Maria Lassnig (1919–2014) und Marisa Merz (1931–2019) wurden 2013 mit den „Goldenen Löwen“ für ihre Lebenswerke ausgezeichnet. Damit ehrt Massimiliano Gioni zwei Grandes Dames der österreichischen und italienischen Nachkriegskunst, die beide erst spät in ihren Karrieren internationale Aufmerksamkeit geschenkt bekommen haben. Beide Künstlerinnen sind in der Schau „Il Palazzo Enciclopedico“ im Zentralen Pavillon in den Giardini in einem gemeinsamen Saal ausgestellt.
Italien / Venedig: Giardini und Arsenale
1.6. - 24.11.2013
Während sich Lassnig seit Jahrzehnten immer wieder an der Umsetzung ihres innersten Selbst in eine äußere, expressive Form abarbeitet, wirken Merz' Gemälde und Skulpturen allgemeiner am Weiblichen interessiert. Die beiden Werkblöcke werden im Pavillon durch eine Trennwand voneinander geschieden, Lassnigs Bilder sind aufgrund ihrer Farbigkeit und gestischen, manchmal fast wuchtigen Malweise stärker als die feinen Arbeiten von Merz.
Marisa Merz ist – entgegen der starken Rezeption von Lassnig seit den 1980er Jahren – bis heute in italienischen Kunstgeschichtsbüchern unterrepräsentiert, wenn sie auch neben Eva Hesse als die einzige Frau zur Arte Povera gezählt werden darf.1 Die präsentierten Arbeiten lassen eine zarte Künstlerin erahnen, die sich nach ersten Erfolgen ab 1975 fast vollkommen aus dem Ausstellungsleben zurückzog.
Merz' „Der Kopf“ (1984-1995) besteht aus einer in sich gedrehten Metallplatte, ein wächsernes Gesicht und wohl zwei Löffeln als Augen. Die Einfachheit und Alltäglichkeit der Materialien, das sichtlich Handgearbeitete charakterisieren die skulpturale Praxis der Arte Povera generell und die von Marisa Merz im Besonderen. In ihren Gemälden scheinen weibliche Figuren zu dominieren, manche erinnern auch an Engelsgestalten, vieles der Poetik von Merz wird am Kopf festgemacht, feine Liniengespinste oder aquarellig eingesetzte Farbschleier lassen mehr erahnen als sie definieren oder umschreiben würden.
Im Vergleich dazu ist Maria Lassnig eine ungestüme, expressive Künstlerin, die sich zwar genauso mit der Visualisierung ihres Innersten beschäftigt, doch zu völlig anderen Ergebnissen dabei kommt: Zu ihren schonungslosen Selbstakten fügt sie fast narrative Symbole, stellt sich mit Pistole am Kopf als „Du oder Ich“ (2005) oder als „Selbst mit Meerschwein“ (2000) dar, tanzt als „Mädchen mit dem Tod“ (1999) oder tritt als „Mutter Natur“ (1999) auf. Alles wird am Körper, und vor allem am nackten Körper, festgemacht. Während Marisa Merz` Figuren durchaus mit dem Hintergrund verschwimmen und so verschwinden können, sind die Handlungsträgerinnen von Maria Lassnig oft vor die weiße Leinwand gesetzt und so schutzlos den Blicken aller ausgesetzt.