Christian Boltanski
Wer war Christian Boltanski?
Christian Boltanski (Paris 6.9.1944–14.7.2021 Paris) war ein französischer Künstler, der vor allem durch seine Installationen bekannt wurde.
In seinem Werk ging es immer wieder um die Verfälschung der Erinnerung und das Fragile unserer Lebensentwürfe; Zeit, Vergänglichkeit und Tod waren seine großen Themen. Als Künstler arbeitete Boltanski mit so unterschiedlichen Medien wie Fotografie oder Sound-Installation (das Einzige, was er nie machte: malen), doch am berühmtesten war er für seine Installationen.
Kindheit
Christian Boltanski wurde kurze Zeit nach dem Ende der deutschen Besetzung im befreiten Paris als Sohn des jüdischen ukrainischen Chefarztes Étienne Boltanski (1896–1983) und von Marie-Élise Ilari-Guérin geboren. Seine Mutter stammte aus Korsika und war eine links eingestellte Katholikin.
Der Künstler war Autodidakt. Er lebte und arbeitete in Malakoff bei Paris und war der jüngere Bruder des Soziologen Luc Boltanski. Christian Boltanski war mit der Künstlerin Annette Messager verheiratet.
Werke
Boltanski war geprägt durch die Erinnerung an den Holocaust und setzte sich in seinen Werken intensiv mit der eigenen Vergangenheit und ihrer Rekonstruktion auseinander. 1967 begann er, Vitrinen mit Objekten wie Zuckerstücken, handgeformten Erdkugeln und Spielzeugwaffen auszustatten, um so eine typisch bürgerliche Kindheit fragmentarisch zu skizzieren. Nachdem er im Jahr 1968 erstmals ausgestellt hatte, versteigerte er 1972 persönliche Gegenstände, erstellte Inventare seines und des Lebens fiktiver Personen und bot diese verschiedenen Museen als Nachlass an. 1974 legte er Vitrinen für die Puppe eines Clowns an, mit dem er in Performances auftrat, und schuf diesem ein anthropologisches Museum.
Parallel zu den Ausstellungen mit persönlichen Gegenständen oder Erinnerungsstücken publizierte Boltanski pseudodokumentarische Rekonstruktionen seines Lebens. Das sind kleine Hefte (oder Beiträge in Kunstzeitschriften), wie etwa aus dem Jahre 1969 „Recherche et présentation de tout ce qui reste de mon existence de 1944 à 1950“ oder „10 Bilder aus der Kindheit von Christian Boltanski, gespielt am 12. Juni 1971“. Die Formen der Rekonstruktion der eigenen Biografie gingen so weit, dass er die Fotoalben von Freunden übernahm und sie als Fotos seiner eigenen Familie deklarierte.
In den folgenden Jahren erlangte die Fotografie in seinem Werk zunehmend an Bedeutung. In den 1980er Jahren warf Boltanski die Schatten von mysteriösen Papierfiguren an die Wände von Ausstellungsräumen. 1988 wurde ihm in den USA eine Retrospektive in sechs Museen gewidmet.
Christian Boltanski war Teilnehmer der Documenta 5 in Kassel im Jahr 1972 in der Abteilung Individuelle Mythologien und auf der „Documenta 6“ (1977) und der „Documenta 8“ im Jahr 1987 als Künstler vertreten.
In den 1970er Jahren arbeitete Boltanski wiederholt an den sogenannten Inventaren – Installationen, in welchen persönliche Gegenstände aus dem Besitz unbekannter, verstorbener Personen arrangiert und ausgestellt wurden. Die Fotografien und Gegenstände fand er überwiegend auf Flohmärkten.
„[…] Klassifikation des Banalen und Nutzlosen, des Gebrauchten und Überflüssigen, des Obsoleten und Sentimentalen, die uns ebenso wie die museale Präsentation die Vermutung aufdrängt, dass alles dies für eine fremde Person Bedeutung hatte und in seiner Gesamtheit ihr physisches, psychisches, kulturelles und soziales Leben bestimmte, und zwar mehr als wir uns das normalerweise eingestehen.“ (Armin Zweite, in: Ich ist etwas Anderes)
Angesichts der Frage, in welchem Maße die ausgestellten und abgelebten persönlichen Gegenstände eines Menschen seine Identität widerspiegeln oder bezeugen, zwingen Boltanskis Inventar-Installationen den Betrachter zur Hinterfragung der eigenen Existenz, des individuellen Charakterkerns und dessen (notwendiger/unnötiger) Bindung an materielle Gegenstände.
Ab den 1990er Jahren beschäftigte sich Boltanski auf allgemeinerer Ebene mit dem Thema Vergangenheit und Vergänglichkeit, ohne jedoch das Konzept der Rekonstruktion der eigenen Kindheit zu vernachlässigen. Für den Neubau der Berliner Akademie der Künste bereitete er eine dauerhafte Rauminstallation vor. Für das Reichstagsgebäude trug er 1999 die Installation „Archiv der Deutschen Abgeordneten“ bei. Er zählte zu den Künstlern der dezentralen Ausstellung „Einstein-Spaces“ (2005) des Potsdamer Einstein-Forums. Für das weitgehend unterirdisch angelegte Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna hatte Boltanski 2002 den „Totentanz II“ geschaffen, eine Schattenspiel-Installation mit Kupferfiguren.
Bei der RuhrTriennale 2005 leitete Christian Boltanski zusammen mit Andrea Breth und Jean Kalman das Projekt „Nächte unter Tage“. Im selben Jahr belegte er den 10. Platz im Kunstkompass-Ranking. 1994 wurde er mit dem Kunstpreis Aachen, 2006 mit dem Praemium Imperiale („Nobelpreis der Künste“) in der Sparte Skulptur ausgezeichnet.
2008 begann Boltanski mit dem Projekt „Les archives du coeur“. Boltanski beschäftigte sich dabei mit Fragen, die sich jedem stellen – mit der Endlichkeit des Seins und mit den menschlichen Bemühungen gegen das Vergessen/das Vergessen-Werden.
Kurator Jean-Hubert Martin lud 2011 Christian Boltanski ein, den französischen Pavillon auf der 54. Biennale von Venedig zu bespielen. Die Installation „Chance“ gliederte sich gemäß den Räumlichkeiten in vier Teile: Raum 1 „The Wheel of Fortune“; Raum 2 und 4 „Last News of Humans“ und Raum 3 „Be New“. Außen um den französischen Pavillon standen „Talking Chairs“. „Chance“ funktionierte wie ein großer Einarmiger Bandit. Wenn ein Knopf betätigt wurde und drei identische Teile des Teils „Be New“ übereinstimmten, erhielt man ein Kunstwerk von Boltanski.
Am 1. November 2018 wurden zwei permanenten Installationen von Christian Boltanski in der Völklinger Hütte eröffnet: Die Zwangsarbeiter als Erinnerungsort für die über 12.000 Zwangsarbeiter in der NS-Zeit und Erinnerungen an die Hüttenarbeiter.
Tod
Boltanski starb am 14. Juli 2021 im Alter von 76 Jahren in Paris.