FLORENZ! Mehr braucht es als Titel nicht, um einen der mythischsten Sehnsuchtsorte in Italien zu beschreiben. Eine Stadt als Synonym für Kunst und Kultur, gelungene Stadtplanung seit der Renaissance (seit 1982 UNESCO-Weltkulturerbe), eine neuartige Verbindung von Wissenschaft und Kunst und schlussendlich eine Kunstförderung durch die Bürger und Herrscher aus der Familie der Medici, die über ganz Italien und noch weiter ausstrahlte. Die Bedeutung dieser Stadt über den Zeitraum von ca. 400 Jahren darzustellen und gleichzeitig den im 19. Jahrhundert geprägten Mythos „Florenz“ aufzubrechen, tritt die Herbstausstellung der Bundeskunsthalle in Bonn an. Mit Annamaria Giusti („Ursprung und Glan der Galleria dei Lavori der Medici“), Bernhard Roeck („Weltkultur am Arno. Renaissance, Renaissancen und Florenz“) und Gerhard Wolf („Florenz als Raum-Experiment und Selbstausstellung“) konnten drei Kuratoren gewonnen werden, für die die Stadt zum Lebens- und Forschungsmittelpunkt wurde. Sie laden mit der Ausstellung zur „Imagination einer Reise ein“1, einem virtuellen Streifzug durch Stadtraum und Geschichte. Mit 45 Leihgebern aus Florenz und Umgebung sowie weiteren 25 Institutionen aus Europa und den USA konnte eine repräsentative Auswahl der Florentiner Kunst zusammengestellt werden.
Deutschland | Bonn:
Bundeskunsthalle
22.11.2013 – 9.3.2014
Über 350 Werke sollen die Stadt am Arno und ihre Geschichte (re)präsentieren. Sie zeichnen das Porträt der Stadt Florenz, vom Finanz- und Handelszentrum des 13.Jahrhunderts über die Stadt der Kunst und der Wissenschaft im 15. und 16. Jahrhundert bis zu ihrer Bedeutung als intellektuelles und kosmopolitsches Zentrum im späten 18. und 19.Jahrhundert. Gleichzeitig sollen aber auch die wirtschaftlichen, politischen und religiösen Entwicklungen nicht vergessen werden, welche die kulturelle Blüte über viele Jahrhunderte hinweg gewährleisteten. Ihr heutiges Aussehen verdankt Florenz der beständigen Arbeit zwischen Festhalten an Überkommenem und eher minimalen, modernen Eingriffen. Stadtentwicklung und bauliche Veränderungen bilden somit den roten Faden der Ausstellung.
In Domenico di Michelinos (1417–1491) Bild der „Allegorie der Göttlichen Komödie“ (1465) wird seine idealisierte Ansicht der Stadt mit einem ihrer berühmtesten Söhne, Dante Alighieri (1265–1321), zur augustinischen Gottesstadt. Die Stadt definiert der Künstler als Paradies, das der Hölle zur Linken des Autors gegenüber gestellt wird. Sogar die Domkuppel Brunelleschis wird hier schon von einer Kugel und einem Kreuz bekrönt, was tatsächlich erst 1472, also sieben Jahre nach Entstehung des Gemäldes, realisiert wurde. Obwohl Dante nach seiner Verbannung 1302 nie wieder in seine Heimatstadtzurückgekehrt war, und seine Gebeine in Ravenna ruhen, wollten die Florentiner dem mit dem Dichterlorbeer bekrönten Sohn eine würdige Gedenkstätte im linken Seitenschiff des Doms Santa Maria del Fiore widmen. Das Temperagemälde symbolisiert daher nicht nur den Stolz auf künstlerische und technische Leistungen ihrer Bürger, sondern auch die Konstruktion des eigenen Mythos. Hier speziell geht es um die Aneignung eines politisch Vertrieben für den Ruhm von Florenz, auf den von der Anti-Medici-Partei gerne als Referenz verwiesen wurde.
