Naturalismus in der Malerei: Definition und Werke
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Naturalismus 1875-1918 Konstruktionen der "realen Welt"

Gabriel P. Weisberg, David Jackson, Willa Z. Silverman, Maartje de Haan: Illusions of Reality. Naturalismus 1875-1918, Belser Verlag.

Gabriel P. Weisberg, David Jackson, Willa Z. Silverman, Maartje de Haan: Illusions of Reality. Naturalismus 1875-1918, Belser Verlag.

Der Naturalismus  (1880-1918) ist ein zeitlich begrenztes, internationales Phänomen, das Themen aus dem städtischen und ländlichem Milieu für ein breites Publikum in einem fotografisch genauen Malstil zugänglich macht. Ort der Präsentation der übergroßen Gemälde war der Salon, wo diese sozial engagierte Kunst das bürgerliche Publikum mit dem Alltag von „einfachen Menschen“ konfrontierte. Nach Ansicht des Experten wie Gabriel P. Weisberger sind diese Bilder jedoch keine Reproduktionen realer Szenen, sonder konstruierte Bilder, die die „reale“ Welt widerspiegeln. Damit reagierten die Maler einerseits auf die Neuerungen des naturalistischen Romans und beeinflussten gleichzeitig Theater- und frühe Filmemacher.

Schwierig scheint mir dennoch eine genaue Unterscheidung zwischen Realismus und Naturalismus. Galt bislang nur der Realismus, z.B. von Gustave Courbet, als sozialkritisch motivierte Malerei, so muss mit der Kenntnis dieser vorliegenden Publikation auch der Naturalismus als solche bezeichnet werden. Es handelt sich beispielsweise bei Eero Järnefelts (1863–1937) herzzerreißenden Darstellung eines Mädchenschicksals in „Unter dem Joch. Das Gestrüpp niederbrennen“ (131 x 164 cm; 1893; Helsinki, Ateneum) nicht nur um eine leicht verständliche, möglichst realistische Wiedergabe. Die monumentalen Formate dieser Bilder machen die Milieuschilderungen unübersehbar, wobei sich die präzise, scheinbar emotionslose Malweise in den Dienst der Beglaubigung im Sinne eines „So-ist-es“ gestellt wird. In der Folge Bezüge zum naturalistischen Theater und zur Fotografie herzustellen, zeigt die Malerei nicht nur als die Gebende, sondern streicht die wechselseitige Beeinflussung der Medien deutlich heraus. Einzig mehr Informationen zu den gezeigten Künstlern wären wünschenswert.

Fazit:  Der querformatige Katalog illustriert die malerische Perfektion der riesigen Gemälde eindrucksvoll und informiert fundiert über die Beziehungen zwischen Malerei, Fotografie und frühem Film.

Der reich bebilderte Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Amsterdamer Van Gogh Museum und dem Ateneum in Helsinki stellt die spannende Frage nach der Wirklichkeit in der Malerei, der Fotografie und dem frühen Film. Erfreulicherweise intensiviert sich der Blick der Wissenschaftler und Ausstellungsmacher zunehmend auf das „lange“ 19. Jahrhundert, so dass nicht nur Künstler und Künstlerinnen der Romantik und des Impressionismus Beachtung finden, sondern auch die „Salonkunst“ immer mehr Aufmerksamkeit erhält.

Ausstellungskatalog

Gabriel P. Weisberg, David Jackson
Willa Z. Silverman, Maartje de Haan (Hg.)
30 x 25 cm, 224 Seiten, 234 farbige Abb.
€ 39,95 [D] / CHF 56,90 / € 41,10 [A]
ISBN 978-3-7630-2577-0 (deutsch)
Belser Verlag

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.