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Wetter-Smalltalk im Museum Niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts aus Sicht der Meteorologie

Aelbert Cuyp, Gewitter über Dordrecht, um 1645, Öl auf Eichenholz (Stiftung Sammlung E.G. Bührle Zürich, Inv.Nr. 149)

Aelbert Cuyp, Gewitter über Dordrecht, um 1645, Öl auf Eichenholz (Stiftung Sammlung E.G. Bührle Zürich, Inv.Nr. 149)

„Welch schönes Wetter wir doch heute zur Eröffnung haben! Beinahe undenkbar nach dem starken Gewitter der letzten Nacht.“ Über das Wetter zu reden gilt als idealer, da unverfänglicher Einstieg in ein Gespräch. Mit Smalltalk-Leichtigkeit lädt aktuell das Kölner Wallraf-Richartz-Museums zu einer bescheidenen, zwanzig Werke umfassenden, Sonderschau ein, welche sich der Darstellung von meteorologischen Phänomenen in der niederländischen Landschaftsmalerei und der Frage nach deren Realitätsgehalt widmet.

Kunsthistorisch Eingemachtes

Erst mal über das Wetterthema eingefangen, geht es vor Ort schnell ans kunsthistorisch Eingemachte: das Goldene Zeitalter der niederländischen Malerei im 17. Jahrhundert. Niemals zuvor in der Geschichte konnten so viele Künstler ihren Lebensunterhalt mit der Malerei bestreiten, niemals zuvor gab es eine derartige Massenproduktion an Kunstwerken. Begründet lag dies in der wirtschaftlichen Hochkonjunktur der jungen Republik der Vereinigten Niederlanden, welche sich zu einer führenden Seehandelsmacht entwickelte.

Der Wohlstand der bürgerlichen Schicht sorgte für eine bislang nicht bekannte Nachfrage an Kunstwerken und damit der Etablierung eines niederländischen Nationalstils im Barock. Durch den Wegfall der Kirche als vorherrschende Auftraggeberin waren profane Sujets für den privaten Gebrauch sehr gefragt: Stillleben, Genre- und Landschaftsmalerei boomten. Legitimierten die Künstler der Renaissance eine bildfüllende Darstellung einer Landschaft noch über die Integration einer mythologischen oder religiösen Szene im Bild, wie die „Landschaft mit dem Sturz des Ikarus“ von Marten Rijckaert (1587–1631) exemplarisch zeigt, so lösten sich die Künstler in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts völlig von dieser Tradition. Landschaftsbilder passten thematisch gut zu der zeitgleich in den Niederlanden sehr populären Kartografie, welche dem Bedürfnis der Erforschung, Aufzeichnung und Ordnung von Land, Gewässern und Himmelskörpern Rechnung trug. Der Seehandel und die Landwirtschaft, welche für die Prosperität der Region sorgten, waren sehr abhängig von Wind und Wetter und es war daher nur folgerichtig, dass auch die Maler, die Geschehnisse am Himmel als Leitthema ihrer Werke betrachteten.

Eine Wand, ein Wetterphänomen

Kuratorin Anja Sevcik gliedert die beinahe ausschließlich querformatigen Himmelsbilder in einem quadratischen Raum in vier Kategorien; eine Wand, ein Wetterphänomen: „Wind und Wellen“, „Wolkendrama“, „Sonnenstrahl“ und „Wetterleuchten“. Unter der Bezeichnung „Wind und Wellen“ werden Beispiele der niederländischen Marinemalerei vorgestellt. Das Ölgemälde „Windstille“ von Jan van der Cappelle (1624–1679) zeigt einen Hafen bei Sonnenaufgang. Die Luft scheint noch dunstig, es verspricht ein schöner, ruhiger Tag zu werden. Die Seeleute gehen gemächlich ihren Arbeiten nach. In direkter Nachbarschaft, auf dem Bild von Ludolf Backhuyze (1630–1708) nimmt die Dramatik schon etwas zu: der Wind peitscht die Wellen hoch und zerrt an den Segeln des Schiffes, welche die Besatzung unter Kontrolle zu halten versucht. Graue Wolken sammeln sich im Hintergrund und sorgen für eine bedrohliche Gesamtstimmung.

