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Brigitte Kowanz & Erwin Wurm | Biennale 2017 Licht und Körper in Venedig

Brigitte Kowanz & Erwin Wurm | Biennale 2017

Brigitte Kowanz & Erwin Wurm | Biennale 2017

Bereits im Vorfeld warf die Entscheidung von Christa Steinle, Brigitte Kowanz und Erwin Wurm gemeinsam für die Biennale 2017 zu nominieren, Fragen auf. Zu unterschiedlich – ästhetisch wie inhaltlich – wären die beiden Positionen. Schwierig zu realisieren im ohnedies für ein Display herausfordernden Österreich Pavillon. Ein Blick in den österreichischen Pavillon bestätigt dieses Urteil. Der Raum musste zweigeteilt werden, oder vielmehr, für Brigitte Kowanz wurde ein eigener Space errichtet. Doch eines vorweg: Architektonisch ist es gut gelöst! Wurm bespielt den vorderen Pavillon von Hoffmann, während Kowanz einen hölzernen Kubus mit geraden Linien in Richtung Hof und Garten erhalten hat. Materialität und Verbindung zum historischen Pavillon sind bestens geglückt.

Minister Thomas Drozda eröffnet die Biennale wegen schlechten Wetters im Lichtpavillon, der sich somit auch als Versammlungsort (durchaus ein Thema der Biennale 2017!) bewährt hat. Der Ausstellungsraum dürfte auch über das Jahr 2017 erhalten bleiben, wenn man zwischen seinen Zeilen lesen darf.

„Ich freue mich sehr, Österreich mit Brigitte Kowanz und Erwin Wurm vertreten zu sehen. Der erste Eindruck galt dem LKW vor dem Pavillon und den Schlangen, die sich vor dem Eingang schon gebildet haben. Ich bin sehr stolz auf die beiden Künstler, auf die Kunst- und Kulturnation Österreich. Ich halte es elementar wichtig, die Leistungen zu präsentieren und dies international zu tun. In der Art und Weise, wie wir uns hier in Venedig organisieren, müssen wir allerdings verändern. Es wird in der Zukunft eine fixe Organisation geben, die sich biennal mit den organisatorischen Belangen beschäftigen wird. Dazu wird das Budget von derzeit 400.000 auf 500.000 € erhöht. Ich möchte mich bei der Kommissarin und den Künstlern bedanken, dass für das Budget noch so viel möglich gemacht wurde!“ (Thomas Drozda)

Steinle zeigt sich ob des Gegenwindes überzeugt von ihrer Künstler-Auswahl. Beide, so Steinle, reagieren auf die Erweiterung des Skulpturbegriffs, als „Forscher innerhalb der Expansion der Künste“. Verbindende Themen sind: Verhalten des Menschen im Raum, Neudefinition des öffentlichen Raums und der Architektur, Raum und Zeit, Architektur in Skulptur. Real-Raum wird wieder geopolitisch definiert und mit Hilfe des Internet mit dem unendlichen Raum verbunden. Materielle Mobilität von Menschen – Tourismus und Migration – bei Wurm und digitale Bewegung im Werk von Brigitte Kowanz sind nur zwei Seiten einer Realität.

 

Brigitte Kowanz auf der Biennale

Für Kowanz wurde ein eigener Raum gebaut (Entwurf Hermann Eisenböck), ein „Light-Space“ in Form eines Würfels mit vier Lichtinstallationen, Materielles und Immaterielles verbinden sich hier miteinander. Vor allem geht es der Künstlerin um den Datenraum, der Unendlichkeit des Universums (kosmischer Raum) und Schriftraum. Die Grundlage bildet eine Linie in Morse-Schrift, in der wichtige Daten für die Geschichte des Internet angeführt sind: www 12.03.1989 06.08.1991 (Vorstellung des Internet am CERN), Google 05.09.1997, Wikipedia 15.01.2001, I-Phone 09.01.2007. Der Titel der Schau „Infinity and Beyond“ findet sich als Neonschrift im hintersten Teil des Pavillons. Wie bereits im Gespräch mit ARTinWORDS letzte Woche erklärt, beschäftigt sich Brigitte Kowanz bereits seit Jahrzehnten mit dem Morsen und der Datenübertragung in 0 und 1. Sich auf der Biennale der Geschichte des Internet zuzuwenden und in der Wiener Galerie historisch wichtige Daten zu präsentieren, kann man diskutieren (→ Brigitte Kowanz: „Das Licht ist einerseits Grundlage der Sichtbarkeit und andererseits Symbol der Erkenntnis“). Häufig wurde bereits hingewiesen, wie eng beide Bereiche miteinander verknüpft sind.

 

 

Erwin Wurm auf der Biennale

„Stand quiet and look out over the Mediterranean Sea“ (2016/17). Erwin Wurm baute vor dem Pavillon einen Truck – und stellte das Fahrzeug gleich auf den Kopf. Der Aufstieg im Inneren lässt sich „körperlich, maschinell und medial“ erfahren, so die Kuratorin. Oben angelangt, sollen die Besucher ein Selfie machen und dabei über das Mittelmeer schauen. Einzig, genau das ist von dort gar nicht sichtbar! Auf Gefühle der Gefangenschaft, Beengung, Grenzenlosigkeit folgen Entgrenzung, Entspannung, Hoffnung. Das Selfie als Instrument permanenter Selbstbespiegelung. Erwin Wurm hat, und das mag durchaus überraschen, das Thema Migration im Blick, fungiert das Handy doch auch als modernes Navigationssystem. Desgleichen auch im zweckentfremdeten Wohnwagen, der immobil innerhalb des Pavillons aufgestellt ist. Heimat und Fremde sind in dem Objekt miteinander verbunden, ergänzt wird die Arbeit noch durch Wurms charakteristische absurde Handlungsanweisungen, die gerne mal den Blick von der Tiefgründigkeit seiner Arbeit ablenkt. Anders gefragt: Darf man in einer Ausstellung mit dem Titel „Just about Virtues and Vices in General“ (2016–2017) lachen und Spaß haben? Tugenden und Laster zum Trotz? Sich auf einen Reisekoffer stellen, auf einem Campingklo hocken? Alles offen für Interpretation, offensichtlich abhängig vom Menschen. Der Künstler nicht als Schöpfer eines Werks, so wie man die Wurm’sch Knacker in „Glasstress“ bezeichnen könnet. In den Giradini stellt Erwin Wurm Situationen bereit, lädt zu Erfahrungen ein (→ Erwin Wurm in Graz). Die Besucherinnen und Besucher sind dabei auf sich selbst zurückgeworfen – in den meisten scheint Lust an der Freude drinzustecken.

 

 

Bilder

  • Erwin Wurm, Stand quiet and look out over the Mediterranean Sea, 2016/17, Biennale 2017, Foto: Anna-Maria Matzner, ARTinWORDS
  • Erwin Wurm, Stand quiet and look out over the Mediterranean Sea, Aufstieg, 2016/17, Biennale 2017, Foto: Anna-Maria Matzner, ARTinWORDS
  • Erwin Wurm, Just about Virtues and Vices in General, Wohnwagen, 2016–2017, Biennale 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
  • Erwin Wurm, Just about Virtues and Vices in General, 2016–2017, Biennale 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
  • Brigitte Kowanz, www, Foto: Monika Matzner, ARTinWORDS
  • Brigitte Kowanz, www, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
  • Brigitte Kowanz, iPhone, Foto: Monika Matzner, ARTinWORDS
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.