Viele kennen den Maler Piet Mondrian (1872–1944) als Schöpfer von strengen geometrischen Kompositionen in Schwarzweiß mit ausgewählten Feldern in Rot, Blau oder Gelb (→ Abstrakte Kunst). Dass der Niederländer in seinen ersten Jahrzehnten Landschaften und andere gegenständliche Motive wählte und diese oft mit überraschender Farbigkeit inszenierte, ist kaum bekannt. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt Mondrians künstlerischen Weg vom frühen Schaffen bis zu den vollständig abstrakten Arbeiten und spürt den Zusammenhängen zwischen den unterschiedlichen Bildgruppen nach (→ Piet Mondrian: Biografie).
Deutschland | Düsseldorf,
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen: K20
29.10.2022 — 10.2.2023
Anlässlich des 150. Geburtstags von Piet Mondrian (1872–1944) widmen die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen dem niederländischen Maler eine umfassende Ausstellung. Für das Museum in Düsseldorf erwarb Gründungsdirektor Werner Schmalenbach vier rein abstrakte Werke aus der Spätzeit des Künstlers. Als einer der bedeutendsten Maler der Avantgarde-Bewegung prägte Mondrian die Entwicklung der Malerei von der Figuration zur Abstraktion maßgebend.
Für Mondrian bedeutete Kunstproduktion immer eine neue Stufe künstlerischer Entwicklung zu erklimmen, die aufeinander aufbauen. Dafür musste er Erfahrungen machen, was der Niederländer mit dem Begriff „Evolution“ bezeichnete. Diese würde ihn zu vertiefter Erkenntnis führen, zeigte sich der Maler überzeugt. Allein schon wegen des weiten Wegs, den Mondrian von seiner Früh- bis in seine Spätzeit zurücklegte, lohnt die Ausstellung im K20.
Mondrians frühes Werk wurde von der niederländischen Landschaftsmalerei des späten 19. Jahrhunderts bestimmt. Die Haager Schule, von Realismus und Impressionismus beeinflusst, vermittelte ihm holländische Motive in atmosphärischer Landschaft. In Auseinandersetzung mit dem Werk Vincent van Goghs entdeckte er die reinen Buntfarben. Symbolismus – man denke an den durchschlagenden Erfolg von Edvard Munch – und Pointillismus reflektierte er in seinen Dünen-, Windmühlen- und Kirchturm-Darstellungen genauso wie ab 1912 den Kubismus. All diese Einflüsse und Stilrichtungen führte der Maler nach dem Ersten Weltkrieg zur Synthese, indem er sich auf ein rasterartiges Liniensystem und die Grundfarben als Ausdrucksmittel verließ. Indem er sich auf die rechtwinklige Anordnung von schwarzen Linien mit Flächen in Weiß und den drei Grundfarben Blau, Rot und Gelb beschränkte, schuf Mondrian eine komplett gegenstandslose Bildsprache.
Der Fokus der Ausstellung „Mondrian“ liegt 2022 auf Werken, welche Mondrians künstlerische Entwicklung bis in die 20er Jahre und die stilistische Entstehung seines Spätwerks beleuchten. In einzelnen Kapiteln werden Motive wie Windmühlen, Dünen und das Meer, sich im Wasser spiegelnde Bauernhöfe und Pflanzen in verschiedenen Abstraktionsstufen behandelt.
Erstaunlich lange dauerte es, bis Piet Mondrian von einem Maler des niederländischen Realismus zu einem Vertreter der Avantgarde wurde. Die frühesten Gemälde der Düsseldorfer Ausstellung datieren vom Beginn der 1890er Jahre, als Mondrian im Alter von bereits 20 Jahren mit Hilfe eines staatlichen Stipendiums an der Rijksacademie studieren konnte. Die meist kleinformatigen Bilder zeigen brauntonige Genreszenen und ebensolche Waldeinblicke, Bauernhäuser mit Wäsche lösen Gehöfte mit Wassergräben ab. Erst um 1900, Mondrian hatte seine Ausbildung zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen, weitet sich der Blick in die Landschaft. Inspiriert von seinem neuen Freund Simon Maris (1873–1935), Sohn des bedeutenden Landschaftsmalers Willem Maris (1844–1910), entdeckte Mondrian die Schönheit der Natur- und Kulturlandschaft. Horizont und Vertikale – später so bestimmende Elemente in Mondrians Kunst – sind hier noch von dunklen Baumstämmen vor hellgrünen Wiesen und stillen Kanälen gebildet.
