Vor 200 Jahren, am 14. November 1823, wurde der Kunstverein in Bremen gegründet - bis heute ist er der private Träger der Kunsthalle Bremen. Mit Meisterwerken des französischen Impressionismus feiert die Ausstellung „Geburtstagsgäste. Monet bis Van Gogh“ dieses 200. Jubiläum. Im Mittelpunkt steht die glanzvolle Zeit, als Direktor Gustav Pauli ab 1905 die Kunsthalle zu einem führenden Museum moderner Kunst in Deutschland machte. Unterstützt wurde er von bedeutenden Bremer Sammler:innen, die nun erstmals gewürdigt werden. Bremen zeigt deshalb bedeutende Erwerbungen der Kunsthalle gemeinsam mit ausgewählten Werken der französischen Impressionisten, die zu Paulis Zeiten in deutsche Museen und Privatsammlungen gelangten. „Eindrucksvolle Leihgaben von Courbet bis van Gogh“, so Direktor Christoph Grunenberg, „vermitteln ein Panorama der französischen Moderne in Deutschland“1.
Deutschland | Bremen: Kunsthalle Bremen
7.10.2023 – 18.2.2024
Während der wirtschaftlichen Blüte Bremens im späten 19. Jahrhundert entwickelte auch der Kunstverein neue Dynamik.2 Seit 1899 konzipierte Gustav Pauli (1866–1838), der erste wissenschaftliche Direktor der Kunsthalle (1899–1914), seine progressive Ankaufspolitik, der das Museum bis heute seine berühmtesten Werke verdankt. In seiner Rede zur Eröffnung des Erweiterungsbaus der Kunsthalle Bremen skizzierte der Museumsmann selbstbewusst die neue Devise:
„Es ist für uns nicht eine Ehre, wenn ein wohlhabender Mann Kunstwerke, mit denen er nichts anzufangen weiß, in die Kunsthalle stiftet, sondern es ist für den Stifter eine Ehre, wenn wir sein Geschenk bei uns ausstellen.“3 (Gustav Pauli, 1902)
Der 1899 als erste Kunstwissenschaftler an das Haus berufene Pauli wollte das Bremer Großbürgertum mit Hilfe von Ausstellungen bilden und in dessen Ankaufspolitik entscheiden beeinflussen. Gleichzeitig sprach er die Arbeiterschaft an, um das Museum populär zu machen; dies wieder sollte ihm helfen, die Avantgarde zu fördern. Deshalb stellte er in der Präsentation der Kunstwerke von Masse auf eine einreihige Auswahl der besten Arbeiten um. So ersetzte er dies bis dato vorherrschende Düsseldorfer Malerschule durch die aufstrebenden Modernen Deutschlands und Frankreichs: Wilhelm Leibl, Max Liebermann, Max Slevogt oder Wilhelm Trübner trafen auf Gustave Courbet, Edgar Degas, Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir und Alfred Sisley. Diese Haltung wurde nicht von allen goutiert, besonders dem Bremer Maler und Kunstschriftsteller Arthur Fitger bekämpfte die Neuausrichtung der Kunsthalle medial.4
Dennoch fand der umtriebige Museumsdirektor einige Förderer in der Bremer Bürgerschaft, zu denen Leopold Biermann und Alfred Walter Heymel zählten. Biermann kaufte mit Blick auf die Bremer Kunsthalle, während Heymel eine sogar noch zeitgenössischere Ankaufspolitik, indem er Werke von Henri de Toulouse-Lautrec, Vincent van Gogh und sogar Pablo Picasso sein Eigen nannte. Ihnen folgten der Bankier Johann Georg Wolde und seine Frau Adele, als sie französische Impressionisten sammelten. Die Internationale Ausstellung 1906 konnten die Beteiligten bereits als Triumph der französischen Moderne verstanden wissen, lieh die Berliner Nationalgalerie sechs bedeudete Werke aus ihrer Sammlung.5
Pauli erwarb ab 1905 Meisterwerke von Gustave Courbet und ab 1906 von Claude Monet. Weitere Bilder von Edouard Manet, Monet, Camille Pissarro und Pierre-Auguste Renoir folgten in den nächsten vier Jahren. Bis 1910 konnte Pauli eine repräsentative Auswahl französischer Malerei für seine Sammlung gewinnen. Als er im November 1910 den Akauf von Vincent van Goghs „Mohnfeld“ (1889) vorschlug, schien das Werk nahtlos in die Kollektion zu passen. Der Vorstand stimmte dem Erwerb zu - mit Ausnahme von Carl Vinnen. Die gesellschaftliche Brisanz des nun ausbrechenden Streits ist heute kaum noch vorstellbar.
Bereits 1899 war Pauli für eine Ausstellung der Worpsweder Malerin Paul Becker (verheiratete Paula Modersohn-Becker) und 1906 für den Ankauf von Monets „Dame im grünen Kleid (Camille)“ in den Medien getadelt worden. Ihm wurde vorgeworfen, er solle „die ausländische Kunst zum Nachteil der einheimischen deutschen zu begünstigen“6.
Gustav Pauli wurde zur Identifikationsfigur für die Konkurrenz um Aufmerksamkeit und von deutscher Seite heftigst angegriffen. Der Worpsweder Maler Carl Vinnen (1863–1922), von September 1905 bis Herbst 1910 im Vorstand der Kunsthalle, publizierte im April 1911 „Ein Protest deutscher Künstler“, in dem er sich gegen die „große Invasion der französischen Kunst“7 aussprach. Seiner Position folgten 123 Gleichgesinnte. Gleichzeitig wetterte er gegen die Macht der Kunstschriftsteller, von ihm verächtlich als „Ästheten“ bezeichnet.