Die Chronisten von Florenz wiederum unterstrichen in Florenz den genius loci, den besonderen Geist des Ortes (siehe den Aufsatz von Wolf-Dietrich Löhr). Versinnbildlicht wurde die außergewöhnliche Kombination von Tugenden und Fähigkeiten bereits 1340 durch den Bildhauer Andrea Pisano und dessen Mitarbeitern, als er für den Dom wie auch den knapp 85 Meter hohen Campanile (Glockenturm) eine Serie von Personifikationen der Handwerke mit den antiken Helden – Herkules als „Zivilisator“ und Daedalus als „Urkünstler“ – schuf. Pisano hatte sich für dieses Unternehmen durch seine seit 1330 entstandenen, bronzenen Eingangstüren für das Baptisterium bestens empfohlen. Nach dem Tod Giottos 1337 wurde er der Werkmeister des Campanile bestellt. Die Allegorien umgeben das Sockelgeschoss wie ein doppelter Gürtel und beginnen mit dem Sündenfall der Ureltern und ihrer Vertreibung aus dem Paradies, weshalb ihre Nachkommen die Handwerke ausbilden mussten. „Die Weberei“ (1334–1336) aus der Duomopera war ob ihrer Bedeutung für den Dombau, die Wollweberzunft stellte die Leitung der Dombauhütte, und ihrer Stellung für die Wirtschaft der Stadt von größter Wichtigkeit. Das zeigt sich in den Reliefs an der realistischen Schilderung eines modernen Webstuhls, der zudem auf den Erfindungsgeist der Florentiner anspielen soll. In der Ausstellung sind daher auch Majolika, Seidenlampas mit teils orientalisierenden Mustern zu sehen.
Handschriften der Zünfte belegen, welche Strategien die Stadtverwaltung und die Vertreter der Handwerke (Zünfte und Compagnie) entwickelten, um den Wirtschaftsstandort Florenz zu stärken. So waren beispielsweise einige Seidenweber im frühen 14. Jh. aus Lucca nach Florenz gekommen, die auch noch Jahre später in der Stadt gehalten werden sollten. Um die Arno-Stadt neben Lucca und Venedig als wichtige Produzentin von golddurchwirkten Seidenstoffen zu etablieren, wurde 1419 die Abwanderung der hochspezialisierten Handwerker bei Todesstrafe und Einzug sämtlicher Güter verboten. Dass der erarbeitete Wohlstand aus Handel und Handwerk von geschäftstüchtigen Händler-Bankiers verwaltet und organisiert wurde, liegt auf der Hand. Der seit November 1252 geprägte Goldflorin, genannt fiorino, gefertigt aus 3,53 Gramm Gold in 24 Karat, entwickelte sich schnell zur Münze für den internationalen Handelsverkehr. Eine Lilie, das Emblem der Stadt, und Johannes der Täufer, ihr Patron, repräsentierten Florenz. Ein weit verzweigtes Filialnetz der Großbanken sicherte den Transport von Geld mit Hilfe von Wechselbriefen, was wiederum des Schreibens und des Rechnens mächtige Mitarbeiter verlangte.
Diese oben beschriebenen Erfolgsfaktoren haben dazu geführt, dass man in Florenz einerseits viel Geld für Kunst und Kultur ausgab und andererseits in dem von Konkurrenzdruck bestimmten Wirtschaftsleben Veränderungen, um nicht das Wort „Entwicklungen“ zu strapazieren, als positiv ansah. Interessanterweise wird nicht der Humanismus, die Wiederentdeckung und kritische Herausgabe klassischer lateinischer Texte, als Träger der Kunst-Renaissance angesehen. Florenz wurde für seine Gräzistik berühmt, da der byzantinische Emigrant Manuel Chrysoloras (um 1350–1414) eine Generation Florentiner Gelehrter und Diplomaten beeinflusste. Marsilio Ficino (1433–1499) und Angelo Poliziano (1454–1494), die beide unter der Patronage von Lorenzo de’ Medici standen, sollten für die italienische Literatur wichtig werden, darüber hinaus beriet Poliziano auch Michelangelo Buonarroti (1475–1564).
