Honoré Daumier
Wer war Honoré Daumier?
Honoré Daumier (Marseille 26.2.1808–10.2.1879 Paris) war ein französische Künstler der Romantik und gehört zu den prägenden und faszinierenden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Bekannt wurde Daumier vor allem mit seinen über 4.000 Lithografien, die er für Zeitungen wie „La Caricature“ und „Le Charivari“ schuf. Deshalb wurde er der „Michelangelo der Karikatur“ genannt. Weiters umfasst sein Werk 1.000 Holzstiche, 500 Gemälde, 1.000 Zeichnungen und 100 Skulpturen.
Kindheit
Honoré-Victorin Daumier wurde am 26. Februar 1808 in Marseille als erstes von insgesamt zehn Kindern des Glasers Jean-Baptiste Daumier und seiner Ehefrau Cécile-Catherine Philip geboren.
Nach Napoleons Niederlagen gegen die europäischen Großmächte (1814/15) kehrten die Bourbonen mit Ludwig XVIII. auf den Königsthron zurück. Vater Daumier zog mit der Familie 1816 nach Paris. Seine Hoffnung auf Erfolg als Dramendichter erfüllte sich nicht. Jean-Baptiste Louis Daumier begann unter überwältigenden psychischen Problemen zu leiden und war nicht in der Lage, seine fünfköpfige Familie zu ernähren. Die Familie wechselte aus finanziellen Gründen mehrfach die Wohnung. Mit 13 Jahren wurde es für Honoré Daumier notwendig, zum Familieneinkommen beizutragen. Deshalb brach Daumier die Schule ab und arbeitete als Laufbursche bei einem Gerichtsvollzieher.
Der spätere Künstler begann 1821 als Gehilfe eines Buchhändlers im Palais-Royal zu arbeiten. Dieser Job machte Daumier mit dem Verlagswesen und vielen Werken der Lithografie und Gravur bekannt.
Ausbildung
Daumier durfte ab 1822 Malerei studieren. Er wurde Schüler des 61-jährigen Alexandre Lenoir, einem Archäologen, Künstler, umstrittenen Kunstkonservator und Verwalter des Museums für französische Denkmäler (1795–1825). Lenoir machte den jungen Daumier mit einer Vielzahl von Kunstwerken bekannt, darunter mit den Werken von Peter Paul Rubens und Tizian, dem Barock und anderen Malschulen sowie der klassischen Bildhauerei. Daumier kopierte im Louvre. Das Zeichnen nach dem lebenden Modell lernte Daumier in privaten Zeichenschulen, der Académie Suisse und der Académie Boudin.
Daumier befasste sich ab 1825 mit der Lithografie, einer neuen Drucktechnik. In diesem Jahr wurde er Lehrling und dann Mitarbeiter bei dem Lithografen Zéphirin Belliard.
Familie
Honoré Daumier begann 1839 eine Beziehung mit einer siebzehnjährigen Näherin namens Marie-Alexandrine Dassy (14 Jahre jünger als er). Er nannte sie liebevoll „Didine“. Daumier und Didine heirateten 1846. Der im selben Jahr geborene einzige Sohn der Eheleute starb mit zwei Jahren.
Camille Corot schenkte seinem Freund Daumier 1874 ein Haus in Valmondois, weil dieser die Miete nicht mehr zahlen konnte.
Werke
Nach dem Tod von Ludwig XVIII. am 16. September 1824, wurde sein jüngerer Bruder als Karl X. gekrönt. Wachsende Auseinandersetzungen zwischen König und Opposition führten zu sozialen Spannungen. Vom 27. bis 29. Juli 1830 führte die Bevölkerung von Paris einen Aufstand gegen Karl X. (1757–1836, reg. 1824–1830) mit fast 3.000 Toten und Verwundeten. Der König ging deshalb ins Exil, und Eugène Delacroix (1798–1863) hielt den Barrikadenkampf in seinem berühmten Bild „Die Freiheit führt das Volk“ (1830, Louvre) fest. Diese Revolution löste Unruhen und Revolutionen in vielen europäischen Staaten aus. Frankreich blieb jedoch eine Monarchie. Zum „König der Franzosen“ wurde Louis-Philippe (1773–1850, reg. 1830–1848) aus dem Hause Orléans, einer Nebenlinie der Bourbonen, gekrönt. Seine Regierungszeit wird als „Juli-Monarchie des Bürgerkönigs“ bezeichnet. Die Liberalen und Republikaner setzten ihre Opposition jedoch fort.
Ab November 1930 wurde die von Charles Philipon (1800–1861) gegründete Wochenzeitschrift „La Caricature“ nebst der 1832 gegründeten „L’Association mensuelle“ zum führenden Presseorgan der Opposition mit Daumier als Hauptzeichner. Die Protestdemonstrationen in Paris und der Aufstand von 30.000 Weber:innen in Lyon wurden blutig niedergeschlagen.
