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Ernst Ludwig Kirchner: Biografie Lebenslauf des deutschen Malers und Mitbegründers der „Brücke“

Veröffentlicht von Alexandra Matzner von 8. August 2025
Ernst Ludwig Kirchner, Selbstporträt in der Atelierwohnung in Berlin-Friedenau, 1913/1915, Glasnegativ, 13 × 18 cm (Kirchner Museum Davos, Schenkung Nachlass Ernst Ludwig Kirchner 2001)

Ernst Ludwig Kirchner, Selbstporträt in der Atelierwohnung in Berlin-Friedenau, 1913/1915, Glasnegativ, 13 × 18 cm (Kirchner Museum Davos, Schenkung Nachlass Ernst Ludwig Kirchner 2001)

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) war ein Mitbegründer der Künstlergruppe „Die Brücke“ in Dresden und ein bedeutender Vertreter des deutschen Expressionismus. Gemeinsam mit Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein entwickelte er den Brücke-Stil, in dem Einflüsse des Postimpressionismus, der afrikanischen Kunst und des Futurismus verarbeitet wurden. 1912 nach Berlin übersiedelt, meldete sich Kirchner „unfreiwillig freiwillig“ zum Einsatz im Ersten Weltkrieg.  übersiedelte er nach Davon in die Schweiz, wo er sich in den 1920er Jahren der Alpenlandschaft zuwandte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs durch die NS-Truppen entwickelte der als „entartet“ diffamierte, international erfolgreiche Künstler die Vorstellung, dass als nächstes Land die Schweiz überfallen werden würden. Wohl aus diesem Grund erschoss sich Ernst Ludwig Kirchner am 15. Juni 1938.

 

Ausbildung

Der am 6. Mai 1880 in Aschaffenburg als ältester von drei Söhnen von Ernst Kirchner (1847–1921) und Maria Elise Franke (1851–1928) geborene Künstler besuchte bis 1901 das Gymnasium in Chemnitz. Auf Wunsch des Vaters immatrikulierte er sich an der Königlich Sächsischen Technischen Hochschule in Dresden, wo er Architektur studierte. Schon im folgenden Jahr entstanden erste eigenständige Gemälde.

Nachdem er das Vordiplom erworben hatte, studierte Ernst Ludwig Kirchner ein Semester Kunst in München bei den Professoren Wilhelm von Debschitz (1871–1948) und Hermann Obrist (1862–1927). Hier besuchte er die 8. Ausstellung der Münchner Künstlergruppe Phalanx, wo er Werke von Wassily Kandinsky, Seurat (→ Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus), Paul Signac und Cross (→ Henri-Edmond Cross: Farbe und Licht) sah. Um die Originaldruckstöcke von Albrecht Dürer besichtigen zu können, reiste er in die Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg.

Zurück in Dresden unternahm Ernst Ludwig Kirchner erste malerische Versuche, die noch ganz dem Jugendstil verpflichtet waren. Im Sommer unternahm er gemeinsam mit seinem Studienkollegen Fritz Bleyl (1880–1966) erste Ausflüge zur Seenlandschaft um das Barockschloss Moritzburg bei Dresden. 1903 lernte er auch Erich Heckel (1883–1970) kennen.

 

Ernst Ludwig Kirchner und „Die Brücke“

Kurz vor Abschluss des Studiums als Diplomingenieur gründete Ernst Ludwig Kirchner am 7. Juni 1905 gemeinsam mit Heckel, Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) und Fritz Bleyl die Künstlergemeinschaft „Die Brücke“. Ihre künstlerische Tätigkeit begann mit dem „Viertelstundenakt“. Dafür zeichneten sie schnell Akte im Atelier oder in der Natur. In Anlehnung an den Farbholzschnitt des Jugendstils wandte sich Kirchner dem Holzschnitt zu. Im November 1905 stellten die jungen „Brücke“-Künstler erstmals in der Kunsthandlung P. H. Beyer und Sohn in Leipzig aus. Ernst Ludwig Kirchners malerischer Stil war in dieser Phase noch ganz dem Postimpressionismus verpflichtet. Einen großen Eindruck hinterließen die Werke von Vincent van Gogh, die er in einer Einzelausstellung in der Galerie Arnold in Dresden erstmals im Original studieren konnte; eine weitere Ausstellung sah er 1908 im Kunstsalon Richter.

Im Jahr 1906 formulierte die „Brücke“ ihr Programm, das sowohl als typografische Anzeige wie auch als Holzschnitt Kirchners veröffentlicht wurde. Eine erste Wanderausstellung der „Brücke“ präsentierte vor allem Zeichnungen, Aquarelle und Holzschnitte. Die ebenfalls in diesem Jahr erfolgte Öffnung der „Brücke“ für passive Mitglieder, die gegen einen Jahresbeitrag Künstlereditionen in Form von gestalteten Mitgliedskarten, Jahresberichten und gegen Ende des jeweiligen Jahres eine Mappe mit grafischen Arbeiten erhielten. Als aktive Mitglieder der „Brücke“ konnten der Schweizer Maler Cuno Amiet (1868–1961) und der wesentlich ältere Emil Nolde (1867–1956) sowie Max Pechstein (1881–1955) und kurzzeitig der niederländisch-französische Maler Kees van Dongen (1908) gewonnen werden. Ernst Ludwig Kirchner schnitt das erste Mitgliederverzeichnis der Brücke in Holz (1907). Im Sommer 1906 arbeitete Ernst Ludwig Kirchner an den Moritzburger Seen. Zudem schuf er erste Radierungen, Lithografien und plastische Arbeiten, meist kleinformatige Steinskulpturen. Nach dem Besuch einer Ausstellung mit Werken von Edvard Munch in der Galerie Arnold lässt sich die Auseinandersetzung mit dem frühexpressionistischen Werk des Norwegers feststellen.

Ernst Ludwig Kirchners erster Aufenthalt auf Fehmarn 1908 fand in Begleitung seiner Jugendfreundin Emmi Frisch (1884–1975) statt, der späteren Ehefrau von Karl Schmidt-Rottluff. Hier erlernte Kirchner das Fotografieren. Er erweiterte sein malerisches Werk, das bis zu diesem Zeitpunkt von der Landschaft geprägt war, durch erste Zirkus- und Varietébilder, darunter der „Schimmeldressurakt“.

Zwischen 1909 und 1910 besucht Kirchner zahlreiche sogenannte zoologische bzw. anthropologische Ausstellungen, u. a. die von Carl Marquardt organisierten Schauen „Das Afrikanische Dorf“, „Das Sudanesendorf“ und die von Karl Hagenbeck organisierten Völkerschauen im Zoologischen Garten in Dresden. Diese Auseinandersetzung mit der Kultur und Kunst aus Subsahara-Afrika hinterließ bei Kirchner und seinen Künstlerkollegen einen tiefen Eindruck (→ Picasso war ein Afrikaner!). Seine Suche nach Ursprünglichkeit führte Ernst Ludwig Kirchner nicht nur ins Museum sondern immer wieder an die Moritzburger Teiche, wo er gemeinsam mit den „Brücke“-Künstlern und den beiden Mädchen Fränzi und Marzella Albertine Sprentzel den Akt im Sonnenlicht studierte. Zudem begann er Holzskulpturen zu hauen. Der zunehmend kantige Stil von Ernst Ludwig Kirchner geht auf die Kenntnis der Kunst des Futurismus zurück, den er in der zweiten Jahreshälfte 1910 kennenlernen konnte.

 

Ernst Ludwig Kirchner in Berlin

→ Ernst Ludwig Kirchner: Die Berliner Jahre
Der zunehmende Erfolg der Expressionisten der „Brücke“ veranlasste sie, Dresden zu verlassen und nach Berlin zu übersieden. Die Jahre zwischen Oktober 1911 und 1917 lebte Ernst Ludwig Kirchner in der Zweimillionen-Metropole Berlin, die Sommermonate verbrachte er auf der Ostseeinsel Fehmarn. Wenn der Mitbegründer der Künstlergruppe „Brücke“ thematisch bereits etablierte Wege ging – Straßenszenen, Porträts, Zirkus, Tanz, Varieté, Akte im Atelier und in der Natur waren in der Dresdner Zeit bereits ausgeprägt – so änderte er in Berlin und Fehmarn seinen Malstil. Zwischen 1912 und 1917 verwendete Kirchner gedeckte Farbtöne und spitze Formen. Vom Fenster seines neuen Berliner Ateliers in der Körnerstraße 45, Berlin-Friedenau, aus malte Kirchner die urbane Landschaft, deren Arterien die Eisenbahntrassen und -brücken darstellen. Das Mobiliar dieses Ateliers gestaltete Kirchner teilweise selbst. Erna fertigte nach den Entwürfen Kirchners Stickereien. In Berlin beobachtete er das frenetisch-nervöse Großstadtleben, in Fehmarn die Erholung in ländlicher Abgeschiedenheit; hier die Misere und Entfremdung des Großstädters, da das harmonische Leben in Einheit mit der Natur.

Ernst Ludwig Kirchner begann sich 1910 vom „Brücke“-Stil zu lösen. Nach Max Pechsteins Teilnahme an der Secessions-Ausstellung 1912 ohne die Zustimmung der anderen Mitglieder wurde der Maler aus der „Brücke“ ausgeschlossen. Gleichzeitig begann die „Brücke“ einen intensiven Austausch mit der Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“. Als Ernst Ludwig Kirchner 1913 die Chronik der Brücke verfasste, löste sie sich aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über den Text am 27. Mai 1913 auf. Kurz danach eröffnete Ernst Ludwig Kirchner seine erste bedeutende Einzelausstellung im Kunstverein Jena (Februar bis März 1914).

 

Erster Weltkrieg und Drogenabhängigkeit

Die wichtigen Selbstbildnisse von Ernst Ludwig Kirchner 1914 belegen die zunehmenden Ängste, die Kirchner angesichts des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und seiner drohenden Einberufung plagten. Diese versuchte er durch starken Konsum von Absinth zu betäuben. Er verbrachte zusammen mit Erna bis zum Kriegsausbruch einen letzten Sommer auf Fehmarn, das zur strategisch wichtigen Zone erklärt wurde.