Als Gründungswerk der Florentiner Renaissance-Skulptur gelten die bronzenen Portale von Lorenzo Ghiberti am Baptisterium. Der im Zuge eines Wettbewerbs als Sieger hervorgegangene Ghiberti hatte die Einteilung der existierenden Pisano-Tür zu übernehmen und erarbeitete zwischen 1403 und 1424/25 insgesamt 28 Reliefs mit Szenen aus dem Leben Christi, die ebenfalls von einem geschweiften Rahmen umschlossen werden. Die beiden berühmten Wettbewerbsreliefs von Brunelleschi und Ghiberti (1401) sind in Bonn durch Kopien vertreten. Nicht nur die deutlich expressivere Auffassung des „Isaaksopfers“ durch Ghiberti und auch der hohe Grand an Naturalismus sicherten ihm dem Auftrag, sondern auch die technische Umsetzung als Guss in einem Stück und der um gut 7 Kilo geringere Materialverbrauch (Annamaria Giusti).
Eine Kinderbüste von Mino da Fiesole (1430–1484), ein Madonnen-Relief und ein Porträt von Cosimo de' Medici von Antonio Rossellino (1427–1479) und glasierte Terracotten von Andrea della Robbia (1435–1528) stehen stellvertretend für den Naturalismus der Florentiner Skulptur des 15. Jahrhunderts. Dieser findet in realistisch bemalten Terracotta-Büsten ihren Höhepunkt: Eine solche nach Andrea del Verrocchio (1435–1488), in Zusammenarbeit mit dem Wachsbildner Orsino Benintedi (um 1440–1494) geschaffen, zeigt „Lorenzo de’ Medici“ (1478/1521, Washington, National Gallery of Art) lebensgroß, mit aufgemalten Barthaaren, Pupillen und Wimpern.
Die Bronzeskulptur wurde nach den ersten Höhepunkten, den Portalen von Ghiberti am Baptisterium sowie Werken von Donatello (fehlt leider in der Ausstellung), von Andrea del Verrocchio (1435/36–1488) und Antonio del Pollaiuolo (ca. 1431–1498) weiter vorangetrieben. Verrochios 2,30 Meter hohe Skulpturengruppe „Christus und der ungläubige Thomas“ (1467–1483) aus Orsanmichele steht für die monumentale Skulptur im öffentlichen Raum, befand sie sich doch ursprünglich an der Getreidebörse. Um Material zu sparen und sie besser in die originale Nische einzufügen, ist die Gruppe hohl und ohne Rückseiten gegossen. Mit ihr beginnt die glaubhafte Darstellung von einander zugeordneten Figuren wie sie auch „Herkules und Antaeus“ (um 1475, Bargello) von Antonio del Pollaiuolo zeigt. Diese hingegen gehört zur Kategorie der kleinfigurigen Sammlerbronzen, die sich v.a. ab 1500 einer großen Beliebtheit bei internationalen Sammlern erfreuten und begehrte Florentiner Produktionen darstellten. Pollaiuolos Darstellung des Kampfes zwischen dem Tugendhelden Herkules und dem Riesen Antaeus ist vielansichtig und bewegt; sie konnte von den kunstsinnigen Bewunderern umrundet werden und setzt die physische Anstrengung des Ringkampfs in ein realistisches Lasten und Stemmen um. Giovanfrancesco Rusticis (1475–1554) „Kampf zwischen Reitern und Fußsoldaten“ (um 1505–1510) führt die von Pollaiuolo entwickelten Qualitäten in die manieristische, in sich gedrehte bzw. verschlungene Figurengruppe weiter. Die Komposition stammt von Leonardo da Vincis verlorenem Wandgemälde der „Anghiari-Schlacht“ im Palazzo Vecchio, an dem der Hochrenaissance-Meister zwischen 1503 und 1505 arbeitete.
