Gustav Klimt, Am Attersee, Detail, 1900, Öl/Lw, 80,2 x 80,2 cm (Leopold Museum, Wien, Inv.-Nr. 4148)
„Ein Rahmen voller Seewasser, vom Attersee, nichts als kurze graue und grüne Wellen, die durcheinander gleiten.“
Österreich / Wien: Leopold Museum
So beschrieb der Kunstkritiker Ludwig Hevesi 1901 das Gemälde, das er auf der X. Secessionsausstellung 1901 sah. Und wirklich, das quadratische, 80,2 mal 80, 2 Centimeter große Bild zeigt hauptsächlich Wasser in Form von türkisen und zartlila Wellen. In der oberen rechten Ecke, also in mittlerer Entfernung ist noch die Insel Litzlberg zu entdecken. Das Eiland mit einer Sommerfrische-Villa ist als dunkler, verschwommener Fleck gegenüber der im morgentlichen Dunst verschwindenden Hügelkette wiedergegeben. Weiße, duftige Cumuluswolken lockern den grau-blauen Himmel auf. Alles wirkt ruhig, gelassen. Kein Mensch, aber auch kein Tier stört die friedliche Stimmung. Das, wie auch die hohe technische Finesse, fasziniert noch heute.
„Am Attersee“ entstand während Klimts erstem Aufenthalt am gleichnamigen See in Oberösterreich. Spätestens am 10. August 1900 befand sich Gustav Klimt in Begleitung der Familie Flöge am Attersee und er blieb bis zum 3. September. Die Sommerfrische am Attersee wurde von da an zum heißersehnten Refugium während der heißen Sommermonate. Hier konnte der inzwischen berühmt-berüchtigte Maler wieder zu sich kommen, über seine Kunst (wie auch die japanische Kunst aus Büchern) sinnieren, spazieren gehen, rudern und im Wald zeichnen. So zumindest beschrieb er seinen Tagesablauf seiner Geliebten Marie Zimmermann in einem Brief:
„Ich habe hier 5 Bilder in Arbeit eine sechste Leinwand ist noch leer, vielleicht bringe ich dieselbe auch leer zu [nach] Hause. Die anderen 5 denke ich vollenden zu können. Ein Seebild [Am Attersee], ein Stier im Staa, ein Sumpf, eine große Pappel, ferner junge Birken; das sind die Motive der Bilder.“1
Zwischen 1900 und 1907 bezog Gustav Klimt jeden Sommer ein Quartier im Bräuhof, dem eine Gastwirtschaft mit Gästezimmern angeschlossen war. Die unmittelbare Nähe zur Villa Paulick, welche von den Eltern Emilie Flöges, Hermann und Barbara Flöge, errichtet worden war, war der ausschlaggebende Grund, sich für den Attersee zu entscheiden. 1908 wohnte Gustav Klimt in der Villa Oleander und zwischen 1914 und 1917 im Forsthaus in Weißenbach etwas weiter südlich. „Über 40 von mehr als 50 bekannten Landschaften [Klimts] sind motivisch von der Region um den Attersee inspiriert“, hielten Sandra Tretter und Peter Weinhäupl fest.2
Insgesamt besitzt das Leopold Museum acht Gemälde von Gustav Klimt, 96 Zeichnungen sowie zwei druckgrafische Erzeugnisse und einen eigenhändigen Brief. „Am Attersee“ ist die jüngste Erwerbung und kam erst 1995, ein Jahr nachdem die Privatstiftung gegründet worden war, ins Haus. Dass das Gemälde nicht im Belvedere hängt, ist einer Entscheidung der 1920er Jahre geschuldet. Ursprünglich hatte das k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht das Werk 1901 sofort nach dem Ende der X. Secessionsausstellung erworben. Es wurde 1903 der nunmehr gegründeten Modernen Galerie (heute: Belvedere) übergeben. 1923 tauschte man „Am Attersee“ in der Kunsthandlung Gustav Nebehay, von wo es an Raimund Ittner in Wien verkauft wurde.
Gemeinsam mit „Ein Morgen am Teich“ (1899) und „Die große Pappel II (Aufsteigendes Gewitter)“ (1902/03) verfügt das Museum über einen repräsentativen Querschnitt zu Klimts frühen Landschaftsdarstellungen. Alle quadratisch, in der Größe leicht zunehmend, zeigen sie stilistisch gänzlich unterschiedliche Zugangsweisen: „Ein Morgen am Teich“ thematisiert die Spiegelung der morgentlichen Welt auf der ruhigen, nur von wenigen Seerosen durchzogenen Wasseroberfläche. „Am Attersee“ wirft erstmals einen Blick auf die glitzernde Wasseroberfläche, die mittels Strichlängen und -richtungen trotz aller Flächigkeit doch Tiefenräumlichkeit evozieren kann. Mit „Die große Pappel II (Aufziehendes Gewitter)“ reflektierte Klimt die Verbindung einer dicht gemalten, farbig komplexen Wolkenmasse über niedrigem Horizont. Horizontale und Vertikal werden deutlich betont, wobei das herbstliche Laub der Pappel in mannigfaltigen Farbtönen funkelt: Dunkelblaue, orange, rostrote, grüne aber auch violette Flecken definieren, in pointillistischer Manier aufgetragen, das Laubwerk. Wo „Am Attersee“ noch das lichte Türkis und Lila vorherrschte, ist nun Dunkelheit und Farbigkeit eingezogen.
Dennoch: „Am Attersee“ lässt das hohe malerische Können von Gustav Klimt spüren. Wenn man ergänzend noch den „Stier Martin“, der ebenfalls gerade im Leopold Museum ausgestellt ist, heranzieht, so zeigen alle drei Bilder drei verschiedene Arten Wasser darzustellen: als spiegelnde Fläche, als subtiles Wellenspiel, als durchsichtige Flüssigkeit im Trog des dunklen Stalls, wobei einige Reflexlichter in Weiß und Blitzblau die wenigen Sonnenstrahlen im Stall erahnen lassen. Der „Bilderrahmen voller Seewasser“ (L. Hevesi), „die weite, von hunderttausend Sonnenfunken durchblitzte Wasserfläche“ (F. Salten) oder „ein Stück See erblicken wir, nach hinten im Duft verschwimmend, und das grüne und lilagraue Spiel der kleinen Wellen kommt uns breit und buhlend entgegengetänzelt“ (F. Servaes): „Am Attersee“ lädt zum Träumen und Dichten ein.