Der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson (* 1967) war bereits 2003 für seine Installation „The weater project“ in der Tate Modern international gewürdigt worden. Mit dieser Installation verwandelte er die Turbinenhalle in einen sozialen Raum, für den die gemeinsame Erfahrung wichtiger war als die Skulptur. In den vergangenen 16 Jahren wurde Olafur Eliasson weltweit als einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart erkannt. Im Juli 2019 kehrt er für eine großangelegte Ausstellung und ein Kunstwerk im öffentlichen Raum nach London zurück. Olafur Eliassons Ausstellung „In real life“ bringt etwa 40 Werke zusammen, darunter einige eigens für die Londoner Schau konzipierte Arbeiten, welche das weite Spektrum von Eliassons Werk der letzten 30 Jahre offenlegen.
Großbritannien | London: Tate Modern
11.7.2019 – 5.1.2020
Spanien | Bilbao: Guggenheim Museum Bilbao
14.2. – 21.6.2020
Bereits auf der Terrasse der Tate Modern empfängt die Installation „Waterfall“ in einer neuen Fassung die Besucherinnen und Besucher. Natur und Technologie miteinander zu verbinden, gehört zu den Merkmalen von Olafur Eliassons Kunst. Die Skulptur besteht aus einem elf Meter hohen Gestell, über das das Wasser in die Tiefe stürzt und wieder hochgepumpt wird. Zuvor war „Waterfall” bereits in Sydney (1998), New York (2008), São Paulo (2011) und Versailles zu sehen gewesen.
Olafur Eliasson verbrachte seine Kindheit in Island, wo Naturphänomene wie Wasser, Licht und Nebel zu den wichtigsten Themen seiner künstlerischen Recherche wurden. Zum Jahreswechsel 2018/19 stellte er einen Eisberg aus Grönland vor der Tate Modern auf. Mit „Ice Watch“ versucht Eliasson, den Menschen das Schmelzen der Gletscher haptisch vor Augen zu führen. Die Auswirkung des Menschen auf die Umwelt zählt neben Wahrnehmung und Schönheit der Welt, bzw. der Natur, zu den wichtigsten Themen in Olafur Eliassons Werk. So fotografiert der Künstler seit 1999 isländische Gletscher. Die Fotografien der letzten 20 Jahre veranschaulichen die Veränderungen in dieser Landschaft. Es stimmt nachdenklich, welche Veränderungen in so kurzer Zeit dokumentiert wurden.
Wie wichtig dem Künstler die Natur ist, wird in vielen Werken der Londoner Ausstellung spürbar: Hier findet man die frühe Arbeit „Moss wall“ (1994), eine 20 Meter breite Wand, die vollständig mit skandinavischem Rentiermoos bedeckt ist, „Beauty“ (1993), ein Regenbogen in der Ausstellung, und „Din blinde passager [Your blind passenger]” (2010 → Olafur Eliasson: Der blinde Passagier ), eine 39 Meter lange Gang in dichtem Farb-Nebel.
Die Ausstellung in der Tate Modern beginnt mit „Model room” (2003). Mit diesem Werk fasst der Künstler rund 450 Modelle, Prototypen und geometrische Studien in verschiedenen Größen zusammen, die Eliassons Zusammenarbeit mit seinem Team und insbesondere mit dem isländischen Künstler, Mathematiker und Architekten Einar Thorsteinn (1942–2015) dokumentieren.
Zwischen 1996 und 2014 arbeiteten Thorsteinn und Eliasson an mehreren Projekten zusammen und erforschten die geometrischen Formen, Symmetrien und Verhältnisse, die eine Reihe von Eliassons Skulpturen und Pavillons strukturieren. Eine der modularen Formen, ist beispielsweise eine Studie für „Your Spiral View“ von 2002, die in dieser Ausstellung installiert ist. Komplexe ineinandergreifende Formen und kristalline Strukturen sind in „Stardust particle” (2014) verwendet worden. Ohne diese Modelle könnte Olafur Eliasson seine Werke wohl nur schwer in seinem Atelier herstellen (lassen).
Eliassons stellt Modelle aus verschiedenen Materialien her, darunter Kupferdraht, Pappe, Papierkopien, Lego, Holz, Schaum und Gummibälle. Sie dienten viele Jahre als Referenzbibliothek für das Studio Olafur Eliasson. Seit 2015 befindet sich diese Fassung des „Model room” permanent im Moderna Museet in Stockholm. Das Studio, und insbesondere seine Design- und Geometrieteams, entwickeln weiterhin im Rahmen ihrer Forschungen Modelle und Prototypen.
Bereits seit seinem Studium an der Kopenhagener Kunstakademie beschäftigt sich Olafur Eliasson mit Licht und Wahrnehmung. Die frühesten Werke in der Tate Modern – „Window projection“ (1990), „Wannabe“ (1991) und „I grew up in solitude and silence“ (1991) – belegen, wie Eliasson mit Hilfe verschiedener Lichtarten die Wahrnehmung von Raum und Architektur verändert.