Die Florentiner Malerei der 1470er und 1480er Jahre wird durch die Künstler Alessandro di Mariano Filipepi, bekannt unter dem Namen Sandro Botticelli (1444/45–1510 → Botticellis Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie), und Filippino Lippi (um 1457–1504) vertreten. Botticelli war einer der Lieblingsmaler der Medici, schuf berühmte Madonnen-Tondi und mit der „Primavera“ und der „Geburt der Venus“ noch berühmtere Mythologien. Das Gemälde „Minerva und Kentaur“ (Florenz, Galleria degli Uffizi) kann bis heute nicht eindeutig entschlüsselt werden, denn es sind weder Informationen über den/die Auftraggeber oder das Entstehungsjahr bekannt. Sicher ist nur, dass es sich als Ausstattungsstück im Schlafgemach von Semiramide Appiano befand, der Ehefrau des humanistisch gebildeten Lorenzo di Pierfrancesco (1514 – 1548) aus der jüngeren Linie der Medici. Minerva (oder Camilla) zähmt wohl als tugendhafte Göttin der Weisheit (Begleiterin der Diana) den zügellosen und wilden Kentauren, wodurch Minerva/Camilla als Tugendheldin für die Angetraute steht.
Der bekannteste Schüler von Botticelli wurde Filippino Lippi (um 1457–1504), der mit dem „Tondo Corsini“ (um 1481/82) eine Variation auf die geschätzte Thematik Maria mit dem Jesusknaben, Johannes dem Täufer und Engeln geschaffen hat. Lippi zeigt hinter der Madonna mit Kind eine aufwändige, steil in die Tiefe fluchtende Architektur und einen phantasievollen Landschaftsausblick. Tondi waren in Florenz um 1500 sehr beliebte Bildformen für Darstellungen mit dem Christuskind, was sich wohl aus ihrer Herkunft von den sog. „dischi da parto“ (Geburtstellern, die Frauen im Wochenbett geschenkt wurden) ableiten lässt. Eine weitere wichtige Verwendung fand das Tondo in der Werkstatt von Andrea della Robbia (1435–1525), wie das „Agnus Dei“ (nach 1486) zeigt. Das Lamm mit Kreuznimbus und Osterfahne wird von einem opulenten Früchtekranz umgeben und ist in den für die Terrakottareliefs aus der bekannten Florentiner Werkstatt typischen Farben Blau, Weiß, Gelb und Grün glasiert.
Florenz ist in der Kunsttheorie auch der Ort des „disgno“, der Zeichnung, während traditionellerweise Venedig mit Tizian, Veronese und Tintoretto als der Hort der Farbe gilt. Bereits der Maler-Bildhauer Michelangelo und Giorgio Vasari (1511–1574), der Florentiner Maler und der „Vater“ der Kunstgeschichtsschreibung, hoben im frühen 16. Jahrhundert diesen Unterschied als bedeutend hervor. Die Architekturzeichnung, wie sie heute noch im Entwurfsstadium von (manchen) Architekten verwendet wird, geht auf Florentiner Künstler wie Michelangelo Buonarroti (1475–1564) zurück. Leon Battista Alberti ließ in seinem um 1450 entstandenen Architekturtraktat „De re aedificatoria“ (Über das Bauwesen) einzig Grundriss, Aufriss und Schnitt gelten. Nach 1500 werden vornehmlich Florentiner Künstler-Architekten wie Antonio da Sangallo d. J. mit dieser neuen Entwurfstechnik das päpstliche Rom planen und bauen.
