Joan Jonas
Wer ist Joan Jonas?
Joan Jonas (*13.7.1936 in New York) ist eine US-amerikanische Künstlerin der Gegenwart (→ Zeitgenössische Kunst). Jonas wurde Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre als Pionierin der Video- und Performancekunst aber auch der Installation bekannt. Joan Jonas' künstlerische Herangehensweise hatte einen bedeutenden Einfluss auf Video- und Performancekunst.
Mit ihren experimentellen Installationen verfolgt sie einen originellen und interdisziplinären Ansatz. Sie vereint Projektionen, Videos, Zeichnungen, Klanglandschaften, Objekte, Skripts, Bühnenbilder, Kostüme, Sound, Musik, Choreografie, Zeichnung, Requisiten und Masken. Im Zentrum ihrer Arbeit steht oft eine erzählende Komponente. Ihre Werke erzählen Märchen und Mythen aus einer neuen Perspektive; sie schaffen emotionale und visuelle Landschaften, die auf der unterbewussten Erfahrung der Welt basiert. Jonas findet ihre Inspiration u.a. in der Literatur, im Noh-Theater und in Ritualen, die sie auf zahlreichen Reisen über die Jahre kennengelernt hat.
„Ich probte meine Arbeit nur nachts, und wenn ich probte, betrat ich einen anderen Raum, der nicht meinem alltäglichen Raum entsprach. Man könnte es fast eine Séance nennen“, fasst die Künstlerin ihre Atelierpraxis zusammen. In ihren oft rituellen Darbietungen kommt eine Haltung zum Ausdruck, die von verschiedenen Kulturen inspiriert ist und sich nicht als Teil der ökonomischen, hektischen Welt versteht. Als Collage aus Sound, Visuals und Emotionen bietet Jonas‘ Werk eine Vielzahl von Blickwinkeln auf die Welt, die Geschichte und die Menschheit.
Joan Jonas lebt und arbeitet in New York - und ist viel auf Reisen.
Ausbildung
Joan Jonas studierte Bildhauerei und Kunstgeschichte. 1958 erhielt sie einen Bachelor in Kunstgeschichte vom Mount Holyoke College in South Hadley, Massachusetts. Danach studierte sie Bildhauerei und Zeichnen an der School of the Museum of Fine Arts in Boston und erhielt 1965 einen MFA in Bildhauerei von der Columbia University. Nachdem sie in die New Yorker Downtown-Kunstszene der 1960er Jahre eingetaucht war, studierte Jonas noch zwei Jahre lang bei der Choreografin Trisha Brown. In dieser Zeit arbeitete Jonas auch mit den Choreograf:innen Yvonne Rainer und Steve Paxton zusammen.
Jonas und die New Yorker Kunstszene der 60er und 70er Jahre
Joan Jonas war in der New Yorker Kunstszene der 60er und 70er Jahre aktiv. In dieser Zeit kam sie mit den unterschiedlichsten Kunstschaffenden in Kontakt, darunter den bildenden Künstler:innen Claes Oldenburg (1928-2022), Richard Serra (*1938), Susan Rothenberg, Robert Smithson, Nancy Holt, Robert Whitman und Robert Rauschenberg, Dan Graham und Laurie Anderson. Sie war befreundet mit den Tänzer:innen und Choreograf:innen Simone Forti, Yvonne Rainer und Trisha Brown, den Komponisten und Musikern John Cage, Terry Riley, Philip Glass, Steve Reich und La Monte Young. Diese enge Vernetzung mit einigen der kreativsten Persönlichkeiten der amerikanischen Kunstszenen an der Ostküste ermöglichte Jonas, auf viele Kunstformen gleichzeitig zu verweisen, eine Flexibilität, die sie gerne in ihre Arbeit einfließen ließ.
Joan Jonas – Pionierin der Performancekunst
„Mich hat sofort die Möglichkeit einer Form angezogen, in der ich alle Disziplinen anwenden oder schichten kann.“ (Joan Jonas)
Diese „Form“ war eine Mischung aus Video und Performance, die es ihr ermöglichte, Musik, Tanz, Skulptur, Kostümdesign und Installation auf eine noch nie dagewesene Weise miteinander in Beziehung zu setzen. 1968 wandte sie sich dieser neuen, die klassischen Grenzen der Kunst sprengenden Kunstform zu. Zwischen 1968 und 1971 performte Jonas „Mirror Pieces“, in denen sie Spiegel als zentrales Motiv oder Requisite verwendete. In diesen frühen Performances wurde der Spiegel zu einem Symbol für (Selbst-)Portrait, Repräsentation, Körper und Real vs. Imaginär. Darüber hinaus fügte der Spiegel manchmal auch ein Element der Gefahr hinzu und schuf eine Verbindung zum Publikum, die integraler Bestandteil ihrer Arbeit war. In „Wind“ (1968) filmte Jonas Darsteller:innen, die gegen einen Wind steif durch das Sichtfeld liefen, was der Choreografie eine psychologische Mystik verlieh.
