Die Ausstellungen im Musée d’Orsay 2020 beleuchten einige weniger bekannte Künstler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Im Frühjahr wird der Arzt und Autodidakt Léopold Chauveau als Schöpfer von Ungeheuern und fantastischen Welten vorgestellt (ab 10.3.). Eine Einzelausstellung zu James Tissot führt die mondänen Werke des Franzosen, der viele Jahre in London arbeitete, vor Augen. Als Zeitgenosse der Impressionisten pflegte er einen akademischeren Stil, mit dem er höchst erfolgreich Gesellschaftsporträts malte. Gleichzeitig pflegte er die Radierung, wo er religiöse Sujets in neuem Gewand vorstellte. Im Sommer präsentiert das Musée d’Orsay eine Ausstellung des belgischen Symbolisten Léon Spilliaert, der für einsame Interieurs und geheimnisvolle Szenerien bekannt ist.
Coronabedingt mussten einige Ausstellungen verschoben werden. Hier findet ihr die Laufzeiten (Stand 2.6.2020).
Der Autodidakt Léopold Chauveau (1870-1940) flüchtete sich, neben seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt, die er unter dem Druck seiner Familie ergriffen hatte, aber nur wenig schätzte, in eine eigentümliche, künstlerische Welt, die sowohl einzigartig als auch originell ist. Der Bildhauer, Illustrator und Buchautor für Erwachsene und Kinder wurde lange Zeit von Kunsthistorikern ignoriert. Erst die Schenkung seines Enkels – 18 Skulpturen und 100 Zeichnungen – an das Musée d'Orsay 2017 rückte Chauveaus Namen ins Scheinwerferlicht.
Léopold Chauveau begann um 1905 mit der Bildhauerei, nachdem er bereits seit mehreren Jahren als Arzt tätig war. Ab 1907 wurden Ungeheuer zu einem Leitmotiv seiner künstlerischen Produktion sowohl im Bereich Bildhauerei als auch Zeichnung. Diese hybriden Wesen sind häufig berührende Kreaturen, unbeholfen und wie erstaunt über ihre eigene Existenz. Sie scheinen Chauveaus Unterbewusstsein zu entspringen und stellen für den Bildhauer eigenständige Gefährten dar, ein Volk aus einer imaginären Welt, in der er Zuflucht suchte.
Trotz ihrer Einzigartigkeit sind die geschnitzten Ungeheuer des Künstlers Teil einer Genealogie der Kunstgeschichte: Beispiele sind mittelalterliche Wasserspeier oder auch japanische Gespenster. Im Bereich der Zeichnung arbeitete Chauveau mit einem synthetischen, präzisen und markanten Konzept, um seine Figuren in einem naiven Stil in vereinfachten, aber expliziten Szenerien darzustellen. Rahmungen vermitteln die narrative und teilweise dramatische Dimension seiner Serien.
Ab den 1920er Jahren erfand Léopold Chauveau monströse Landschaften: vorsintflutliche Wüstengegenden, in denen biomorphe Ungeheuer eigenartige Handlungen ausführen. Chauveau illustrierte auch große Klassiker wie das Alte und Neue Testament und die Fabeln von La Fontaine. Manchmal interpretierte er die Texte neu (wie „Le Roman de Renard“), daneben schuf er berührende und fantasievolle Kinder- und Tiergeschichten.
Im Rahmen der Ausstellung kann ein einzigartiges Werk neu entdeckt werden. Zwei wichtige Aspekte stehen im Mittelpunkt: einerseits die Persönlichkeit, das Leben und Werk von Léopold Chauveau, und andererseits seine imaginäre Welt für Kinder, die auch die jüngsten Besucher faszinieren wird.
Kuratiert von Ophélie Ferlier-Bouat und Leïla Jarbouai, Konservatorinnen im Musée d'Orsay
Zweite Station: La Piscine, Musée d'Art et d'Industrie André Diligent in Roubaix, vom 17. Oktober 2020 bis zum 17. Januar 2021
→ Paris | Musée d`Orsay: James Tissot
James Tissot (1836-1902), der in Nantes geboren und auf den Namen Jacques Joseph Tissot getauft wurde, studierte an der Ecole des Beaux-Arts de Paris. Tissot war ein herausragender, zugleich widersprüchlicher und faszinierender Maler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er übte seine künstlerische Tätigkeit dies- und jenseits des Ärmelkanals aus. Sein Werk wird zwar regelmäßig auf Ausstellungen zur Belle Époque präsentiert, doch dies ist die erste Retrospektive über Tissot seit der Schau im Petit Palais im Jahr 1985.
James Tissots Laufbahn begann Ende 1850 in Paris. Seine Leidenschaft für die japanische Kunst und seine Verbindung zu einflussreichen Zirkeln dienten ihm als Inspirationsquelle für seine Malerei. In Paris, wo Baudelaire Schriften über die moderne Kunst verfasste, die von Künstlern wie James McNeill Whistler, Edouard Manet oder Edgar Degas verkörpert wurde, war der Dandy Tissot sehr gefragt (→ Japonismus, Impressionismus).
