Richard Cockle Lucas

Wer war Richard Cockle Lucas?

Richard Cockle Lucas (Salisbury 24.10.1800–18.5.1883 Chilworth) war ein britischer Bildhauer und Fotograf der Romantik. Der wenig bekannte Lucas steht seit 1909 im Zentrum der Debatte um die „Flora“-Büste des Bodes Museums in Berlin.

Kindheit & Ausbildung

Richard Cockle Lucas wurde am 24 Oktober 1800 als Soh von Richard Lucas und dessen Frau Martha Sutton in Salisbury, Wiltshire, geboren. Bald darauf starb seine Mutter. Im Alter von zwölf Jahren ging er zu einem Onkel in die Lehre, einem Messerschmied in Winchester. Dort zeigte er großes Geschick beim Schnitzen der Griffe und sein Talent entdeckt. 1821/22 zog Lucas nach London, um an der Royal Academy zu studieren.

Werke

Ab 1828 stellte Richard Cockle Lucas regelmäßig in der Royal Academy aus; in den Jahren 1828 und 1829 erhielt er Silbermedaillen für Architekturzeichnungen. In dieser Zeit gründete der Bildhauer eine Familie. Sein Sohn Albert Dürer Cockle (1828–1918) wurde 1828 in Bayswater geboren; um 1846 lebte die Familie am Nottingham Palace im Zentrum Londons. Ende der 1840er Jahre zog die Familie vielleicht aus Gesundheitsgründen nach Otterbourne, in der Nähe von Winchester. Dort freundete sich Lucas mit der Viktorianischen Autorin Charlotte Mary Younge (1823–1901) an. Um 1854 zog Lucas nach Chilworth in der Nähe von Romsey, wo er nach eigenem Entwurf den „Tower of the Winds“ und den „Chilworth Tower“ (1865) errichtete. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Richard Cockle Lucas zu einer sehr exzentrischen Persönlichkeit entwickelt, er glaubte an Märchen und fuhr mit einer römischen Kutsche durch Southampton.

Richard Cockle Lucas stellte über 100 Mal in der Royal Academy, der British Institution und der Suffolk Street Gallery der Society of British Artists aus. Der Bildhauer schuf Büsten, Medaillons und Skulpturen mit klassischen Themen. Unter seinen Werken befinden sich Porträtstatuen von Samuel Johnson in Lichfield, Isaac Watts in Southampon und Richard Colt Hoare in Salisburg Cathedral. Lucas arbeitete mit den Materialien Marmor, Wachs und Elfenbein, wobei vor allem seine Portraitmedallions, die in der Great Exhibition ausgestellt und danach von der National Portrait Gallery erworben wurden, erfolgreicher waren.

Im Victoria and Albert Museum befindet sich ein Wachsrelief von Lucas, das „Leda und der Schwan“ zeigt und in einer weiteren Kopie in der Berliner Nationalgalerie bekannt ist. Die klassische Mythologie begeisterte den britischen Bildhauer enorm, so dass er die Society-Lady Catherine, Lady Stepney, als Kleopatra darstellte. Seine Begeisterung für die Antike inspirierte ihn, sich intensive mit den Elgin Marbles, Phidias‘ Reliefs vom Parthenon, auseinanderzusetzen. Lucas rekonstruierte in zwei großen Wachsmodellen das Parthenon, wie es 1687 nach dem Bombardement durch die Venezianer ausgesehen haben dürfte. Das zweite Modell zeigt den Tempel in einer eigenen Rekonstruktion, vor allem was die Anordnung der Reliefs betraf. Die Öffentlichkeit konnte dieses zweite Modell im Elgin Room im British Museum betrachten. 1845 veröffentlichte er seine Überlegungen zum Parthenon, die er mit 15 Radierungen illustrierte.