Die Windmühle als nationales Kulturgut der Niederlande darf natürlich nicht fehlen. Im Werk Mondrians taucht das traditionsreiche Gebilde erst ab 1900 auf. Wie schon seit dem 17. Jahrhundert entwickelt der junge Maler einen spannungsreichen Himmel dahinter, allen voran im Bild „Oostzijder Mühle am Abend“ von 1907/08. Waren die Gemälde zuvor naturalistisch getönt gewesen, so überrascht die Silhouette der Windmühle nun vor blauem, gelbem und violettem Himmel. Zugegeben. Noch immer naturalistisch, und doch von einem neuen Farbenwillen getragen.
Kurz zuvor, 1906, hatte Piet Mondrian erstmals die Möglichkeit, Bilder von Jan Sluijters (1881–1951) an der Rijksacademie in Amsterdam sehen. Sluyters hatte sie als Rom-Stipendiat in Paris geschaffen, nachdem er sich mit den Werken des Fauvismus und Pointillismus auseinandergesetzt hatte. Die an der aktuellsten französischen Moderne geschulte Malerei vermittelte reine, unvermischte Farben in die Niederlande, einen punktartigen Farbauftrag und eine auf das „Wesen“ der Dinge abzielende Wahrhaftigkeit. Mondrian gelang es, binnen eines Jahres sich dieser Neuerungen nicht nur bewusst zu werden, sondern sie auch in seinem Werk aufzunehmen: „Mühle; Mühle bei Sonnenschein“ von 1908 erstrahlt in Rot, Gelb und Hellblau, der Pinselstrich gemahnt an das Spätwerk von Vincent van Gogh. „Avond (Abend): Der rote Baum“ (1908–1910) leuchtet geheimnisvoll in Rot-Schwarz vor einem Blitzblauen Hintergrund. Mit immer extremeren Vereinfachungen der Formen und einer subjektiven Strichführung katapultierte sich Mondrian, der noch immer nicht im Ausland gewesen war, am holländischen Strand in Zeeland, vor dem Kirchturm von Domburg, vor dem Leuchtturm bei Westkapelle an die Speerspitze der Avantgarde.
Mondrian in Paris: Nach einem ersten Besuch im Mai 1911 entschied sich Mondrian, Anfang des Folgejahres nach Paris zu übersiedeln. Er hatte unter anderem in einer Ausstellung des „moderne Kunst Kring“ in Amsterdam erkennen müssen, dass der Kubismus von Pablo Picasso und Georges Braque eine andere Form von Stilisierung und Geometrisierung als seine eigenen Werke aufwiesen. Mondrian nutzte Frontalität und Geometrisierung mit theosophischem Hintergrund (vgl. ägyptische Kunst in Theosophie). Im Alter von nahezu 40 Jahren reiste er nach Paris ab, ließ Verlobte, Familie und Freunde hinter sich, um sich der internationalen Künstlerschaft in Frankreich anzuschließen. Er bewunderte Fernand Léger, traf sich gelegentlich mit Otto Freundlich, Gino Severini und Diego Rivera. Hatte er sich in den Niederlanden den Ruf eines Erneuerers erarbeitet, so musste Mondrian in Paris sich selbst neu beweisen. Einmal mehr sollte es die niederländische Landschaft sein, die ihm dabei nützlich wurde: Dünen, der Blick auf den Ozean, Bäume und Fassaden boten ihm Anlass und Ausgangspunkt für seine zunehmend geometrisch-abstrakten Kompositionen. Ist anfangs das schwarze Gittergerüst noch ein einer monochromen, am Kubismus orientierten Farbigkeit getragen, so setzte Piet Mondrian ab 1914 zunehmend Farbflecken als zusätzliche Struktur ein.