Eliassons lebenslanges Interesse an der Natur und Wetter findet Eingang in seine Kunst, als er 1995 mit „Wavemachines“ den Wellengang imitierte oder 1999 in „Regenfenster“ den Effekt einer verregneten Scheibe nachahmte. In der 1994 entstandenen „Moss wall“ verkleidete er eine Wand mit skandinavischer Rentierflechte, wodurch Textur und Geruch des pflanzlichen Rohstoffs den musealen Raum auch olfaktorisch verändern.
Viele von Eliassons Werken spielen aber auch mit Beleuchtung, Reflexion, Inversion (Umdrehung), Nachbildern und Farbverschiebungen. Wer sich in diese Installationen begibt, kann am eigenen Leib erfahren, wie Sinneseindrücke die Bewegung im Raum ermöglichen oder auch verunmöglichen. „Din blinde passager“ (2010) ist ein 39 Meter langer, mit dichtem Nebel gefüllter Gang, in dem man kaum weiter als seine Hand sehen kann. Das Durchschreiten wird zu einem sozialen Experiment, der Farbwechsel lässt den Nebel bunt erstrahlen. Wenn man an „Your uncertain shadow (colour)” (2010) vorbeigeht, wirft man bunte Schatten an die Wand. Der Effekt der Farbverschiebung ist ein uralter, die Überraschung der Besucherinnen und Besucher aber immer neu. Den gegenteiligen Effekt machte sich Olafur Eliasson in „Room for one colour“ (1997) zunutze. Das gelb-orange Licht löscht gleichsam die Farben aus, wodurch alles im Raum monochrom Schwarz-Gelb wird.
Das Spiel mit Licht und Raum ist Ausgangs- und Endpunkt von Skulpturen Eliassons wie „Your Spiral View“ (2002) und „Your Planetary Window“ (2019). Seit Mitte der 1990er Jahre kreiert Eliasson Kaleidoskope, die für ihn mehr sind als nur spielerische Experimente. Vielfache Spiegelungen verunmöglichen die Raumwahrnehmung. Zunehmend löst sich die Grenze zwischen Galerieraum und Welt auf. Mit Hilfe von optischen Täuschungen inspiriert der Künstler, die Umgebung nicht als gegeben wahrzunehmen, sondern als Konstrukte unserer Sinneswahrnehmung zu erkennen. In eine ähnliche Kerbe schlägt Olafur Eliasson auch mit Sphären, die er mit geometrischen Prinzipien konstruiert. „In real lief“ von 2019, das der Ausstellung auch ihren Titel gibt, zeigt des Künstlers Interesse an Spiralen. Für ihn schaffen sie eine Energie innerhalb des Objekts und außerhalb desselben, indem sie ein Spiel von Schatten und Licht an den umgebenden Wänden.
Dass sich der Künstler auch von Kunst inspirieren lässt, wird anhand von „Colour experiments“ (2019) deutlich. Um zu verstehen, wie Maler durch die Jahrhunderte Licht darstellten, analysierte Eliasson zwei Gemälde von Caspar David Friedrich (1774–1840), nämlich „Der Mönch am Meer“ (1808–1810) und „Der einsame Baum“ (1822). Indem er die verwendeten Farbtöne proportional um jedes Gemälde anordnete, schuf er einen alternativen Farbenkreis.
Die Ausstellung der Tate Modern gipfelt in einem Raum namens „The Expanded Studio“, der Eliassons Engagement für soziale und ökologische Themen präsentiert. Dazu gehören Projekte wie „Little Sun“, das erstmals 2012 an der Tate Modern vorgestellt wurde und für Gemeinden ohne Zugang zu Elektrizität solarbetriebene Lampen und Ladegeräte bereitstellt. In „Green light – An artistic Workshop“ stellten Asylsuchende und Flüchtende gemeinsam mit der Öffentlichkeit grünes Licht her und nehmen an begleitenden Bildungsprogrammen teil.
Olafur Eliassons weitreichende Architekturprojekte werden ebenfalls in London vorgestellt, einschließlich Fjordenhus in Dänemark, das erst letztes Jahr fertiggestellt wurde. Den Museumsbesuchern wird ein Einblick hinter die Kulissen geboten, wie Studio Olafur Eliasson täglich arbeitet, und sie werden eingeladen, an gemeinschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen.
Für die Dauer der Ausstellung hat das Küchenteam von Studio Olafur Eliasson, SOE Kitchen, mit Tate Eats an einem speziellen Menü für die Terrace Bar von Tate Modern zusammengearbeitet. Dies basiert auf biologischen, vegetarischen und regionalen Produkten, die für die Küche des Studios in Berlin von zentraler Bedeutung sind. Umgeben von Kunstwerken und Lampen, die von Eliasson entworfen wurden, können Besucher an Tischen, die denen im Studio ähneln, gemeinsam essen.
Kuratiert von Mark Godfrey, Leitender Kurator für Internationale Kunst, und Emma Lewis, stellvertretende Kuratorin, in enger Zusammenarbeit mit Studio Olafur Eliasson.
Der Katalog von Tate Publishing gibt in Gesprächen zwischen dem Künstler und einer Vielzahl von Mitarbeitern Einblicke in Eliassons Denken. Zu den Gesprächspartnern des Künstlers gehören Architekten, Musiker, Chronobiologen und Neurowissenschaftler.