František Kupka (1871–1957) zählt zu den Pionieren der abstrakten Kunst (→ Abstrakte Kunst) – und ist dennoch einer allgemeinen Öffentlichkeit zu Unrecht kaum bekannt. Die Ausstellungstournee 2018/19 mit etwa 300 Werken, die im Grand Palais ihren Ausgang nimmt, lenkt das Interesse auf einen reflektierten, kritischen Modernen mit feinem Gespür für das Malerische und überbordender Experimentierlust. Das Kuratorenteam um Brigitte Leal vom Centre Pompidou gelingt eine grandiose Präsentation, in der die historische Position des Malers deutlich herausgearbeitet wird. Dass František Kupka zweifellos eine bedeutende Position innerhalb der Moderne einnimmt, sollte nach dieser epochalen Schau niemand mehr bezweifeln!
Zwischen 1906 und 1912 erarbeitete sich der Symbolist, Anhänger von Friedrich Nietzsche sowie Rudolf Steiner eine ungegenständliche Formensprache, indem er musikalische und wissenschaftliche „Metaphern“ entwickelte. Kupkas Bruch mit der mimetischen Tradition kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der naturwissenschaftlich interessierte Maler beschäftigte sich mit Raum und der Raumzeit-Krümmung und der Frage, welche Formen und Farben, was ausdrücken könnten. Im Laufe 1920er Jahre wurden seine Gemälde deutlich konstruktiver, bis sie zu „maschinistischen“ Kompositionen reiften.
Frankreich | Paris: Grand Palais
21.3. – 30.7.2018
Tschechische Republik | Prag: Palais Wallenstein
7.9.2018 – 20.1.2019
Finnland / Helsinki: Ateneum Art Museum
22.2. – 19.5.2019
Theo van Doesburg lud Kupka 1931 ein, der Gruppe Abstraction-Création beizutreten, um die ungegenständliche Kunst zu fördern. Desgleichen tat František Kupka auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Salon des Réalités Nouvelles. Dass mehr als 40 seiner Hauptwerke 1946 nach Prag verkauft wurden und für Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang verschwanden, machte die Rezeption des Malers in der westlichen Kunstgeschichte problematisch. Damit wird nun aufgeräumt!
Kupka erhielt seine Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste Prag (1887–1891) und an der Akademie der bildenden Künste in Wien (1891–1893). Zu seinen Lehrern zählten der Akademieprofessor August Eisenmenger, auf den der Maler und Sozialreformer Karl Wilhelm Diefenbach folgte. In der Nachfolge des „Propheten“ Diefenbach sozialisierte sich Kupka als Theosoph und Anhänger der Lebensreform-Bewegung., beschäftigte sich aber auch erstmals mit Naturwissenschaften, Philosophie und Esoterik. Nachdem er 1895/96 nach Paris übersiedelt war, verdiente er als Illustrator Geld. Dass er dem „Wiener Mystizismus“ entfliehen wollten, zeigen diese ironischen Blätter eindrucksvoll. Zum einen bediente sich František Kupka eines akademischen Stils, zum anderen fühlte er sich philosophischen Themen hingezogen.
In Paris bewegte sich František Kupka im Milieu seines Landsmannes Alfons Mucha und der liberal-subversiven Gruppierung am Montmartre. Mit „Le Bibliomane [Der Büchernarr]“ (1897), 1899 seiner ersten Einreichung am Pariser Salon de la société nationale, zeigte Kupka, wie sehr er sich von der Mystik entfernen wollte: Der titelgebende Mann sitzt in einer Gartenlaube, während das Leben in Form von drei hübschen, jungen Damen und der blühenden Natur im Sonnenschein rechts als Gegensatz inszeniert werden. Der Leser stellt seinen Freund, den Schriftsteller Hanuš Jelínek dar, kann aber auch als alter ego Kupkas aufgefasst werden. Er geht in der mystischen Lektüre auf, während das Leben an ihm vorbeizieht. Das Thema an sich entspricht aber einer Allegorisierung des wirklichen Lebens. Dem Körperlichen wie auch dem Humoristischen ist dann „Epona-Ballade. Les Joies“ (1901) zuzurechnen, mit dem er 1904 auf der Weltausstellung in St. Louis eine ehrenvolle Erwähnung erhielt. Es wirkt schon eigentümlich, um nicht zu sagen mehr komisch als erotisch, dieses Bild, zeigt es doch zwei nackte Frauen auf Pferden am Strand.