Am 2. November 1831 wurde Charles Philipon zu sechs Monaten Gefängnis und 2.000 Francs Geldstrafe verurteilt, weil die dargestellte Person in einer seiner Karikaturen Ähnlichkeit mit dem König hatte. Philipon erfand im Gerichtssaal die Birne als Symbol für den Bürgerkönig Louis-Philippe, indem er ein Porträt des Königs in drei Schritten zu einer Birne abwandelt. Daumier und andere Künstler setzten dieses Bildsymbol vielfach in ihren Lithografien ein, darunter Daumier in „Gargantua“ (November 1831). Wegen dieser Lithografie wurde Daumier am 23. Februar 1832 zu sechs Monaten Gefängnis und 500 Francs Geldstrafe verurteilt. Die Strafe wurde zunächst auf Bewährung ausgesetzt. Doch nach der Lithografie „Die Weißwäscher“ musste Daumier im Herbst/Winter 1832/33 seine Haftstrafe absitzen.
In Erwartung repressiver Maßnahmen der Regierung gründete Philipon im Dezember 1832 die moderate Tageszeitung „Le Charivari“ mit einem Umfang von vier Seiten und einer Lithografie jeweils auf der dritten Seite. Daumier arbeitete auch für „Le Charivari“.
Republikanische Aufstände in Lyon und anderen Städten im April 1834 wurden erneut blutig niedergeschlagen. In einem Haus in Paris richteten die Nationalgardisten am 15. April 1834 ein Blutbad an. Die Lithografie „Rue Transonain, le 15 avril 1834“, die Daumier dazu schuf, wurde in Frankreich zum Symbol der Gewaltherrschaft der Juli-Monarchie.
Ab Mai 1835 fanden die Strafverfahren gegen die Verhafteten der Aufstände von April 1834 statt. Nach einem Attentat auf den Bürgerkönig kam es im August und September zu massiven Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten. Die staatliche Zensur wurde wieder eingeführt, bildliche Darstellungen des Königs und seiner Familie wurden verboten. Dreißig liberale und republikanische Zeitungen stellen ihren Betrieb ein, unter ihnen „La Caricature“ mit „L’Association mensuelle“. „Le Charivari“ wurde weitergeführt. Daumier durfte allerdings nicht mehr politisch arbeiten. Er schuf deshalb sozial- und gesellschaftskritische Karikaturen, darunter die Serienwerke „Mœurs conjugales“, „Robert Macaire“, „Gens de justice“ und „Histoire ancienne“.
Daumier schuf ab Mitte der 1840er Jahre neben den Zeichnungen auf Stein für den Zeitungsdruck zunehmend auch Zeichnungen auf Papier und widmete sich der Ölmalerei. Charles Baudelaire wurde ein Bewunderer von Daumiers Werk. Aus dieser Bekanntschaft entwickelte sich eine Freundschaft. Baudelaire schrieb in seiner Rolle als Kunstkritiker zu Lebzeiten positiv über Daumiers Gemälde.
Revolutionsjahr 1848
Vom 22. bis zum 24. Februar 1848 fand eine erfolgreiche Revolution der bürgerlichen Opposition und der Arbeiterschaft in Paris mit heftigen Straßen- und Barrikadenkämpfen sowie zahlreichen Toten statt. Louis-Philippe dankte ab und floh ins Exil nach England. Die sogenannte Februar-Revolution löste Unruhen und Revolutionen in vielen Ländern Europas aus.
Honoré Daumier nahm im April 1848 zusammen mit 700 anderen Künstlern an einem Wettbewerb der École des Beaux-Arts teil. Die von Daumier eingereichte „Skizze“ trägt den Titel „La République“ und belegte den elften Platz. Er hat die für den nächsten Teil des Wettbewerbs erforderlichen Arbeiten jedoch nicht abgeschlossen. Das Bild zeigt eine kraftvolle Mutter, die auf einem Thron sitzt, eine dreifarbige Flagge an einer Stange hält, einen phrygischen Hut trägt und ihren Unterleib in weißen Stoff gehüllt hat, während zwei muskulöse Kinder an ihren Brüsten stillen, während ein drittes Kind ein Buch zu ihren Füßen liest.
Nach der Ausrufung der Zweiten Republik am 4. Mai 1848 erfolgte die Proklamation der bürgerlichen Rechte. Daumier schuf weiter sozial- und gesellschaftskritische Serien, zum Beispiel „Les Divorceuses“ und „Les Femmes socialistes“. Weil die bei den Wahlen zur Nationalversammlung siegreichen Konservativen und Liberalen die Nationalwerkstätten schlossen, in denen Arbeitslose beschäftigt wurden, kam es vom 22. bis 26. Juni zu einem Aufstand der Arbeiterschaft und der Linken, der blutig niedergeschlagen wurde. 1.500 Soldaten und mindestens 3.000 Arbeiter kamen dabei ums Leben.
Am 4. November wurde eine neue Verfassung mit Garantie der Presse- und Versammlungsfreiheit verabschiedet. Am 10. Dezember wurde Louis Napoléon Bonaparte, ein Neffe von Napoleon I., zum Staatspräsidenten gewählt. Daumier schuf wieder politische Lithografien, darunter auch Karikaturen des Staatspräsidenten.