Ein Kabinett zollt der neuen Bedeutung der Künstlerzeichnung Tribut, eine große Anzahl von Leihgaben aus dem Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi stellt Architekturzeichnungen von Michelangelo einigen Entwurfsskizzen und Zeichnungen nach Modellen (Kinder, Akte, Skelette, antike Statuen) gegenüber. Ein „Skizzenblatt mit zwei männlichen Beinen, einer knienden und einer sitzenden Figur“ (um 1470–1480) von Filippino Lippi (um 1457–1504) zeigt einen garzone, einen Lehrling, beim Zeichnen, flankiert von zwei einzelnen, muskulösen Beinen und einer mit Weißhöhung sanft aus dem Ton des Papiers modellierten Draperiestudie. Das Anatomiestudium und das Zeichnen nach Modellen in der Werkstatt gehörten ab den 1470er Jahren zur basalen Künstlerausbildung. Im 16. Jahrhundert führte diese hohe Bedeutung, die dem Studium der menschlichen Figur beigemessen wurde, zur Gründung der ersten Akademien in Rom und Florenz (1563 von Cosimo I. de’ Medici vielleicht auf Anregung von Michelangelo Buonarroti beschlossen). Vor allem die in der Ausstellung gezeigten Studienblätter des 16. Jahrhunderts von Jacopo Pontormo (1494–1557), Andrea del Sarto (1486–1530) und Alessandro Allori (1535–1607) demonstrieren expressives Suchen nach geeigneten Posen, Detailstudien präziser Natur und die Beschäftigung mit Skelettbau und Anatomie. Die Akademie hatte 1585 unter Großherzog Francesco I. den Status einer autonomen Institution erhalten, die die Aufgaben der alten Korporationen einschließlich der rechtlichen Kompetenzen übernahm und weiter auch für die Ausbildung zuständig war (Kat. S. 275).
Im Jahr 1529 begann die kaiserliche Belagerung von Florenz, ein Jahr später erlag die Florentiner Republik der Übermacht. Kaiser Karl V. ernannte den 19-jährigen Alessandro de’ Medici zum Regenten und Gonfaloniere di Giustizia auf Lebenszeit. Im Jahr 1532 wechselte Florenz seine Herrschaftsform offiziell von der Republik zu einem Herzogtum. Als 1554 florentinische und kaiserliche Truppen in der Schlacht von Marciano über die Republik Siena siegten, kam es zu einer beträchtlichen territorialen Erweiterung für das Herzogtum. Cosimo I. de’ Medici (1519–1574), ab 1537 zum Herzog von Florenz ernannt2 und 1545 in den Orden vom Goldenen Vlies aufgenommen, wurde von Papst Pius V. am 27. August 1569 Cosimo den Titel des Magni Ducis Etruriae verliehen,3 wodurch die Medici zu Großherzögen der Toskana wurden. Er heiratete 1532 Eleonora von Toledo (1522–1562), die Tochter von Don Pedro di Álvarez de Toledo, der 1532 zum Vizekönig von Neapel ernannt worden ist. Ihr Porträt von Agnolo Bronzino (1503–1572) zeigt sie in reicher spanischer Tracht. Das mit 59 × 46 cm kleine Porträt aus der Prager Národni Gallerí könnte ein diplomatisches Geschenk des Herzogs Cosimo I. gewesen sein. Cosimo begründete die Florentiner Teppichmanufaktur, indem er die flämischen Teppichweber Jan Rost und Nicolas Karcher nach Florenz einlud. Eine „Tischplatte mit einer Ansicht des Hafens von Livorno“ (1604) aus den Großherzoglichen Werkstätten - Cristofano Gaffurri (gest. 1626) nach einer Zeichnung von Iacopo Ligozzi (1547–1627) – belegt die hohe Qualität der Pietra-dura-Platten. In der „Galleria dei Lavori“ wurden seit 1599 unter Großherzog Ferdinand I. de’ Medici (1549–1609) wertvolle Materialien wie Pietra dura (Hartsteine, Halbedelsteine), Edelmetalle, Porzellan und Edelhölzer bearbeitet.4 Hartsteine wurden nicht nur zu Vasen verarbeitet, sondern ab Mitte des 16. Jahrhunderts zunehmend auch zu Tischplatten nach dem antiken Vorbild des opus sectile aus seltenen antiken Marmorsorten zusammengestellt. Im Gegensatz zum Mosaik muss bei diesen Arbeiten, das einzelne Stück passgenau geformt und verlegt werden. Francesco de’ Medici ließ 1572 die Brüder Ambrogio und Stefano Caroni, damals bereits berühmte Steinschneider, nach Florenz kommen. 1575 folgte ihnen Giorgio Gaffurri nach. Unter Ferdinand I. wurden die geometrischen Dekore durch Naturnachahmung ersetzt; die Hartsteine boten eine unendliche, von der Natur selbst bestimmte Farbpalette.