Auslöser für das Pamphlet war der Ankauf des Van-Gogh-Gemäldes „Mohnfeld“ (1890) für die Bremer Kunsthalle durch deren Direktor Gustav Pauli im Jahr 1911. Dass der „Protest deutscher Künstler“ nicht einfach nur das Produkt von reaktionären Geistern war, zeigt ein Blick auf die Liste der 123 Unterzeichner:innen, zu den heute berühmtesten gehörten Käthe Kollwitz, Franz Servaes und Franz von Stuck.8 Vinnen ist ein Hauptvertreter der Worpsweder Künstlerkolonie und zeigt in seinem Landschaftsbild „Ruhe“ (1893) eine gefühlsbetonte, naturalistische Malerei. Sein heftiger Anwurf beasierte auf der Forderung, junge, deutsche Kunst zu fördern.
Die Gegenseite ließ sich durch den publizistischen Angriff nicht entmutigen und veröffentlichte ihrerseits im Juni 1911 eine Stellungnahme unter dem Titel „Im Kampf um die Kunst. Die Antwort auf den 'Protest deutscher Künstler'“ bei Piper. Diese Schrift unterfertigten 47 Künstler und 28 Galerieleiter, Schriftsteller und Kunsthändler, darunter Lovis Corinth, Max Liebermann, Max Slevogt, Otto Modersohn, Gustav Klimt, Carl Moll, Wassily Kandinsky, August Macke, Franz Marc, Max Pechstein, Max Beckmann u.a. Die pro-französische Gruppe setzte sich sowohl aus den drei berühmten Impressionisten Liebermann, Corinth und Slevogt zusammen wie auch den Künstlern des zukünftigen „Blauen Reiter“ und der Dresdner „Brücke“. Während Liebermann selbst 1910 durch seine Ablehnung der „Brücke“-Kunst gegenüber zur Spaltung der Berliner Secession und zur Gründung der Neuen Secession beigetragen hatte, findet er sich im Gegenprotest interessanterweise mit der jungen Avantgarde vereint.
Gustav Pauli ging gestärkt aus dem Bremer Künstlerstreit hervor. Als der Hochgeachtete 1914 den Posten an seinen Nachfolger Emil Waldmann (1880–1945) weitergab, hatte dieser mit dem Kriegsausbruch und folgender Inflation zu kämpfen. Dennoch konnte er Werke aus der Sammlung von Sally Falk (Mannheim) erwerben: Paul Cézannes „Dorf hinter Bäumen (Marines)“. Vor 100 Jahren feierte der Bremer Kunstverein mit Claude Monets „Wärterin an der Wiege“ (National Gallery of Art, Washington, D. C.) - 2023 ist das Gemälde wieder zu Gast in Bremen.
Auch andere deutsche Museen begannen Anfang des 20. Jahrhunderts französische Kunst zu sammeln. Bereits 1896 hatte die Nationalgalerie in Berlin das erste Gemälde von Manet gekauft, und auch die Museen in Hamburg, Frankfurt, Weimar oder Krefeld zogen nach. Dafür mussten die verantwortlichen Direktoren oftmals heftige Kritik einstecken – im Bremer van Gogh-Streit erlangten diese Kontroversen um die französische Kunst ihren Höhepunkt. Früh erworbene Meisterwerke aus diesen Museen sind nun in der Kunsthalle Bremen zu Gast: Sie bieten einen eindrucksvollen Überblick der Malerei vom Realismus bis zum Postimpressionismus.
Die Sammlung der Kunsthalle inspirierte schon zu Paulis Zeiten das Publikum: Bald begannen Bremer Kaufleute, gleichfalls französische Malerei zu erwerben. Um den Museumsleiter bildete sich ein Kreis von Kunstfreunden, genannt „Die Goldene Wolke“. Dazu gehörten unter anderem Leopold Biermann, Alfred Walter Heymel oder Johann Georg und Adele Wolde. Erstmals seit über 100 Jahren sind einige ihrer bedeutendsten Bilder von Courbet, Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir oder Henri de Toulouse-Lautrec wieder öffentlich in Bremen zu sehen.
Diese Bremer Sammler pflegten einen neuen modernen Lebensstil. Ihre Häuser ließen sie von Rudolf Alexander Schröder einrichten, dessen Interieurs in der Ausstellung dokumentiert werden. Mit schlichter Eleganz wenden sich seine Gestaltungen gegen den historistischen Schwulst des 19. Jahrhunderts und behaupten zugleich ihre bremische Eigenart gegenüber dem internationalen Jugendstil.
Die Jubiläumsausstellung feiert die herausragende Bedeutung Bremens und Deutschlands bei der Durchsetzung der französischen Kunst. Herausragende Leihgaben von Courbet über Rodin bis zu Monet bis van Gogh vermitteln ein Panorama der französischen Moderne in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg. Zugleich soll es ein Fest der Farbe und des Lichts in der Malerei sein!
Quelle: Kunsthalle Bremen
Dorothee Hansen (Hg.)
mit Beiträgen von Katharina Erling, Eva Fischer-Hausdorf, Alice Gudera, Dorothee Hansen, Alexis Joachimides, Alexander Pütz und Uwe Schwartz
273 Seiten
ISBN 978-3-86832-760-1
Wienand Verlag