Der inzwischen erfolgreiche Maler meldete sich 1915 „unfreiwillig freiwillig“ zum Militär. Dadurch glaubte er, die Waffengattung wählen zu können. Kirchner wurde zur Mansfelder Feldartillerie in Halle an der Saale einberufen. Im September ermöglichte ihm eine Intervention seines Reitlehrers, Prof. Hans Fehr (1874–1961), wegen einer psychischen Erkrankung vorläufig aus dem Dienst entlassen zu werden. Anfang November wurde der Maler bis zu einer möglichen Genesung dienstuntauglich geschrieben. Nach dem 15. Dezember reiste er in das Sanatorium Dr. Kohnstamm, Königstein im Taunus. In den Selbstbildnissen dieser Jahre, darunter „Der Trinker“ und „Selbstbildnis als Soldat“, die zu den bekanntesten Künstlerselbstbildnissen der Klassischen Moderne zählen, spiegelt sich die existenzielle Verzweiflung des Künstlers. Trotz der Behinderung durch Kriegsdienst und Krankheit begann Kirchner mit großformatigen Gemälden, darunter das Triptychon der „Badenden Frauen“ (um 1925 überarbeitet).

Das Jahr 1916 verbrachte Ernst Ludwig Kirchner in verschiedenen Sanatorien in Berlin und in Königstein, wo eine Abhängigkeit von Veronal, einem Schlafmittel, in Kombination mit Alkoholsucht und einer vorerst leichten Morphium-Abhängigkeit diagnostiziert wurde. In Königstein Wandmalereien im Brunnenturm des Sanatoriums. Keine Besserung des Gesundheitszustandes. Die Landschaftsbilder und Porträts jenes Jahres gehören, gerade aufgrund der nervösen Handschrift, zu den Höhepunkten im Schaffen Kirchners: „Bildnis Dr. Kohnstamm“ und „Königstein mit roter Kirche“.

Auch das folgende Jahr war von gesundheitlichen Problemen und der Angst vor dem Krieg geprägt. Ernst Ludwig Kirchner hielt sich 1917 zum ersten Mal in Davos auf. Da der Künstler an Lähmungen seiner Gliedmaßen und Bewusstseinsstörungen litt, schuf er vor allem druckgrafische Blätter und Zeichnungen. Ab dem 20. September 1918 bewohnte er ein Haus der Hofgruppe „In den Lärchen“ in Davos Frauenkirch. Am 13. Oktober erhielt er die Niederlassungsbewilligung in Davos. Kirchner begann mit der skulpturalen Ausstattung des Hauses. Er malte eine Reihe von Alpenlandschaften, die in ihrer ekstatischen Farbigkeit zu den Hauptwerken dieser Jahre gehören. Im Herbst 1918 schrieb er das „Glaubensbekenntnis eines Malers“.

 

Kirchner in der Schweiz

1919 entschied sich Ernst Ludwig Kirchner in der Schweiz sesshaft zu werden. Im Januar sandte ihm Erna die Druckerpresse und einige Teppiche aus Berlin. Gemälde, Druckgrafiken und Zeichnungen, um das Berliner Atelier zu räumen. Kirchner begann mit der teilweisen Restaurierung, aber auch Übermalung seiner frühen Bilder. Gleichzeitig malte er visionäre Landschaften wie „Tinzenhorn – Zügenschlucht bei Monstein“, in denen er den für ihn neuen und überwältigenden Eindruck der Alpenlandschaft in symbolhaltige Formen und Farben übersetze. Neben seiner malerischen und zeichnerischen Arbeit fertigte Kirchner wieder Möbel, Relieftüren und freie plastische Arbeiten.

Unter dem Pseudonym Louis de Marsalle 1920 veröffentlichte Ernst Ludwig Kirchner seinen ersten Artikel über sein eigenes Werk. Das kunstschriftstellernde Alter Ego diente ihm der „objektiven“ Darstellung der künstlerischen Entwicklung Kirchners. Im Tagebuch finden sich Kirchners ausführliche Notizen zur eigenen Rolle in der Geschichte der modernen Kunst. In dieser Zeit arbeitete er bis 1925 weiter an den Schweizer Panoramalandschaften. Das letzte große Panoramabild der Davoser Landschaft ist „Sertigtal im Herbst“.

Erna Schilling übersiedelte erst 1921 dauerhaft nach Davos; ab 1923 wohnten sie gemeinsam im Haus auf dem „Wildboden“ in Davos Frauenkirch. Im folgenden Jahr begann Kirchner mit der Arbeit an den „Alpsonntagen“, großformatigen „Wandmalereien auf Leinwand“. Monumentale Figuren erhielten eine größere Bedeutung. In den 1920er Jahren hatte der Maler zunehmenden Erfolg: Für das Gemälde „Junkerboden“ (1919) erhielt Kirchner während der Frühjahrsausstellung 1925 in der Preußischen Akademie in Berlin den Preis der Republik. Im Januar/Februar 1926 fand die bislang größte Einzelausstellung des Werks von Ernst Ludwig Kirchner im Kölnischen Kunstverein statt; gezeigt wurden Gemälde von 1907 bis 1925. Daraufhin überlegte Ernst Ludwig Kirchner, ob er wieder nach Deutschland ziehen wollte. So schlug Karl Schmidt-Rottluff 1926 vor, eine neue Künstlervereinigung zu gründen. Kirchner lehnte allerdings ab.

Im Werk Kirchners wurde ab 1927 abstrahierende Formreduktionen und flächenbezogene Farbsetzung immer dominanter. Der Künstler beschäftigte sich zunehmend mit zeitgenössischen Maltheorien, deren Ergebnisse er in den „Neuen Stil“, wie er die Veränderung seiner Malweise selbst nannte, einfließen ließ. Diese Änderung verankerten seine Kunst im internationalen Kontext, was Ende der 1920er Jahre eine gesteigerte Rezeption in Frankreich, Belgien und den USA zur Folge hatte. 1931 wurde er zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste berufen.

 

Ernst Ludwig Kirchner im Nationalsozialismus

Die Situation auf dem für Kirchner lebensnotwendigen Kunstmarktes in Deutschland wurde ab 1932 immer ungewisser. Im März besuchte ihn Alfred Döblin, der sich auf einer Vortragsreise durch Deutschland und durch die Schweiz befand. Seine Berichte lösten bei Kirchner starke Unruhe über die politischen Verhältnisse in Deutschland aus. Im Juli drängte Kirchner Frédéric Bauer, ihm einmal mehr morphiumhaltige Medikamente zu verschreiben. Künstlerisch äußerte sich das in der Hinwendung zum Farbholzschnitt, während er das plastische Arbeiten aufgab.

Auf den Wahlerfolg der Nationalsozialisten 1933 reagierte der Maler mit zunehmender Irritation über die deutsche Kulturpolitik. Aber noch immer wurden auch von der öffentlichen Hand Werke Kirchners angekauft. Bald schon wurde er jedoch aufgefordert, auf seine Mitgliedschaft in der Preußischen Akademie zu verzichten. Im Jahr 1936 verschärfte sich die Situation; Kirchner erfuhr von der Auflösung des Deutschen Künstlerbundes. Ernst Ludwig Kirchner klagte über quälende Darmprobleme; als Schmerzmittel nahm er ein morphiumhaltiges Medikament. Vier düstere Landschaftsbilder bilden die wichtigste Gemäldegruppe dieses Jahres.

Ab 30. Juni 1937 wurde in Deutschland die diffamierte „Entartete Kunst“ in Museen beschlagnahmt und auf einer Ausstellung, die bis 1941 durch verschiedene Städte des Reiches wanderte, vorgeführt. Von Ernst Ludwig Kirchner wurden 639 Werke aus den Museen entfernt und später teilweise ins Ausland verkauft oder zerstört. Ende Juli wurde Ernst Ludwig Kirchner aus der Preußischen Akademie ausgeschlossen. Er überlegte, die schweizerische Staatsbürgerschaft zu beantragen.

 

Tod

Der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland am 13. März 1938 förderte bei Kirchner die Angst, die Deutschen könnten über die österreichische Grenze in Graubünden einmarschieren. Er zerstörte teilweise seine Druckstöcke und einige der Skulpturen, die sein Haus umgaben. Zu Kirchners 58. Geburtstag am 6. Mai traf keine Gratulation aus Deutschland ein. Am 10. Mai beantragte er bei der Gemeinde Davos das Aufgebot für die Eheschließung mit Erna; am 12. Juni zog er diesen Antrag wieder zurück.

Am 15. Juni 1938 erschoss sich Ernst Ludwig Kirchner. Als letztes Bild stand das melancholische Gemälde „Schafherde“ auf seiner Staffelei. Drei Tage später wurde er auf dem Waldfriedhof in Davos beerdigt, in unmittelbarer Umgebung seines letzten Wohnortes. Erna Schilling, die amtlich den Namen Kirchner führen durfte, lebte noch bis zu ihrem Tod am 4. Oktober 1945 im Haus auf dem „Wildboden“.

 

Weitere Beiträge zu Ernst Ludwig Kirchner

  • Ernst Ludwig Kirchner (Überblicksseite - Link siehe ganz oben)
  • Bern | Kunstmuseum Bern: Kirchner × Kirchner (2025/26)
  • Münster | LWL-Museum: Kirchner. Picasso (2025)
  • Ernst Ludwig Kirchner. Erträumte Reisen (2018/19)
  • Ernst Ludwig Kirchner: Die Berliner Jahre (2017)
  • Ernst Ludwig Kirchner zum 80. Todestag in Stuttgart (2018)
  • Nürnberg | Germanisches Nationalmuseum: Kirchner und Mann in Davos (2021)

Biografie von Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

  • 6. Mai 18806. Mai 1880

    Ernst Ludwig Kirchner wurde am 6. Mai 1880 in Aschaffenburg als ältester von drei Söhnen von Ernst Kirchner (1847–1921) und Maria Elise Franke (1851–1928) geboren. Sein Vater Ernst war Zivilingenieur, Konstrukteur und Erfinder auf dem Gebiet der Papierherstellung; seine Mutter Maria Elise geb. Franke(1852–1928) entstammte einer Kaufmannsfamilie.
  • 1886/871886/87: Frankfurt a. M.