Hinwendung zur Videokunst
Joan Jonas Arbeiten mit dem Medium Video begann 1970, nachdem sie gemeinsam mit Richard Serra eine lange Reise nach Japan unternommen und ihre erste tragbare Videokamera, eine Portapak, gekauft hatte. Wieder zurück in New York, experimentierte sie mit Video und entdeckte eine neue Welt der Möglichkeiten. Das Bild der tragbaren Kamera wurde für sie durch den Charakter des Selbstgemachten noch attraktiver. Mit Kamera, TV-Monitoren und Live-Video-Feeds brachte Jonas die Technologie bis an ihre Grenzen. Dies führte 1972 zu „Organic Honey’s Visual Telepathy“ – ihre erste Performance mit Video.
My New Theatre
1997 entwickelte Jonas die „My New Theatre“-Reihe, um dem Publikum ein Gefühl von Live-Performance zu vermitteln, auch wenn die Künstlerin selbst nicht anwesend war. Diese Boxen tauchen auch in einigen ihrer größeren Installationen auf; die darin gezeigten Videos sind ganz für dieses Format konzipiert.
Bisher hat Joan Jonas sechs dieser Holzkonstruktionen gebaut, die Requisiten, Fernsehmonitore und Projektionen beherbergen und fast wie eine Miniatur ihrer Installationen erscheinen. „My New Theatre I: Tap Dancing“ (1997) zeigt eine Projektion der Füße eines Stepptänzers im Wechsel mit Clips einer weiteren Tänzerin, die sich durch poetische Szenen bewegt. Vor der Projektion befindet sich eine Reihe von Bildern und Objekten, die kleinen Modellen der Requisiten ähneln, die man in einer der Live-Performances von Jonas sehen kann.
Reanimation (2010/2012/2013)
Joan Jonas ließ sich für „Reanimation“ von dem Roman „Am Gletscher [Under the Glacier]“ (1968) des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness inspirieren. Als sie sie mit der Arbeit an dem Stück begann, recherchierte sie das Thema, indem sie sich den Podcast „Submarine Media: Sounding the Sea with Cyborg Anthropology“ von Stefan Helmreich anhörte, und die Schriften des Unterwasserfilmers Jean Painlevé las. Aufwendig verwoben, entführen die verschiedenen Stimmen den Betrachter tief in die Welt der Natur und des Eises. Jonas platzierte sich selbst in diesem komplexen Bedeutungsraum, schmierte mit Eiswürfeln Tinte auf Papier und stellte sich vor die Projektion, um auf große Papierbögen zu zeichnen. In einem anderen Moment bricht das hüpfende Licht der Kristalle auf Aufnahmen der norwegischen Landschaft, begleitet von einem Soundtrack des Jazzpianisten Jason Moran.
Deutlich erfahrbar wird dieser Ansatz durch Jonas’ Werk „Reanimation“ (2010/2012/2013), für das die Künstlerin Klänge, Materialien, Zeichnungen und Videoaufnahmen zu einem immersiven Raum verbindet. Wie bei vielen Arbeiten von Jonas begann „Reanimation“ 2010 als Lecture Performance, in der sie eine performative Demonstration durchführte und dazu in Norwegen gedrehtes Filmmaterial zeigte. Im Laufe der folgenden drei Jahre überarbeitete Jonas „Reanimation“ in mehreren Variationen. Die Varante von 2012 präsentierte die amerikanische Künstlerin erstmals auf der dOCUMENTA 13 (2012). Dieser Entwicklungsprozess ist der Schlüssel zu Jonas‘ Arbeit, wobei ihre Stücke oft Elemente früherer Performances, Zeichnungen oder Requisiten und Kostüme enthalten. In ihrem gesamten Werk lässt sich dieses Prinzip des Echos und der Spiegelung nachweisen.
Reisen als Inspiration
Inspiration für ihre Arbeit zieht Joan Jonas aus weltweiten Reisen. Diese dienen der Künstlerin als eine Form der Recherche und helfen ihr, neue Ideen zu entwickeln und neue Materialien für die Werke zu finden. Ob mexikanische Tiermasken oder Märchen aus Island – Jonas‘ Werke legen Spuren und Verweise auf die verschiedenen Teile der Welt, die sie besucht hat. Japan, Griechenland, Marokko, Indien, Deutschland, die Niederlande, Norwegen, Polen, Ungarn und Irland kommen in unterschiedlicher Form vor. Insbesondere Jonas‘ Erfahrungen mit dem Noh- und Kabuki-Theater in Japan sowie traditionellen Rituale auf Kreta und im amerikanischen Südwesten waren wichtige Ausgangspunkte für ihre Performances.
„Stream or River Flight or Pattern“ (2016/2017) besteht aus drei Videos, die verschiedene Stationen von Jonas‘ Reisen zeigen: venezianische Mosaike, ein Vogelschutzgebiet in Singapur, ein Friedhof in Genua, Mammutwälder rund um San Francisco, die Landschaft rund um Santander und der Verkehr in Vietnam.
Ausstellungen
Joan Jonas hat ihre Arbeit international und umfangreich ausgestellt und zur Aufführung gebracht. So nahm sie (zwischen 1972 und 2012) sechsmal an der documenta in Kassel teil und vertrat die USA auf der 56. Biennale von Venedig.
Lehre
Ab 1993 verbrachte Joan Jonas einen Teil des Jahres in Los Angeles, wo sie einen Kurs in New Genres an der UCLA School of the Arts gab. 1994 wurde sie zur ordentlichen Professorin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart berufen. Seit 1998 ist sie Professorin für Bildende Kunst am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo sie derzeit Professorin Emerita für Kunst, Kultur und Technologie an der School of Architecture and Planning ist.