John Everett Millais (1829–1896) setzte 1850/51 mit „Mariana“ die Protagonistin aus Alfred Lord Tennysons gleichnamigen Gedicht in ein detailiertes Gemälde um. Die Analyse des Werks zeigt Millais Bedeutung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen und der Präraffaeliten (eigentlich Preraphaelite Brotherhood, PRB) im Besonderen. Mit „Ophelia“ (1851/52), aber auch „The Blind Girl“ (1856) oder „Mariana“ (1850/51) definierte er Historienmalerei neu, indem er christliche, historische oder literarische Sujets mit affektgeladenen Personen darstellte.
Großbritannien / London: Tate Britain
26.9.2007 – 13.1.2008
Auf der Ausstellung der Royal Academy 1851 präsentierte John Everett Millais dieses Gemälde noch ohne Titel. Einzig zwei Strophen von Alfred Lord Tennysons Gedicht „Mariana“ (1830) begleitete die Malerei:
She only said, „My life is dreary –
He cometh not!“ she said;
She said, “I am awearyy, aweary –
I would that I were dead!”
Mariana lamentiert über ihre Einsamkeit und Isolation, denn sie war von ihrem Verlobten Angelo verlassen worden, nachdem ihre Mitgift bei einem Schiffsunglück unterging. Ihre Todessehnsucht bricht am Ende jeder Stanza Bann, das Gedicht endet, bevor Marianas Liebhaber zurückkehrt. Millais deutet ihre vergebliche Treue an, indem er Mariana mit einem Verlobungsring an ihrer linken Hand darstellt. Der Altar mit einem Tragaltärchen verweist auf Tennysons zweites Gedicht zu diesem Thema „Mariana in the South“, in dem die Protagonisten verzweifelt Maria um Hilfe anfleht.
John Everett Millais legte in diesem Werk die Unbeholfenheit und Eckigkeit der ersten präraffalitischen Gemälde wie „Lorenz und Isabella“ oder „Christ in the House of his Parents“ ab und wandte sich einer intensiven Farbigkeit und voluminösen Formen zu. Das Gemälde wurde 1850 hauptsächlich in Oxford ausgeführt, das Glasfenster befindet sich in der Merton College Chapel, der Gartenausblick hingegen bei seinem Freund und Mentor Thomas Combe. Sogar den Samt erwarb Millais bei einem lokalen Händler in Oxford.
Der Reichtum an Oberflächen, die Wahl eines sentimentalen Moments aus der zeitgenössischen Literatur, die vage, aber suggestive sakrale Atmosphäre und erlesen gemalte „Details“ wie die Maus oder die gefallenen Blätter im Raum machen dieses Gemälde zu einem Juwel der präraffaelitischen Kunst. Und doch ist es die eigentümliche, fast momenthaft eingefangene Pose, die den Schlüssel zur Interpretation dieses Bildes liefert. Einerseits wirkt Mariana authentisch in ihrer ungewöhnlichen Pose, anderseits betont Millais die weiblichen Formen der sich reckenden Stickerin. Schon den Zeitgenossen fiel die ungesunde Blässe Marianas auf, die sich vor dem nachtblauen Kleid deutlich abhob. Damit ist auch schon die psychologische Tragik Marianas angedeutet: ihr nonnenhaftes, zurückgezogenes Leben und ihre Sehnsucht und Frustration. Die Rückenschmerzen wurden auch als Anzeichen einer Schwangerschaft gedeutet, die im Glasfenster durch die Verkündigung an Maria ihren Widerpart finden würde. Das Schneeglöckchen im Wappen dazwischen steht ikonografisch für Trost. Ob das Mariana helfen wird, bleibt ungewiss!