Francesco I., Sohn von Cosimo I. und Eleonora von Toledo, Großherzog von Florenz, ist durch ein Staatsporträt aus dem Palazzo Communale von Prato in der Ausstellung vertreten. Sein Bruder Cosimo I. folgte ihm 1587 auf den Thron, sein Sohn Cosimo II. wurde bereits mit 19 Jahren, 1609, Großherzog. Zu seinen Erziehern zählte auch Galileo Galilei.
Sichtbarstes Zeichen von Würde und Kunstsinnigkeit Cosimo I. de’ Medici ist die Auftragserteilung eines „Perseus und Medusa“ an Benvenuto Cellini (1500–1571). Das 75 Zentimeter große Bronzemodell im Bargello trägt Spuren einer Vergoldung und kann so als eigenständiges Werk geschaffen oder nachträglich zu einem solchen aufgewertet worden sein. Die Bronzegruppe wurde im April 1554 in der Loggia dei Lanzi enthüllt und zum großen Erfolg des Künstlers in seiner Heimat. Hier steht sie, um mit Donatellos „Judith“, Michelangelos „David“ (→ Michelangelo Bounarroti: David) und Baccio Bandinellis Herkules-Kakus“-Gruppe in künstlerischen Wettstreit zu treten und die Macht der Medici zu symbolisieren.
Doch nicht nur die Künste wurden von den Großherzögen unterstützt, auch die Wissenschaften wie Galileo Galilei, der 1610 seine frisch in Venedig gedruckte, epochale Schrift „Sidereus Nuncius“ mit dem von ihm entwickelten Teleskop an den Großherzog der Toskana schickte. Darin beschrieb er die Mondoberfläche als »zerklüftet und von zahllosen Vertiefungen und Erhöhungen übersät«, die Myriaden von für das bloße Auge unsichtbaren Fixsternen im Plejadennebel, die Milchstraße als »Ansammlung unzähliger Sterne« sowie die Existenz von Sonnenflecken und die Auffindung der Jupitersatelliten. Etwa zwei Monate zuvor hatte er damit die vier Jupitersatelliten entdeckt, nun wurde er zum Obersten Mathematiker und Philosophen des Großherzogs ernannt. Eine Handschrift aus der Biblioteca Nazionale Centrale in Florenz beinhaltet die Aufzeichnungen Galileis aus den Jahren 1610 bis 1619, in denen er die Umlaufzeit der vier von ihm erstmals beobachteten Jupitermonde zu bestimmen suchte (Kat. S. 294-295).
Als Nachfolger des 1737 verstorbenen Gian Gastone de’ Medici die Herrschaft über das Großherzogtum hatte Franz Stephans von Lothringen seine Regentschaft über die Toskana angetreten. Vor allem unter Großherzog Peter Leopold (1747–1792) sind wichtige Reformen für den Staat vorangetrieben worden, wie die Abschaffung der Todesstrafe und der Folter (30. November 1786), der Rekultivierung der Maremma. In dem von ihm gegründeten Imperiale Regio Museo di Fisica e Storia Naturale an der Via Romana, wo sich noch heute die Abteilung „La Specola“ befindet, ließ er die verschiedenen naturwissenschaftlichen Sammlungen der Medici zusammenführen (Kat. S. 315) und vom Wachsbildhauer Clemente Susini (1754–1814) eine „Venus mit herausnehmbaren Organen“ (1782–1783) schaffen. Dem anatomischen Modell kann man Bauch und Brustraum öffnen und die darin enthaltenen Organe incl. Gebärmutter und Fötus entnehmen.