Bis heute wirkt das Werk von Bruno Gironcoli (1936–2010) auf den ersten Blick singulär und rätselhaft. Die österreichische Tradition der Nachkriegszeit, geprägt von Fritz Wotruba (1907–1975), findet in den seit den 70er Jahren entstandenen Installationen oder Environments von Gironcoli keine Nachfolge. Der ausgebildete Goldschmied und Autodidakt positionierte seine Objekte ohne Podeste im Raum, arbeitete mit Verfremdungen, abstrus-absurden Zusammenstellungen wiedererkennbarer Einzelstücke und metallenen Farben auf Polyester. Thema ist immer der Mensch, auch wenn oft die Körper abwesend sind. Die installativen Objekte wirken mit ihren Stacheln und Elektroden wie Folterkammern, wie verlassene Bühnen, auf denen sich Grauenvolles zugetragen hat. Während der Bildhauer in seinen Zeichnungen davon erzählt und oftmals erschreckend detailreich wird, wenn es um Folter, Kopulation oder Entleerung geht, sind seine Environments offen für jegliche Form der Benutzung und Interpretation.
Österreich | Wien: Belvedere, Orangerie
12.7. - 27.10.2013
Bereits der Titel der Ausstellung mit der Auflistung von Künstlernamen macht überdeutlich, dass es dem Belvedere und der Kuratorin Bettina M. Busse, Autorin des Œuvreverzeichnisses1, bei dieser Gironcoli-Ausstellung nicht um eine Retrospektive des Künstlers ging, sondern um die Einbettung des Werks in den internationalen, v.a. deutsch-amerikanischen Kontext. Während Peter Weiermair im Ausstellungskatalog des Museums des XX. Jahrhunderts im Jahr 1977 noch davon sprach, dass das Werk von Bruno Gironcoli sich nicht historisch einordnen ließe,2 stellt sich dieses Urteil aus der historischen Distanz doch anders dar.
Im Sommer 2013 interessiert nicht die Basis, auf die Gironcoli u.U. aufbaute, sondern die Auseinandersetzung mit seinen Zeitgenossen aus dem Fach Skulptur. Der Skulpturenbegriff wird hierbei, den 70er Jahren entsprechend, weit gefasst und reicht von „klassischen“ Objekten bis zu Performances von Rudolf Schwarzkogler, Joseph Beuys, Jürgen Klauke oder Mathew Barney. Das Belvedere bricht damit den Mythos des künstlerischen Einzelgängers auf und setzt Gironcoli mit deutschen, amerikanischen und österreichischen Kollegen bzw. Nachfolgern in Verbindung. Dies gelingt vor allem über die behandelten Themen, weshalb die Umsetzung der Kunstwerke was ihre Materialität und auch die Methodenwahl der Künstler wenig Beachtung finden kann. Andererseits ermöglicht dieser Zugang eine abwechslungsreiche Schau mit Werken von Francis Bacon, Louise Bourgeois, Franz West oder Bruce Nauman.
Basis für die Zusammenstellung waren Selbstzeugnisse des Künstlers. Bettina M. Busse erklärt im Katalog beispielsweise, dass Gironcoli bei der Performance von Joseph Beuys in der Galerie nächst St. Stephan 1967 persönlich anwesend war, während er sich auch über die minimalistischen Objekte von Carl Andre im Gespräch positiv äußerte.
Der „Vergleich“ – oder besser die Konkurrenz – mit Bruce Naumans erschreckendem „Hunde-Mobile“, das „Hanging Carousel (George Skins a Fox)“ von 1988 (Collection Museum of Contemporary Art Chicago, Schenkung der gift of the Gerald S. Elliott Collection, 1995), findet sich ebenfalls in Gironcoli-Interviews.3 Während der amerikanische Künstler über den Umgang mit dem Tier anhand eines Videos samt sich permanent drehendem Mobile mit enthäuteten Füchsen oder Hunden reflektiert (→ Bruce Nauman), taucht die geschundene Kreatur in Gironcolis Zeichnungen schon Jahre früher auf. Bereits zu seinen Lebzeiten ärgerte sich der österreichische Bildhauer über die Berühmtheit seines amerikanischen Kollegen, da er die zeitliche Vorherrschaft über das Thema für sich beanspruchte.