Nach dem Krieg von 1870 und der Pariser Kommune ließ sich Tissot in London nieder und setzte seine bemerkenswerte Karriere, die ihm Zutritt zur Oberschicht verschaffte, fort. In seinem Werk beschäftigte er sich zunehmend mit seiner Lebensgefährtin Kathleen Newton und deren Erkrankung. Nach dem Tod seiner Muse im Jahr 1882 kehrte Tissot nach Frankreich zurück.
Tissot schilderte in seinen Gemälden die Pariser Frau ‒ der große Zyklus („Die Frau in Paris“) ‒ und erforscht mit dem Zyklus „Der verlorene Sohn“ und Hunderten von Bibelillustrationen mythische und religiöse Sujets, die an der Wende zum 20. Jahrhundert von Erfolg gekrönt waren.
Die Ausstellung präsentiert die Kunst dieses Malers vor dem künstlerischen und gesellschaftlichen Hintergrund seiner Zeit und vergisst nicht, die großen Erfolge eines Künstlers zu erwähnen, der sich durch seine oftmals ikonischen Bilder und seine kühnen Recherchen auszeichnete. Die Schau beschäftigt sich auch mit der Entstehung seines Werks: mit Tissots Themen und deren Variationen, mit den verschiedenen Techniken wie der Grafik, Fotografie oder Cloisonné, die er neben der Malerei ausübte.
Kuratiert von Marine Kisiel, Kuratorin im Musée d'Orsay, Melissa E. Buron, Director, Art Division at the Fine Arts Museums of San Francisco, Paul Perrin, Konservator im Musée d'Orsay, Cyrille Sciama, Generaldirektor des Musée des impressionnismes Giverny.
Die Ausstellung wird vom 10. Oktober 2019 bis 9. Februar 2020 im Fine Arts Museum von San Francisco präsentiert.
Der belgische Symbolist Léon Spilliaert (1881–1946) setzt in seinen Gemälden beunruhigende Einsamkeit und unendliche Perspektiven in Szene (→ Symbolismus). Zwischen metaphysischer Hinterfragung und flämischer Kultur sorgt er mit nicht klassifizierbaren Werken für Verwirrung. Er erfand eine Symbolik der inneren Dunkelheit, welche die belgische Kunst nachhaltig prägen sollte.
Léon Spilliaert fand Inspiration an den Bildwerken von Odilon Redon oder James Ensor, aber auch Texten von Emile Verhaeren und Maurice Maeterlinck. Obwohl er vom Symbolismus der Jahrhundertwende beeinflusst war, geht sein Werk darüber hinaus. Spilliaerts halluzinierende Gesichter flirten mit dem Expressionismus, die schlichten Landschaften erscheinen als Vorboten des Minimalismus.
Kuratiert von Leïla Jarbouai, Konservatorin für graphische Kunst im Musée d'Orsay, Anne Adriaens-Pannier, Dozentin, Königliche Museen der Schönen Kunste von Belgien – Brüssel.
Die Ausstellung wird organisiert von: Musée d'Orsay, Musée de l'Orangerie, Paris, und der Royal Academy, London. Sie ist vom 19. Februar bis zum 12. September 2020 an der Royal Academy zu sehen: London | Royal Academy of Arts: Ausstellungen 2020
Der englische Illustrator und Grafiker Aubrey Beardsley starb im Alter von 25 Jahren. Im Alter von 20 Jahren erhielt er seinen ersten großen Auftrag: die Illustrationen zu "Arthurs Tod" von Thomas Malory. Sehr schnell verbreitete sich seine Arbeit über die Verlage. Internationale Berühmtheit erlangte er mit seinem Projekte für "Salomé" von Oscar Wilde. Die lebendigen und eleganten Zeichnungen entwerfen eine eigenartige, erotische und teilweise perverse Welt, welche die Weltanschauung dieser originellen Persönlichkeit des viktorianischen Zeitalters wiedergibt.
Seit etwa zwanzig Jahren gilt Joseph-Philibert Girault de Prangey (1804-1892) als einer der wichtigsten Protagonisten der frühen französischen Fotografie- Der Maler und Zeichner, Archäologe und Architekturhistoriker, versierter Kenner seltener Pflanzen und Tiere war in der Tat ein Pionier der Daguerreotypie. Die Technik beherrschte er ab 1841 perfekt und begründete mit ihr er ein Werk, das sich durch eine beispiellose Qualität und Dimension auszeichnet (eine vergleichbare Dimension ist vielleicht im jüngst entdeckten Schaffen des Engländers John Ruskin zu finden).
Im Zentrum der Ausstellung steht ein Korpus von nicht weniger als 1000 Platten, die Girault de Prangey größtenteils zwischen 1842 und 1844 auf einer Rundreise durch den Mittelmeerraum angefertigt hat. Die Fotografien zeigen Motive aus Italien und Ägypten über Griechenland, die Türkei, Syrien und den Libanon bis nach Jerusalem und Palästina.