Gezielt eingesetzter Realismus

Franz Molé, Meterologe des Deutschen Wetterdienstes in Essen und selbst begeisterter Segler in den Niederlanden, hat die Gemälde im Bezug auf ihre Realitätsnähe begutachtet. Er zieht den Schluss, dass, obwohl die Wolken realistisch dargestellt sind, sie doch primär einem bestimmten dramaturgischen Effekt dienen. Die Maler hatten aus Naturbeobachtungen ein gutes Grundwissen um unterschiedliche Wolkenstrukturen und deren Wirkung, welches sie in ihren Bildern gezielt eingesetzt haben, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Dies bestätigt auch ein anonymes Studienblatt mit Wolkenskizzen in der Ausstellung, welches einen Regenguss und ein Wolkenloch mit Binnenwölkchen und durchscheinendem Himmelblau festhält. Bis zum 19. Jahrhundert lässt sich keine Anleitung für Wolkenmalerei in Malereihandbüchern nachweisen (Wolkenstudien der Romantik: Wolken in der Malerei), wohl aber gab es Richtlinien zur farblichen Gestaltung des Himmels. Derartige Skizzen in handlichem Papierformat entstanden beim sogenannten „going on Skoying“, bei speziellen Ausflügen zum Himmel-Schauen und -Studieren, eine Praxis welche unter anderem über den Marinemaler Willem van de Velde II. (1633–1707) dokumentiert ist.

Wenn Wolken zu Protagonisten werden

Unter dem Betriff „Wolkendrama“ werden Werke gezeigt, in denen Wolkendarstellungen die Kompositionen räumlich sowie inhaltlich dominieren, zwei Drittel des Bildausschnittes sind für die Himmelsdarstellung reserviert und die opulenten Wolkentürme ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. „Strand mit Fischerhändlern“ von Simon de Vlieger (1601–1653) zeigt eine typisch niederländische, weil flache Dünenlandschaft. Das geschäftige Treiben der Händler scheint aber nur eine Nebenhandlung zu sein, die Protagonisten sind ganz klar die Stratocumulus-Wolken. Über die dunkelgraue Wolke am oberen Bildrand müsse man sich keine Sorge machen, erklärt Meterologe Molé, dabei handle es sich um Quellwolken, welche Zeichen eines beständigen Hochdruckwetters sind. Landschaften wie diese eigenten sich Mitte des 19. Jahrunderts wunderbar als Vorbilder, als die Maler der Haager Schule sich daran machten, die Landschaftsmalerei des Realismus neu zu begründen.

Eine weitere beachtliche Wolkenkonstellation ist auf dem Bild „Blick auf Haarlem von Süden“ von Jan Vermeer von Haarlem der Ältere (1628–1691) zu sehen. Durch die dicht angeordneten Cumuluswolken scheint vereinzelt die Sonne, Lichtinseln werden auf der flachen Landschaft sichtbar – „ideales Wetter für das Bleichen von Leinen“,  so die Kuratorin Anja Sevcik, „und wer genau kuckt, kann sogar einzelne Leinenbahnen in der Landschaft erkennen, welche auf die berühmte Haarlemer Textilindustrie verweisen.“ Die Anmerkung, ob die Gewitterwolke in der linken oberen Ecke, der Bleicherzunft nicht Sorgen bereiten sollte, winkt Molé abermals ab: nein, auch hier handelt es sich um beständiges Wetter. Einem erfolgreichen Bleichvorgang stehe nichts im Wege. Schön.

Gewitter über Dordrecht

Herzstück der Ausstellung ist zweifelsohne das Gemälde „Gewitter über Dordrecht“ von Aelbert Cuyp (1620–1691), das beinahe eine magische Anziehungskraft ausübt. Die Spannung im Bild entsteht nicht nur über den visualisierten Blitzschlag, sondern vor allem durch den Kontrast des Sturmes im Hintergrund mit den ruhenden Kühen im Vordergrund. „Die Ruhe vor dem Sturm“ ist kein Mythos, erklärt Molé, doch die im Bild dargestellte Gleichzeitigkeit und Nähe der beiden Extreme ist so nicht realistisch. Er sieht darin allerdings eine andere Qualität, und zwar die der Darstellung einer weiteren Dimension, der zeitlichen Abfolge. Was Cuyp tatsächlich darstellt, ist, den meteorologischen Ablauf eines Gewitters, den Molé wie folgt interpretiert: „An der Form von Wolken und Blitzen bei Dordrecht kann man gut erahnen, dass die Gewitter von links nach rechts ziehen, was auch bei uns typischerweise von Südwest nach Nordost bedeutet. Bei den Windmühlen weht der Wind von den Gewitterwolken kommend, also aus Nordwest und wahrscheinlich kräftig. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass die Büsche weiter im Vordergrund quer dazu geneigt sind, der Wind also stark aus Südwest weht.“

