Maria Martins
Wer war Maria Martins?
Maria Martins (Campanha 7.8.1894-27.3.1973 Rio de Janeiro) war eine brasilianische Bildhauerin und Kupferstecherin des Surrealismus. Maria Martins ist in der Kunstgeschichte als „Bildhauerin der Tropen“ und „große Bildhauerin des Surrealismus“ bekannt. In ihrem Werk hinterfragt sie die Vorstellungen von Weiblichkeit, Brasilien und den Tropen. Maria Martins konzentrierte sich vor allem auf die schlangenartigen Figuren von Reptilien und Lianen - Figuren an der Schnittstelle zwischen amazonischen Themen, Form (gewundene Verdrehungen) und surrealistischer Inspiration. André Breton sah in diesen Werken den vitalistischen und primitiven Impuls der heiligen Flamme, der seiner Meinung nach im „Westen“ fehlte.
Kindheit & Ausbildung
Maria Martins wurde am 7. August 1894 in Campanha, Minas Gerais, als Maria de Lourdes Alves geboren. Sie war die Tochter des späteren Senators und Justizministers João Luís Alves und der Pianistin Fernandina de Faria Alves.
Ihre erste musikalische Ausbildung erhielt sie an einer französischen Schule in Rio de Janeiro mit dem Ziel, Berufsmusikerin zu werden. Schon zu Beginn ihrer ersten Ehe interessierte sie sich für Bildhauerei und studierte in Paris bei Catherine Barjansky. Während eines Aufenthalts in Japan studierte sie Keramik und Zen-Philosophie bei Daisetz Teitaro Suzuki an der Universität Kyoto.
Ihr Interesse an der skulpturalen Abstraktion wurde durch die einfachen, großen Holzskulpturen ihres ersten belgischen Lehrers Oscar Jespers (1887-1970) geweckt. Dieses bildhauerische Interesse entwickelte sich weiter zum Surrealismus, zur Erforschung ihrer brasilianisch-amazonischen Wurzeln – sie erlernte die Holzschnitzerei in Ecuador – und zum Bronzeguss unter der Leitung von Jacques Lipchitz (1891-1973).
Mit ihrem ersten Ehemann, dem Literaturkritiker Otávio Tarquínio de Sousa (1989–1959), hatte sie eine Tochter. In zweiter Ehe heiratete sie 1926 den Diplomaten Carlos Martins, einen Jugendfreund von Getúlio Vargas.
Werke
1939 wurde ihr Ehemann Carlos Botschafter Brasiliens in den USA und zog mit der Familie in die Vereinigten Staaten. Während ihres Aufenthalts in den USA von 1939 bis 1949 studierte Martins bei dem Bildhauer Jacques Lipchitz und dem Grafiker Stanley William Hayter (1901–1988). Lipchitz machte sie mit dem Bronzeguss vertraut und ermutigte sie, sich mit dem Surrealismus und ihren brasilianischen Wurzeln auseinanderzusetzen. Sie entwickelte das altägyptische Wachsausschmelzverfahren zu ihrer bevorzugten künstlerischen Technik. Dafür vermengte sie das Bienenwachs mit ein wenig Fett, wodurch das Bienenwachs außerordentlich dehnbar wird, sodass die Künstlerin schmale Lianenformen aus Bronze mit ungewöhnlichen Auswüchsen gießen konnte.
„Wimmelnde Formen erblühen im Raum, im Trommelrhythmus einer Bewegung, die von Anziehung und von Furcht zugleich angetrieben scheint. Die brasilianische Künstlerin Maria Martins ließ den Formalismus herkömmlicher Plastik hinter sich, um eine fantastische Gegenständlichkeit auf Grundlage einer Neubearbeitung der traditionellen Mythologie des Amazonasgebiets zu entwickeln, in der menschliche, tierische und pflanzliche Formen sich in einem osmotischen Dialog zwischen den vielfältigen Aspekten der Natur durchdringen.“
Martins' Kontakte zur New Yorker Künstlergemeinschaft der 1940er Jahre – von denen viele aus Europa hatten fliehen müssen – halfen ihr, ihre Ansichten über die politische Macht der Kunst zu formulieren. Diese Ansichten über Kunst, ihre Rolle für den Frieden und die Verantwortung von Künstler:innen stellte sie in einem Essay dar, der am 18. Juni 1947 vom New Yorker Kongressabgeordneten Jacob Javits in das Protokoll des US-Kongresses aufgenommen wurde. In diesem Essay mit dem Titel „Art, Liberation and Peace [Kunst, Befreiung und Frieden]“ beschreibt sie eine Welt, in der Unterschiede in Rasse, Nationalität, Religion, sozialen Verhältnissen und Meinungen frei diskutiert und die Auswirkungen von Politik und Reichtum negiert werden. Die Künstlerin hob die Zerstörung von Kunstwerken durch Adolf Hitler als Beginn seines „nihilistischen Drangs nach Eroberung, Herrschaft und Zerstörung“ hervor. Sie beschrieb die Kunst als einen Appell an die Emotionen, als Befreiung und betonte immer wieder, dass der Wert der Kunst darin bestehe, die Menschen zu mobilisieren, um den Auswirkungen des Krieges entgegenzuwirken.