Auf das Leid des Menschen fokussierten neben Gironcoli auch Louise Bourgeois. Zellen, Rudolf Schwarzkogler (Günter Brus als Filmer der Schwarzkogler-Aktion) und Francis Bacon. Bacons Figuren wie „Study for Portrait of Henrietta Moraes“ (1964, Privatsammlung) erscheinen meist einsam, gequält allein durch ihre Existenz, eingesperrt in fast unsichtbare Käfige. Keine Geschichten begründen mehr die Grausamkeiten der Welt und des menschlichen Seins, der Erfahrung von Andersheit, von der Ausgesetztheit in eine unwirtliche Welt. Die Gegenüberstellung mit Bacon initiierte das Museum Ludwig in Köln, als es ein „Modell in Vitrine“ neben Bacons „Painting 1946. Second Version“ (1971) aufstellte. Im Belvedere hängt die „Study for Portrait of Henrietta Moraes“ neben der vielteiligen Arbeit „Mutter Vater“ (1969-1982, Sammlung Liaunig) von Gironcoli. In schriftlichen Aufzeichnungen outete sich der Künstler immer wieder als Anhänger des Existenzialismus der Nachkriegszeit als auch mit der Frankfurter Schule um Max Horkheimer.
Louise Bourgeois` „Arched Figure“ (1993, Sammlung Goetz) steht im Zusammenhang mit ihrer Schöpfung „Arch of Hysteria“, in der der zum Bogen gespannte Leib sowohl sexuelle Lust als auch hysterisches Krampfen bedeuten kann. Darüber hinaus war es Bourgeois ein Anliegen darauf hinzuweisen, dass die Hysterie nicht ausschließlich weiblich ist, wie die ältere Forschung annahm. Dieser Arbeit lassen sich am direktesten die Zeichnungen Gironcolis zuordnen, in denen, wie bereits erwähnt, das Kreatürliche besonders explizit durchexerziert wird.
Am wenigsten hätte man Gironcoli bislang wohl mit dem Thema „Gender Transformer“ in Verbindung gebracht. Körperlichkeit spielt in seinen Objekten eine wichtige Rolle, die Frage des (sozialen) Geschlechts m.E. stark sublimiert: Wenn „Mutter Vater“ als Skulptur offen lässt, welchen Teil man als weiblichen und welchen als männlichen Part interpretieren möchte, so führt das wieder auf die Sozialisation der Betrachterinnen und Betrachter zurück. „Figur, auf einem Punkt stehend (Stimmungsmacher)“ (um 1965-1969, Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum Graz, Leihgabe der Artothek des Bundes) ist ein frühes kinetisches Stück, das aus leichtem Polyester geformt und mit Goldlack besprüht wurde. Es lässt sich, wie Fotografien im Katalog belegen, durch Anstoßen in pendelartige Schwingung versetzen ohne umzufallen! Dieser Figur wird Jürgen Klaukes Fotoserie „Self Performance“ (1972-1973, Courtesy Galerie Elisabeth & Klaus Thoman) zur Seite gestellt, in der sich der deutsche Foto- und Performancekünstler mit Hilfe von Kleidungsstücken4 in eine Frau verwandelt. Er spielt mit Geschlechterstereotypen, mit althergebrachten Repräsentationsformen des weiblichen Geschlechts, mit dem Geschlechterwechsel und der damit verbundenen Ambiguität.
Auch die spielerische Komponente von Franz Wests „Passstücken“ findet sich m.E. in Bruno Gironcolis Werk nicht, außer man betrachtet den Umgang mit den Objekten im Sinne eines nicht Fixierens als ein spielerisches Moment. Der berühmteste Schüler Gironolis lädt mit seinen interaktiven Kunstwerken alle ein, Teil des Objektes zu werden, oder das Objekt als Teil, als Verlängerung, als Prothese ihres Körpers zu erfahren. Gironcoli belässt diesen Prozess noch in der Vorstellungskraft der Besucherinnen und Besucher. Sie sollen sich angesichts seiner zum Teil beängstigenden Zusammenstellungen in die Situation einer Benützung hineinversetzen, oder besser jeglichen Gedanken daran fürchten.