Anhand von ca. 120 Daguerreotypien, Gemälden, Aquarellen, Lithographien, illustrierten Werken aber auch Studien auf Papier positioniert die Ausstellung diesen Korpus innerhalb des fotografischen Werks, das vor und nach der Reise geschaffen wurde. Diese beinahe unbekannte Produktion wird im französischen Kontext der 1830er bis 1880er Jahre analysiert (künstlerischer und archäologischer Hintergrund, der Aufschwung der illustrierten wissenschaftlichen Publikationen und Forschungseinrichtungen für Archäologie und Gartenbau), um die Persönlichkeit von Girault de Prangey und seine Entwicklung als Künstler und Fotograf aus einem neuen Blickwinkel zu beleuchten.
Kuratiert von Thomas Galifot, Kurator für Fotografie im Musée d'Orsay, und Sylvie Aubenas, Leiterin der Abteilung Holzschnitte und Fotografie in der französischen Nationalbibliothek
Das 19. Jahrhundert war von der beispiellosen Entwicklung der Naturwissenschaften geprägt. Die großen Entdeckungsreisen offenbaren die Vielfältigkeit der Welt sowie die Vielfalt der lebenden Arten: Die Geologie entdeckt das unvorstellbare Alter der Erde und ihre Veränderungen im Laufe der Zeit. Die Studie der Fossilien belegt das Alter des Lebens auf der Erde und die Existenz verschwundener Arten. 1854 wird mit den Dinosauriern des Crystal Palace in London ein erster "Jurassic Park" in Szene gesetzt. Die Entdeckung des prähistorischen Menschen wirft Fragen auf: Wie soll er dargestellt werden? Wer war der erste Künstler?
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erforschen Darwin und seine Anhänger, wie z. B. Haeckel in Deutschland, die Ursprünge des Menschen, seinen Platz in der Natur, sein Verhältnis zu den Tieren sowie seine eigene Tiernatur in einer Welt, die nun als Ökosystem betrachtet wird. Diese Revolution in den Wissenschaften sowie die öffentlichen Diskussionen im Laufe des Jahrhunderts üben einen nachhaltigen Einfluss auf die Künstler aus. Die Ikonografie des Affen verdeutlicht das Unbehagen angesichts unserer affenartigen Vorfahren und der fantastischen Suche nach dem "fehlenden Glied".
Die symbolistische Ästhetik der Verwandlung ist von Ungeheuern und Hybridwesen, Kentauren, Minotauren, Meerjungfrauen und anderen Fantasiewesen bevölkert. Mit den Kunstformen der Natur von Haeckel wird die Natur zum Künstler. Die Welt des unendlich Kleinen, die Botanik und die Tiefen des Meeres dienen der Kunst und insbesondere der dekorativen Kunst als Inspirationsquellen. Jugendstil und Symbolismus zeugen von der Faszination für den Ursprung der Welt, die Ontogenese und Phylogenese: Einzellorganismen, Meerestiere oder embryonale Formen finden Eingang in undefinierte Welten und die Geheimnisse des entstehenden Lebens.
Das Musée d'Orsay organisiert erstmals eine Ausstellung am Kreuzpunkt von Wissenschaft und Kunst, in Zusammenarbeit mit dem Muséum national d’Histoire naturelle, das die Themen dieser Fragestellung nachzeichnet. Dabei werden die wichtigen Etappen der wissenschaftlichen Entdeckungen ihren Parallelen in der imaginären Welt gegenüberstellt.
Die Ausstellung wird vom 13. März bis 27. Juni 2021 im Musée des Beaux-Arts von Montreal, Kanada, zu sehen sein.
Rätselhaft sind die Bildwelten der „Pittura Metafisica“, der „Metaphysischen Malerei“, Anfang des 20. Jahrhunderts, voll Intuition, Erinnerung und Vorahnung. Mit realistisch-präzisen Möglichkeitswelten suchen Giorgio de Chirico, Giorgio Morandi und Carlo Carrà Unsichtbares sichtbar zu machen. Neuartig fußt dies zugleich auf Meisterwerken der deutschen Spätromantik. Eine andere Welt wird ahnbar jenseits des Scheins: Eben diese Vieldeutigkeit, Virtuosität, vorweggenommene Virtualität beeindrucken heute besonders stark.
Da die Ausstellung für Herbst 2020 in der Hamburger Kunsthalle angekündigt ist, dürfte die Laufzeit in Paris noch nicht angepasst worden sein: Hamburg | Hamburger Kunsthalle: de Chirico
→ Paris | Musée de l’Orangerie: Soutine – De Kooning
Erstmals werden im Musée de l‘Orangerie Werke von Chaïm Soutine (1893–1943) und Willem de Kooning (1904–1997), einem abstrakt-expressionistischen amerikanischen Künstler, einander gegenüberstellt. Im Rahmen dieser Ausstellung wird insbesondere die Auswirkung der Malerei von Soutine, einem russischen Maler der Pariser Schule, auf die künstlerische Vision des amerikanischen Malers niederländischer Herkunft beleuchtet.