Van Goghs Zypressen gehören zu den berühmtesten Bäumen der Kunstgeschichte. Umso erstaunlicher ist es, dass im Sommer 2023 in New York die erste Ausstellung stattfindet, die sich auf die charakteristischen Bäume aus den Bildern von Vincent van Gogh (1853–1890) konzentriert. So ikonische Bilder wie „Weizenfeld mit Zypressen“ (Metropolitan Museum) und „Die Sternennacht“ (MoMA), „Ein Weizenfeld mit Zypressen“ (The National Gallery, London) und „Landstraße in der Provence in der Nacht“ (Kröller-Müller Museum, Otterlo) sind die Herzstücke der Präsentation. Die New Yorker Ausstellung bietet eine einzigartige Perspektive auf ein Motiv, das praktisch gleichbedeutend mit der Ausdruckskraft des niederländischen Künstlers ist.
USA | New York: The Met Fifth Avenue
22.5. – 27.8.2023
Etwa 40 Werke van Goghs beleuchten in drei Galerien das Ausmaß seiner Faszination für diese flammenähnlichen, immergrünen Bäume, die seine Fantasie im Laufe von zwei Jahren in Südfrankreich entzündeten, beflügelten und anregten: von seinen ersten Sichtungen der „hohen und dunklen“ Bäume in Arles bis zur Entfaltung ihres vollen eindrucksvollen Potenzials unter dem Prätext „wie ich sie sehe“ in der Anstalt in Saint-Rémy.
Zum ersten Mal enthüllt die Ausstellung in New York die Entstehungs- und Bedeutungsgeschichte von van Goghs Zypressen. Durch die Gegenüberstellung von wegweisenden Gemälden mit wertvollen Zeichnungen und illustrierten Briefen Vincent van Goghs – von denen viele, wenn überhaupt, nur selten zusammen verliehen oder ausgestellt werden – bietet diese streng konzipierte thematische Ausstellung eine außergewöhnliche Gelegenheit, einige seiner berühmtesten Werke neu zu würdigen.
Der erste Abschnitt der Ausstellung zeigt seine erste, inspirierte Reaktion auf die Zypressen in Werken aus den 15 Monaten, die Vincent van Gogh in Arles verbrachte. Sie bieten einen Einblick in van Goghs künstlerische Praxis, die er später auf den kiesigen, majestätischen Bäumen verwirklichte aber bereits in einem Brief an seinen Bruder Theo vom April 1888 ankündigte:
„Ich brauche eine sternenklare Nacht mit Zypressen – oder vielleicht über einem Feld mit reifem Weizen.“
Mit seiner einzigen datierten Zeichnung aus Arles vom „März 1888“ – eine stimmungsvolle Kombination aus Zypressen und Kopfweiden, die an sein niederländisches Erbe erinnert –, reicht die Ausstellung von Szenen mit Zugbrücken und im Frühling erblühenden Obstgärten bis hin zu Gartenansichten, die der Maler anlässlich der Ankunft von Paul Gauguin im Herbst schuf. Die Ideen und Bilder, die van Gogh in dieser frühen Auseinandersetzung entwickelte, gewinnen in seinen späteren Werken, mit seiner berühmten Gemäldeserie vom Juni 1889 an Bedeutung.
Das Metropolitan Museum hebt hervor, dass entgegen der vorherrschenden Meinung Vincent van Gogh sofort auf die Zypressen reagierte. Sie waren das auffälligste und symbolträchtigste Objekt der provenzalischen Landschaft für den niederländischen Künstler. Mit den langlebigen, robusten Bäumen gingen nicht nur jahrhundertealte Assoziationen mit Tod, Wiedergeburt und Unsterblichkeit einher, sondern sie dienten auch seit Jahrtausenden als Wächter und Beschützer einer von heftigen Mistralwinden heimgesuchten Region. Van Gogh entwickelte eine tiefe Wertschätzung für die Zypressen als Symbole für dauerhafte und tröstende Aspekte der Natur.
Kurz nachdem Vincent van Gogh im Juni 1889 Arles verlassen hatte, um in der Anstalt von Saint-Rémy Zuflucht zu suchen, startete er eine bedeutsame Malkampagne, aus der seine berühmtesten Bilder von Zypressen hervorgingen, die er in dynamischen, großformatigen Zeichnungen wieder aufgriff.
Im Sommer 1889 nahm der Maler die „hohen und massiven Bäume“ ernsthaft in Angriff. Die MET zeigt seine ikonische Nachtszene „Die Sternennacht“ zum ersten Mal seit über 120 Jahre zusammen mit seinem Tagespendant „Weizenfeld mit Zypressen“. 1901 waren beide Bilder Teil einer großen Retrospektive der Werke des Künstlers in Paris.
Wie damals können die Besucher:innen „Ein Weizenfeld mit Zypressen“ (The National Gallery, London) neben der Freilichtstudie der Met zu den Zypressen, die sich über einem sonnenverbrannten Weizenfeld erheben, und jener Zeichnung, die zwischen den beiden lag, erleben. Die Wiedervereinigung dieser drei Werke bietet eine einzigartige Gelegenheit, van Goghs künstlerische Praxis nachzuvollziehen: Der Maler wollte, seine spontanen Studien aus der Natur in der Stille seines Ateliers zu einer „endgültigeren“ Version verfeinern.
Am 25. Juni 1889 formulierte van Gogh in einem Brief:
„Die Zypressen beschäftigen mich immer noch […], weil es mich erstaunt, dass es niemanden gibt, der sie getan [gemalt] hat, wie ich sie sehe.“
Diesen Worten stellte der Maler eine Skizze zur Seite, um seine Gedanken zu visualisieren. Die dazugehörige Zeichnung und weitere Bilder von Zypressen ergänzen diesen Gedankengang. In schneller und immer sicherer Abfolge nutzte Vincent van Gogh eine gewisse Logik und Synnergie, während er sich in Nahaufnahmen mit zunehmender Intensität und Schwung auf die Zypressen konzentrierte.
Die dritte Galerie wirft einen neuen Fokus auf Van Goghs anhaltende Beschäftigung mit Zypressen während der letzten Monate seines Aufenthalts in der Nervenheilanstalt Saint-Rémy. Von Oktober 1889 bis Mai 1890 hegte der Maler den Ehrgeiz, Freiluftmalerei mit Atelierarbeit zu verbinden. Erstmals zeigt die Met jene Gemälde, die er an der Wand seines Ateliers darstellte.
Mit den letzten und recht abwechslungsreichen Landschaften des Künstlers auf die Zypresse und einer entwaffnenden Gruppe von aus der Fantasie heraufbeschworenen Bildern („Erinnerungen an den Norden“) veranschaulichen die Werke das Ausmaß seiner fortlaufenden Faszination für die Zypressen – und gleichzeitig so wenig bekannte Aspekte wie seine „Suche nach Stil“.
Dieses Schlusskapitel unterstreicht den Charakter von Van Goghs Kunst als ein in Entwicklung befindliches Werk, das der Künstler mit Entschlossenheit und Einfallsreichtum vorantrieb. Indem er Erinnerungen an seine niederländische Heimat mit der provenzalischen Landschaft verbindet und thematische Elemente wieder aufnimmt, die er zu Beginn seines Aufenthalts eingeführt hatte, schließen die beiden letzten Gemälde den Kreis von van Goghs langjährigen künstlerischen Vision: die gen Himmel züngelnde Zypresse.
Kuratiert von Susan Alyson Stein, Engelhard-Kuratorin für europäische Malerei des 19. Jahrhunderts im Metropolitan Museum of Art.
Quelle: The Metropolitan Museum, New York