    Umzug der Familie nach Frankfurt am Main.
  • Anfang 1887–Ende 1889Anfang 1887–Ende 1889: Perlen

    Die Familie Kirchner lebte in der Nähe von Perlen bei Luzern. Dort arbeitete Ernst Kirchner als zweiter Direktor der Papierfabrik Perlen. Während des Aufenthalts wurde Kirchners zweiter Bruder Ulrich (1888–1950) geboren.
  • 18901890: Chemnitz

    1890 nach Chemnitz, das Kirchners Vater zum Direktor der Papiermaschinenfabrik C. D. Haubold bestellt worden war. Zwei Jahre später übernahm er einen Lehrauftrag für Papierfabrikation u. a. an den Technischen Staatslehranstalten bis 1914.
  • 1890–18921890–1892: Volksschule

    Ernst Ludwig Kirchner besuchte in Chemnitz die Volksschule.
  • 1890–1892Ostern 1892–29.3.1901: Gymnasium

    Zu Ostern 1892 wurde er in das humanistische Kaiserliche Gymnasium Chemnitz aufgenommen. Im Oktober 1894 wechselte er das Städtische Realgymnasium Chemnitz, wo er bis zum Abitur am 29. März 1901 blieb.
  • 1895/18951895/1895: Reisen nach Berlin

    Bei zwei Reisen nach Berlin (1895 und 1895) erlebte Ernst Ludwig Kirchner gemeinsam mit seinem Vater den Flugpionier Otto Lilienthal. Dieser war ein Jugendfreund von Ernst Kirchner. Der junge Kirchner war von dem Ingenieur und Piloten tief beeindruckt und bezeichnete ihn als einen „genialen Menschen“.
  • 15.4.1901–30.4.19031901–1903: Studium

    Auf Wunsch des Vaters nahm Kirchner zunächst ein Architekturstudium an der Königlich Sächsischen Technischen Hochschule in Dresden auf. Er wohnte in der Schnorrstraße 56, im sog. Amerikanischen Viertel von Dresden. In der Hochschule lernte er Fritz Bleyl (1880–1966) aus Zwickau kennen. Zu seinen Lehrern gehörten Cornelius Gurlitt (1850–1938) in Architekturgeschichte und Fritz Schumacher (1869–1947) in Bauformenlehre und Zeichnen.
  • 1902/031902–1903: erste eigenständige Gemälde

    Eigentlich wollte Ernst Ludwig Kirchner schon zu diesem Zeitpunkt Künstler werden; Mit Bleyl zeichnete er unaufhörlich; ihr Architekturstudium nutzten die beiden als Vorwand für eine autodidaktische Ausbildung in Kunst. 1902/03 entstanden erste eigenständige Gemälde.
  • Mai 1903–März 1904Mai 1903–März 1904: München

    Nach Erwerb des Vordiploms am 30. April 1903 studierte Ernst Ludwig Kirchner im Wintersemester 1903/04 an der Königlich Bayerischen Technischen Hochschule in München. Hier besuchte er den Unterricht in Kompositionslehre und den Abendakt bei den Professoren Wilhelm von Debschitz (1871–1948) und Hermann Obrist (1862–1927) sowie die von Hugo Steiner-Prag (1880–1945) geführte Fachklasse für grafische Künste an der sogenannten Debschitz-Schule, offiziell Lehr- und Versuchs-Atelier für angewandte und freie Kunst. Studienreise nach Nürnberg, wo er im Germanischen Nationalmuseum die Originaldruckstöcke Albrecht Dürers (1471–1528) bewunderte (Oktober). Im November Besuch der 8. Ausstellung der Münchner Künstlergruppe Phalanx; dort sah er Werke unter anderem von Wassily Kandinsky (1866–1944), Georges Seurat (1859–1891), Paul Signac (1863–1935) und Henri Edmond Cross (1856–1910).
  • Anfang 1904Anfang 1904: Phalanx-Ausstellung

    Besuch der X. „Phalanx“-Ausstellung in München u. a. mit Werken von Signac, van Rysselberghe, Vuillard und Vallotton (Ende März bis Anfang Mai).
  • Mai 1904Mai 1904: Dresden

    Rückkehr nach Dresden, wo Kirchner sein Architekturstudium an der Technischen Hochschule wieder aufnahm. er wohnte in der Lindenaustraße 25, 3. Stock; ab Ende 1904 nahm Kirchner eine Wohnung in der Ostbahnstraße 15, 3. Stock. Erste malerische Versuche, die noch dem Jugendstil verpflichtet sind. Erste Begrgnung und Freundschaft mit Erich Heckel (1883–1970) aus Chemnitz, dessen Bruder Manfred ein Schulkamerad Kirchners war. Heckel studierte auch Architektur und schloss sich Kirchner und Bleyl an.
  • Sommer 1904Sommer 1904: Moritzburg

    Im Sommer machte Ernst Ludwig Kirchner zusammen mit seinem Kommilitonen Fritz Bleyl (1880–1966) erste Ausflüge zur Seenlandschaft um das Barockschloss Moritzburg bei Dresden. Bekanntschaft mit Erich Heckel (1883–1970). Erste Holzschnitte entstanden.
  • Ostern 1905Ostern 1905: Kalr Schmidt-Rottluff

    Zu Ostern 1905 stieß Karl Schmidt (1884–1976) aus Rottluff bei Chemnitz zur Gruppe hinzu. Er war ein Schulfreund Erich Heckels und studierte ebenfalls Architektur.
  • 7. Juni 19057. Juni 1905: Gründung der „Brücke“

    Noch vor Abschluss des Studiums als Diplomingenieur am 1. Juli gründete Kirchner gemeinsam mit Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl am 7. Juni 1905 die Künstlergemeinschaft „Die Brücke“. Sie begannen die „Viertelstundenakte“, das waren Akt-Zeichnungen im Atelier oder in der Natur. Kirchner übernahm im September das Atelier Heckels in der Berliner Straße 60. Im November erste Ausstellung der „Brücke“-Künstler in der Kunsthandlung P. H. Beyer und Sohn in Leipzig. Freundete sich mit der Varietétänzerin Line an, der „ersten Frau“ Kirchners. Ernst Ludwig Kirchners malerischer Stil ist noch dem Postimpressionismus verpflichtet. Großen Eindruck hinterließen die Werke von Vincent van Gogh, die er in einer Einzelausstellung in der Galerie Arnold in Dresden erstmals im Original studieren konnte.
  • 19061906: Programm für „Die Brücke“ & Moritzburger Seen

    „Die Brücke“ formulierte ihr Programm, das sowohl als typografische Anzeige wie auch als Holzschnitt Kirchners veröffentlicht wurde. Wanderausstellung der „Brücke“, vor allem mit Zeichnungen, Aquarellen und Holzschnitten. Im Oktober große Ausstellung von Gemälden in der Lampenfabrik von Karl-Max Seifert in Dresden-Löbtau. Öffnung der „Brücke“ für passive Mitglieder, die gegen einen Jahresbeitrag die von den Künstlern gestalteten Mitgliedskarten, Jahresberichte und gegen Ende des jeweiligen Jahres eine Mappe mit grafischen Arbeiten erhielten. Der Schweizer Maler Cuno Amiet (1868–1961) und der wesentlich ältere Emil Nolde (1867–1956) sowie Max Pechstein (1881–1955) wurden aktive Mitglieder. Kirchner arbeitete an den Moritzburger Seen. Er arbeitete an ersten Radierungen und Lithografien. Die ersten plastischen Arbeiten, meist kleinformatige Steinskulpturen, entstanden ebenfalls 1906. Besuch einer Ausstellung mit Werken von Edvard Munch in der Galerie Arnold.
  • 19071907: „Selbstbildnis mit Pfeife“

    Im Sommer 1907 malte Kirchner gemeinsam mit Pechstein in Goppeln bei Dresden. Die zweite Jahresmappe der „Brücke“ erschien mit Holzschnitten von Amiet und Gallen-Kallela. Ernst Ludwig Kirchner schnitt das erste Mitgliederverzeichnis der Brücke in Holz. er bezog einen Laden in der Berliner Straße 60 in Dresden-Friedrichstadt, wo Schmidt-Rottluff bereits seit einem Jahr wohnte. Das erste gemalte „Selbstbildnis mit Pfeife“ entstand. Ausstellung der „Brücke“ im Kunstsalon Emil Richter in Dresden (1.–21.9.); Kirchner lithografierte das Plakat. Über diese Ausstellung und einen anschließenden Besuch in Kirchners Atelier schreibt der Journalist und Schriftsteller F. Ernst Köhler-Haußen (1872–1946) einen begeisterten Artikel. Köhler-Haußen trat der „Brücke“ bei dieser Gelegenheit als passives Mitglied bei und wurde einem persönlichen Freund Kirchners.
  • Frühjahr/Sommer 1908Frühjahr/Sommer 1908: Fehmarn

    Im Januar 1908 Ausstellung zusammen mit Karl Schmidt-Rottluff im Kunstsalon August Dörbrandt in Braunschweig. Im Mai Besuch der Van Gogh-Ausstellung mit über 100 Gemälden im Kunstsalon Richter. Im Sommer hielt sich Kirchner erstmals auf Fehmarn auf. Er war dort in Begleitung seiner Jugendfreundin Emmi Frisch (1884–1975), der späteren Ehefrau von Karl Schmidt-Rottluff, und deren Bruder Hans Frisch. Emmi brachte Kirchner das Fotografieren bei. Der holländische Maler Kees van Dongen (1877–1968) wurde Mitglied der Brücke.
  • Herbst/Winter 1908Herbst/Winter 1908: 2. Ausstellung der „Brücke“

    Zweite Ausstellung der „Brücke“ im Kunstsalon Richter (1.–23.9.1908) it Gemälden von Amiet, Heckel, Kirchner, Pechstein und Schmidt-Rottluff. Kirchner malte sein erstes Straßenbild „Die Straße“. Außerdem entstanden erste Zirkus- und Varietébilder, darunter der „Schimmeldressurakt“.
  • Januar - Mai 1909Januar -Mai 1909:

    Im Januar Pechstein in dessen Berliner Atelier am Kurfürstendamm 152. Bei dieser Gelegenheit gemeinsamer Besuch der ersten deutschen Ausstellung von Henri Matisse in der Galerie von Paul Cassirer in der Viktoriastraße 53.
  • Sommer 1909Sommer 1909: „Brücke“-Ausstellung, Dodo, Moritzburger Seen

    Am 12. Juni 1909 Eröffnung der großen „Brücke“-Ausstellung im Kunstsalon Richter in Dresden (15.-30.6.). Doris Große, genannt Dodo (1884–nach 1936), Modistin aus Dresden, wurde Kirchners Modell und Geliebte. Erster längerer Aufenthalt an den Moritzburger Seen bei Dresden gemeinsam mit Heckel. Die „Brücke“-Künstler wählten Lina Franziska „Fränzi“ Fehrmann (1900–1950) zu ihrem bedeutendsten Modell. Zahlreiche Akt- und Tanzbilder entstanden.
  • November/Dezember 1909November/Dezember 1909: anthropologische Ausstellungen

