Das Werk von Jean-Michel Basquiat (1960–1988) – 120 Arbeiten aus allen acht Schaffensjahren von 1980 bis 1988 – entfaltet sich auf vier Stockwerken von Frank Gehrys Gebäude. Beginnend mit der Trilogie „Heads“ (1981–1983), die erstmals in der Fondation Louis Vuitton in Paris nebeneinander hängen, und der Präsentation von einigen Kollaborationen zwischen Basquiat und Andy Warhol bringt die monografische Schau Werke zusammen, die noch nie in Europa ausgestellt waren. Wichtige Arbeiten wie „Obnoxious Liberals“ (1982), „In Italian“ (1983) und „Riding with Death“ (1988) treffen auf solche, die nach ihrer Erstpräsentation noch zu Lebzeiten des Künstlers selten ausgestellt waren: „Offensive Orange“ (1982), „Untitled (Boxer)“ (1982) und „Untitled (Yellow Tar and Feathers)“ (1982) bringt Kurator Dieter Buchhart, der vor kurzem auch die Ausstellung Basquiat in der Schirn: Boom for Real verantwortete, nach Paris.
Frankreich / Paris: Fondation Louis Vuitton>
3.10.2018 – 14.1.2019
Im Alter von 17 Jahren verließ Jean-Michel Basquiat die Schule und eröffnete sein erstes Atelier in den Straßen von New York. Sehr schnell erarbeitete sich der Texter Basquiat auch als Maler großen Ruhm. Sein Werk bezieht sich auf den Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts – und viele weitere Ismen. Die Aufgewecktheit seines Blicks, seine Museumsbesuche und Lektüre vermittelten dem Hochbegabten kulturelle Bildung. Zwischen 1981 und 1983 entstanden die drei Bilder der „Heads”, mit denen die Schau fulminant beginnt. Ihnen folgt das Thema Straße – Basquiat nutzte sie als Atelier, Inspirationsquelle ähnlich einem lebenden Körper –, wobei die Bilder voller Energie vibrieren. Zeitgenossinnen und Zeitgenossen reagierten intensiv auf Basquiats unkonventionelle Kompositionen wie „Crowns (Peso Neto)“, mit denen er die Intensität der städtischen Umgebung und ihre Sprache in Farbe verwandelte. Wer hätte gedacht, dass Jean-Michel Basquiat mit einer Serie von Propheten und einem Porträt eines dunkelhäutigen Polizisten – „Irony of a negro policeman“ – zu überraschen wusste?
30 Zeichnungen von Köpfen, hauptsächlich stammen sie aus dem Jahr 1982, unterstreichen die Bedeutung der Zeichnung für Jean-Michel Basquiat. Auffallend an ihnen wie auch weiteren Arbeiten auf Papier sind die Wut, der Protest und die Revolte, weshalb die Fondation Louis Vuitton der Basquiat-Ausstellung auch eine Schau über den Wiener Expressionisten und herausragenden Zeichner Egon Schiele zur Seite stellt: Egon Schiele in der Fondation Louis Vuitton.
Basquiat erzählt von bedeutenden afroamerikanischen Persönlichkeiten – Boxern und Kämpfern –, die zu seinem persönlichen Parthenon zählten: „Untitled (Sugar Ray Robinson)“ (1982), „St. Joe Louis surrounded by Snakes” (1982), „Cassius Clay” (1982). Zur Komplexität von Basquiats Kompositionen tragen auch die Buchstaben, Nummern, Zeichen und Texte im Hintergrund der Figuren bei, vor allem ersichtlich an „Santo #1” (1982), „Self-Portrait with Suzanne“ (1982), „Untitled“ (1982), „Portrait of the Artist as a Young Derelict“ (1982). Jean-Michel Basquiat fühlte das Bedürfnis afrikanische und afroamerikanische Kultur und Revolten darzustellen.
Schmerzhaft wurde dem Maler Basquiat das Fehlen von afroamerikanischen Künstlern bewusst. Mit „Heroes and Warriors” begegnete er diesen Fehlstellen. Der afroamerikanische Boxer verbindet mit „Untitled (Boxer)” (1982) diese mit dem vorangegangenen Kapitel. Die Helden Basquiats tragen Heiligenscheine, Kronen oder auch Dornenkronen. Die emanzipatorische Figur des Samson erscheint in „Obnoxious Liberals” (1982). Geschichte und Archetypen verband Basquiat mit seiner eigenen Lebenswirklichkeit, wenn er seinen Bildern Texte und sprechende Titel beigab: „Price of Gasoline in the Third World” (1982) oder „Slave Auction“ (1982).