„In Domažlice habe ich einem Malermeister, einem gewissen Pecka, erklärt, dass ich gelernter Maler sei, nur hatte ich mein Arbeitsbuch verloren, und der gute Mann hat mich genommen. Ich habe 4–5 Landschaftstypen zu malen gelernt, Madonnen, heilige Josephs und andere Heilige, deren Namen ich schon vergessen habe. Nach einiger Zeit kehrte ich nach Dobruška zuruck, wo ich weiterhin die gelernten, später auch nicht gelernte Bilder fabrizierte und diese wie Apelles an der Sonne trocknete. Derart ausgestellte Bilder hat eines Tages der Bürgermeister von Dobruška, Herr Josef Archleb, gesehen und sogleich einen heiligen Joseph sowie ein Firmenschild für die städtische Sparkasse bei mir bestellt. Des Guten nicht genug, hat mich der mächtige Herr nach Jaroměř zu Prof. Studnička geschickt, dem Direktor der dortigen Handwerkerschule. Professor Studnička hat mich mit großer Bereitwilligkeit drei Monate lang bei sich behalten und mir gründlich, nahezu väterlich das Zeichnen beigebracht, mit dem Zeichnen eines Kreises beginnend. Ihm habe ich an erster Stelle mein erstes Kunstverständnis und solide Grundlagen in der Zeichenkunst zu verdanken. Er war es, der mich als Erster auf J. Manes aufmerksam gemacht hat, und als er mich entließ, hat er mich immer wieder auf ihn verwiesen, damit ich in ihm suche, was ein Künstler überhaupt auszudrücken vermag. Seine Worte sind auf fruchtbaren Boden gefallen. In diesen jungen Jahren, wenn der Geist besonders aufnahmebereit ist, bin ich also Manes begegnet, und dieser hat mich nahezu fatal ergriffen.“ 1 (František Kupka in einem Brief an den Schriftsteller Josef Svatopluk Machar, Paris 1902)
Neben seiner künstlerischen Suche verfolgte František Kupka auch eine Karriere als Illustrationsgrafiker verschiedenster Zeitschriften in Frankreich und Deutschland. Meist waren die Blätter liberal und radikal sozialistisch. In traditionellen Medien hätte der Zeichner aus Mähren auch seine teils bösen Karikaturen auch nicht untergebracht. Offensichtlich legt er in ihnen seine Kritik an den Religionen und ihren Göttern dar und beschäftigt sich mit der Darwin’schen Theorie der Abstammung des Menschen vom Affen. Wunderbar erheiternd in diesem Sinne ist in „Création de l’homme“ (1904, Musée d‘Orsay) die Gegenüberstellung von Jupiter und Jahwe, die gerade auf höchst unterschiedliche Weise den Menschen erschaffen, während ihnen in der Mitte der Komposition ein Affe bei der Arbeit zusieht. Oder auch den Ringkampf zweier Männchen um ein Weibchen in „Anthropoïdes“ (1902). Mit seinen provokanten politischen sowie gesellschaftskritischen Zeichnungen hatte František Kupka in Frankreich und im Ausland durchschlagenden Erfolg. Bestes Zeichen dafür sind die weite Verbreitung und die Organisation zweier Ausstellungen in Böhmen in den Jahren 1905 und 1907. Der Skandal ließ nicht lange auf sich warten.
Als berühmter Zeichner wurde František Kupka eingeladen, an mehreren Illustrationsprojekten teilzunehmen: Seiner Mitarbeit an Élisée Reclus‘ „L’Homme et la Terre“ (1905–1908) folgten bibliophile Ausgaben von „Les Érinnyes“ von Leconte de Lisle (1908), „Lysistrata“ von Aristophanes (1909–1911) und „Promètheus“ von Eischilos (1909, veröffentlicht 1924). Vor allem Kupkas Arbeit vom Prometheus führte zu einer nahezu archäologischen Interpretation der griechischen Antike. Vor allem seine Auseinandersetzung mit der archaischen Kunst aus Kreta und Mykene führte zu einer Betonung der Umrisslinien.
Nach einer symbolistischen Phase in seiner Malerei schloss sich František Kupka den Neoimpressionisten bzw. Fauvisten an. Im Jahr 1906 übersiedelte der Maler nach Puteaux und stellte erstmals am Salon d’Automne aus. In den Jahren zwischen 1906 und 1912 prägte seine Suche nach einer nichtgegenständlichen Malerei, mit welcher er die Mimesis der Natur zu überwinden hoffte. Entdeckungen wir die Relativitätstheorie und die Röntgenstrahlen bestärkten den Maler in seiner Kritik an der zeitgenössischen Kunst. Für ihn waren sowohl Naturwissenschaften wie Musik wichtige Inspirationsquellen für eine neue, moderne Kunst, in der er mit fauvistischem Farbspektrum, starker Vereinfachung und Farbkontrasten experimentierte. „Die Farbigkeit in der Musik und die Musikalität der Farben“ wurden sein Credo. Dies formulierte er im theoretischen Traktat „La Création dans les arts plastiques“ (1907–1913, Erstveröffentlichung auf Tschechisch 1923) und den Gemälden „La Petite Fille au ballon“ (1908) oder „„Les Touches de piano. Le Lac“ (1909).