Während ihres Aufenthalts in New York lernte sie Marc Chagall und Piet Mondrian kennen. Als häufiger Gast der Dinnerpartys von Peggy Guggenheim wurde Martins unter anderen Michel Tapié, André Masson, Max Ernst, André Breton und Marcel Duchamp vorgestellt. Daher schloss sie sich von 1942 bis 1943 der Gruppe der Surrealist:innen im Exil an. In dieser Zeit wurde sie auch als „Maria“ bekannt und näherte sich surrealistischen Themen an, indem sie ihren Werken kurze Texte über das Verlangen hinzufügte. Die Körper, die sie darstellte, wurden immer komplexer, organischer, pflanzenartiger, phantasmagorischer und oft grausam erotisch. Ihre Themen hingegen blieben auf Brasilien ausgerichtet und schöpften großzügig aus der Folklore des Amazonas.
Im Oktober 1941 hatte Maria – als Künstlerin signierte sie ihre Werke mit „Maria“ – in der Corcoran Gallery of Art in Washington, D.C., ihre erste Einzelausstellung. 1942 nahm sie an der Ausstellung „First Papers of Surrealism“ teil und 1943 fand in der Curt Valentin Gallery, New York die Doppelausstellung „Maria: New Sculptures“ und „Mondrian: New paintings“, statt, die für sie sehr erfolgreich war, während Mondrian nichts verkaufte. Martins erwarb daraufhin das Werk „Broadway Boogie Woogie“ von Piet Mondrian für nur 800 Dollar, um es später dem MoMA zu stiften.
1945 verließ Maria Martins in ihrer Kunst jene Gestaltung, die man leicht mit Brasilien in Verbindung bringen hätte können. In diesem Jahr bezeichnete Martins ihre Skulpturen als „meine Göttinnen und meine Monster“, denn sie begann, ihre persönlichen Mythologien zu schaffen, in deren Mittelpunkt hybride, fantastische oder monströse Frauenfiguren standen, in denen Erotik und Begehren noch deutlicher zum Ausdruck kamen. Ein exemplarisches Werk aus dieser Zeit ist „However“ (1948), in dem der Körper einer weiblichen Figur von Schlangen umschlungen wird – eine fesselt ihre Beine, die andere drückt Brust und Brüste zusammen. Im Gesicht der Figur ist nur ein offener Mund zu sehen, der einen Schmerzens- oder Lustschrei andeutet. Schlangen werden in Martins Werk häufig mit dem Weiblichen assoziiert und evozieren eine Dynamik von Dominanz und Bedrohung, die von außen oder von innen auf die Figuren einwirkt. Dies geschieht durch Verweise auf Figuren aus der griechischen Mythologie wie die Medusa oder aus der Amazonas-Mythologie wie die Cobra Grande. Diese Figuren werden jedoch nie als völlig „frei“ dargestellt und scheinen ihre Kraft aus dieser Dichotomie zu beziehen.
Ebenfalls 1943 traf sie André Breton und andere Surrealisten im Exil und arbeitete mit ihnen an der surrealistischen Zeitschrift VVV. Breton lobte ihre Skulpturen und schrieb das Vorwort zum Katalog ihrer Einzelausstellung 1947 in der Julien Levy Gallery in New York:
„Maria schuldet weder der Skulptur der Vergangenheit noch der Gegenwart etwas - dafür ist sie sich des ursprünglichen Rhythmus, der der modernen Skulptur immer mehr abgeht, viel zu sicher; sie geht verschwenderisch mit dem um, was ihr der Amazonas gegeben hat“.
Duchamp und Maria Martins waren von 1946 bis 1951 ein Paar. Für sein Werk „Étant Donnés“ (1944–1966) stand sie ihm Modell, und Duchamp widmete ihr mehrere Werke, zum Beispiel „Paysage Fautif“ (1946). Maria Martins war 1947 Teilnehmerin der Ausstellung „Le surréalisme“ in der Galerie Maeght in Paris.
Als Maria Martins 1949 nach Brasilien zurückkehrte, wurden ihre Werke von der Kritik als unkonventionell und zu erotisch abgelehnt. Martins war Mitbegründerin der ersten Kunstbiennale von São Paulo. Während ihres Aufenthalts in Brasilien nahm sie an der „Internationalen Surrealistischen Ausstellung“ in Paris (1959/60), New York (1960/61) und São Paulo (1967) teil. Martins nutzte ihre internationalen Kontakte, um die moderne Kunst in Brasilien zu fördern. So half sie bei den Vorbereitungen zur ersten Biennale von São Paulo (1951). Im Jahr 1952 war sie Gründungsmitglied des Museums für Moderne Kunst in Rio.
Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit war Martins Autorin eines Buches über Friedrich Nietzsche und veröffentlichte Texte über Indien und China während der Xinhai-Revolution.
O impossivel (1945)
„O impossivel“ ist eine bekannte Bronze von Maria Martins, die posthum auf der dOCUMENTA (13) ausgestellt wurde.
„O impossivel, in der eine männliche und eine weibliche Figur einander gegenüberstehen, getrennt und verbunden zugleich durch eine zelebrale und beinahe kannibalische tentakelhafte Umarmung – verleiht einer Bewegung des Begehrens greifbare Gestalt, die zwischen Abwesenheit und Anwesenheit, zwischen Anziehung und Abstoßung gespannt ist.“
Tod
Maria Martins starb am 27. März 1973 in Rio de Janeiro, Brasilien.