Die Gegenüberstellung von Bruno Gironcolis Arbeiten mit dem minimalistischen, nicht narrativen „Tenth Copper Cardinal“ (1973) von Carl Andre und Joseph Beuys` „Eurasienstab II“ (1968–1969) erstaunt auf dem ersten Blick. Während Carl Andre die Materialität und die Aktivierung des Raumes5 durch die vorgefertigten Platten beabsichtigte, lud Joseph Beuys seine Filzecken symbolisch auf. Auch der Schritt von der Kunstwelt in die realpolitische, den der berühmte Deutsche vormachte, war nicht in Gironcolis Sinn. Für ihn war das Schaffen von Kunstwerken das Ziel seiner Arbeit, revolutionäre Kräfte sollten seine Skulpturen nicht freisetzen, womit er sich auch von den Studentenprotesten und den Wiener Aktionisten der späten 60er Jahre distanzierte. Stattdessen verbindet die drei Bildhauer ein Nachdenken über den Raum, das Entstehenlassen von Raum mittels ihrer Aktionen oder Objekte. Dabei kommt der Raumecke als einen „Ursprungsort“ des Raumes große Bedeutung zu und wird in Form des rechten Winkels in die Skulpturen aufgenommen. So wird die komplexeste Paarung in der Ausstellung „Gironcoli: Context“ als ein philosophisches Hinterfragen des Raumproblems auflösbar.
Die aus 36 Objekten, darunter viele Leihgaben aus österreichischem Privatbesitz, bestehende Schau ist wahrlich keine Retrospektive, wenn auch das Belvedere durch das Einbinden der drei Großplastiken im Kammergarten versuchte, das spätere Schaffen Gironcolis darzustellen. Kuratorin Bettina M. Busse konzentriert sich auf die für die Karriere des Künstlers so wichtigen 70er Jahre. In diesem Jahrzehnt entwickelte Gironcoli jene enigmatische Symbolsprache und formalen Lösungen, die heute als so charakteristisch für sein Werk gelten. Im Jahr 1977 wurde er an die Akademie der bildenden Künste berufen. Dass Gironcolis Skulpturen auf der Basis der gesellschaftlichen Entwicklung stehen und Themen behandeln, die in der westlichen Kunst, wenn auch auf unterschiedliche Weise, immer wieder anzutreffen sind, verdeutlicht die Ausstellung. Damit wird der Weg bereitet, den österreichischen Bildhauer im internationalen Kontext zu verorten. Dem Raumkünstler kann nun ein ideeller Raum innerhalb des Beziehungsgeflechts Kunstgeschichte zugeordnet werden.
1936 in Villach, Kärnten (A) geboren, aufgewachsen in Kärnten und Tirol.
1951-1956 Goldschmiedelehre in Innsbruck, Abschluss mit Gesellenprüfung.
1957-1959 und 1961-1962 Studium an der Akademie für angewandte Kunst bei Prof. Eduard Bäumer.
1961-1962 Aufenthalt in Paris.
1967 Erste Einzelausstellung in der Galerie Heide Hildebrandt in Klagenfurt.
1977 Berufung als Professor und Leiter der Meisterschule für Bildhauerei an die Akademie der bildenden Künste in Wien (Nachfolge von Fritz Wotruba).
1989 Österreichischer Skulpturenpreis der Erste Allgemeine Generali-Foundation.
1993 Großer Österreichischer Staatspreis.
1997 Verleihung des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst.
2003 Vertrat Österreich auf der 50. Biennale von Venedig.
2004 Emeritierung als Professor für Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste, Wien.
2010 starb Bruno Gironcoli
Dauerhaft werden Gironcolis Werke im Gartenschloss Herberstein präsentiert.