Zu den Schlüsselwerken nicht nur der Ausstellung zählt „In Italian” (1983). Dieter Buchhart sieht in dem Bild einen Beleg für Jean-Michel Basquiats Talent als Kolorist. Dass auch Musik eine eminent wichtige Rolle in dessen Werk spielt, ist bereits hinlänglich bekannt. Rund um den Jazz-Saxophonisten Charlie Parker, den Basquiat als sein Alter Ego wählte, gruppieren sich fünf Werke: „CPRKR“ (1982), „Horn Players“ (1983), „Charles the First“ (1982), „Discography (One)“ (1983) und „Now’s the Time“ (1985).
Ein weiteres Charakteristikum von Jean-Michel Basquiats Bildern ist, dass er in ihnen Menschen aus unterschiedlichen Zeiten zusammenbringt. So sieht man den Maler umringt von seinen Freunden in „Hollywood Africans in Front of the Chinese Theater with Footprints of Movie Stars“ (1983) oder „Museum Security (Broadway Meltdown)” (1983). Dazu nutzte Basquiat ein Raster, auf dem er die Figuren teils auch übereinander anordnete. Hierfür stehen: „Lye” (1983), “Flash in Naples” (1983), “Napoleonic Stereotype” (1983) oder Red Savoy” (1983).
Das monumentale Bild “Grillo” (1984) und das Gemälde “Gold Griot” stehen im Zentrum von Basquiats Auseinandersetzung mit der afrikanischen Kultur, die durch die Diaspora in die USA kam und von ihm neu interpretiert wurde. In diesen Werken ist die dunkelhäutige Figur omnipräsent.
Dieser Gruppe von Werken stehen die in Zusammenarbeit mit Andy Warhol, dem prominenten Vertreter der amerikanischen Pop Art, diametral gegenüber. Basquiat malte 1982 das Porträt „Dos Cabezas“, was den Beginn der gegenseitigen Faszination markiert. Ab 1984 malten sie eine Reihe von Gemälden zusammen, indem sie Malerei und Druckgrafik frei auf den Leinwänden mischten.
Zwischen 1985 und 1987 schuf Jean-Michel Basquiat großformatige Werke, in denen er Acrylfarbe mit Ölkreide und Collage mischte. Grafische Vorgangsweisen erinnern an Techniken des Sampling in der Musik und erzeugen dichte Oberflächen und zersplitterte Kompositionen, die eine Vielzahl an verschiedenen Lesarten zulassen.
Mit „Unbreakable“ (1987) gab Basquiat gleichsam den Titel des letzten Kapitels der Ausstellung selbst vor. Die Louis Vuitton Foundation zeigt unter den letzten Werken das noch immer überraschende „Riding with Death“ (1988). Zum einen ließ sich Basquiat dafür von Renaissance-Kunst inspirieren zum anderen finden sich aber auch Referenzen auf Geschehnisse aus dem 20. Jahrhundert – ein komplexer Mix an Bezügen. Basquiats früher Tod im Jahr 1988 unterbrach seine überquellende Produktion: In nur acht Jahren malte Jean-Michel Basquiat über 1.000 Gemälde und sogar noch mehr Zeichnungen.
Jean-Michel Basquiat in der Fondation Louis Vuitton erstreckt sich auf über 2.500 m². Die Schau ist rund um Werkgruppen mit gleichen Themen chronologisch organisiert, was zum Vergleich einladen soll. Für Dieter Buchhart war wichtig, dass sich die Ausstellung von den ersten Zeichnungen und monumentalen Werken bis zu den späten Drucken, Collagen und Assemblagen erstreckt. Damit beleuchtet sie, so der Kurator, Basquiats „unnachahmlichen Strich, [seinen] Gebrauch von Worten, Phrasen und Aufzählungen, und seine Bezüge auf konkrete Hip Hop Dichtkunst. Dem Rassismus, Ausschluss und Kapitalismus hielt er Kämpfer und Helden entgegen.