Öffentliche Diskussion darüber, in der Verfassung die Möglichkeit zur Wiederwahl von Louis Napoléon Bonaparte als Staatspräsident zu schaffen. Daumier erfand die Figur des Ratapoil, der „haarigen Ratte“, als Symbol für Louis Napoléon Bonaparte und seine Schlägertrupps. Bonaparte schränkte das allgemeine Wahlrecht und die Pressefreiheit ein und schickte die wegen Teilnahme an der Revolution von Juni 1848 Verhafteten zu Tausenden ins Gefängnis oder in die französischen Kolonien.
Louis Napoléon Bonaparte
Als das Parlament die Verfassungsänderung ablehnte, putschte Louis Napoléon Bonaparte am 2. Dezember 1851 und ließ sich durch Plebiszit erneut zum Staatspräsidenten wählen. Durch weiteres Plebiszit vom 21. November 1852 stellte er das Kaiserreich wieder her. Seine Kaiserkrönung zu Napoleon III. erfolgte am 2. Dezember 1852.
Wegen zunehmender Einschränkung der Pressefreiheit konnte Honoré Daumier nun erneut nicht mehr politisch arbeiten und befasste sich wie schon ab 1835 wieder ausschließlich mit sozial- und gesellschaftspolitischen, aber auch mit außenpolitischen Themen, etwa dem Krim-Krieg (1853–1856) auf Seiten der Türkei gegen Russland, der Opiumkrieg mit Großbritannien gegen China 1856, die Besetzung von Indochina (heute: Vietnam) 1858, die Kriege gegen das Kaiserreich Österreich in Italien 1859 und in Mexiko (1863–1867). Diese Lithografien enthalten keinen offenen Angriff auf den Kaiser. Nach einem Attentat auf Napoleon III. erfolgte 1858 eine weitere Verschärfung der Zensur.
Zwischen 1860 und 1863 arbeitete Daumier nicht für „Le Charivari“, sondern als freier Künstler und für andere Zeitungen. Über die Gründe, warum Daumier seine Tätigkeit für den „Charivari“ einstellte, lässt sich nur spekulieren.
Als 1866 die Zensur erneut gelockert wurde, arbeitete Daumier, der inzwischen mit seiner Frau in Valmondois bei Paris lebte, wieder an mehr und aggressiveren politischen Karikaturen an, auch gegen Napoleon III. In Anspielung auf die Fabel „Die Fledermaus und die beiden Wiesel“ von La Fontaine stellte Daumier den liberalen Politiker Émile Ollivier (1825–1913) als Fledermaus dar (24. März 1869). Diese Lithografie ließ in der Legende ironisch Napoleon III. als Ratte hochleben, nebst allen seinen Anhängerratten, also den Mitgliedern der bonapartistischen Vereine.
Im französisch-preußischen Krieg 1870 wurde die französische Armee unter General Patrice de Mac-Mahon bei Sedan besiegt. General und Kaiser wurden gefangengenommen. In Paris wurde der Kaiser für abgesetzt erklärt und die Republik ausgerufen. Daumier lehnte die Aufnahme in die Ehrenlegion als staatliche Auszeichnung ab.
Die neue konservativ-liberale Regierung wollte den Krieg beenden. Dagegen revoltierte die politische Linke, die bei den Pariser Kommunalwahlen eine große Mehrheit errungen hatte. Sie erklärte Paris zur unabhängigen Räterepublik. Es kam zum „Kommunardenaufstand“, der durch Mac-Mahon und seine Armee, nach dem zwischenzeitlichen Frieden wieder freigelassen, blutig niedergeschlagen wurde (über 30.000 Tote und über 40.000 Verhaftete). Der politische Richtungsstreit ging jedoch weiter. Staatspräsident war erst der republikanisch-liberale Adolphe Thiers, dann der konservative General Mac-Mahon. Die Royalisten forderten die Wiedereinführung der Monarchie.
1875 lehnte die Nationalversammlung die Wiedereinführung der Monarchie mit einer Stimme Mehrheit ab. Frankreich blieb Demokratie. Der Kampf, den Daumier sein ganzes künstlerisches Leben mit dem Kreidestift der Lithografie begleitet hatte, war erfolgreich gewesen.
Die erste Einzelausstellung der Werke Daumiers, organisiert von seinen Freunden in der Pariser Galerie Paul Durand-Ruel, war bei der Presse erfolgreich (17.4.–15.6.1878). Leider führte der Kritikererfolg nicht zu Verkäufen. Auf Fürsprache von Victor Hugo erhielt Daumier eine kleine staatliche Pension.
Tod
Zunehmend erblindend verarmte der Künstler und Karikaturist immer mehr. Am 10. Februar 1879 starb Honoré Daumier in seinem Haus in Valmondois. Sein Grab befindet sich heute auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris.

![Honoré Daumier, Nadar élevant la photographie à la hauteur de l'art [Nadar erhebt die Fotografie auf die Höhe der Kunst], 1862, Kreidelithografie, sehr wenig geschabt, sur chine, 445 × 310 mm (© Privatsammlung)](https://artinwords.de/wp-content/uploads/Honore-Daumier-Nadar-erhebt-die-Fotografie-auf-die-Höhe-der-Kunst-778x500.jpg)