    Im November besuchte Kirchner gemeinsam mit Schmidt-Rottluff eine umfangreiche Ausstellung mit Werken von Paul Cézanne in der Galerie Paul Cassirer in Berlin. Am 1. November Umzug in ein anderes Ladenlokal, Berliner Straße 80, das wiederum als Atelierwohnung ausgestattet wurde. Zwischen 1909 und 1910 besucht Kirchner zahlreiche sogenannte zoologische bzw. anthropologische Ausstellungen, u. a. die von Carl Marquardt organisierten Schauen „Das Afrikanische Dorf“, „Das Sudanesendorf“ und die von Karl Hagenbeck organisierten Völkerschauen im Zoologischen Garten in Dresden. Diese Auseinandersetzung mit der Kultur und Kunst aus Subsahara-Afrika hinterließ bei Kirchner und seinen Künstlerkollegen einen tiefen Eindruck.
  • März 1910März 1910: Neue Secession

    Im März hielt sich Kirchner zusammen mit Heckel für längere Zeit in Berlin in Pechsteins Atelier, Durlacher Straße 14, auf. Kirchner trat der Neuen Secession in Berlin bei; Max Pechstein war aktuell Präsident dieser Künstlervereinigung.
  • Mai-Sommer 1910Mai-Sommer 1910: Neue Secession

    Im Mai lernte Kirchner den Maler Otto Mueller (1874–1930) kennen, der Mitglied der „Brücke“ wurde. Im Sommer hielt sich Ernst Ludwig Kirchner an den Moritzburger Seen auf, zusammen mit Heckel und Pechstein und den beiden Mädchen Fränzi und Marzella Albertine Sprentzel. Zwei Gemälde leiteten die Werkreihe „Maler und Modell“ ein.
  • September–Dezember 1910September–Dezember 1910: Schiefler, Schapire, Afrika

    Im September 1910 eröffnete die Ausstellung „Künstlergruppe Brücke“ in der Galerie Arnold in Dresden (1.-30.9.). Dazu erschien ein mit 20 Holzschnitten illustrierter Katalog. Besuch der Ausstellung mit Werken von Paul Gauguin in der Galerie Arnold in Dresden (7.9.-7.10.1910). Im Oktober besuchte Kirchner den Landgerichtsdirektor und Kunstsammler Gustav Schiefler (1857–1935) und die mit Karl Schmidt-Rottluff befreundeten Kunsthistorikerin Rosa Schapire (1874–1954) in Hamburg. Beide waren bereits passive Mitglieder der „Brücke“. Beginn der Korrespondenz mit Karl-Ernst Osthaus (1874–1921), dem Begründer des Museums Folkwang in Hagen. Unter dem Eindruck des italienischen Futurismus veränderte sich der Malstil der „Brücke“: Er wurde „härter“ und kantiger. Angeregt von seinen Besuchen im Dresdner Völkerkundemuseum im März arbeitete Kirchner an Holzskulpturen. Ab 1910 folgten mehrere Besuche des Zoologischen und Anthropologisch-Ethnographischen Museums in Dresden. Ernst Ludwig Kirchner zeichnete im Dresdener Völkerkundemuseum Skulpturen und Balkenschnitzereien von den Palauinseln in der Südsee.
  • 19111911: Jena

    Im Januar 1911 stand Kirchner in engem Kontakt mit Pechstein und Otto Mueller in Berlin. Große „Brücke“-Ausstellung im Kunstverein Jena (Februar–März). Freundschaft mit dem Archäologen Botho Graef (1857–1917), dessen Lebensgefährten Hugo Biallowons (1879–1916) und dem Philosophen Eberhard Grisebach (1880–1945).
  • Juli - August 1911Juli - August 1911: Prag, Moritzburger Teiche

    Kirchner hielt sich im Juli mit Otto Mueller in Mnischek in Böhmen auf. Gemeinsamer Besuch bei dem Maler Bohumil Kubista in Prag. Letzter Aufenthalt an den Moritzburger Seen.
  • OKtober 1911Oktober 1911: Umzug nach Berlin

    Im Gefolge von Erich Heckel und Max Pechstein übersiedelte Ernst Ludwig Kirchner im Oktober nach Berlin (Atelier und Wohnung: Durlacher Straße 14, Berlin-Wilmersdorf). Gründung des erfolglosen MUIM-Instituts (Moderner Unterricht in Malerei) zusammen mit Pechstein. Einzige Schüler waren Hans Gewecke und Werner Gothein (1890–1968). Die Zeitschrift „Der Sturm“, herausgegeben von Herwarth Walden (1878–1941), veröffentlichte vom Juli 1911 bis März 1912 zehn Holzschnitte Kirchners. Bekanntschaft mit Wilhelm Simon Guttmann (1891–1990), einem Schriftsteller und Begründer der Literaturzeitschrift „Neue Weltbühne“ (1910). Kirchner löste sich vom gemeinsamen „Brücke“-Stil: Er wählte einen differenzierten Farbauftrag, die Palette konzentrierte sich auf gebrochene Farbtöne.
  • Februar 1912Februar 1912: Kirchner und „Der Blaue Reiter“

    Intensiver Austausch zwischen den Künstlergruppen „Der Blaue Reiter“ und „Brücke“; im Februar Beteiligung an der Ausstellung „Blauer Reiter“ in der Galerie Hans Goltz in München, die vom 12. März bis 12. April in Berlin in der Galerie „Der Sturm“ wiederholt wurde.
  • April/Mai 1912April/Mai 1912: Sonderbund-Ausstellung

    Im April fand eine große „Brücke“-Ausstellung in der Berliner Galerie Fritz Gurlitt statt (2.-27.4.). Ernst Ludwig Kirchner fand in Gerda Schilling (1893–1923) eine neue Freundin. Nach Pechsteins Teilnahme an der Secessions-Ausstellung ohne die Zustimmung der anderen Mitglieder wurde er aus der „Brücke“ ausgeschlossen. Einladung der „Brücke“ zur „Internationalen Kunstausstellung des Sonderbundes“ in Köln (25. Mai bis 30 September). Kirchner und Heckel malen dort eine Kapelle aus, und Kirchner lernt Edvard Munch (1863–1944) kennen. Kirchner sah auf der Sonderbund-Ausstellung die Plastiken Wilhelm Lehmbrucks (1881–1919), die sein Menschenbild beeinflussten.
  • Sommer 1912Sommer 1912: erster Aufenthalt in Fehmarn

    Im Sommer wurde Erna Schilling (1884–1945), die Schwester Gerdas, Kirchners Lebenspartnerin. Zweiter Sommeraufenthalt auf der Insel Fehmarn, in Begleitung von Erna, zeitweiliger Besuch von Erich Heckel und dessen Freundin Sidi Riha (mit bürgerlichem Namen Milda Georgi, 1891–1982). Es erscheint die siebte Jahresmappe mit drei Blättern von Pechstein und einem Umschlagholzschnitt von Otto Mueller. Wegen Pechsteins Ausschluss aus der Gruppe wird sie nicht mehr ausgeliefert. Im August/September wurde die Berliner Ausstellung in der Galerie Commeter in Hamburg gezeigt.
  • Herbst 1912Herbst 1912: erster Aufenthalt in Fehmarn

    Kirchner erhält den Auftrag, für das folgende Jahr eine Chronik der „Brücke“ zu schreiben und herauszugeben. Die „Brücke“ beteiligt sich im Herbst an der „Zweiten Ausstellung der Gruppe Bildender Künstler“ in Prag. Der Dichter und praktizierende Psychiater Alfred Döblin (1878–1957) besuchte Kirchner um die Jahreswende in seinem Berliner Atelier; sein Porträt entstand 1912/13. Die Stadtansichten aus der Metropole Berlin nahm einen breiten Raum im Werk Kirchners ein, darunter „Nollendorfplatz“.
  • Januar - Mai 1913Januar - Mai 1913: Auflösung der „Brücke“

    1913 Ausstellung der „Brücke“ im Neuen Kunstsalon in München (Januar). Ein Bild aus der Sonderbundausstellung von 1912 wird in der „Armory Show“ in New York, Chicago und Boston gezeigt. Ernst Ludwig Kirchner verfasste die Chronik der Brücke. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über diesen Text, die anderen Künstler werfen ihm eine zu einseitiger Darstellung vor, löste sich die Gruppe am 27. Mai 1913 auf. Kirchner veröffentlicht die Chronik anschließend unter eigenem Namen, erweitert um zwei Texte „Über die Malerei“ und „Über die Graphik“.
  • Sommer/Herbst 1913Sommer/Herbst 1913: Auflösung der „Brücke“

    Nach einem Aufenthalt auf Fehmarn, in Begleitung von Hans Gewecke, Werner Gothein und Erna Schilling, malte Kirchner das erste Selbstbildnis mit Erna, das „Turmzimmer“. Besuch des Malers Otto Mueller und dessen Frau Maschka auf Fehmarn. Im Oktober Umzug in eine geräumige Dachwohnung in Berlin-Friedenau, Körnerstraße 45. Erste Einzelausstellung von Ernst Ludwig Kirchner im Museum Folkwang in Hagen, die von Karl-Ernst Osthaus vermittelt wurde (OKtober). In Berlin entstanden wichtige Straßenbilder. Kirchner illustrierte Alfred Döblins Novelle „Das Stiftsfräulein und der Tod“, die 1913 in Berlin publiziert wurde. Ende des Jahres hatte er eine Einzelausstellung in der Galerie Gurlitt in Berlin.
  • 19141914: neue Freunde in Jena und Ausbruch des Ersten Weltkriegs

    Ab Mitte Februar fand eine bedeutende Einzelausstellung Kirchners im Kunstverein Jena (15.2.–8.3.1914) statt; sie wurde am 15. Februar mit einem Vortrag von Botho Graef eröffnet. Kirchner gestaltete für den Kölner Tabakhändler Feinhals dessen Stand auf der Werkbund-Ausstellung in Köln. Bekanntschaft mit Henry van de Velde (1863–1957), dem Leiter der Weimarer Kunstgewerbeschule. Vom Fenster seines neuen Berliner Ateliers (Körnerstraße 45, Berlin-Friedenau) aus malte Kirchner die urbane Landschaft, deren Arterien die Eisenbahntrassen und -brücken darstellen. Das Mobiliar dieses Ateliers gestaltete Kirchner teilweise selbst. Erna fertigte nach den Entwürfen Kirchners Stickereien. Die wichtigen Selbstbildnisse jenes Jahres belegen die zunehmenden Ängste, die Kirchner angesichts des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und seiner drohenden Einberufung plagten. Er verbrachte zusammen mit Erna bis zum Kriegsausbruch einen letzten Sommer auf Fehmarn, das zur strategisch wichtigen Zone erklärt wurde. Starker Konsum von Absinth.
  • 19151915: dienstuntauglich

