Martin Schongauer
Wer war Martin Schongauer?
Martin Schongauer (Colmar um 1445/50–2.2.1491 Breisach am Rhein) war ein deutscher Kupferstecher und Maler des Spätmittelalters aus dem Elsass (→ Gotik). Obgleich Schongauer hauptberuflich als Maler arbeitete, ist er schon den Zeitgenoss:innen als Druckgrafiker bekannt. Schongauer schuf 116 Kupferstiche, die wegen ihrer technischen und künstlerischen Vollendung als bedeutendste druckgrafische Werke vor Albrecht Dürer gelten, den er auch maßgeblich beeinflusste. Alle Blätter sind mit dem Monogramm MS und einer Hausmarke versehen. Da keines seiner Werke datiert ist, wird über ihre zeitliche Abfolge noch debattiert.
Kindheit und Ausbildung
Martin Schongauer kam um 1445/50 in Colmar, Elsass, als Sohn eines aus Augsburg zugewanderten Goldschmiedes zur Welt. Über sein Leben sind wenige Daten überliefert. Er dürfte zusammen mit seinen Brüdern in der väterlichen Werkstatt mit dessen Gewerbe vertraut gemacht worden sein. Möglicherweise könnte er auch ein Lehrling bei Caspar Isenmann gewesen sein.
Anschließend dürfte Schongauer eine gewisse Zeit in der Werkstatt des Hans Pleydenwurff in Nürnberg gearbeitet haben, wo er eine frühe Auseinandersetzung mit der neuen naturalistischen Malweise der Ars Nova der Niederländer (Jan van Eyck, Rogier van der Weyden) kennenlernte.
Ab 1465 war Martin Schongauer für wenige Semester an der Leipziger Universität immatrikuliert. Spätestens um 1469/70 trat er die obligatorische Wanderschaft an; sie führte ihn nach Burgund und in die südlichen Niederlande: Sein Werk zeigt Einflüsse der Kunst Rogier van der Weydens, dessen Weltgerichtsaltar in Beaune er sicher gesehen hat, sowie von Dieric Bouts und Jan van Eyck.
Werke
1470 soll sich Martin Schongauer in Colmar niedergelassen haben. Zu seinen Lebzeiten war er vor allem als Maler berühmt. Er gelangte offenbar zu einigem Wohlstand, war mehrfacher Hausbesitzer und blieb anscheinend unverheiratet.
Dass er anlässlich einer Reise nach Basel im Juni 1489 als „Bürger von Breisach“ bezeichnet wird, beweist, dass er zu dieser Zeit bereits wegen eines großen Auftrags für Wandmalereien im dortigen Münster nach Breisach umgezogen war.
Vermutlich seiner delikaten Malerei wegen wurde Schongauer von seinen Zeitgenossen „Martin Schön“ oder „Hübsch Martin“ genannt. Erhalten haben sich von seinen Gemälden nur sehr wenige. Aus dem Jahr 1473 stammt sein malerisches Hauptwerk, die Madonna im Rosenhag (Dominikanerkirche Colmar), sein einziges (nicht eigenhändig) datiertes Gemälde, dessen ursprünglicher Standort nicht bekannt ist. Dieses Meisterwerk spätgotischer Madonnenbilder zeichnet sich durch große Klarheit in Komposition und Ausführung aus.
Außer einem Paar Altarflügel, gestiftet von dem Präzeptor Jean d’Orlier für das Antoniterkloster und -hospital in Isenheim (Colmar, Musée d’Unterlinden), dem von Werkstattmitarbeitern ausgeführten ehemaligen Hauptaltar der Dominikaner in Colmar (Colmar, Musée d´Unterlinden) sowie einigen kleineren Tafelbildern, die ebenfalls nicht alle eigenhändig ausgeführt sind, haben sich nur noch die Weltgerichts-Fresken an der inneren Westwand des Breisacher Münsters erhalten, die er möglicherweise wegen seines plötzlichen Todes nicht mehr selbst fertigstellen konnte.
Kupferstich
Als Schongauers Karriere in den 1470er Jahren begann, war der Kupferstich eine noch recht junge Kunst. Sie war aus dem Goldschmiedegewerbe hervorgegangen, denn von der Praxis, metallene Geräte oder Gefäße mit Gravierungen zu verzieren, war der Schritt nur ein kurzer, davon – etwa zu Dokumentationszwecken – Abzüge auf Papier herzustellen. Und tatsächlich arbeiteten viele der frühen Stecher zugleich auch als Goldschmiede.
