeling bekannt und verfolgte die Entwicklung des neuen Mediums. Im ersten Ausstellungsraum positionieren die Kurator:innen folgerichtig Dsiga Wertows „Mann mit der Kamera“(1929) und Hans Richters „Inflation“, die beide neuartige Schnittverfahren (Stop-Motion-Animation), Überblendungen und eine Dynamisierung des Blicks zeigen, welche die Schnelllebigkeit der zeitgenössischen Großstadterfahrung in Bilder umsetzen sollen.
Hannah Höch bezeichnete die Collage, wie auch ihre Kolleginnen des Dadaismus, als „Montage“ oder „Fotomontage“. Die dafür eingesetzten Bilder aus den Massenmedien stammten die Bereiche Politik, Mode und Unterhaltung, aber auch den Welten der Technik, Wissenschaft und Industrie.Neben 60 Fotomontagen von Hannah Höch werden eine Auswahl von Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken sowie Archivalien aus dem Nachlass der Künstlerin zu sehen sein. Die Arbeiten werden dialogisch mit Filmprojektionen von Hans Richter, László Moholy-Nagy, Man Ray, Viking Eggeling, Jan Cornelis Mol, Alexander Dowschenko und Dziga Vertov gezeigt, die Höch kannte und von denen sie künstlerische Impulse erhielt.
Eine Ausstellung des Zentrum Paul Klee in Bern in Zusammenarbeit mit dem Belvedere: Bern | ZPK: Hannah Höch