    Kirchner meldete sich „unfreiwillig freiwillig“ – das heißt, in der Hoffnung, die Waffengattung wählen zu können – zum Militär. Im Juli Einberufung zur Mansfelder Feldartillerie in Halle an der Saale. Im September wurde Ernst Ludwig Kirchner durch Intervention seines Reitlehrers, Prof. Hans Fehr (1874–1961), wegen einer psychischen Erkrankung vorläufig aus dem Dienst entlassen. Anfang November wurde der Maler bis zu einer möglichen Genesung dienstuntauglich geschrieben. Nach dem 15. Dezember Abreise in das Sanatorium Dr. Kohnstamm, Königstein im Taunus. In den Selbstbildnissen dieser Jahre, darunter „Der Trinker“ und „Selbstbildnis als Soldat“, die zu den bekanntesten Künstlerselbstbildnissen der Klassischen Moderne zählen, spiegelt sich die existenzielle Verzweiflung des Künstlers. Carl Hagemann (1867–1940), Chemiker und später Direktor der I. G. Farben, wurde zu einem der wichtigsten Sammler Kirchners. Trotz der Behinderung durch Kriegsdienst und Krankheit begann Kirchner mit großformatigen Gemälden, darunter das Triptychon der „Badenden Frauen“ (um 1925 überarbeitet).
  • 19151915: dienstuntauglich

    Kirchner meldete sich „unfreiwillig freiwillig“ – das heißt, in der Hoffnung, die Waffengattung wählen zu können – zum Militär. Im Juli Einberufung zur Mansfelder Feldartillerie in Halle an der Saale. Im September wurde Ernst Ludwig Kirchner durch Intervention seines Reitlehrers, Prof. Hans Fehr (1874–1961), wegen einer psychischen Erkrankung vorläufig aus dem Dienst entlassen. Anfang November wurde der Maler bis zu einer möglichen Genesung dienstuntauglich geschrieben. Nach dem 15. Dezember Abreise in das Sanatorium Dr. Kohnstamm, Königstein im Taunus. In den Selbstbildnissen dieser Jahre, darunter „Der Trinker“ und „Selbstbildnis als Soldat“, die zu den bekanntesten Künstlerselbstbildnissen der Klassischen Moderne zählen, spiegelt sich die existenzielle Verzweiflung des Künstlers. Carl Hagemann (1867–1940), Chemiker und später Direktor der I. G. Farben, wurde zu einem der wichtigsten Sammler Kirchners. Trotz der Behinderung durch Kriegsdienst und Krankheit begann Kirchner mit großformatigen Gemälden, darunter das Triptychon der „Badenden Frauen“ (um 1925 überarbeitet).
  • Januar - Sommer 1916Januar - Sommer 1916: Sanatorium Kohnstamm in Königsstein

    In der ersten Jahreshälfte drei Aufenthalte im Sanatorium Kohnstamm in Königsstein (ca. 15.12.1915–18.4.1916 und Anfang Juni bis Mitte Juli 1916), dazwischen in Berlin. Beim dritten Aufenthalt Ausmalung des Eingangsraumes im Brunnenhaus (Brunnenturm) des Sanatoriums mit Badeszenen von Fehmarn (nach 1933 zerstört). Keine Besserung des Gesundheitszustandes. Diagnose von Oskar Kohnstamm (1871–1917), dem Leiter des Sanatoriums: Abhängigkeit von Veronal, einem Schlafmittel, in Kombination mit Alkoholsucht und einer vorerst leichten Morphium-Abhängigkeit. In Königstein Bekanntschaft mit dem Komponisten Otto Klemperer (1885–1973) und dem Schriftsteller Carl Sternheim (1878–1942). Die Landschaftsbilder und Porträts jenes Jahres gehören, gerade aufgrund der nervösen Handschrift, zu den Höhepunkten im Schaffen Kirchners: „Bildnis Dr. Kohnstamm“ und „Königstein mit roter Kirche“. In den Skizzenbüchern der Jahre 1915/16 finden sich sehr viele Studien nach Alten Meistern.
  • Herbst/Winter 1916Herbst/Winter 1916: Sanatorium in Berlin

    Die zweite Jahreshälfte 1916 verachte Ernst Ludwig Kirchner in Berlin, dazwischen bei Botho Graef in Halle und in Jena. Erster Kontakt zum Kunsthändler Ludwig Schames in Frankfurt am Main. Zum Jahresende im Sanatorium Dr. Edel, Berlin-Charlottenburg. Eberhard Grisebach in Jena und seine Schwiegermutter Helene Spengler in Davos bemühen sich, Kirchner zur Gesundung in die Schweiz zu holen.
  • Frühjahr 1917Frühjahr 1917: Davos

    Erster Aufenthalt in Davos durch Vermittlung von Eberhard Grisebach (19.1.–4.2.). Bekanntschaft mit der Arztfamilie Spengler, deren Tochter Lotte die Ehefrau von Grisebach war. Nach überhasteter Abreise kehrte Ernst Ludwig Kirchner nach Berlin zurück. Ende Februar Eröffnung einer Kirchner-Ausstellung im Kunstverein Jena. Tod von Botho Graef an einem Herzschlag (9.4.), die seelische Krise Kirchners verschlimmerte sich dadurch. Henry van de Velde, der in Deutschland als „feindlicher Ausländer“ galt, ließ Kirchner wissen, dass er in der Schweiz (in Uttwil) die Neugründung einer Gewerbeschule plante. Am 6. Mai zweite Reise nach Davos.
  • Sommer 1917Sommer 1917: Stafelalp

    Im Sommer 1917 hielt sich Kirchner zusammen mit der Pflegeschwester Hedwig Einzug in die Rüeschhütte auf der Stafelalp oberhalb von Frauenkirch bei Davos auf. Es entstehen die ersten Bilder und Holzschnitte nach Motiven aus dem Bergbauernleben. Ende August besuchte ihn dort Henry van de Velde.
  • 15.9.1917–Juli 191815. September 1917–Juli 1918: Sanatorium Bellevue bei Ludwig Binswanger

    Ab 15. September hielt sich Kirchner auf Anraten Henry van de Veldes im Sanatorium Bellevue bei Ludwig Binswanger (1881–1966) in Kreuzlingen auf. Erna Schilling blieb in Berlin und kümmerte sich um die geschäftlichen und persönlichen Kontakte. Der Künstler, der an Lähmungen seiner Gliedmaßen und Bewusstseinsstörungen litt, schuf im Herbst 1917 vor allem druckgrafische Blätter und Zeichnungen.
  • 19181918: Holzschnitte

    Trotz körperlicher Gebrechlichkeit entstehen zahlreiche Holzschnitte, vor allem Porträts der Personen, die ihn im Sanatorium besuchen oder dort als Patienten leben. In Kreuzlingen machte Kirchner die Bekanntschaft mit Nele van de Velde (1897–1965), der Tochter Henry van de Veldes. Teilnahme an einer Ausstellung im Kunsthaus Zürich (März/April). Im Mai begründete Ernst Ludwig Kirchner im Andenken an Botho Graef für den Jenaer Kunstverein die Botho-Graef-Stiftung, eine Schenkung von über 250 Blatt Druckgrafik und Zeichnungen. Ab 15. Juli wieder in Davos, in Begleitung des Pflegers Emil Brüllmann (1893–1937). Besuche von Grisebach und van de Velde.
  • Sommer 1918Sommer 1918: „Triumph der Liebe“

    Im Sommer Rückkehr auf die Stafelalp bei Davos. Dort entsteht unter anderem die Holzschnittserie „Triumph der Liebe“ nach Petrarca.
  • Herbst 1918Herbst 1918: „In den Lärchen“

    Kirchner bewohnte ab dem 20. September ein Haus der Hofgruppe „In den Lärchen“ in Davos Frauenkirch. Die noch bestehende Abhängigkeit von Morphium wurde unter der Aufsicht von Helene Spengler (die im Namen ihres Mannes Dr. Luzius Spengler die Dosierung immer mehr herabsetzt) allmählich abgebaut und war 1921 überstanden. Am 13. Oktober erhielt er die Niederlassungsbewilligung in Davos. Kirchner begann mit der skulpturalen Ausstattung des Hauses. Er malte eine Reihe von Alpenlandschaften, die in ihrer ekstatischen Farbigkeit zu den Hauptwerken dieser Jahre gehören. Im Herbst 1918 schrieb er das „Glaubensbekenntnis eines Malers“ und schnitt die sieben Holzschnitte Absalom. Im Dezember entstand als Jahresgabe des Frankfurter Kunstvereins der berühmte Holzschnitt „Kopf Ludwig Schames“, Ernst Ludwig Kirchners einzige druckgrafische Arbeit in großer Auflage.
  • Frühjahr 1919Führjahr 1919: Druckerpresse und Leben der Bergbauern

    Weiterführung der Kontakte zu deutschen Sammlern und Galeristen. Im Januar erste Sendungen aus Berlin, darunter die Druckerpresse und einige Teppiche. Entwürfe für Stickereien für Erna und Helene Spengler, ab 1921 auch für Lise und Gret Gujer. Es entstehen die berühmten Farbholzschnitte „Wintermondnacht“ und „Wettertannen“. Hauptthemen seiner Kunst sind die Berglandschaft und das Leben der Bergbauern. Daneben baut und schnitzt Kirchner Möbel für sein Haus, unter anderem ein Bett für Erna und zwei Reliefs der sogenannten Ateliertür. Im Februar und März große Ausstellung bei Ludwig Schames in Frankfurt am Main. Henry van de Velde kam am 11. und 12. Mai zu Besuch.
  • Sommer 1919Sommer 1919: Druckerpresse und Leben der Bergbauern

    Ab dem 5. Juli 1919 führte Ernst Ludwig Kirchner ein Tagebuch. Den Sommer verbracht er auf der Stafelalp (7. August bis 16. September). Der Maler Karl Stirner (1882–1943) besuchte Kirchner dort. Erna sandte aus Berlin Gemälde, Druckgrafiken und Zeichnungen, um das Berliner Atelier zu räumen. Kirchner begann mit der teilweisen Restaurierung, aber auch Übermalung seiner frühen Bilder. Gleichzeitig malte er visionäre Landschaften wie „Tinzenhorn – Zügenschlucht bei Monstein“, in denen er den für ihn neuen und überwältigenden Eindruck der Alpenlandschaft in symbolhaltige Formen und Farben übersetze. Neben seiner malerischen und zeichnerischen Arbeit fertigte Kirchner wieder Möbel, Relieftüren und freie plastische Arbeiten.
  • Herbst 1919Herbst 1919: Pseudonym Louis de Marsalle

