Das Bourbaki-Panorama entstand im Juni 1881 in Genf unter der Mitarbeit von Ferdinand Hodler und wird heute in einem Gebäude im Zentrum von Luzern gezeigt. Es erinnert an den Grenzübetritt der Bourbaki-Armee Anfang Februar 1871 und den ersten humanitären Einsatz des Roten Kreuzes. Unweit vom Bourbaki-Museum befindet sich auch das von Bertel Thorvaldsen entworfene Löwendenkmal (1821) für die Gefallenen Schweizer Gardisten vom Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792.
Schweiz / Luzern: Bourbaki-Museum
Im Juni 1881 führte Ferdinand Hodler gemeinsam mit anderen Gehilfen das Panorama nach dem Entwurf des Genre- und Militärmalers Edouard Castres (1838–1902) aus. Das 1.100 m² große Rundbild zeigt ein Ereignis des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71: General Justin Clinchant führte die nach seinem Vorgänger benannte Armee bei Las Verrières in die Schweiz. Die in der Schlacht an der Lisaine schwer geschlagene Armee unter der Führung von Charles Denis Sauter Bourbaki wurde im Großraum Pantarlier von deutschen Truppen ein gekesselt. Am 26. Januar 1871 wurde General Bourbaki seines Amtes enthoben und unternahm einen Selbstmordversuch. Zwei Tage danach, am 28. Januar, suchte General Justin Clinchant in der Schweiz um militärisches Asyl für 87.000 Soldaten und 12.000 Pferde an. Der schweizerische General Hans Herzog nahm den Grenzübertritt der Bourbaki-Armee zwischen dem 1. und 3. Februar entgegen. Die Franzosen mussten Waffen, Munition und Material abgeben und wurden für sechs Wochen interniert. Verpflegung und Unterbringung stellten eine große Herausforderung für den noch jungen Schweizer Bundesstaat dar, der die Internierten auf 190 Ortschaften in allen Kantonen außer dem Tessin, der südlich des verschneiten Gotthard-Passes liegt, verteilte. Das 1864 gegründete Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege und die Schweiz bewährten sich in dieser Zeit und meisterten die erste humanitäre Aktion des Roten Kreuzes. Zwischen dem 13. und 22. März 1871 konnte die französische Armee wieder nach Frankreich zurückkehren. Der Genfer Maler Edouard Castres zog mit der Bourbaki-Armee auch zurück in die Schweiz. Als Augenzeuge von Krieg und Internierung wurde er beauftragt, das Bourbaki-Panorama zu malen.
Das Bourbaki-Panorama ist 112 Meter lang und 10 Meter hoch. Charakteristisch für das Rundbild ist, dass sich davor eine Zone befindet, in der vollplastische Figuren die gemalten Szenen in den Realraum weiterführen. Edouard Castres stellte den Grenzübertritt der Armee, ihre Entwaffnung und humanitäre Versorgung dar.
Ferdinand Hodler malte die Szene „Der Berner Bataillon trifft in Les Verrières“ ein. Dieses diente zur Verstärkung der schweizerischen Grenzwache. In der Viererkette, die das Berner Bataillon anführt, wird ein Selbstbildnis des Malers vermutet. Er könnte der zweite von links sein. Die Bedeutung des Bourbaki-Panoramas für die künstlerische Entwicklung Ferdinand Hodlers zeigt sich in der Körperhaltung der vier Soldaten, die im Gleichschritt ihre rechten Beine vorgestellt haben. Hier deutet sich erstmals Hodlers charakteristisches Stilprinzip des Parallelismus, die Wiederholung gleicher Formen, an. Auf diese Weise rhythmisierte Ferdinand Hodler die Szene und trug so zur Bedeutungssteigerung bei. Dass sich die erste Formulierung dieser Idee erstmals gerade in einem militaristischen Sujet nachweisen lässt, ist doch erstaunlich.
Das Jahr 1881 war für Ferdinand Hodler ein genauso interessantes wie finanziell schwieriges. Zu Jahresbeginn bezog er ein Atelier in der Altstadt von Genf an der Grand Rue 35. Da er über kein Geld verfügte, wohnte der angehende Künstler auch in seinem Atelier und baute aus der Schranktür ein Bett, indem er die Tür ausbaute und auf zwei Schemeln legte.
