Egon Schiele (1890–1918) blieben nur zehn Jahre, um sein epochales Werk in Wien zu entwickeln. Die Fondation Louis Vuitton stellt anlässlich der 100. Wiederkehr des Todestages Schieles Werk neben jenem von Jean-Michel Basquiat aus (→ Jean-Michel Basquiat in der Fondation Louis Vuitton). In parallelen Ausstellungen begegnen sich zwei eruptiv entwickelnde Künstler, der eine vom Beginn und der andere vom Ende des 20. Jahrhunderts. Beiden gemein ist ihr rebellische, antiakademische Grundhaltung.
Frankreich / Paris: Fondation Louis Vuitton, Gallery 1
3.10.2018 – 14.1.2019
Egon Schiele besuchte die Akademie der bildenden Künste in Wien zwischen 1906 und 1909, brach sein Studium nach drei Jahren ab. Bereits 1909 stellte er sich an die Spitze der von ihm mitbegründeten Neukunstgruppe und organisierte sich mit seinen Kollegen eigene Ausstellungen. Gleichzeitig erfuhr diese Generation starke Unterstützung durch die sogenannte Klimt-Gruppe rund um den Hauptvertreter des Wiener Jugendstil. Über Vermittlung der Wiener Secession, der Kunstschau 1909 und der Tätigkeit der Galerie Miethke lernte der junge Egon Schiele die Werke von Vincent van Gogh, Edvard Munch und Jan Toroop kennen.
Dennoch ist erstaunlich, wie radikal und in relativer Isolation Egon Schiele an seinem Werk arbeitete. Heute faszinieren besonders die Verzerrung der Körper, die Introspektion, der Ausdruck von Begehren und dem Bewusstsein um die Tragödie des Lebens. Bevor er am 31. September 1918 im Alter von nur 28 Jahren an der Spanischen Grippe verstarb, hatte er innerhalb von nur zehn Jahren etwa 330 Gemälde und über 3.000 heute noch bekannte Arbeiten auf Papier (meist aquarellierte Zeichnungen, seltene 17 Druckgrafiken) geschaffen.
Die Fondation Louis Vuitton richtet die erste monografische Schiele-Ausstellung in Paris seit 25 Jahren aus. Die Schau präsentiert auf mehr als 600 m² etwa 120 Werke – Zeichnungen, Gouachen und Gemälde. Darunter befinden sich berühmte Werke wie „Selbstbildnis mit Lampionsfrüchten“ (1912, Leopold Museum, Wien), „Schwangere und Tod (Mutter und Tod)“ (1911, Národní gallery, Prag), „Porträt von der Ehefrau des Künstlers sitzend, ihr rechtes Bein haltend” (1917, Morgan Library & Museum, New York), „Stehender Akt mit Blauem Blatt” (1914, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg), „Sitzender Männerakt” (1910, Neue Galerie New York) und „Selbstporträt” (1912, The National Gallery of Art, Washington).
Der Rundgang ist chronologisch und in vier Räumen aufgebaut, um Egons Schieles Konzept der Linie und dessen künstlerische Entwicklung zu dokumentieren. Die vier Kapitel werden mit „Die ornamentale Linie (1908–1909)“, „Die existentialistische Line des Expressionismus (1910–1911)“, „Die physische Balance der verbundenen Line in der Dämmerung des Ersten Weltkriegs (1912–1914)“ und „Die amputierte, fragmentierte Line in den Kriegsjahren (1915–1918)“. Kurator Dieter Buchhart sieht vor allem in Schieles Zugang zur Linie und zur Zeichnung dessen charakteristisches Moment:
„Sehr wenige Künstler haben sich der Linie und der Zeichnung mit der gleichen Virtuosität und Intensität wie Schiele genähert. […] Indem er sich von der ornamentalen Linie in Richtung der expressionistischen Linie entwickelte, letztere in drei Dimensionen, fragmentiert und amputiert, ermöglichte er eine dissonante Grenze und abweichende Erfahrung der Linie als Zeichen der menschlichen Existenz.“ (Dieter Buchhart über Egon Schiele)
Dieter Buchhart kuratiert beide Ausstellungen im respektvollen Dialog – Egon Schiele trifft in der Fondation Louis Vuitton auf Jean-Michel Basquiat – und um deren Konzepte der Linie. Im Werk von Basquiat entdeckt der Kunsthistoriker eine Linie, die mit jugendlichem Impetus erfüllt und von echter Wut getragen ist. Die Linie soll „die Präsenz der schwarzen Figur“ soll, so Buchhart, „einführen, nachdem er die Künstler schmerzhaft erfahren musste, dass diese in der Kunstwelt – und vor allem in den Museen – völlig fehlte.“
Erstmals widmet die Fondation Louis Vuitton Egon Schiele als einer historischen Künstlerpersönlichkeit eine Einzelausstellung. Damit soll der Tradition, auf der zeitgenössische Produktion von Kunst fußt, breiter Raum geboten werden.
Kuratiert von Dieter Buchhart.
Quelle: Pressetext