    Im Herbst 1919 schireb Kirchner den ersten Aufsatz über die eigene Kunst unter dem Pseudonym Louis de Marsalle, „Zeichnungen von E. L. Kirchner“, der 1921 in Deutschland in der Zeitschrift „Genius“ (Jahrgang 1920) erscheint. Illustrationen zu „Umbra vitae“, einer Gedichtsammlung von Georg Heym (1887–1912), die 1924 erschien. Louis de Marsalle diente Kirchner.als kunstschriftstellerndes Alter Ego und der „objektiven“ Darstellung seiner künstlerischen Entwicklung. Im Tagebuch finden sich Kirchners ausführliche Notizen zur eigenen Rolle in der Geschichte der modernen Kunst.
  • 19201920: erster Schüler, wichtige Ausstellungen

    Einzelausstellung mit grafischen Arbeiten im Kunstsalon Schames in Frankfurt am Main (Januar/Februar). Katalog mit dem Aufsatz „Über das graphische Werk“ von Eberhard Grisebach. Kirchner, der ein Grammophon besaß, veranstaltet in seinem Haus Tanzabende für seine Nachbarschaft. Erste Kontakte zu anderen in der Schweiz lebenden Künstlern wie Philipp Bauknecht (1884–1933). Kulissenmalereien für ein Laientheater in Davos (in einem Restaurant in Frauenkirch). Im Sommer kurzer Aufenthalt auf der Stafelalp. In grafischen Blättern und Gemälden stellte Kirchner den Alltag seiner neuen Umgebung dar. Der niederländische Maler Jan Wiegers (1893–1959), der aus Gesundheitsgründen zeitweise in Davos lebte, wurde Kirchners erster Schüler in der Schweiz. Von Ende September bis Anfang November kam Nele van de Velde in Begleitung ihrer Mutter Maria Sèthe für mehrere Wochen zu Besuch. Danach schnitt sie eine elfteilige Holzschnittfolge, die unter dem Titel „Ein Tag bei Kirchner auf der Staffelalp“ in der Zeitschrift „Genius“ (Bd. 2, Berlin 1921) veröffentlicht wurde. Kirchner widmete sich neben seiner künstlerischen Arbeit der intensiven Lektüre von kunsthistorischen und kunstkritischen Schriften. Im Dezember Einzelausstellung im Hotel Belvédère in Davos. Hauptwerke: „Mädchen im Föhn“ und „Selbstporträt mit Katze“.
  • 19211921: Nina Hard

    Die Morphiumabhängigkeit ist endgültig überstanden. Anfang 1921 Ausstellung von 15 (oder 50) wichtigen Bildern Kirchners aus deutschen Museen und Privatsammlungen im Kronprinzenpalais der Berliner Nationalgalerie. Tod von Kirchners Vater (14.2.). Im April Ausstellung bei Ludwig Schames in Frankfurt am Main. Auf einer Reise Anfang Mai nach Zürich machte Kirchner die Bekanntschaft mit der Tänzerin Nina Hard (Engelhardt; 1899–1971), die im Sommer bei Kirchner wohnte und für zahlreiche Bilder Modell stand. Nach einer Tanzaufführung Ende September, im Vestibül der Zürcher Heilstätte in Clavadel, für die Kirchner den Vorhang schuf, reiste Nina Hard ab. Kirchner lernte den Dichter Jakob Bosshart (1862–1924) und die Weberin Lise Gujer (1893–1967) kennen. Erna Schilling blieb ab 1921 dauerhaft in Davos. Vorher hatte sie in einem Briefwechsel mit Edwin Redslob (1884–1973), seit 1920 Reichskunstwart, darum gebeten, für das Berliner Atelier Kirchners eine Finanzierung von dritter Seite zu ermöglichen. Diesem Gesuch wurde von der Berliner Atelierkommission nicht entsprochen. Kirchner arbeitete weiter an den Panoramalandschaften. Zweiter Aufsatz unter dem Pseudonym Louis de Marsalle „Über Kirchners Graphik“ („Genius“, 1921, erschienen 1922).
  • 19221922: Aufgabe des Berliner Ateliers

    Im Januar Ausstellung im Kunstsalon Schames: „Schweizer Arbeit von E. L. Kirchner“. Im Katalog ein eigener Text unter dem Pseudonym Louis de Marsalle. Lernte bei einer Reise nach Zürich den Maler Otto Meyer-Amden (1885–1933) kennen. Auflösung der Wohnung und des Ateliers in Berlin. Anfang März treffen alle Bilder in Frauenkirch ein. Es beginnt das Überarbeiten älterer Werke.
  • 19221922: Kontakte zu Davoser Sammlern

    Tod des Frankfurter Kunsthändlers Ludwig Schames, einer der wichtigsten Förderer Kirchners (3.7.). Dessen Neffe Manfred Schames führt die Galerie weiter. Erste Kontakte mit dem Davoser Sanatoriumsarzt Frédéric Bauer (1883–1957), der in den Folgejahren zu einem der wichtigsten Sammler und Mäzene Kirchners wurde. Vertiefung der Bekanntschaft zu Lise Gujer, die ab 1922/23 Textilarbeiten nach Entwürfen und Bildern Ernst Ludwig Kirchners fertigte. Kirchner illustrierte Jakob Bossharts Novellenzyklus „Neben der Heerstraße“, der Ende 1923 in Leipzig und Zürich publiziert wurde. Er begann mit der Arbeit an den „Alpsonntagen“, großformatigen „Wandmalereien auf Leinwand“.
  • 19231923: Konflikte & Werkkataloge

    Nach dem Tod des Arztes Dr. Luzius Spengler am 12. Februar kam es zwischen Kirchner und Helene Spengler zu einem Zerwürfnis, das die bis dahin für Kirchner sehr wichtige Beziehung beendet. Nach Auseinandersetzungen mit seinem Vermieter (Kündogung 1. Oktober) und dem Bruch mit den Familien Spengler und Grisebach mietete Ernst Ludwig Kirchner das Haus auf dem „Wildboden“ in Davos Frauenkirch. Frédéric Bauer übernahm die ärztliche Betreuung Kirchners. Im Juni Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel. Das Ehepaar Schiefler besuchte Kirchner für sechs Wochen, da Gustav Schiefler das erste Werkverzeichnis der druckgrafischen Arbeiten Kirchners erstellte. Der Maler und Plastiker Hermann Scherer (1893–1927) besuchte Kirchner erstmals im August und erneut im Dezember. Im Werk Kirchners finden sich nun ideale und literarische Szenen gleichberechtigt neben Naturbeobachtungen. Die monumental gesehene Figur wurde wichtiger.
  • Januar - Mai 1924Januar - Mai 1924: Albert Müller

    Ab Januar brieflicher Kontakt mit dem Basler Maler Albert Müller (1897–1926) und erster Besuch im Mai oder Juni.
  • Juni - Juli 1924Juni - Juli 1924: Einzelausstellung im Winterthurer Kunstverein

    Vom 22. Juni bis 13. Juli große Einzelausstellung im Winterthurer Kunstverein. In der von berühmten Sammlungen französischer Kunst (Reinhart, Hahnloser, Bühler) geprägten Stadt Winterthur stieß diese Ausstellung auf einhellige Ablehnung. Georg Reinhart erwarb das Gemälde „Davos im Schnee“, um es dem Kunstverein zu schenken, doch dessen Museumskommission lehnte ab. Er übergab es 20 Jahre später dem Kunstmuseum Basel. Im Juli erschien die von Kirchner illustrierte Gedichtsammlung des expressionistischen Dichters Georg Heym (1887–1912): „Umbra vitae“.
  • Herbst 1924Herbst 1924: Will Grohmann

    Hermann Scherer und Albert Müller hielten sich bei Kirchner in Frauenkirch auf. Beginn der Zusammenarbeit mit dem Dresdener Kunstschriftsteller Will Grohmann (1887–1968) für dessen Buch „Zeichnungen von Ernst Ludwig Kirchner“, das 1925 erschien. Im September besuchte Edwin Redslob aus Berlin, der 1922 zum sogenannten „Reichskunstwart“ ernannt worden war, Kirchner im Haus auf dem „Wildboden“. Hauptwerke: „Schwarzer Kater“, „Vor Sonnenaufgang“ oder „Die Freunde“.
  • Silvester 1924/25Silvester 1924/25: „Rot-Blau“

    In der Silvesternacht 1924/25 wurde von den drei Basler „Schülern“ Kirchners, Paul Camenisch (1893–1970), Albert Müller und Hermann Scherer, die Künstlergruppe „Rot-Blau“ gegründet. Der Künstler entfaltete im malerischen Werk eine thematische und formale Vielfalt, die ihm vorher nicht wichtig war.
  • Frühjahr 1925Frühjahr 1925: Preis der Republik

    Kirchner verfasste in seinem Tagebuch einen Essay, betitelt „Das Werk“, in dem er seinen künstlerischen Werdegang skizzierte. Im April/Mai wurden unter anderem die Basler Künstler, die sich auf Kirchner als Vaterfigur berufen, in der dortigen Kunsthalle unter dem Titel „Jüngere Basler“ vorgestellt. Für das Gemälde „Junkerboden“ (1919) erhielt Kirchner während der Frühjahrsausstellung in der Preußischen Akademie in Berlin den Preis der Republik.
  • Sommer/Herbst 1925Sommer/Herbst 1925: Preis der Republik

    Unter dem Pseudonym Louis de Marsalle erschien Kirchners Aufsatz „Über die plastischen Arbeiten von E. L. Kirchner“ in der Zeitschrift „Cicerone“. Vorbereitung des zweiten Buches von Will Grohmann mit dem Titel „Das Werk Ernst Ludwig Kirchners“. Im September gemeinsam mit Albert Müller Besuch in der Internationalen Kunstaustellung, in der Kirchner (wie Paul Klee) nicht vertreten ist, weil, weil man ihn jetzt zu den Schweizer Künstlern zählte.
  • Dezember 1925–März 192618.12.1925–11.3.1926: erste Reise nach Deutschland

    Ernst Ludwig Kirchner reiste über Zürich und Basel zuerst nach Frankfurt am Main (21. bis 30. Dezember 1925), dann weiter nach Chemnitz (ab 30. Dezember 1925) und Dresden (ab 19. Januar). In Chemnitz nahm er an einer Abendgesellschaft des dortigen Direktors der Städtischen Kunstsammlungen, Friedrich Schreiber-Weigand (1897–1953) teil; bei dieser Gelegenheit traf er Karl Schmidt-Rottluff. Am 17. Februar reiste Kirchner weiter nach Berlin und kehrte drei Wochen später wieder nach Davos zurück. Im Januar/Februar 1926 fand eine große Einzelausstellung Kirchners im Kölnischen Kunstverein statt; gezeigt wurden Gemälde von 1907 bis 1925. Erste Hoffnungen auf einen Kontakt zum amerikanischen Kunsthandel.
  • Januar – Februar 192619.1.–17.2. 1926: Dresden