Umso mehr überrascht der Bruch in der stilistischen Entwicklung, welchen die Ausstellung in Form von vier Bildern des „Bauernhof bei Duivendrecht“ von 1916 sowie drei Versionen einer Windmühle aus dem folgenden Jahr bereithält. Durchlitt Mondrian nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine regressive Phase? Im Sommer 1914 hatte er sich für einen Familienbesuch zufällig in den Niederlanden aufgehalten, als der Krieg ausbrach. Der Maler konnte nicht mehr zurück, musste aber sein Pariser Atelier weiterhin bezahlen. Im Sommer 1915 lernte Mondrian den Sammler Salomon B. Slijper (1884–1971) kennen, woraus eine enge Freundschaft entstand. Slijper begann zu dieser Zeit Mondrians Werk zu sammeln, vor allem das Frühwerk interessierte ihn sehr. Vermutlich um dem neuen Freund entgegenzukommen, nahm Mondrian die Komposition „Bauernhof bei Duivendrecht“ von 1905, die sich ebenfalls im Besitz von Slijper befand, auf und schuf eine Art Motiv mit vier Farb-Variationen, ohne die Darstellung jedoch im kubistisch-abstrahierenden Sinne zu verändern.
Gleichzeitig arbeitete der Maler an seinen später so berühmten Gitterkompositionen, die sich allerdings in diesem Jahrzehnt als nahezu unverkäuflich darstellten. Und doch entdeckte der um sieben Jahre jüngere Künstler und Publizist Theo van Doesburg (1883–1931) Mondrian und trat mit diesem in Kontakt. Der Austausch mit jenen Architekten, Malern und Designern der zukünftigen De-Stijl-Gruppe ermutigte Piet Mondrian den Weg zur Abstraktion weiter zu verfolgen.
Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich Mondrian entschieden, keine Gegenstände mehr darzustellen, sondern nur noch Verhältnisse. Ab 1919 wieder in Paris wohnhaft, widmete er sich der ungegenständlichen Abstraktion. Und doch bleiben seine Gemälde „malerisch“, das heißt, er mischte Schwarz und Primärfarben mit ein wenig Weiß oder Grau, um ihnen unterschiedliche Präsenz oder Leuchtkraft zu verleihen. Auch wenn der Künstler den Primärfarben keine symbolische Bedeutung zumaß, so war er sich doch der unterschiedlichen Intensität deutlich bewusst.1 Der genaue Blick auf die Leinwände lohnt! Obschon sich der Maler „nur“ mit Linien und Flächen beschäftigte, hatte er ein Feld unendlicher Möglichkeiten komplexer Beziehungen aufgestoßen. Trotz einer gewissen Ähnlichkeit sind die Bilder deshalb nicht uniform. Eine Steigerung der Komplexität gelang ihm noch 1941 in „New York City I“, als er das Gittergerüst mit Farbbändern anstelle von Ölfarben gestaltete. Nun ist das Gitter Gelb, Rot und Blau auf weißem Grund. Die farbigen Papierstreifen hatte Mondrian in New York entdeckt, wohin er über London (1938–40) geflohen war. Das unvollendete, und seit den 1980er Jahren verkehrt herum gehängte Werk zeigt ein spannendes Über- und Untereinander der in ihrer Breite nun standardisierten Bänder. Die drei Jahre und vier Monate, die Mondrian in New York verbrachte, gehören zu den abenteuerlichsten und bemerkenswertesten Perioden in seinem künstlerischen Werk. Er verließ die Malerei in Richtung Collage. Der Maler selbst resümierte knapp ein Jahr vor seinem Tod, dass sein gesamtes Werk auf der Linie basierte:
„In der Malerei hingegen werden die Linien von den Farbflächen absorbiert; aber die Begrenzungen der Ebenen zeigen sich als Linien und bewahren ihren großen Wert.“ (Mondrian auf einer Postkarte an James Johnson Sweeney, Ende Mai 1943)
In New York war die Linie nun selbst zur Farbfläche geworden. Der Maler, wie er es knapp davor formulierte, zerstörte bewusst diese Linien „durch gegenseitigen Widerstand“2.
„Mondrian“ wird gemeinsam von K20, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf und der Fondation Beyeler organisiert: Riehen b. Basel | Fondation Beyeler: Mondrian