Richard Cockle Lucas beschäftigte sich mit Fotografien, in denen er eigene skulpturale Werke, biblische Geschichten und Szenen aus der Poesie des 18. Jahrhunderts dar- und nachstellte. Eine nahezu komplette Serie davon, von Lucas selbst zu Alben zusammengestellt, wird im British Museum verwahrt. Diese „cartes de visite“ in Albumindruck (The National Portrait Gallery, London) zeigen Lucas in einer Vielfalt an theatralischen und expressiven Posen, die ihn als exzentrischen Menschen zeigen. Gegen Ende seines Lebens war der Bildhauer – aufgrund seines Talents zu Konversieren – häufiger Gast in Broadlands, dem Landsitz von Lord Palmerston. Der Adelige zahlte Lucas bis zum Juni 1865 eine Pension. Richard Cockle Lucas schuf drei Wachsporträts von Palmerston und eine Statuette, die er auf seiner letzten Ausstellung in der Royal Academy 1859 präsentierte.

Geheimnis um die „Flora“-Büste

Leonardo da Vinci und das Geheimnis der „Flora“-Büste

Die „Flora“-Büste ist ein Werk des Bodes Museums in Berlin. Die geheimnisvoll lächelnde Blumengöttin könnte eine Arbeit von Leonardo da Vinci und/oder Richard Cockle Lucas sein. Von Wilhelm Bode im Juli 1909 im Londoner Kunsthandel erworben, steht die Wachs-Skulptur seither im Zentrum einer Kontroverse um Authentizität und Renaissance-Bewunderung. In Haltung und antikischer Nacktheit folgt die „Flora“ der „Nackten Mona Lisa“ Leonardos. Die Gesichtszüge lassen sich ebenso mit Werken des Italieners in Beziehung bringen. In den letzten Jahren sind noch weitere zwei Bronze-Kopien der Wachs-„Flora“ aufgetaucht.

Seit mehr als 100 Jahren debattieren Kunsthistoriker*innen, Restaurator*innen und Naturwissenschaftler*innen über die Entstehungszeit des Werks. Handelt es sich um eine Arbeit des Renaissance-Genies Leonardo, von dem kein gesichertes skulpturales Werk erhalten ist? Könnte ein Schüler bzw. ein Nachfolger Leonardos das Werk geschaffen haben? Hat Richard Cockle Lucas die „Flora“ um 1860 restauriert und danach ein Foto von ihr mit Draperie und echter menschlicher Hand in seinem Atelier gemacht? Oder ist die „Flora“, wie Albert Dürer Lucas zu Protokoll gab, ein Werk des britischen Bildhauers und damit aus der Mitte des 19. Jahrhunderts? Bisher konnten weder stilkritische, kunsthistorische noch naturwissenschaftliche Verfahren eine befriedigende Antwort auf das Rätsel um die „Flora“-Büste geben. Aktuell wird sie im Bode-Museum als „in der Art des Leonardo da Vinci“ mit einer Datierung ins 16. oder 19. Jahrhunderts ausgestellt, was eine sehr subtile Umschreibung des Wissensstandes ist: Richard Cockle Lucas könnte entweder der Restaurator des Werks oder sein Schöpfer sein.

Tod

Richard Cockle Lucas starb am 18. Mai 1883 an den Folgen einer Lähmung in seinem Haus in Chilworth. Er hinterließ eine Witwe, Eliza (um 1805–1893) und einen Sohn, Albert Dürer Lucas. Albert Dürer Lucas war Stillleben- und Blumenmaler, der zwischen 1859 und 1874 in der British Institution und der Society of Artists ausstellte.

Richard Cockle Lucas: Werke

  • Richard Cockle Lucas, Lady Stepney, 1836, Wachs, Höhe 32.1 cm (© V & A Museum, London, Inv.-Nr. A.9-1964)
  • Richard Cockle Lucas, Lady Stepney als Kleopatra, um 1836, Marmor, Höhe 67.3 cm (© V & A Museum, London, Inv.-Nr. A.9-1964)
  • Richard Cockle Lucas, Die Namensgebung des Johannes des Täufers (nach Georg Schweigger & Albrecht Dürer), 1845, Elfenbein, 20 x 14 cm (© V & A Museum, London, Inv.-Nr. A.9-1964)