    Ab 19. Januar 1926 hielt sich Ernst Ludwig Kirchner in Dresden auf, wo er bei Grohmanns in der Wormser Straße 84 wohnte. Man sprach davon, er solle eventuell a eine Professur an der Kunstakademie in Dresden berufen werden (was aber nie geschah, Otto Dix erhielt 1927 den Ruf nach Dresden). Der Direktor der Gemäldegalerie Neue Meister, Hans Posse, lud Kirchner ein, in der für den Sommer 1926 geplanten Internationalen Kunstausstellung Schweizer Künste zusammenzustellen. Er entschied sich für Albert Müller, Hermann Scherer, Fritz Pauli (1891–1968), Paul Camenisch (1893–1970), Philipp Bauknecht und sich selbst.
  • Februar – März 192617.2.– 11.3.1926: Berlin

    Am 17. Februar reiste Kirchner weiter nach Berlin, wo er im Stadtteil Grünau, Wilhelmstraße 16, bei seinem Bruder Walter wohnte. Er traf unter anderem Schmidt-Rottluff und macht einen Besuch bei Max Liebermann (1847–1935), dessen Porträt er später aus dem Gedächtnis malte. Rückreise am 5. März über Frankfurt am Main, Rückkehr nach Davos am 11. März. Überlegungen, ob ein Umzug nach Deutschland sinnvoll wäre, schlossen sich der Reise an.
  • 1926Juni 1926: Zweite Deutschland-Reise

    Im Juni 1926 reiste Ernst Ludwig Kirchner zusammen mit Albert Müller erneut nach Dresden, um dort die „Internationale Kunstausstellung“ zu sehen.
  • Sommer - Herbst 1926Sommer - Herbst 1926: Publikaitonen

    Für die Zeitschrift „Das Kunstblatt“ (hg. von Paul Westheim; 1886–1963) verfasste Kirchner einen Artikel unter dem Titel „Die neue Kunst in Basel“. Will Grohmanns Monografie „Das Werk Ernst Ludwig Kirchners“ erschien in München. Gustav Schieflers erster Band des Werkverzeichnisses „Die Graphik Ernst Ludwig Kirchners“ wurde in Berlin publiziert. Von Juli bis September Aufenthalt des Basler Malers Paul Camenisch bei Kirchner in Davos und anschließend kurzer Besuch Malers Hans-Rudolf Schiess (1904-1978). Der erste Band von Gustav Schieflers Werk „Die Graphik Ernst Ludwig Kirchners“ erschein, ebenso die Monographie von Will Grohmann. Im November und Dezember Ausstellung in der Galerie Neue Kunst Fides in Dresden. Hauptwerke: „Rothaarige nackte Frau“, „Bildnis Anna Müller“ und die beiden Porträts „Der Geiger Häusermann I“ und „Der Geiger Häusermann II“.
  • 14.12.192614.12.1926: Tod von Albert Münner

    Tod von Albert Müller und dessen Ehefrau an Typhus (14.12./7.1.1927). Sie hinterließen zwei Kinder, deren Adoption Kirchner kurzzeitig in Erwägung zog.
  • 1926/19271926/1927: „Kirchner. 10 Jahre in Davos“

    Über den Jahreswechsel 1926/27 konnte Kirchner durch die Vermittlung des Davoser Landammanns Eberhard Branger (1881–1958) und des Architekten Rudolf Gaberel (1882–1963) im Schulhaus eine Ausstellung unter dem Titel „Kirchner. 10 Jahre in Davos“ zeigen. Als Reaktion auf die Begegnung mit Schmidt-Rottluff in Berlin malte Kirchner im Winter 1926/27 das Erinnerungsbild „Eine Künstlergruppe“, das die Mitglieder der „Brücke“ zum Zeitpunkt ihrer Trennung 1913 zeigt.
  • Sommer 1927Sommer 1927: Aufsätze zu Farbproblemen in der Malerei und zur akademischen Ausbildung

    Tod von Hermann Scherer (13.5.). Zwei Einzelausstellungen Kirchners in Deutschland: im Kunstverein Wiesbaden und im Kunstsalon Fides in Dresden. Juni/Juli große Einzelausstellung der grafischen Arbeiten in der Galerie Aktuaryus in Zürich (10.6.-12.7.). Katalog mit einer Einführung von Kirchner selbst (Louis de Marsalle). Besuch der Ausstellung mit dem Werk von Arnold-Böcklin in der Kunsthalle Basel. Im Tagebuch notierte Kirchner zwei programmatische Aufsätze zu Farbproblemen in der Malerei und zur akademischen Ausbildung. Besuch von Gustav Hartlaub (1884–1963), Frau Grohmann (wahrscheinlich Gret Palucca; 1902–1993) und Gustav Schiefler. Bekanntschaft mit dem deutschen Ehepaar Hansgeorg (1899–1982) und Elfriede (1901–1937) Knoblauch, mit dem Kirchner von 1927 bis 1938 einen intensiven Briefwechsel unterhielt.
  • Herbst 1927Herbst 1927: abstrahierende Formreduktion

    Ab September bereitete Kirchner die Gedächtnisausstellung für Albert Müller in Basel vor (9.10.-6.11.). Mit dem Direktor des neu erbauten Museums Folkwang in Essen, Ernst Gosebruch (1872–1953), erörterte Kirchner – auf Veranlassung seines Frankfurter Sammlers Carl Hagemann – die Möglichkeit, die Wandmalereien für den Festsaal des Museums zu gestalten. Für Hagemann entwarf Kirchner einen großen Bildteppich, betitelt „Das Leben“. Im Werk Kirchners wurden die abstrahierenden Formreduktionen und die flächenbezogene Farbsetzung immer dominanter. Der Künstler beschäftigte sich zunehmend mit zeitgenössischen Maltheorien, deren Ergebnisse er in den „Neuen Stil“, wie er die Veränderung seiner Malweise selbst nannte, einfließen ließ. In den ersten großformatigen Entwürfen für den Festsaal zeigte sich Kirchners retrospektive Lebenseinstellung; beispielsweise „Die Vergangenheit / Die Erinnerung“. Aber auch die symbolhaften Gemälde „Mutter und Sohn“ und „Vor Sonnenaufgang – Paar auf dem Balkon“ sind Zeugnisse einer Selbstreflexion.
  • 19281928: Entwürfe für Wandmalerei

    Kirchner arbeitete vornehmlich an den Entwürfen für das Museum Folkwang. Beteiligung an einer Ausstellung der Neuen Secession in München. Mit sieben druckgrafischen Selbstbildnissen war er auf der Ausstellung „Künstler-Selbstbildnisse in unserer“ Zeit in der Galerie Franke in München vertreten. Kirchner organisierte in Basel die Gedächtnisausstellung für Hermann Scherer. Auf der Biennale von Venedig wurde im deutschen Pavillon Kirchners Gemälde „Schlittenfahrt“ ausgestellt. Die Nationalgalerie Berlin erwarb das Bild „Eine Künstlergruppe: Die Brücke“ (1926/27). Erna reiste für die Monate Mai und Juni nach Deutschland. Im Oktober Besuch des Berliner Kunsthändlers Ferdinand Möller (1882–1956). Tod von Kirchners Mutter (23.12.). Die Malerei jenes Jahres stand ganz im Zeichen der Vorarbeiten für Essen, dadurch zeichnet sich ein deutlicher Stilwandel zur abstrakten Flächenhaftigkeit ab. Neben vielen „Versuchen“ stehen Hauptwerke wie „Nackte Frauen auf Waldwiese“ und „Frau geht über nächtliche Straße / Nachtfrau“.
  • Frühjahr - Sommer 1929Frühjahr - Sommer 1929: dritte Deutschland-Reise

    Kontakte zur Pariser Galerie Jeanne Bucher. Erna Schilling fuhr im Frühjahr nach Deutschland; ab diesem Jahr hielt sie sich öfter, hauptsächlich aus gesundheitlichen Gründen, in Berlin auf. Im April/Mai begann Kirchner einen Briefwechsels mit dem deutschen Maler und Bauhaus-Schüler Fritz Winter (1905–1976). Möglicherweise Besuch der Ausstellung „bauhaus dessau“ in der Kunsthalle Basel (April/Mai). Am 10. Juni überarbeitete Kirchner sein aus dem Jahre 1923 stammendes Testament. Danach reiste Ernst Ludwig Kirchner über Zürich nach Deutschland. In Berlin und Essen besuchte er Ferdinand Möller und Ernst Gosebruch; dort sah er sich auch den Saal des Museums Folkwang an. Im Sommer erhielt er einen Besuch von Fritz Winter.
  • Herbst - Winter 1929Herbst - Winter 1929: Akte im Freien

    Im Herbst Wiederaufnahme der Korrespondenz mit Emil Nolde. Im Oktober besuchte Kirchner den Münchner Kunsthändlers Franke in Davos. Akte im Freien wurden zum beherrschenden Bildmotiv Kirchners in diesem Jahr. Hauptwerke: „Akt in Orange und Gelb“. Im Kunstblatt erschien der bereits 1927 von Kirchner in Auftrag gegebene Aufsatz Gustav Schieflers „E. L. Kirchners Entwürfe für Wandgestaltung in einem Festsaal des Folkwang-Museums; Wandmalerei und Miniatur im Werk E. L. Kirchners“.
  • 19301930: wenige Gemälde

    Bekanntschaft mit dem Davoser Verkehrsdirektor Walter Kern (1898–1966), der Kirchner fortan publizistisch unterstützte. Tanzabende von Gret Palucca in Davos; Besuche der Tänzerin auf dem „Wildboden“. Tod der zwölfjährigen Katze Bobby, die auf vielen Bildern Kirchners dargestellt ist. Wenig Gemälde entstanden, darunter „Trabergespann“, „Liebespaar – Der Kuss“ und das programmatische Bild „Farbentanz I“. Der Berner Künstler Alexander Müllegg (1904–1982) erwarb ein Selbstbildnis Kirchners und empfahl ihn Max Huggler, seit 1931 Sekretär der Kunsthalle Bern.
  • Januar – Mai 1931Januar – Mai 1931: internationale Ausstellungsteilnahmen

    Kleine Einzelausstellung in der Galerie Franke in München. Teilnahme an der Ausstellung „German Paintings and Sculpture“ im Museum of Modern Art in New York und an der Ausstellung „L’Art vivant en Europe“ in Brüssel. Nachfolgerin von Bobby wurde die Katze Schacky. Für eine Aufführung des gemischten Chors von Frauenkirch fertigte Kirchner wieder Kulissen und Vorhänge.
  • Juni – Dezember 1931Juni – Dezember 1931: Mitglied der Preußischen Akademie der Künste