Mit „L’Eau (La Bagneuse)“ (1906–1909) wandte sich Kupka der Darstellung von Bewegung zu. Er verschmolz die Badende mit dem grünen Wasser, wobei die Wellen jene radialen Kreissegmente ausbilden, welche spätere abstrakte Kompositionen als Kraftlinien zeigen. Besondere Beachtung erfahren in der Schau zwei Darstellungen von „Gigolettes“ (1908–1911), Prostituierten beim Auftragen von Lippenstift. Kupka stellte die Bilder mit den hellenistischen Umrissen und den fauvistischen Farben 1911 am Salon des Indépendants aus. „Madame Kupka dans le verticales“ (1910/11) lässt das Porträt von Kupkas Ehefrau Eugénie hinter einem „Vorhang“ von bunten Farbflächen nahezu verschwinden. In einem Brief an seinen Freund Josef Svatopluk Machar hatte Kupka bereit s1905 davon gesprochen, Konzepte, Synthesen und Verbindungen malen zu wollen.
Zur gleichen Zeit schuf er 1910/11 jene drei ungegenständlichen Werke, die er 1912 als weltweit Erster am Salon d‘Indépendants in der Pariser Öffentlichkeit präsentierte: „Amorpha. Fugue à deux couleurs [Amphora, Fuge in zwei Farben]“ und „Amorpha. Chromatique chaude“. Noch im gleichen Jahr hatte er am Salon d’Automne drei Gemälde mit den Titeln „Plans par couleurs“ ausgestellt, die als „Femme dans les triangles“, „Porträt des Musikers Follot“ und „Ovaler Spiegel“ identifiziert werden können. Zudem war Kupka mit zwei Werken am ersten Salon de la Section d’Or der Puteaux-Gruppe vertreten: „Complexe“, „Compliment“ und „Constante“. Für die Kritiker changierten die ungegenständlichen Werke zwischen überbordender Dekoration und Visualisation von Johann Sebastian Bachs barocken Kompositionen.
Zwei der „Plans par couleurs“-Bilder zeigen noch figurative Reminiszenzen, die Kupka ab dem „Ovalen Spiegel“ und vor allem den „Amorpha“-Bildern zugunsten einer geometrischen Abstraktion völlig zurückdrängte. Kupka überlagerte Kreise und schuf so Kreissegmente, die er in fein abgestimmten Farbtönen und mit malerischem Gestus ausmalte. Die Linien bleiben trotz der farbigen Gestaltung sichtbar, die vielen quadratischen Formate mögen auf den Jugendstil und dessen Vorliebe für das ausgewogene Bildformat zurückzuführen ein. Studien zeigen in der Ausstellung, wie sich Kupka den endgültigen Formen annäherte, wobei das Farbspektrum offensichtlich von Anfang an feststand – und eher die Formgebung dem Experiment unterworfen war. Vertikale, horizontale und diagonale Flächen symbolisierten für ihn Raum und Raumzeit, letztere vor allem durch Kurven visualisiert. Freie Formen – und vor allem unregelmäßige – wurden von Kupka ebenso am Beginn seiner abstrakten Werke erprobt: „Complexe“ (1912, Privatsammlung, New York) zeigt die malerischen Möglichkeiten des Flecks. Als unbestimmt und unbestimmbar würde der Fleck einen Ausdruck der organischen Welt beschreiben und, so der Künstler, dem „Absoluten“ diametral gegenüberstehen.
Den geschwungenen Elementen setzte Kupka 1913 bereits vertikale „Streifen“ entgegen, deren Spiel mit Hell und Dunkel durchaus die Assoziation mit Räumlichkeit evozieren können. Dem folgt eine freie Arabeske in „Le Solo d’un trait brun“ (1912/13, Prag), die über den Titel mit Musik und Tanz verbunden wird. Das „Solo“ wurde am Salon d’Automne von 1913 ausgestellt – genauso wie die beiden Versionen von „Localisations de mobiles graphiques“. Hierin wirken die in parallelen „Schwüngen“ vorgetragenen Formen, als ob sie sich bewegen würden.