Interdisziplinarität

Nach dem Besuch der Ausstellung bleibt der Wunsch, dass Kunstinstitutionen öfter mit anderen Forschungsdisziplinen zusammenarbeiten, nicht nur für die Erweiterung des kunsthistorischen Vokabulars (Altocumulus stratiformis translucidus = Schönwetterwolke), sondern auch, weil es hier ein großes kuratorisches Potential gibt. Ich hätte jedenfalls lieber eine von Franz Molé frei kuratierte Ausstellung gesehen und mir gerne die Kalt- und Warmfrontanalysen der einzelnen Bilder und seine Interpretationen dazu angehört. Vor allem da es bereits 2001/2002 in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin bzw. in einer zweiten Station im Altonaer Museum in Hamburg eine Ausstellung mit dem Titel „Die kleine Eiszeit. Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert“ gegeben hat, damals eine Kooperation mit dem GeoForschungsZentrum Potsdam, welche all diese Themen bereits vorbildlich abgehandelt hat. Fünfzehn Jahre später wäre ein weiterer Schritt in Richtung Interdisziplinarität im Sinne eines „die Bühne frei geben für einen fremden Blick“ wünschenswert gewesen, bleibt aber an dieser Stelle ein Desideratum.

Links

GFZ Potsdam, Texte zum Thema Landschaftsmalerei und Wissenschaft

GFZ Potsdam, Gemäldegalerie Staatliche Museen zu Berlin
Ausstellungskatalog „Die kleine Eiszeit. Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert“, 2001/2002

Ausgestellte Künstler

  • Paul Bril (Breda/Antwerpen 1553/54–1626 Rom)
  • Marten Rijckaert (Antwerpen 1587–1631 Antwerpen)
  • Jan van Goyen (Leiden 1596–1656)
  • Simon de Vlieger (Rotterdam 1600/01–1653 Weesp)
  • Aelbert Cuyp (Dordrecht 1620–1691)
  • Dirck Stoop (Utrecht 1615/21–nach 1681 Utrecht)
  • Allaert van Everdingen (Alkmaar 1621–1675)
  • Jan van der Cappelle (Amsterdam 1626–1679 Amsterdam)
  • Jan Vermeer van Haarlem (Haarlem 1628–1691 Haarlem)
  • Jacob van Ruisdael (Haarlem 1628/29–1682 Amsterdam)
  • Ludolf Backhuyzen (Emden 1630–1708 Amsterdam)

Naturschauspiele in der niederländischen Malerei: Bilder

  • Paul Bril, Gebirgslandschaft, um 1595, Öl auf Kupfer, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud)
  • Paul Bril, Küstenlandschaft, 1596, Öl auf Kupfer (Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud)
  • Marten Rijckaert, Landschaft mit dem Sturz des Ikarus, um 1620–1630, Öl auf Eichenholz (Privatsammlung, WRM Dep. 840)
  • Simon de Vlieger, Strand mit Fischhändlern, um 1643, Öl auf Eichenholz (WRM 1828)
  • Aelbert Cuyp, Dordrechter Hafen im Mondschein, um 1645, Öl auf Eichenholz (WRM 2533)
  • Aelbert Cuyp, Gewitter über Dordrecht, um 1645, Öl auf Eichenholz (Stiftung Sammlung E.G. Bührle Zürich, Inv.Nr. 149)
  • Jacob van Ruisdael, Baumlandschaft mit Teich, um 1649, Öl auf Eichenholz (Dauerleihgabe aus Privatsammlung, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud)
  • Aelbert Cuyp, Landschaft mit Hirten und Kühen, 1650er Jahre, Öl auf Leinwand (Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud)
  • Jan van der Cappelle, Windstille, 1650er Jahre, Öl auf Eichenholz (WRM 2535)
  • Jan van Goyen, Den Haag, Strand mit Blick auf Scheveningen von Südwesten, 1653, Öl auf Eichenholz (Privatsammlung, WRM Dep. 569)
  • Allaert van Everdingen, Waldlandschaft mit Wassermühle, um 1655, Öl auf Leinwand (Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud)
  • Jan Vermeer van Haarlem der Ältere, Blick auf Haarlem von Süden, Öl auf Eichenholz (Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud)
  • Dirck Stoop, Mittelmeerhafen, 1660er Jahre, Öl auf Leinwand (WRM 1508)
  • Ludolf Backhuyzen, Boote auf der Zuidersee vor Naarden, 1660–1663, Öl auf Eichenholz (WRM 2566)

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Nora Höglinger
* 1987 in Rohrbach/OÖ, Studium der Kunstgeschichte und Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Paris. Seit 2009 im Bereich der zeitgenössischen Kunst tätig. Publikationen u.a. für die Sammlung Verbund Wien, BOZAR Brüssel, Hamburger Kunsthalle und Kunst im öffentlichen Raum Wien. Lebt und arbeitet als freie Autorin in Köln.