    Mitte Juni reiste Ernst Ludwig Kirchner nach Frankfurt zu seinem Kunsthändler Manfred Schames; danach nach Berlin (Mitte Juni bis Anfang Juli). Er wurde zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste berufen. Erste Kontakte mit Max Huggler (1903–1994), dem Leiter der Kunsthalle Bern. Der zweite Band von Gustav Schieflers „Die Graphik Ernst Ludwig Kirchners“ erschien in Berlin. Erna wurde in Berlin operiert.
  • 19321932: Vorbereitung für die Retrospektive

    Am 1. Januar fuhr Ernst Ludwig Kirchner nach Berlin, um mit Erna am 8. Januar auf den „Wildboden“ zurückzukehren. Die Situation auf dem für Kirchner lebensnotwendigen Kunstmarkt Deutschland wurde immer ungewisser. Im März besuchte ihn Alfred Döblin, der sich auf einer Vortragsreise durch Deutschland und durch die Schweiz befand. Beunruhigung über die politischen Verhältnisse in Deutschland. Im Juli drängte Kirchner Frédéric Bauer, ihm morphiumhaltige Medikamente zu verschreiben. Der Architekt Rudolf Gaberel, Präsident der Davoser Kunstgesellschaft, regte an, ein wichtiges Werk Kirchners für die Gemeinde zu kaufen. Ab Oktober Vorarbeiten für die bedeutende Retrospektive, die im Frühjahr 1933 in der Kunsthalle Bern gezeigt werden sollte. Die Picasso-Ausstellung in Zürich enttäuschte Kirchner. Letzte plastische Arbeiten entstanden. Hauptwerke: „Springende Tänzerin – Gret Palucca“, „Blonde Frau im roten Kleid – Bildnis Elisabeth Hembus“. Daneben begann er die Arbeit an Farbholzschnitten.
  • März - April 1933März - April 1933: Retrospektive in Bern

    Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern (5.3.–17.4.). Mit über 240 Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen sowie rund 50 Druckgrafiken, die parallel und als Teil der Schau in den Räumen der Kunsthandlung Gutekunst und Klippstein an der Amthausgasse 16 gezeigt werden, ist sie die bedeutendste Ausstellung zu Lebzeiten des Künstlers. Er machte die Bildauswahl, hängte die Werke und gestaltete den Katalog. Im Katalog zur Ausstellung erschien Ernst Ludwig Kirchners letzte Aufsatz unter dem Pseudonym Louis de Marsalle, den Kirchner im Anschluss für tot erklärte. Der Künstler selbst war mit Ausstellung und Publikation sehr zufrieden. Die Schau wurde positiv aufgenommen. Viele Museumsdirektoren reisten an und Sammler:innen kauften Gemälde. Das Kunstmuseum Bern erwarb das große Hauptwerk „Szene am Brunnen“.
  • Anfang 1933Anfang 1933: Konsequenzen der Machtergreifung Hitlers

    Nach dem Wahlerfolg der Nationalsozialisten zunehmende Irritation über die deutsche Kulturpolitik. Aber noch immer wurden auch von der öffentlichen Hand Werke Kirchners angekauft. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland begann sich auszuwirken. Kirchners Handler Manfred Schames emigrierte nach Palästina.
  • 19331933: Crével und Farbholzschnitte

    Kirchner lernte den französischen Dichter und Surrealisten René Crevel (1900–1935) kennen, der sich im Sanatorium seines Förderers Dr. Frédéric Bauer aufhielt. Kirchner beschäftigte sich ausgiebig mit dem Bogenschießen. Er arbeitete hauptsächlich an Farbholzschnitten. In Briefen an seine Freunde beklagte sich Kirchner über die Platzverhältnisse im Haus auf dem „Wildboden“, die ihm nicht erlaubten, große Formate zu realisieren.
  • 19341934: Paul Klee

    Ernst Gosebruch wurde als Direktor des Museums Folkwang entlassen. Damit zerschlugen sich die Hoffnungen auf eine Realisierung der Entwürfe für den Festsaal. Der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer (1888–1934), den Kirchner seit 1914 kannte, besuchte ihn im März in Davos. Im Mai Holzschnitt-Ausstellung in der Galerie Commeter in Hamburg. Ende Mai/Anfang Juni Besuch der Ausstellung des Schweizer Malers Otto Meyer-Amden (1885–1933) in Bern. Dort lernte Kirchner Paul Klee (1879–1940) kennen. Im September Besuche von Carl Hagemann und dem neuen Sammler Wolfgang Budczies (1903–1971). Es entstanden wenige Gemälde, darunter „Akte im Wald“.
  • 19351935: Stadtansichten von Bern & „Balkonszene“

    Am 20. Februar schrieb Kirchner aus Bern an Erna: „Ach, ich will malen, wenn ich zurückkomme, große Bilder, ich bin Wandmaler.“ In Bern Besuch einer Ausstellung mit Werken von Paul Klee in der Kunsthalle (März). Es entstanden Stadtansichten von Bern, wobei Kirchner sich von der kubistisch beeinflussten Abstraktion anwandte. Präsentation von Aquarellen und Zeichnungen Kirchners im Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel (12.5.–23.6). Bekanntschaft mit Christian Anton Laely (1913–1992), dem letzten „Schüler“ Kirchners. Der Frankfurter Beckmann-Schüler Karl Tratt (1900–1937) besuchte Kirchner anlässlich seines Kuraufenthaltes in Davos. Der Basler Chemiker Jacob Bosshart begann, Werke von Kirchner zu sammeln. Die deutsche Kolonie in Davos, zu welcher der Künstler kaum Kontakt pflegte, bekannte sich mehr und mehr zu den nationalsozialistischen Parolen. Kirchner beschäftigte sich kurzfristig mit dem Plan, die Kirche in Frauenkirch auszumalen; geplant waren u.a. Szenen aus der Apokalypse. Er malte wieder mehr, vor allem Stadtansichten, Sportszenen und Interieurs. Programmatisches Hauptwerk dieses Jahres ist die „Balkonszene“.
  • 19361936: Emigrationen seiner Kunsthändler

    Ernst Ludwig Kirchner erfuhr von der Auflösung des Deutschen Künstlerbundes. Der Kunsthändler Curt Valentin (1902–1954) besuchte noch vor seiner Emigration in die USA Kirchner in Davos. Der Direktor des Detroit Institute of Arts, Wilhelm R. Valentiner (1880–1958), bot dem Künstler eine erste Einzelausstellung in den USA an. Das Kunsthaus Zürich fragte bei ihm wegen einer Einzelausstellung grafischer Arbeiten an. Kirchner klagte über quälende Darmprobleme; als Schmerzmittel nahm er ein morphiumhaltiges Medikament. Vier düstere Landschaftsbilder bilden die wichtigste Gemäldegruppe dieses Jahres. Im Sommer schnitzte er für das Portal des neuen Schulhauses in Davos Frauenkirch, das am 18. Oktober eingeweiht wurde, ein fünffiguriges Relief. Der Sammler Hagemann besuchte ihn im September.
  • Herbst 1936Herbst 1936: Verschlechterung des Gesindheitszustandes

    Kirchners Gesundheitszustand verschlechtert sich. Er klagt über Darmprobleme und „konstante Abmagerung“ und nahm anscheinend wieder morphiumhaltige Mittel. Der Kunsthändler Curt Valentin (Galerie Buchholz) suchte vor seiner Emigration in die USA Kirchner in Davos auf, um einen Kontakt zu knüpfen. Aus Amerika meldete sich Wilhelm (William) R. Valentiner, Direktor des Detroit Institute of Art, und bot eine Ausstellung an. Im Dezember meldete sich Lucas Lichtenhan (1898–1969), der Konservator der Basler Kunsthalle, bei Kirchner, um eine Ausstellung für den Sommer 1937 vorzubereiten. Durch Lise Gujer kam er in Kontakt mit dem englischen Dichter Llewelyn Powys (1884-1939), der in der Nähe von Davos lebte.
  • 30.6.193730.6.1937: „entartet“

    Ab 30. Juni 1937 wurde in Deutschland die diffamierte „Entartete Kunst“ beschlagnahmt und auf einer Ausstellung, die bis 1941 durch verschiedene Städte des Reiches wanderte, vorgeführt. Von Kirchner wurden 639 Werke aus den Museen entfernt und später teilweise ins Ausland verkauft oder zerstört. Kirchner erhielt einen Brief der Preußischen Akademie der Künste aus Berlin mit den Vorschlag, auf die 1931 ergangene Berufung zum Mitglied zu verzichten und sich einer Wahl zu stellen (Ende Juli). Er überlegte, die schweizerische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Als Hauptwerke dieses Jahres gelten die beiden Interieurs, die das Haus auf dem „Wildboden“ zeigen, und das Abschiedsbild „Hirten am Abend“.
  • 19371937: Ausstellungen in den USA

    Ausstellung im Detroit Institute of Arts (Sommer). Im Herbst Ausstellung in der Buchholz Gallery Curt Valentin in New York. Alfred Barr vom Museum of Modern Art meldete sich bei Kirchner. Ausstellung in der Kunsthalle Basel (30.10.–27.11.).
  • 19381938: Der „Anschluss“ und seine Folgen

    Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 förderte bei Kirchner die Angst, die Deutschen könnten über die österreichische Grenze in Graubünden einmarschieren. Er zerstörte teilweise seine Druckstöcke und einige der geschnitzten Holzskulpturen, die sein Haus umgaben. Zeugen behaupteten auch, er habe auf seine eigenen Bilder geschossen. Zu Kirchners 58. Geburtstag am 6. Mai traf keine einzige Gratulation aus Deutschland ein. Am 10. Mai beantragte er bei der Gemeinde Davos das Aufgebot für die Eheschließung mit Erna. Vermutlich wollte er ihr damit einen Rechtsanspruch auf seine Werke sichern. Am 12. Juni zog er diesen Antrag wieder zurück. Erna erkannte, dass sich Kirchners Lebenskrise zuspitze, und suchte HIlfe bei Freunden.
  • 15.6.193815.6.1938: Tod

    Am 15. Juni, kurz vor zehn Uhr, schoss sich Ernst Ludwig Kirchner mit seiner Pistole ins Herz. Als letztes Bild stand das melancholische Gemälde „Schafherde“ auf seiner Staffelei. Am 18. Juni wurde er auf dem Waldfriedhof in Davos, in unmittelbarer Umgebung seines letzten Wohnortes, beerdigt. Erna Schilling, die amtlich den Namen Kirchner führen durfte, lebte noch bis zu ihrem Tod am 4. Oktober 1945 im Haus auf dem „Wildboden“.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.
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