„Wir müssen malen, modellieren und bauen, als ob wir die Kunst von einem zum anderen Ende durch uns selbst kennen – oder als ob wir sie niemals gekannt hätten. […] seien wir vor allem wir selbst, und wir werden siegen!“2 (František Kupka, Unter einem Baume, der nie beschnitten wurde. Ein künstlerisches Glaubensbekenntnis von Francois Kupka, in: Meister der Farbe, Leipzig 1913)
„Da das Kunstwerk an sich eine abstrakte Realität ist, verlangt es, aus erfundenen Elementen zusammengestellt zu werden. Seine konkrete Bedeutung resultiert allein aus der Kombination von morphologischen Typen und architektonischen Situationen, welche seinem Organismus eigen sind“. (František Kupka, Quatre histoires de blanc et noir, 1926)
Den Zyklen von farbintensiven Gemälden der Vorkriegszeit folgen Auseinandersetzungen mit gotischer Architektur und Glasfenstern (vgl. Robert Delaunay!), geometrische Abstraktion ab Mitte des Jahrzehnts und die „Maschinistische“ Periode am Ende der 1920er Jahre. Dazwischen stand die Freundschaft mit Theo van Doesburg und Kupkas Auseinandersetzung mit dem Jazz. Den Begriff des Orphismus für seine abstrakten Bilder ablehnend, umarmte František Kupka jenen des Konstruktivismus, um nicht mimetische Kunst zu beschreiben. Die Allusion an Architektur und das Bauen von Bildern mithilfe von aufstrebenden Formen gefiel dem Maler. „Peinture abtraite“ (1930, Prag) überrascht nach den technoiden Abstraktionen mit der radikalen Reduktion der Mittel. Dass sich František Kupka damit der Gruppe Abstraction-Création empfahl, ist naheliegend, wurde das Werk doch mit einer Serie von schwarz-weißen Gouachen 1933 in deren Zeitschrift publiziert.
1936 wurde dem Pionier der Abstraktion eine Personale im Musée des Écoles Étrangères Contemporaines im Jeu de Paume in den Tuilerien ausgerichtet (gegenüber befindet sich die Orangerie mit den späten, abstrahierenden Bildern von Claude Monet!). František Kupka hängte seine ungegenständlichen Werke zum ersten Mal nach formalen Kriterien. In seiner komplexen Interpretation der Formen nahm beispielsweise der Punkt eine wichtige Stellung ein. Dabei bewies der Maler bemerkenswerte Kenntnis der Raumgeometrie (Poincaré im Verhältnis zu Euklid). Gleichzeitig kann der Punkt aber auch das Symbol für den Stern sein und damit eine Verbindung zum esoterischen Makro- und Mikrokosmos. Rhythmische Linien, vulgo Arabesken, besitzen sowohl erzählerische Qualitäten wie symbolische Kraft.
Wenn auch František Kupka nach dem Zweiten Weltkrieg ein wichtiges Mitglied der Réalités nouvelles war und in deren Salon nach dem Tod von Wassily Kandinsky (1944) und Robert Delaunay (1941) als ein Pionier der Abstraktion gewürdigt wurde, so wurde es doch still um den Künstler. Als er 1957 verstarb, war vor allem die expressive Abstraktion auf ihrem Höhepunkt. Die Bedeutung des Tschechen wurde erst vor wenigen Jahren wieder stärker ins Bewusstsein geholt.
František Kupka (1871–1957) wurde in den letzten Jahren im Solomon R. Guggenheim Museum (1975/76) und im Kunsthaus Zürich, jüngst im Musée d’Art moderne de la Ville de Paris (1989) gewürdigt. Das gesamte Werk des aus dem böhmischen Opočno stammenden Malers (Österreich-Ungarn, heute: Tschechische Republik) wird umfassend präsentiert: von frühen symbolistischen Arbeiten über abstrakte Kompositionen bis zu den späten Bildern der 1950er Jahre.
Die Ausstellung macht sowohl die Bedeutung der einzigartigen und reichen Persönlichkeit von František Kupka zugänglich, dessen existentielle Fragen und sein Interesse für Philosophie, alte und orientalische Kulturen, (Kritik an) Religionen, Poesie, Musik und auch Naturwissenschaft. Im Gegensatz zu Wassily Kandinsky vermied der stille Außenseiter, Künstler mit Priestern oder Propheten zu vergleichen. Er empfahl Künstlern, sich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen und von dort – wie auch er durch das Mikroskop und aus Büchern – wichtige Anregungen zu empfangen. Ihre Kunstdoktrin sollten sie allerdings nicht „nur kühl untersuchen“. Für ihn war künstlerisches Arbeiten eine Synthese von Beobachtungen und Erlebnissen, gepaart mit Gedanken und Gefühlen, womit sie für Kupka „subjektiv und nicht genau fassbar“ war. Mit dieser epochalen Schau in Paris sollten die Leistungen Kupkas nun allgemein anerkannt sein!
Kuratiert von Brigitte Leal (Musée national d’art moderne - Centre Pompidou), Markéta Theinhardt (Kunsthistorikerin, Sorbonne Université) und Pierre Brullé (Kunsthistoriker).