Auftragsporträts und eigene Beschäftigung mit der Landschaft zeigen den Maler Hodler als einen Realisten, dessen „oft schwerfällige Pinselarbeit“ im Vorjahr bei der Jury des Diday—Wettbewerbs schon zu heftigen Diskussion geführt hatte. Hodlers erste internationale Ausstellungsbeteiligung ist ebenfalls 1881 zu vermelden. Er war mit zwei Landschaften – „Herbstlandschaft bei Thun“ (1879/80) sowie „Schiffer am Thunersee“ (1879/80, Privatbesitz) – an der Ausstellung Schweizer Kunst in London vertreten. Der spitze Humor des Schweizers trat an der Betitelung des Selbstbildnisses „Der Zornige“ (1881) deutlich zutage: Ein Jahr zuvor hatte ein Kritiker über sein Bild „Die Überfahrt zur Kirche“ (1879/80) geurteilt: „Da und dort gibt es in Hodlers Werken Stellen, die den wahren Meister verraten; der Rest sind Arbeiten eines missgeleiteten Schülers, der seine Rechtschreibfehler für Originalität hält.“ (Le Genevois, 19.4.) Zehn Tage später holte er nochmals aus: „Herr Hodler ist unfähig, in diesem Bilde die Vernunft walte zu lassen.“ (Le Genevois, 29.4.) Am Pariser Salon ausgestellt unter dem Titel „Der Unvernünftige“ (1881, Kunstmuseum, Bern), zeigte sich Ferdinand Hodler nicht nur als Kenner der Porträttradition seit Anthonis van Dyck, sondern auch als veritabel erzürnter Realist. Im September präsentierte er dieses Bildnis in der Städtischen Ausstellung in Genf unter dem neuen Titel „Der Zornige“, was die Genfer Kunstkritiker auch richtig zu deuten wussten.
Mit „Sitzender Greis in einer Scheune“ (1881, Musée d’art et d’histoire, Genf) oder „Der lesende Schuhmacher Neukomm“ (1882, Kunstmuseum, Basel) jene realistischen Schilderungen alter Männer ein, die er teils religiös überhöhe (beispielsweise als Ahasver), und die seinen frühen Ruhm einleiteten.
Das zweite Hauptwerk des Jahres 1881 ist „Gebet im Kanton Bern“ (1880/1, Kunstmuseum Bern), das in der Städtischen Ausstellung in Genf gezeigt wird. Die Kritik fühlte sich an den Realismus Gustave Courbets erinnert, die Jury erteilte eine Ankaufsempfehlung. Dennoch erwarb die Stadt das Gemälde nicht. Die erste Werkphase von Ferdinand Hodler war jedoch eingeläutet: Der Realist mit courbet’schen Anklängen wählte seine Modelle nicht aus politischer Überzeugung, sondern weil er selbst Teil der von Armut betroffenen Bevölkerung war und in prekären Verhältnissen lebte.
Seinen Erfolgshunger und Patriotismus stellte er mit einem seiner berühmtesten Bilder dieser Jahre quasi in „Verkleidung“ zur Schau: Der „Schwingerumzug“ (1. Fassung 1882, 2. Fassung 1885–87) zeigt den Schweizer Schwingerkönig, also den Gewinner des Schwungwettkampfes am Unspunnenfest. Zum Umbruch in seinem Werk kam es erst um 1884, als er das pantheistisch-beschauliche „Zwiegespräch mit der Natur“ (um 1884, Kunstmuseum Bern) schuf.
„Er [der nackte Jüngling im Bild] schreitet einen schmalen Weg entlang einer Phantasielandschaft zu. Die Figur steht aufrecht, ihre Bewegungen sind einfach. Ihre etwas erhobene Hand sowie der erhobene Kopf veranschaulichen den Zustand der Bewunderung. Die „Zwiegespräch“ war eine verfrühte Erscheinung meiner (späteren) Tendenzen; es war der wahrste Ausdruck meiner selbst.“ (Ferdinand Hodler)