Kugeln treffen auf rechte Winkel. Hängelampen fokussieren auf kostbare Silberobjekte. Gitterobjekte scheinen davonzulaufen. Spiegelflächen integrieren die Besucher:innen in die Werke und verbinden Werke miteinander. Eine Jardinère mit absurd langem Henkel findet eine Entsprechung in einem surreal überhöhten Sessel. Michael Anastassiades inszeniert im „SHOWROOM WIENER WERKSTÄTTE“ des MAK das (zumeist) frühe Design der Wiener Werkstätte – allen voran von Josef Hoffmann und Koloman "Kolo" Moser, mit einigen Objekten von Dagobert Peche, Franz von Zülow, Eduard Josef Wimmer-Wiesgrill und Josef Frank.
Österreich | Wien: MAK
6.10.2021 – 2.10.2022
Die Präsentation im langgestreckten Saal oberhalb der MAK-Schausammlung Wien 1900 sprüht voller Witz! Der in Zypern geborene und in London tätige Designer zeigt sich nicht nur als Anhänger des Wiener Designs der Jahrhundertwende, sondern ist auch in der Lage, leicht zu übersehende Eigenheiten durch seine Intervention hervorzulocken. Die frühe Phase der Wiener Werkstätte ist geprägt von Linearität, Geometrisierung und Verehrung des Handwerks. Anastassiades reagiert darauf mit zwei Podesten, die den Eindruck des Schwebens hervorrufen, ruhen sie doch (scheinbar) auf goldenen Kugeln. Doch können diese glänzenden Sphären nicht nur als ein Hinweis auf das „Goldene Wien“ gedeutet werden – man denke etwa an die Goldene Kuppel der Wiener Secession in Form einer perfekten Halbkugel (→ Baugeschichte der Wiener Secession) – , sondern auch als ein subtiler Verweis auf die Veränderlichkeit von Wahrnehmung und Wertschätzung. Letztere ist den WW-Objekten seit Jahrzehnten sicher, während die Wahrnehmung und Interpretation beständig aktualisiert und liebgewordene Mythen überprüft werden müssen.
Michael Anastassiades‘ Ausstellung entlockt den WW-Objekten ihre humorvolle Seite. Und doch sind es nur kleine, aber mutige Eingriffe: das Aufsetzen von Sessel und Nähtischchen auf Kugeln, das halbe Ausrollen eines Teppichs, das Auflegen oder Hinterfangen mit Spiegeln, das Tiefhängen von Kugellampen. Um ungestaltete Rückseiten von Möbeln auszublenden, verkleidet sie Anastassiades mit Spiegeln, wodurch sich u.a. ein Kleid samt „Lampen“-Kopf darin verdoppelt und auf diese Weise selbst Vorder- und Rückseite offenbart. Wer dabei an Strategien des Surrealismus denkt (allen voran René Magrittes Porträt von Edward James als „Principe du plaisir“), liegt vermutlich nicht ganz falsch, auch wenn der Verfremdungseffekt nicht so weit getrieben wird.
Reduktion der Form, Funktionalität bei gleichzeitigem hohen Anspruch an Ästhetik und Forderungen nach qualitätvollem Handwerk sowie Materialgerechtigkeit stehen auch weiterhin unangetastet im Zentrum der WW-Rezeption. Das Handwerkliche vermittelt eines der selten ausgestellten Objekte der Schau: ein Werkzeugkoffer der WW aus der Sammlung Ploil. Dessen „schöne Ordnung“ und symbolische Bedeutung begeistert Anastassiades, so dass er ihn geöffnet mitten unter die facettenreichen Objekte der WW stellt. Auch wenn heute noch die Objektschilder die Entwerfer:innen an erster Stelle nennen und die Kunsthandwerker:innen erst nach dem Titel kommen, so durften doch beide die Objekte signieren – eine durchaus revolutionäre Entscheidung, die WW als ein Kollektiv von Schaffenden zu positionieren!
„SHOWROOM WIENER WERKSTÄTTE. Ein Dialog mit Michael Anastassiades“ ist eine gelungene Aktualisierung des WW-Designs voller Spiel und Eleganz. Sie offenbart jene Detailverliebtheit, welche ebenso die Kreativen vor nunmehr 100 Jahren umgetrieben hat. Sie schafft Spannungsbögen und Dialoge, welche Beobachtungen subtil lenken, ohne aufgesetzt zu wirken. Kurzum: Michael Anastassiades zeigt sich – sein Denken und seine feinen Eingriffe mit Hilfe selbst gestalteter Lampen – als würdevoller Interpret eines Designgedankens, der bis heute einflussreich geblieben ist.