Beim Entwurf seiner „Kreuztragung“, die er in der Frühphase seines grafischen Schaffens fertigte, orientierte er sich an einem heute verlorenen, doch in Kopien überlieferten Tafelgemälde van Eycks. Daraus entnahm er den aus dem rechten Hintergrund kommenden Kreuzweg, der im Bildzentrum die größte Nähe zum Betrachter erreicht, um links durch eine enge Felsschlucht die letzte Etappe auf dem Weg nach Golgatha zu nehmen. Einzelne der dicht gedrängten, teils berittenen, teils fußläufigen Schergen sind mehr oder weniger wörtlich aus der Eyck’schen Vorlage zitiert. Doch bietet Schongauer durch die Monumentalisierung seiner Protagonisten, die veristische Schilderung von Aktionen, Reaktionen und Emotionen sowie die Dramatisierung der Lichtregie dem Betrachter ein nahezu authentisches Miterleben. Der größte Stich im Werk Schongauers ist zugleich der größte bis zur Entstehungszeit überhaupt jemals verlegte.
Bald nach seiner Rückkehr aus den Niederlanden nahm Schongauer auch ein vier Darstellungen umfassendes Marienleben in Angriff.
Nicht nur wegen der technischen und künstlerischen Qualität seiner Kupferstiche, die die Möglichkeiten dieser Technik zur Vollendung bringen, gilt Schongauer als einer der bedeutendsten Grafiker vor Albrecht Dürer, den er entscheidend beeinflusste. Im Ganzen verläuft die stilistische Entwicklung von breit erzählendem Detailreichtum zu größerer, ernsterer und repräsentativerer Form. Wohl als erster stellte er Druckgrafik in größerer Zahl her und betrieb ihre kommerzielle Verbreitung. Als erster Stecher hat er seine Werke signiert: Alle 116 erhaltenen Blätter tragen seine Initialen zu Seiten eines Kreuzes mit einem halbmondförmigen Häkchen.
Tod und Nachruhm
Martin Schongauer starb am 2. Februar 1491 Breisach am Rhein.
Der Humanist Jakob Wimpheling berichtet 1505, dass jedermann in „Italien, Spanien, Frankreich, Britannien und vielen anderen Orten der Welt“ Schongauers Werke in Händen halten wollte. Damit begründete Wimpheling den Ruf eines Künstlers, der dem Kupferstich endgültig zum Durchbruch verhalf.
Eine Büste mit Schongauers Abbild fand Aufstellung in der Ruhmeshalle in München. Nach ihm sind das Martin-Schongauer-Gymnasium Breisach benannt sowie Straßen und Wege in Frankenthal, Gundelfingen, Kevelaer, Kösching, Bielefeld, Neuenburg, Rottenburg, Schongau, Bad Windsheim, Filderstadt, Karlsruhe, Berlin-Mahlsdorf und Niederkrüchten.
Literatur zu Martin Schongauer
- Christof Metzger, Martin Schongauer: Als die Bilder laufen lernten, in: The Print, hg. v. Christof Metzger (Ausst.-Kat. Albertina, Wien, 27.1.–14.5.2022), Wien 2022, S. 26–28.
- Ulrike Heinrichs, Martin Schongauer – Maler und Kupferstecher. Kunst und Wissenschaft unter dem Primat des Sehens. München/Berlin 2007.
- Stephan Kemperdick, Schongauer, Martin, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 23, Berlin 2007, S. 466–468.
- Stephan Kemperdick, Martin Schongauer. Eine Monographie, Petersberg 2004.Fritz Koreny, Martin Schongauer as a draftsman: a reassessment, in: Master drawings, 34/2 (1996), S. 123–147.
- The illustrated Bartsch, Band 8: Early German artists. Martin Schongauer, Ludwig Schongauer and copyists, Bearbeitet von Jane Campbell Hutchinson, New York 1996.
- Susanne Günther, Martin Schongauer, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 9, Bautz, Herzberg 1995, Sp. 756–758.
- Karin Groll, Martin Schongauer und seine Zeit (Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 4.4.–28.6.1992), Karlsruhe 1991.
- Martin Schongauer. Die Restaurierung des Jüngsten Gerichtes in Breisach; Aspekte zu Leben, Werk und Zeit (Ausst.-Kat. Kunstkreis Radbrunnen Breisach), Breisach 1991.
- Tilman Falk, Thomas Hirthe, Martin Schongauer. Das Kupferstichwerk (Ausst.-Kat. Staatliche Graphische Sammlung München) München 1991.
- Le Beau Martin. Études et mises au point, Akten des Kolloquiums im Musée d’ Unterlinden in Colmar, 30. September – 2. Oktober 1991.
- Christian Heck, Die Madonna im Rosenhag, Colmar 1990.
- Marianne Bernhard (Hg.), Martin Schongauer und sein Kreis. Druckgraphik, Handzeichnungen, München 1986.
- Franz Winzinger, Die Zeichnungen Martin Schongauers, Berlin 1962.
- Hubert Janitschek, Schongauer, Martin, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Band 34, Leipzig 1892, S. 735–739.
- Ludwig Scheibler, Schongauer und der Meister des Bartholomäus-Altars, in: Repertorium für Kunstwissenschaft. Band 7, 1884.