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Caffè Michelangiolo für Künstler wichtiger als die Akademie. Hier trafen sich die sog. „macchiaioli“ zu Diskussion und Wettstreit. Malerei wurde von ihnen5 nicht als getreue Wiedergabe der Realität empfunden, sondern nur als Annäherung und Übersetzung. Telemaco Signorini, Cristiano Banti, Odoardo Borrani und Vincenzo Cabianca entwickelten eine Maltechnik, die auf der „macchia“, auf fleckenartigen Farbflächen, basierte. Federico Zandomeneghis (1841–1917) „Am Seineufer“ (um 1878) ist bereits nach dessen Übersiedelung nach Paris im Jahr 1874 entstanden. Der venezianische Künstler war 1862 nach Florenz und in den Kreis der „macchiaioli“ gekommen. In diesem breitformatigen Gemälde zeigt er sich bereits den Themen des französischen Impressionismus aufgeschlossen: bürgerliche Genießer im Vordergrund treffen auf einen einsamen Angler in der Mitte der Seine und rauchende Fabrikschlote im Hintergrund. Während sich Florentiner Künstler mit den alten Vorbildern in Form von Veduten und Ansichten der Stadt auseinandersetzten, z.B. Carlo Canella (1800–1879) „Die Piazza della Signoria von der Loggia dei Lanzi aus gesehen“ (1830–1847), bilden andere das ärmliche Florenz ab, wie Lorenzo Gelati (1824–1893) „Blick vom Arno-Ufer nach San Niccolò“ (1869). Gleichzeitig machten sich deutsche und amerikanische Kunsthistoriker wie Heinrich Brockhaus (1858–1941), James Jackson Jarves (1818–1888), Bernard Berenson (1865–1959), Wilhelm von Bode (1845–1929), Aby Warburg (1867–1929) daran die (Kunst)Geschichte von Florenz zu erarbeiten und den Mythos der Stadt erneut zu begründen.
Die Ausstellung versucht, die Geschichte einer der schönsten italienischen Städte über 500 Jahre zu erzählen. Wenn auch der Mythos der Wiege der Renaissance an vielen Stellen als eine Konstruktion offenbart wird, muss man dennoch danach fragen, ob nicht auch die Dekonstruktion erneut den Status und den Ruf von Florenz als außergewöhnliche Stätte künstlerischen Schaffens erneut bestätigt. Während die Renaissance über wichtige Skulpturen und einige Gemälde gut dokumentiert wird (es würde ein Frühwerk von Raffael oder zumindest eine Zeichnung von Leonardo da Vinci fehlen), die gezeigten Florentiner Pietra-dura-Arbeiten v.a. für das 17. Jahrhundert charakteristisch und wichtig sind, so wird für das 17 und v.a. 18. Jahrhundert die wissenschaftliche Stellung der Stadt in Anschlag gebracht. Im 19. Jahrhundert, so der Eindruck nach Lektüre des Katalogs, war Florenz eine von nationalen wie internationalen Künstlern, von Schriftstellern wie Kunsthistorikern bewunderte Stätte, mehr ein Artefakt als Ort der Moderne. So ist es wohl nicht verwunderlich, dass sich einige der „macchiaioli“ auf den Weg nach Paris machten, um dort das moderne Lebensgefühl von Schnelligkeit, Verstädterung und Industrialisierung mitzuerleben. Doch gerade dieses Jahrhundert „verschlafen“ zu haben, hat jene Struktur von Florenz gerettet, die heute von Millionen Touristen jedes Jahr bestaunt wird. Der Ausstellungskatalog bereichert die deutschsprachige Florenz-Bibliothek um einige rezente Aufsätze wichtiger Kunsthistoriker_innen und Historiker_innen sowie qualitätsvolle Objektbeschreibungen und macht Lust auf die nächste Reise gen Süden!
Kuratiert von Dr. Annamaria Giusti, Prof. Dr. Bernhard Roeck und Prof. Dr. Gerhard Wolf
mit Beiträgen von H. Baader, C. Barteleit, A. Giusti, Ph. Helas, W.-D. Löhr, V. Reinhardt, J. Renn, B. Roeck, E. Spalletti, C. Tauber, T. Verdon, G. Wolf
384 Seiten, 24,5 × 28 cm, gebunden
ISBN 978-3-7774-2089-9
München 2013
HIRMER Verlag